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Sachsens rechte »Revolutionäre«

Einleitung

Eine Vielzahl von Neonazis wandeln – auch in Sachsen – in neuen Kleidern. Dass sie sich dabei »phänotypisch« veränderten ist mittlerweile nichts Neues. Alternative und linke Symbolik und Codes, zum Beispiel in Kleidung und Musik, gehören in einer ausdifferenzierten neonazistischen Alltagskultur zum guten Ton. Seit einiger Zeit wird nun auch verstärkt auf vermeintlich linke oder in Teilen als links rezipierte Theorien gesetzt.

Neonazis der »Freien Kräfte Sachsen« bei einem Neonazi-Aufmarsch 2002 in Dresden.

Sie nennen sich »autonome Sozialisten« oder »Sozialisten mit nationalrevolutionärem Anspruch«, sie fordern die »sozialrevolutionäre Aktion« und begreifen sich als »nationalistisch-sozialistisch-revolutionär«. Sie verstehen sich vorrangig als »Aktivisten« und nicht als »Rechte« oder »Linke« und sehen sich im Kampf »um die Alternative eines nationalen Sozialismus« gegen den »Globalkapitalismus«.

Allein die Wahl der Begriffe verweist in die Weimarer Republik und die sogenannten nationalrevolutionären Strömungen der 1920er und 1930er Jahre. Schon damals strebte ein Teil der Protagonisten die Einheit von Nation und Sozialismus an. Im Namen der Nation setzten sie ein Konzept des »Deutschen Sozialismus« den Ideologien des Kapitalismus und der Moderne entgegen. Diese Strömungen hatten Auftrieb erhalten mit dem Fin de Siècle1 und dem Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg. Des Begriffs Sozialismus sollte sich aus Angst vor einem »jüdischen Bolschewismus« aus antiliberaler und antimarxistischer Sicht bemächtigt werden. Dazu versuchten die damaligen rechten Protagonisten linke Akteure auf ihre Linie zu bringen. Dabei setzten sie auf antiwestliche, antiliberale Ressentiments in der Linken.

Die vermeintlichen Schnittstellen blieben bis heute. Und wenn auch diese Ideologiefragmente bisher nur vereinzelt Einzug in die Neonazi-Szene finden, werden sie doch von etlichen Einzelpersonen vertreten und nun verstärkt wieder im Spektrum der parteifreien so genannten »Freien Kräfte« verwandt. Gerade in Sachsen lässt sich dies beispielhaft verorten. Die Protagonisten stammen hier aus dem Umfeld der »Freien Kräfte Dresden« (FKD) und dem »Lausitzer Aktionsbündnis« (LAB). Dieses Spektrum zeichnet sich hauptverantwortlich für den Versuch »revolutionäre Politik« zu machen. Zu nennen sind hier beispielhaft Ronny Thomas, Dennis Keller und Sebastian Richter. Um sie gruppieren sich weitere, welche eher als Aktivisten zu bezeichnen sind, während Erstgenannte die Rolle von Vorreitern einnehmen. Dies ist nicht als ein enger und fester Zusammenhang zu verstehen, vielmehr überschneiden sich die einzelnen Aktivitäten an verschiedenen Punkten. Allen gemein ist die grundsätzliche Übereinstimmung in bestimmten Punkten wie dem »revolutionären« und »nationalen und sozialistischen« Anspruch.

»Freischaffender Schriftführer«

Dennis Keller war ursprünglich Herausgeber der Zeitschrift »Das Herrenhaupt« aus Halle (später Dresden). Es bestand aus einer Anreihung rechter esoterischer Themen, beinhaltete aber auch Interviews mit in der Neonaziszene »Prominenten« wie dem Antisemiten Horst Mahler und dem NPD-Ideologen und zugleich nationalrevolutionären NPD-Kritiker Jürgen Schwab. Mittlerweile schreibt Keller unter dem Pseudonym Johannes Nagel (jn) im Ende 2005 erstmalig erschienenen JN-Theorie-Heft »Hier & Jetzt« als »verantwortlicher Redakteur« und presserechtlich Verantwortlicher. Erklärter Anspruch des Heftes ist »Daß nicht nur parteinahe Mitarbeiter an unserem Zeitungsprojekt operieren, wie etwa jene der Jungen Nationaldemokraten (JN), sondern es vor allem unabhängige Berichterstatter sind, die sich in ihrer Arbeit als freischaffende Schriftführer der Zeitung verpflichtet fühlen«.2 Das gelingt nicht ganz. Hinter dem Projekt steht der JN-Landesverband Sachsen und regelmäßig kommen Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion wie Karl Richter und Andreas Molau zu Wort.

»Oppositioneller« Neonazi

Die Parteinähe mancher »freier Kräfte« kritisierte Ronny Thomas schon länger. Er begriff sich als »freier Aktivist«, der die Partei punktuell unterstützt, ohne seine Eigenständigkeit aufzugeben. 1997 war er selbst noch Kreisverbandsvorsitzender der NPD. Wegen eines brutal begangenen Angriffs auf Jugendliche verurteilt, musste er das Amt abgeben. Inzwischen mehrfach einschlägig verurteilt, galt er lange Zeit als einer der »Anführer« der Dresdner Neonazi-Szene. Zudem zählte er zu den Aktiven in der »Revolutionären Plattform innerhalb der NPD«, die um die Jahrtausendwende herum »nationalrevolutionäre« Thesen in der NPD erfolglos verankern wollte. Seine Thesen, dass den gesellschaftlichen Konflikten, nicht durch eine Links versus Rechts Aufstellung, sondern durch das verbindende Element der Systemopposition begegnet werden sollte, führt er selbst auf Ernst Jünger zurück und vertritt sie seit Jahren.

Damit geht er konform, mit den Überzeugungen der nationalrevolutionären Kreise der Weimarer Republik. Mittlerweile ist er nach München verzogen und betreibt von dort aus das Portal »freie offensive«. Was ihn jedoch nicht hindert, nach wie vor auch in Sachsen aktive Politik zu machen. Im Mai 2006 forderte er den NPD-Neuzugang und ehemaligen  WASG’ler Wagner auf, ein kritisches Interview zu beantworten, was dieser wider Erwarten auch tat. Seit wenigen Wochen betreibt er zudem die Seite des neonazistischen »Aktionsbündnis Gegen das Vergessen« anlässlich des 13. Februar 2007 und forciert es auch hier seinen Einfluss auf die sächsische Neonaziszene beizubehalten. Zudem verantwortete er lange Zeit den »Freien Rundbrief Dresden« – ein regelmäßig erscheinendes Flugblatt mit lokalem Bezug, welches in verschiedenen sächsischen Regionen beheimatet ist. Mit seinen Aktivitäten beschreitet Thomas den Weg eines »Nationalen Oppositionellen« innerhalb der Neonazi-Szene und schärft dort sein politisches Profil.

»Referat Parteifreie Kräfte«

Unter dem Pseudonym »Sepp Hagen« ist Sebastian Richter seit Jahren als Neonazi in Hoyerswerda aktiv.  Auch er begreift sich als »Nationalrevolutionär« und »Nationalist« sowie »Sozialist«. Er war Hauptprotagonist der »Freien Aktivsten Hoyerswerda« (FAH) bis zu deren Übertritt in den JN-Stützpunkt Hoyerswerda, dessen Leiter er ebenfalls wurde. Diesen Schritt begründete er in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung Hoyerswerda wie folgt: »Sie fordern genau wie wir einen Volksstaat, der national und sozialistisch ist. Die JN ist vom Habitus revolutionärer als die NPD.«3 Das »antikapitalistische« Verständnis der Neonazis erläutert er ebenfalls: »Wenn Bindung an das Kapital rechts ist, dann verbindet uns mehr mit der PDS. Wir ziehen die Grenze zwischen oben und unten, zwischen Ausbeuter und Unterdrückten«.4 Folgerichtig fand Richter inzwischen eine politische Heimat in der JN. Seit August fungiert er als Zuständiger im »Referat Parteifreie Kräfte« im Landesvorstand Sachsen. Dieser vermeldet auf seiner Homepage den Anspruch »Nationalrevolutionäre Jugendpolitik in Sachsen« betreiben zu wollen.

Schlusswort

Es bleibt bei allen Differenzierungen festzuhalten, dass es in der Praxis natürlich bei weitem nicht so hochtrabend aussieht, wie verkündet. Da gilt dann im Regelfall doch wieder »nur« der alte reine Nationalsozialismus im modernisierten Gewand. 

  • 1Das »Fin de siècle« (französisch »Ende des Jahrhunderts«) bezeichnet die Zeit von 1890 bis 1914 mit der Konnotation der Dekadenz, die als Folge einer fruchtbaren Epoche (Belle Epoque) gesehen wird. Er ist Ausdruck der Befindlichkeit der kulturellen Szene vor dem Ersten Weltkrieg.
  • 2Zitiert nach der Homepage Sachsenpublizistik, gelesen am 11. Dezember 2006.
  • 3Sächsische Zeitung Hoyerswerda, Näher an der PDS als an der CDU. Interview. Sebastian Richter, Chef der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Hoyerswerda, über den Wandel der rechten Szene. 17. November 2006.
  • 4ebenda.