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Russische Wahlkampfhilfe für den Front National

Bernard Schmid
Einleitung

Aller schlechten Dinge sind drei: Es waren drei ausländische Staatsoberhäupter, die im französischen Wahlkampf 2017 der Chefin und Präsidentschaftskandidatin des Front National (FN) ­— Marine Le Pen — einen Empfang bereiteten, und dadurch deren „staatsmännische“ oder „staatsfrauische“ Statur unter Beweis zu stellen schienen. Nach dem libanesischen Präsidenten Michel Aoun und dem Staatschef des Tschad, Idriss Déby, folgte am 24. März 2017 ein Treffen Le Pens mit Wladimir Putin. Die Audienz im Kreml war im Vorfeld russischen kremltreuen Medien bekannt gewesen, doch der internationalen Presse nicht angekündigt worden. In mehreren russischen Medien wurde Le Pen dabei als künftige Präsidentin vorgestellt oder mit Jeanne d’Arc verglichen, also mit der von historischen Legenden umworbenen „Jungfrau von Orléans“. Es handelte sich nicht um den ersten Kontakt der Parteivorsitzenden des französischen FN mit den russischen Machthabern.

Bild: Screenshot von YouTube/RT Deutschland

Russland als Vorbild einer selbstbewussten Nation

Ein solches Szenario hätte man noch ein Vierteljahrhundert zuvor von der westeuropäischen (extremen) Rechten und dem französischen FN, der sich damals als Speerspitze in der antikommunistisch motivierten Positionierung gegen die Sowjetunion verstand, kaum erwartet. Seitdem hat sich Einiges geändert. Die wichtigste Änderung: Es gibt keinen Systemkonflikt mehr. Zwar gibt es nach wie vor erhebliche machtpolitische Rivalitäten zwischen Russland und den westlichen Großmächten der NATO, die heute noch erheblich stärker sind als in den 1990er Jahren, als die post-sowjetische russische Staatsmacht geschwächt am Boden lag. Doch bilden diese Rivalitäten keinerlei Systemantagonismus mehr ab, sondern spiegeln reine (inner-)kapitalistische Konkurrenzverhältnisse zwischen Staaten wider.

Radikal gewandelt hat sich auch die Wahrnehmung der Position Russlands durch viele rechte Kräfte in Europa. Wladimir Putin steht für ein autoritäres Regime, für Repression gegen aufmüpfige Schwule und Lesben, für eine restriktive Einwanderungspolitik gegenüber Muslimen aus dem Kaukasus und Zentralasien und ein hartes militärisches Vorgehen in Tschetschenien. Vor allem aber steht er aus rechter Sicht für eine „selbstbewusste Nation“, die den USA nicht nachgibt, sondern deren Präsident auf den Tisch haut und international Ansprüche anmeldet — sei es, um ein befreundetes Folterregime in Syrien zu schützen, das unter europäischen Rechten meist positiv betrachtet wird, oder sei es gegen eine Ausdehnung des US-Raketenschirms.

Marine Le Pen, die im November 2011 bei der Vorstellung ihres Programms für die Präsidentschaftswahl im außenpolitischen Teil verkündete, auch anderswo als in Russland benötige man „einen Putin“, fügte noch einen weiteren Aspekt hinzu. Der Rohstoffreichtum Russlands könnte Europa mit einer geeigneten Bündnispolitik dabei unterstützen, sich stärker von den USA sowie Ländern im post- und neokolonialen Einflussbereich Frankreichs, etwa in Afrika, abzukoppeln. Russland könnte dann an ihre Stelle als Rohstofflieferant treten.

Vorliebe für ukrainische militante Faschisten

Noch in jüngerer Vergangenheit gab es Kontakte des FN zu Kräften wie der Всеукраїнське об'єднання «Свобода» („Pan-­Ukrainische Union Swoboda" / "Freiheit"), die 1991 unter dem Namen „Sozial-nationalistische Partei der Ukraine“ gegründet worden war. Im November 2009 wurde eine Delegation der Swoboda-Partei am Sitz des französischen Front National, in Nanterre bei Paris, empfangen. Zu diesem Zeitpunkt war Swoboda noch eine relativ bedeutungslose Kleinstpartei. Der damalige Parteichef des FN, Jean-Marie Le Pen traf bei dieser Gelegenheit mit dem Swoboda-Vorsitzenden Олег Тягнибок (Oleh Tjahnybok) zusammen. Beide Seiten unterzeichneten ein Protokoll für die künftige verstärkte Kooperation.

Diese Zusammenkunft wurde in den französischen Medien, insbesondere unter Verweis auf antisemitische Tendenzen bei Swoboda, skandalisiert. Später hörte man allerdings nicht mehr viel von dieser Zusammenarbeit. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass Swoboda, die die bei Neonazis beliebte „Wolfsangel“ als ihr Symbol benutzt, gegen internationale jüdische Pilgerfahrten in die Ukraine demonstrierte und wiederholt gegen die Gay Pride-Parade in Kiew mobil machte. Aus Sicht der 2011 angetretenen neuen FN-Chefin Marine Le Pen erschien Swoboda damit als nicht „vorzeigbar“ genug. Im Unterschied zu ihrem Vater achtet sie stärker auf die Natur ihrer Kontakte und deren Außenwirkung.

Auch zum „Rechten Sektor“ halten manche Ultra-Rechten auf dem europäischen Kontinent in jüngerer Zeit Kontakt. Aber eine solche Bündnisorientierung ist im Augenblick unter den Ultra-Rechten in den Kernländern der EU weitaus eher die Ausnahme denn die Regel.

Rechte „Wahlbeobachter“, die nichts beobachten

Am 16. März 2014 fand die eilig anberaumte, angeblich freie Volksabstimmung auf der Halbinsel Krim über die Angliederung an Russland — unter dem Schutz von 20.000 russischen Soldaten und ungezählten Milizionären und „grünen Männchen“ — statt. Während die Einreise auf die Krim für neutrale Beobachter unmöglich war und alle Zufahrtswege kontrolliert wurden, weilte der selbsternannte „Geopolitiker“ Aymeric Chauprade vor Ort. Chauprade wurde damals zunächst sogar als offizieller Repräsentant und Wahlbeobachter des französischen FN vorgestellt. Aufgrund des kritischen Medienechos ruderte die Parteiführung jedoch zurück und stellte die Mission Chauprades nunmehr als dessen private Reise „in beruflichen Angelegenheiten, als Experte für Geopolitik“ dar.

Ähnlich verhielt es sich beim „Gipfeltreffen mit Putins fünfter Kolonne“ (schweizerischer Tagesanzeiger) im Mai desselben Jahres, einer Veranstaltung im Wiener Stadtpalais des Fürsten Liechtenstein. Rund 100 geladene Gäste kamen.

Als wohl prominentester Gast nahm der faschistoide Ideologe eines russischen Neonationalismus, Александр Дугин (Alexander Dugin) — Begründer der „Nationalbolschewistischen Partei Russlands“ und der „Eurasischen Bewegung“ — teil. Weitere Teilnehmende waren der Chef der FPÖ, Heinz-Christian Strache und der bereits erwähnte FN-Stratege und „Geopolitiker“, Aymeric Chauprade, sowie die damalige französische Nationalabgeordnete Marion Maréchal-Le Pen (FN). Gemeinsam berieten sie u.a. darüber, wie (nach der Wortwahl der Organisatoren) Europa dank des segensreichen Wirkens Russlands „vor der Homosexuellenlobby gerettet“ und vor anderen satanischen Einflüssen bewahrt werden könne. Offizielles Thema war jedoch der 200. Jahrestag der „Heiligen Allianz“, welche 1814/15 auf dem Wiener Kongress versuchte, die durch die Französische Revolution ausgelöste Entwicklung in Europa —nach dem Sieg über Napoléon I. — zurückzudrehen.

Dem FN war wohl nicht völlig wohl bei der Sache, er ließ seine Teilnahme jedenfalls dementieren. Aymeric Chauprade1 habe lediglich „den Teilnehmern guten Tag gesagt und ein wenig mit ihnen diskutiert, das ist Alles“ (sic), ließ seine Umgebung verlautbaren. Marion Maréchal-Le Pen wiederum sei „aus privaten Gründen in Wien gewesen“ und habe nur FPÖ-Chef Strache guten Tag sagen wollen.

Finanzielle Wahlkampfhilfe aus Russland

Zu den politischen Kontakten kam schließlich auch noch eine finanzielle Komponente hinzu. Denn wie sich im Herbst 2014 herausstellte, erhielt der FN Wahlkampfhilfe aus Russland. Der Kredit in Höhe von neun Millionen Euro wurde nicht direkt von den russischen Machthabern erteilt, sondern mittels einer russischen Bank, und zwar der First Czech Russian Bank (FCRB), die durch den russischen Geschäftsmann Roman Yakubowisch Popow kontrolliert wurde. Bei Popow handelt es sich um einen Bankier mit politischen Verbindungen.

Die Kreditvergabe wurde durch einen Artikel des progressiven Online-Nachrichtenmagazins Mediapart vom 22. November 2014 öffentlich. Marine Le Pen berief sich darauf, sämtliche französischen Banken hätten ihrer Partei einen Kredit verweigert, weshalb sich die Partei Geld  im Ausland gesucht habe. Die Vorsitzende des FN stellte die Dinge so dar, als handele es sich um ein rein finanzielles Kreditgeschäft und einen im Kern unpolitischen Vorgang.

Dabei wurde die Finanzierung anlässlich eines hochpolitischen Besuchs Le Pens in Russland eingefädelt. Laut mediapart habe sich Le Pen im Februar 2014 bei einer inoffiziellen Russlandreise mit dem Duma-Abgeordneten Александр Михайлович Бабаков (Alexander Michailowitsch Babakow) getroffen — und in der Folge, so das Nachrichtenmagazin, auch mit Wladimir Putin selbst. Aus diesem Anlass sei demnach das Kreditgeschäft eingefädelt worden. Babakow war als Berater von Russlands Präsident Putin mit den Beziehungen zu russischen Auslandsorganisationen, und als Kommissionspräsident mit der Entwicklung der russischen Militärindustrie befasst.

Auf dem bisher letzten Parteitag des FN, dem Kongress in Lyon vom 29. und 30. November 2014, wurden die engen Kontakte zur Macht im Kreml ganz offensiv zur Schau gestellt. In Gestalt von Parlaments-­Vizepräsident Andrej Issaev und mit Andrej Klimow, dem Vorsitzenden der Oberhauskommission für internationale Angelegenheiten, waren zwei Spitzenvertreter aus Russland zum Parteitag in Lyon angereist. Beide Andrejs gehören der russischen Regierungs-Partei Единая Россия („Einiges Russland“) an.

  • 1Er wurde im Mai 2014 für den FN ins Europaparlament gewählt, trennte sich allerdings im Laufe des Jahres 2015 von der Partei und unterstützte 2017 François Fillon, den Kandidaten der Konservativen zur Präsidentschaftswahl.