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Rechtsfreie Räume für MigrantInnen?

der Zentralen integrierten Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa (ZAPO) beim Polnischen Sozialrat e.V. in Berlin (Gastbeitrag)
Einleitung

Herr W. aus Polen arbeitete einen Monat für eine Dachdecker-Firma. Es ist ein Stundenlohn von 12,– Mark vereinbart. Für 161 Stunden hat er einen Abschlag von 500,– Mark erhalten, was umgerechnet 3,10 Mark die Stunde ausmacht. Als er wegen angeblich schlechter Arbeiten keinen weiteren Lohn bekommt, wendet er sich an die Beratungsstelle ZAPO in Berlin, worauf diese beim Arbeitgeber interveniert. Der Mitarbeiterin von ZAPO wurde von der Sekretärin mitgeteilt, dass niemand in der Firma Herr W. kennt und dass er sich wohl die Adresse der Firma aus dem Handelsregister herausgesucht hätte, um die Firma zu betrügen.

Bild: flickr.com; digital cat /CC BY 2.0

Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Hauptsächlich in den Branchen Landwirtschaft, Bau, Reinigungsgewerbe sowie private Haushalte sind ArbeitnehmerInnen ohne erforderliche Arbeitspapiere eingesetzt. Es bestehen mündliche Arbeitsverträge zwischen 5 –18 D-Mark, der Lohn wird vorwiegend wöchentlich ausbezahlt. Doch häufig nutzen die ArbeitgeberInnen die Schutzlosigkeit der ArbeitnehmerInnen aus. Es gibt typische Strategien von Arbeitgebern: Es werden nur Abschläge bezahlt und auf nächste Woche vertröstet, ArbeitgeberInnen geben vor, dass sie selbst kein Geld von ihren Auftraggebern bekommen hätten. In privaten Haushalten wird zusätzlich der persönliche Kontakt zwischen ArbeitgeberIn und Arbeitnehmerin ausgenutzt, um die Leute zu vertrösten. Auf dem Bau gab es Fälle, in denen der Arbeitgeber kurz vor der Lohnauszahlung bei den Kontrollbehörden anonyme Hinweise auf illegal Beschäftigte gegeben hat, um den Lohn einzusparen.

Die meisten illegalisierten MigrantInnen sehen keine Möglichkeit, gegen den Arbeitgeber vorzugehen. Es ist nicht bekannt, dass die Arbeitsgerichte auch bei Arbeitsverhältnissen ohne Arbeitspapiere das faktische Arbeitsverhältnis anerkennen. Dabei ist der Gang vor das Arbeitsgericht – auch bei einem ungesicherten oder gar »illegalen« Aufenthaltsstatus – durchaus möglich. Die Betroffenen müssen meist noch nicht einmal selbst vor Gericht erscheinen, wenn einE RechtsanwältIn sie vertritt. Die Anwaltskosten werden bei geringem Einkommen über Prozeßkostenhilfe von der Justizkasse bezahlt. Viele ArbeitnehmerInnen – gerade in privaten Haushalten – haben mehrere Jobs und sehen es quasi als Berufsrisiko, von einem Arbeitgeber betrogen zu werden. Die meisten aber haben aber keinen Zugang zu rechtlichen Informationen, hinzu kommen noch Sprachbarrieren. Manche versuchen, durch die Androhung körperlicher Gewalt oder durch eine Auftragsvergabe an mafiöse Strukturen an ihr Geld zu kommen.

Es gibt aber auch MigrantInnen, die seit Jahren ohne Papiere in Deutschland ohne größere Probleme leben. In der Öffentlichkeit werden »ausländische Schwarzarbeiter« für die Arbeitslosigkeit von deutschen Bauarbeitern, die Deregulierung von Tariflöhnen und den Verlust von Steuereinnahmen verantwortlich gemacht. Erwähnt wird nicht, dass deutsche Arbeitslose und Handwerker auch gerne nebenher »bar auf die Hand« etwas dazu verdienen. Thematisiert wird vor allem nicht, wer Aufträge an illegalisierte MigrantInnen vergibt. Alle haben den Nutzen von billigen und flexibel einsetzbaren Arbeitskräften. Sowohl der Einfamilienhausbesitzer, aber auch der Präsident der Handwerkskammer, der bulgarische Arbeiter illegal auf seiner Baustelle beschäftigt hat, bis hin zum Bund. Der Bund selbst kann rechtlich nicht verantwortlich gemacht werden, da dieser den Auftrag an einen privaten Generalunternehmer vergibt, der Aufträge an Firmen gibt, die wiederum Subunternehmer einstellen. Der Subunternehmer mit dem günstigsten Kostenangebot wird genommen, auch wenn klar sein muss, dass damit kein Tariflohn bezahlt werden kann.

Während in anderen Branchen Produktionszweige ins Ausland verlegt werden, um billiger zu produzieren, ist dies im Bau nicht möglich. Da müssen die Arbeitskräfte aus Niedriglohnländern ins Land geholt werden. Doch nicht nur ausländische ArbeitnehmerInnen ohne Papiere sind bereit, unter miesen Bedingungen zu arbeiten. Die legal beschäftigten Wanderarbeiter – ob aus Osteuropa oder EU-Ländern – haben kaum andere Arbeitsbedingungen. Selbst für inländische Bauarbeiter wird oft kein Tariflohn mehr gezahlt. Durch den Druck der hohen Arbeitslosigkeit – unabhängig von Herkunftsland und Aufenthaltsstatus – wächst die Bereitschaft, ungünstige Arbeitsverhältnisse anzunehmen. Bei nicht-deutschen Beschäftigten ist die Bereitschaft der Arbeitgeber, sie zu betrügen, noch höher. Aus rassistischen Vorurteilen werden sie nicht ernst genommen und als ungebildet eingeschätzt. Es wird angenommen, dass sie nicht in der Lage sind, sich zu wehren.

Um die Arbeitssituation von Illegalisierten zu verbessern, gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine Abschaffung des Ausländergesetzes und des Arbeitsgenehmigungsrechts ist bei der derzeitigen politischen Lage vollends unrealistisch. Darum muß die Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit von ArbeitnehmerInnen (z.B. durch Beratungsstellen) gestärkt werden, indem sie über ihre Rechte informiert werden und die Klagemöglichkeit in Anspruch nehmen. Damit spüren ArbeitgeberInnen, dass die Betroffenen sich zur Wehr setzen und die Ausbeutung zu einem gerichtlichen Verfahren und der Nachzahlung von Lohnen führen kann. Zusätzlich muss auf eine Feststellung des Aufenthaltsstatus bei arbeitsrechtlichen Verletzungen verzichtet werden, um das Risiko einer Abschiebung der klagenden ArbeitnehmerInnen zu verhindern.

Frauen: Doppelt schutz- und rechtlos

Besonders schwierig und prekär sind die Lebens- und Arbeitssituationen von Frauen. ZAPO arbeitet speziell mit Wanderarbeiterinnen aus Mittel- und Osteuropa und hat deren Lebensbedingungen wie folgt dokumentiert: Der osteuropäische Arbeitsmarkt bietet nur einer kleinen Minderheit junger und hochqualifizierter Frauen lukrative Einkommen und Zukunftschancen. Die große Mehrheit der osteuropäischen Frauen bewertet ihre Arbeits- und Berufschancen als perspektivlos und finanziell nicht ausreichend bezahlt, um ihren Lebensstandard zu halten oder zu verbessern. Gleichzeitig besteht im Kontext von Globalisierung und Deregulierung in Deutschland eine große Nachfrage nach preisgünstiger weiblicher Arbeitskraft für spezifische Arbeitsbereiche. Die Arbeitsmigration Ost-West ist sowohl im formellen wie informellen Arbeitsmarkt geschlechtsspezifisch geprägt. Männer sind fast ausschließlich im Baugewerbe, bei Reparaturkolonnen und speziellen Arbeiten in der Landwirtschaft beschäftigt. Frauen übernehmen Putzarbeiten in Haushalten, pflegen und betreuen alte Menschen und Kinder arbeiten in der Prostitution, sind in der Gastronomie und Landwirtschaft tätig und arbeiten in der Reinigungsindustrie.

Der legale Zugang zum Arbeitsmarkt ist Frauen aus Osteuropa jedoch fast völlig verwehrt. Legale Möglichkeiten sind weitgehend auf eine kurzfristige Beschäftigung als Saisonarbeiterin (Gastronomie, Landwirtschaft, Schaustellergewerbe) oder als AuPair beschränkt. In den letzten Jahren ist der Bedarf nach häuslichen, pflegerischen und betreuenden Dienstleistungen in unserer Gesellschaft gestiegen. Wegen dem niedrigen Status dieser Arbeit, der schlechten Bezahlung und den mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten, ist es aber immer schwieriger geworden, Arbeitskräfte zu finden, die diese Rolle übernehmen. Ein weiterer Aspekt für den hohen Bedarf an weiblicher Arbeitskraft gerade im häuslichen Dienstleistungsbereich ist die steigende Berufstätigkeit der Frauen im Westen. Die Tatsache, dass sich an der geschlechtsspezifischen Aufteilung der Reproduktionsarbeit wenig verändert hat, kompensieren viele berufstätige Frauendamit, dass sie zur Entlastung eine Haushaltshilfe anstellen.

Rassismus

Auch im Bereich der Prostitution lässt sich ein steigender Bedarf verzeichnen. Verantwortlich dafür ist die immer noch im Aufbau befindliche Sexindustrie in den neuen Bundesländern. Ein weiteres Tätigkeitsfeld, in dem neben lateinamerikanischen auch Frauen aus Mittel- und Osteuropa arbeiten, ist die Reinigungsindustrie. Dem generellen Trend der sogenannten »lean production« zufolge werden immer mehr Arbeitsbereiche aus einem Unternehmen ausgelagert. So hält die Tendenz der Auslagerung des gesamten Reinigungsbereichs bei Supermarktketten, Hotels, Krankenhäuser und Behörden in Berlin weiterhin an. Die Putzarbeiten werden als Auftrag mit dem Ziel der Kostenreduzierung an einen Subunternehmer weitergegeben, dieser gibt den Auftrag an ein Sub-Subunternehmen weiter etc. Tarifliche Mindeststandards werden in keiner Weise mehr eingehalten.

Kennzeichnend für all diese Tätigkeiten ist, dass es sich um prekäre und ungeschützte Arbeitsverhältnisse handelt. Viel zu selten wird die Frage nach den NutznießerInnen dieser Arbeitsverhältnisse gestellt. Es sind Unternehmen wie auch KonsumentInnen und Privatpersonen, die vom informellen Arbeitsmarkt profitieren. Für die Frauen in diesen ungeschützten Arbeitsverhältnissen ist jedoch das Risiko besonders hoch, in Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten.