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Rechte Gewalt als Standortproblem. Antifa statt Verbote

Einleitung

Seit Jahren haben Antifas, antirassistische Initiativen, Flüchtlingshilfsorganisationen oder Demokratiebewegte immer wieder davor gewarnt, die Bedeutung von rechtsextremen, völkischen Haltungen in der Bevölkerung zu unterschätzen. Bekannt ist seit langem, dass viele Regionen, Stadtteile und Kleinstädte durchaus als rechte Zonen bezeichnet werden können. Dazu kommt eine permanent hohe Anzahl an Gewalttaten und eine noch viel höhere Zahl an zur Normalität gewordenen Bedrohungen durch Menschen, die einfach meinen, sie hätten ein Recht, gegen andere vorzugehen, weil sie sich als bevorrechtigte Deutsche fühlen.

Bild: attenzione-photo.com

Zivilcourage heißt selbst organisiertes politisches Handeln.

Rechtsextreme Organisationen konnten sich unter den Augen von Sicherheitsbehörden entwickeln bzw. immer wieder reorganisieren. Seit einigen Monaten wird viel über Rechtsextremismus gesprochen. Zu einer Auseinandersetzung mit den ideologischen Grundlagen kommt es nicht. Jetzt will man der Gewalt Einhalt gebieten. Als im Frühjahr die Bundesregierung ankündigte, ein Bündnis »Für Demokratie und Toleranz« gründen zu wollen, war klar, sie hatte erkannt, auch für sie besteht ein Handlungsbedarf. Zu schwerwiegend waren die Berichte vor allem aus dem Osten. Es ging nicht mehr zu deckeln. Aber nicht nur das. Die jahrelang aufrechterhaltene Parole: »Deutschland ist kein Einwanderungsland« ist nicht nur falsch, sie rechnet sich nicht. Das Kapital braucht zusätzliche qualifizierte Arbeitskräfte. Bei abnehmender Einwohnerzahl, Bildungsnotstand und Fachkräftemangel bedeutet das einen Wechsel in der Migrationspolitik.

Die bisherige Politik wird zum Standortnachteil. Zudem können große Teile der Wirtschaft einer rechtsextremen Ideologie nichts abgewinnen. Die Übergriffe hier könnten sich im internationalen Vergleich imageschädigend auswirken. Angesagt war also ein Konzept, das Aktivität signalisiert, die immer kritischeren Äußerungen gegenüber der Politik kanalisiert und den eigenen Interessen gerecht wird. Entstanden ist eine »Zuwanderungskommission«. Sie soll ganz »ideologiefrei« Grundlagen neuer Politik erarbeiten. Es wird polizeiliche Härte gegen »Störenfriede« propagiert und für diejenigen, die mit rechten Angriffen »wirklich« ein Problem haben, soll es ein Bündnis geben – jetzt noch eins auf Bundesebene. Die Debatte in den letzten Monaten hat es verdeutlicht. Es geht um eine auf die standort-ökonomischen Interessen ausgerichtete Änderung der Zuwanderungspolitik, die Durchsetzung von Staatsmacht bei gleichzeitiger (Wieder-)Verfestigung vermeintlicher demokratischer Spielregeln als Grundlage des Standortes und um ein Ablenken von eigenen Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit den völkisch-rassistischen Stimmungen in der Bevölkerung.

Dies und das Unverständnis in einer immer breiter werdenden Öffentlichkeit über die gleichbleibend hohe Zahl von Angriffen waren die Grundlagen, auf denen sich eine Debatte, wie inden letzten Monaten entfalten konnte. Die Gesellschaft selbst – verhaftet in völkischen Traditionen – hat sich über Jahre blind gestellt, und erschrickt nun vor der Zuspitzung ihrer eigenen Werte in Gestalt von rechtsextremen Skinheads und NPD-Parolen. Bereits vor zwei Jahren wurde im Koalitionsvertrag geschrieben, man wolle ein Bündnis »Für Demokratie und Toleranz« schaffen. Doch die Abteilungen im Innenministerium, die sich bisher vor allem mit der politischen Linken beschäftigen und sich dort besser auskennen, gaben sich planlos. So sahen sich die Kalten Krieger mit einem ihnen aufgedrängten Thema konfrontiert. Man hätte das Thema lieber vom Tisch gehabt, verwies auf die Verantwortung in den Ländern und Kommunen. Doch eben dort bewegt sich nicht viel.

Entsprechend wurde zum 23. Mai diesen Jahres ein Gründungsakt inszeniert, bei dem es der Innenminister schaffte, das Wort »Rechtsextremismus« zu vermeiden. Viele derjenigen, die eingeladen waren, distanzierten sich. Sie kritisierten eine mangelnde Einbindung in die Vorbereitung und unklare Zielstellungen. Antifaschistische und antirassistische Initiativen (darunter das AIB) erklärten, sie wollen »mit denjenigen zusammen arbeiten, die eine Gesellschaft ohne rassistische Ausgrenzung und Verwertungslogik anstreben. Dazu gehört nicht der Innenminister und nicht die Bundesregierung.« Denn das Problem wird allein in der kulturellen Sphäre der Gesellschaft verortet und soll allein dort angegangen werden.

Die Menschen sollen sich »anständig« verhalten, »was sie aufgebaut haben«, sollen sie sich nicht »von ein paar wirren Glatzköpfen kaputt machen« lassen, fordert der Bundeskanzler von der Gemeinschaft. Eine staatliche Verantwortung wird verschwiegen. Dabei liegt es auf der Hand: Wer verantwortlich ist für menschenunwürdige Unterbringung, Lebensmittelgutscheine und Aufenthaltsbeschränkungen und dies an eine Abstammung bzw. Herkunft knüpft, sorgt dafür, dass Bilder entstehen, in denen die einen mehr und die anderen für weniger wert befunden werden. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Rede von »Fremden«. Aus dieser Zuschreibung wird wie selbstverständlich ein Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe abgeleitet. Wer keine Berechtigung zum Aufenthalt hat, wird zur Abschreckung ganz demokratisch abgeschoben. Andere werden – wie selbstverständlich – verwahrt.

Wenn Politiker dann auf das Gewaltmonopol des Staates und der Gesetze verweisen, interessiert das die Rassisten nicht. Ihnen ist der feine Unterscheidung zwischen »demokratischer« Legitimierung und »unanständiger« handfester Eigeninitiative egal. Ihnen geht es um das Ziel. Und darin stimmen »Schläger« und Staat überein. Ändern wird sich erst recht nichts, wenn in der weiteren Diskussion eine Unterscheidung in »nützliche« und »nutzlose«, »erforderliche« und »belastende Fremde« aufgemacht wird. Weil das Bild, dass »Andere« hierher kommen, die eigentlich nicht hierher gehören, bestehen bleibt. Für das jetzt allseits geforderte Engagement fehlen die viel beschworenen Initiativen. Etliche haben in den letzten Jahren aufgrund mangelnder Unterstützung aufgeben müssen. Andere, die über Jahre praktisch tätig waren, sich immer wieder mit eigenen Mitteln in die gesellschaftliche Debatte einmischten, werden mit dem Blick der Gleichsetzung von Rechts und Links weiter vor allem als Gegner gesehen, deren Kritik oder gar Protest auf der Straße nicht erwünscht sind.

Rezepte, die im Namen der Bekämpfung rechter Gewalt vor allem eine Verschärfung von Repression und Ausweitung polizeilicher Befugnissen beinhalten, sind abzulehnen, weil sie Einschränkungen für alle bedeuten. Erforderlich ist eine öffentliche Diskussion und Aufklärung über die geistigen Inhalte und die spezifischen Erscheinungs- und Strukturformen des Rechtsextremismus. Das Problem ist nicht die Gewalt, sondern die dahinter stehenden rechtsextremen Haltungen. Gewalt ist lediglich deren Folge. Weil das Problem die Einstellungen sind, darf die Verantwortung nicht an Staat und Polizei delegiert werden. Notwendig sind Konzepte, die gegen eine Verbreitung rechter Einstellungen wirken und diejenigen stärken, die sich positionieren und den Rechtsextremisten und ihrem Umfeld die Grenze aufzeigen. Es bleibt die Feststellung, dass es ein »hartes Durchgreifen« bisher kaum gegeben hat. Polizei und Justiz waren und sind es, die mit ihrem Handeln Engagement gegen Rechts behindert, kriminalisiert und mit ihren »Einschätzungen« denunziert haben und denunzieren.

Sicherheitsbehörden haben über Jahre V-Leute an Schnittstellen der rechten Szene geführt und mit Teilen möglicherweise paktiert. Klar ist: Was sich an rechtem Terror in den letzten Jahren entwickeln konnte, wird sich nicht so einfach zurück drehen lassen – schon gar nicht durch Verbote. Seit 1980 wurden in West- und später Gesamtdeutschland 23 rechtsextreme Gruppierungen und Vereine verboten. Das Ergebnis ist bekannt. Bisher ist es Neonazis und Rechtsextremisten immer wieder gelungen, ihre Strukturen den veränderten Bedingungen anzupassen. Das wird auch nach einem Verbot der NPD nicht anders sein. Demonstrationen und Konzerte werden weiterhin stattfinden, rechtsextreme Haltungen weiter propagiert. Vor allem kann nicht erwartet werden, dass Rechtsextreme auf die aktuelle Debatte nicht reagieren werden. Der Raum für Nazis wird zwar enger, es muss aber damit gerechnet werden, dass sich die Art und Weise der militanten Angriffe verschärfen wird. Es gibt also viel zu tun. Nutzen wir Räume, die die jetzige Debatte aufmacht! Es gilt die Widersprüche aufzuzeigen und immer wieder zu unterstreichen: Zivilgesellschaft ist nicht der Handlungsgehilfe des Staates. Zivilcourage heißt selbst organisiertes politisches Handeln. Antifa statt Verbote!