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Rechte Briefbomben in Österreich

Einleitung

Die ersten unabhängigen Recherchen zu den mutmaßlichen Hintermännern der rechten Briefbomben in Österreich zeichnen das Bild einer Neonazi-Szene im Übergang zum Terrorismus. Nach der anfänglichen üblichen Verharmlosung von Neonazis durch offizielle Stellen in Österreich, brachten tschechische Grenzbeamte die Ermittler auf eine konkrete Spur. Für AntifaschistInnen wird unabhängig von den Ermittlungen deutlich: In der Szene gibt es Zugänge zu Waffen und Sprengstoff und eine kontinuierliche Verbindung zu "Kameraden" in Berlin.

Bild: Montage mit Presse Faksimile

Der Neonazi-Kader Gottfried Küssel (links) hatte Kontakte zu Tatverdächtigen der rechten Briefbomben.

"Einsatz der 10!" ?

Pünktlich zum Beginn der extrem rechten »Internationalen Rechtskampfwoche« explodierten vier Briefbomben in Österreich, sechs weitere konnten entschärft werden. Das könnte als zehn Bomben als Rache für zehn Jahre Haft für Küssel interpretiert werden. Immerhin hieß es im November 1993 in dem Neonaziblatt HNG-Nachrichten hierzu: "(...) Brandmal muß uns jedes einzelne Jahr sein. Nehmen wir die 10 zum Symbol. Aktion: Einsatz der 10! (...)" Angeblich waren hiermit Postkarten für inhaftierte Kameraden gemeint. Allerdings mehrdeutig: "(...) Unsere Aktion: Einsatz der 10 soll ankommen. In erster Linie als unsere Karten (...) Gemessen wird Einsatz und Tat, nicht das Geschwätz beim Bier (...)"1 Die GdNF Zeitung "Neue Front" erklärte zum Urteil "Nun sind Aktionen gefragt (...) Hier ist von den einzelnen eigene Initiative gefragt (...) "2

Die rechte Solidaritätswoche, organisiert aus dem Spektrum der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF), richtete sich gegen die Organisationsverbote und die Verurteilung des österreichischen Führers der „Volkstreuen außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) Gottfried Heinrich Küssel.

Die ersten Briefbomben gingen am 3. Dezember 1993 hoch. Die EmpfängerInnen hatten Position gegen die Ausländer-Raus-Politik bezogen und sich damit zum Haßobjekt der Neonazis gemacht. Unterschrieben waren die Bekennerschreiben mit »Wir wehren uns. Graf Ernst Rüdiger von Staremberg.«. Der Graf hatte bei der Belagerung Wiens 1633 durch türkische Truppen die Verteidigung organisiert. Sein Nachfahre gleichen Namens war am Hitlerputsch 1923 beteiligt und Führungsperson der austrofaschistischen Heimwehren 1934 gewesen. Dies hinderte die Ermittlungsbehörden nicht daran, die Öffentlichkeit auf Serben und Bosnier als mögliche TäterInnen in Österreich einzustimmen, auch noch, als mit »von Staremberg« unterschriebene Briefe gefunden wurden.

Verharmlosung durch Geheimdienst Informant

Der Chef vom österreichischen Staatspolizeilichen Dienst (StaPo) erklärte, die neonazistische Szene sei »zu blöd« für eine logistisch so komplizierte Aktion3 . Mittlerweile ist nachvollziehbar, wie der StaPo-Chef zu seiner Einschätzung kam. Die Staatspolizei hatte nämlich einen - es ist offenbar nicht der einzige - »Vertrauensmann« in der VAPO, dem österreichischen Zweig der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF). Sein Name ist in den Akten zu einer Schändungsaktion an einem jüdischen Friedhof zu finden.4 Nach den ersten Explosionen befragte die Staatspolizei ihren Spitzel, ob denn die österreichischen Neonazis zu solch einer Aktion in der Lage wären. Das »Nein« des Neonazis schien dem StaPo-Chef gereicht zu haben, um voller Inbrust die Täter in ImmigrantInnenkreisen zu suchen.

Die erste Festnahme - Zufall

Die erste Festnahme eines potentiellen Verdächtigen war nicht dem Fahndungseifer der österreichischen Behörden zuzuschreiben. Eine Zeugin, Kioskverkäuferin, konnte eine gute Beschreibung der Person liefern, die einige Tage zuvor zahlreiche 7-Schilling-Marken mit dem Motiv, das sich auf den Briefbomben befand, gekauft hatte. Das mit diesen Angaben angefertigte Phantombild wies eine auffallende Ähnlichkeit mit dem VAPO-Kader Peter Binder auf, stellten die Ermittler fest.

Dennoch hatte Binder bei seiner Ausreise keine Probleme; die österreichischen Zollbeamten in Haugsdorf waren nicht vom Innenministerium informiert worden. Kurz darauf meldeten aber die Beamten einer Grenzübergangsstelle in Tschechien einen dicken Fang an die österreichische Kollegen: Sie hatten Peter Binder auf dem Weg nach Berlin festgesetzt, in seinem Audi 80 befanden sich 13 Gewehre, 5 Pistolen, ein Bajonett sowie Substanzen zur Nitroglycerin-Herstellung. Außerdem ein weißes Briefcouvert, das mit den Sprengstoffbriefen identisch sein soll und ein Adreßbuch, das Namen und Telefonnummern deutscher Neonaziführer enthielt.5

Der bundesdeutsche Verfassungsschutz geht davon aus, daß Binder zusammen mit deutschen Neonazis eine russische Kaserne in der BRD zwecks Waffenbeschaffung überfallen wollte.6 Bei anschließenden Hausdurchsuchungen in zwei Wohnungen Binders wurden Bestandteile der gleichen Art gefunden, wie sie auch zum Bau der Briefbomben benutzt wurden. Im Wochenendhaus der Schwiegereltern Binders in Niederösterreich entdeckte die Polizei ein riesiges Waffenlager, die bisher »umfassendste Ansammlung von Kampfmitteln«, die der Polizei nach dem II. Weltkrieg untergekommen sei.7 Das Wiener Magazin „Profil“ zählt auf: »unzählige Waffen (Sturmgewehre, Pistolen, Maschinengewehre etc.); Panzerfäuste, Handgranaten, Kampfanzüge, Stahlhelme und anderes Kriegsmaterial. Dazu: 20 Kilo TNT, ausreichend, um ganze Häuser in die Luft zu sprengen. (...) Außerdem wurden leere Patronenhülsen gefunden - ein Beweis dafür, daß die Kameraden aktiv waren.«8 Die Waffen stammen aus Beständen des Zweiten Weltkriegs, des Bundesheeres und aus Kroatien.

Eine nach den Waffenfunden eingeleitete Großrazzia war ohne Erfolg, die VAPO-Größen waren vermutlich vorgewarnt worden. Doch ein weiteres Indiz bringt Binder und die VAPO möglicherweise mit dem Herstellungsort des Nitroglycerins in Verbindung. Die Wohnung des inhaftierten VAPO-Chefs Küssel wurde auch nach seiner Verhaftung weiter als eine Art Organisationszentrale genutzt. Offizieller Untermieter ist Küssels „Statthalter“ Gerhard Endres ("Earpp"), bis auch er inhaftiert wurde. Binder rief die Nachbarn an, nachdem die Badewanne in Küssels Wohnung übergelaufen war und versprach, den Schaden umgehend zu beheben. Relevant ist dieser Vorgang, da in einschlägigen Neonazi-Bombenbauanleitungen nachzulesen ist, daß sich für das Nitroglycerin ein temperaturkonstantes Wasserbad in der Badewanne empfiehlt - ohne Temperaturschwankungen am besten unter laufendem Wasser zu erreichen.9

Peter Binder - ein Aufsteiger in der VAPO

Peter Binder, 26 Jahre, ist Elektroingenieur und in der Abteilung Regeltechnik und Automation der Computerfirma Honeywell Austria GmbH beschäftigt. Er war auch als Ordner auf der Rudolf-Heß-Demonstration im Jahr 1992 zu sehen. Er war offenbar des öfteren in Berlin gewesen und hat auch guten Kontakt zu Neonazis in Dresden, berichtet ein VAPO-Kamerad: »Der Binder und der Priem kennen sich vom öfteren Sehen8 Profil schreibt, daß Binder der Kontaktmann einer NS-Zelle sei, somit zuständig für die Kontakte zu anderen Zellen war. Damit hatte er sich -zumindest laut Konzept- im Hintergrund zu halten und die Verbindung im europaweiten Neonazi-Netz der GdNF bzw. der NSDAP/AO zu gewährleisten.

Erst mit der Verhaftung von Günther Reinthaler (»Gauleiter von Salzburg«) rückte er aus dem Hintergrund zum Kreis der »Kaderleiter« auf. Die wichtigen Entscheidungen der VAPO traf nun eine gemeinsame Führung in der er sich - auch laut Geheimdienstinformationen - u.a. mit Franz Radl, Gerhard Endres und Sascha Kaspar zusammenfunden haben soll.10

Die Achse Wien - Berlin

Weitere Briefbomben sollten laut Polizeiaussagen auch in die BRD verschickt worden sein, Funde wurden jedoch nicht vermeldet. Binders Waffentransport nach Berlin weist darauf hin, daß allem Anschein nach hier ähnliches geplant gewesen sein dürfte. Einen starken BRD-Bezug gibt es für die österreichische Szene eh. Die österreichische VAPO ist auch eine Teilorganisation bundesdeutscher Neonazis, aktive Personen der deutschen NS-Szene wie Arnulf Priem sind in Binders Adreßbuch zu finden.

Den Berliner Neonazi Arnulf Winfried Horst Priem soll Binder laut „Profil“ wiederholt gewarnt haben, besser nicht mehr mit dessen auffälligem Opel Omega, ein Geschenk von Neonazi-Führer Christian Worchs (Hamburg), bei seinen Österreich-Reisen vorzufahren. Möglicherweise mit Erfolg, denn die österreichische Presse berichtete, daß der Berliner Arnulf Priem zwei Stunden nach der ersten Bombenexplosion in der Wiener U-Bahn gesehen wurde, was dieser vehement abstreitet. Seine Anwesenheit in Wien, die kein Hinweis auf seine Verwicklung in die Attentate sein muß, ist aber nicht unwahrscheinlich.

Nach Küssels und Reinthalers Verhaftung ist die Personaldecke auf der GdNF-Führungsebene in Österreich dünn geworden. Priem dementierte in einem Kurier-Interview, jemals in Österreich gewesen zu sein und Binder sowie den zweiten Verhafteten zu kennen.

Doch die entgegengesetzte Version gibt ein VAPO-Angehöriger und Binder-Freund zu Protokoll, der gegenüber dem „Profil“ äußerte, daß Priem und Binder sich des öfteren gesehen hätten.8 Zudem war Binder mehrere Male in Berlin gewesen, auch in dem "besetzten" Neonazi-Haus in der Weitlingstraße 122; unwahrscheinlich also, daß er da nicht auch mal mit Priem zu tun gehabt hatte. So leicht ist die Aussage der Wiener Zeugen in der U-Bahn auch nicht vom Tisch zu wischen. Diesen war schon vorher bekannt, wie Priem aussieht, zudem verwiesen sie auf seine obligatorische Eva-Braun-Plakette, die er mal wieder angeheftet hatte.

Zwei Verkäuferinnen in einem Berliner Elektrogeschäft sollen ausgesagt haben, daß Priem Elektronikbauteile im Oktober 1993 bei ihnen gekauft hätte. Priem bestreitet dies, er könne sogar noch die Rechnungen vorweisen. »In Wahrheit habe ich einen CD-Ständer und eine Armbanduhr für meine Freundin gekauft11

Einen weiteren Hinweis gibt die „Profil“-Ausgabe vom 20. Dezember 1993. Am 1. Dezember habe in Österreich ein Treffen zwischen Gerd Honsik und anderen Neonazis stattgefunden, zwei Tage, bevor die ersten Briefbomben hochgingen. In Polizeikreisen wird vermutet, daß Honsik mit Priem Anfang Dezember im südlichen Niederösterreich zusammentraf. Ein weiterer Berliner und enger Honsik-Freund könnte diesen getroffen haben. Es gibt Hinweise für einen möglichen Aufenthalt von dem Neonazi-Terroristen Ekkehard Weil (Berlin) in Österreich. Weil sein Name wurde im Zusammenhang mit den Briefbomben von österreichischen Zeitungen nicht ohne Grund ins Gespräch gebracht, schließlich ist er in der »Ostmark« kein Unbekannter. Wegen einer ähnlichen Bombenkampagne fing er sich 1982 in Wien eine fünfjährige Haftstrafe ein; neben ihm auf der Anklagebank saß übrigens Gottfried Küssel.

Andere Quellen berichteten, das der Berliner Anhänger der "Vandalen – ariogermanische Kampfgemeinschaft", Bendix W., nach Binders Verhaftung mehrfach bei Binders Frau angerufen haben soll, um Informationen zu ihrem verhafteten Mann zu erhalten. Bendix W. zählt ebenfalls zum Besucherkreis des Berliner Neonazi-Haus in der Weitlingstr. 122

Die Wege zwischen Wien und Berlin sind offenbar kurz. Im Berliner Neonazi-Haus Weitlingstr. 122 waren auch Küssel und Reinthaler Dauergäste und zeitweilige Bewohner und galten hier als selbsternannte "Anleiter" oder Vertreter der GdNF-Struktur. Als das Auto des »Gauleiters« von Salzburg, Günther Reinthaler, am 3. Oktober 1990 in Berlin von Antifas angezündet wurde, fand die Polizei darin eine Maschinenpistole, 390 Schuß Munition, eine 9-mm-Pistole, eine Schrotgewehr und einen Paß Reinthalers auf den Namen »Hrouda« mit Einreisestempeln aus Südamerika. Auch der Neonazi-Terrorist Ekkehard Weil und Arnulf Priem wurden mehrfach in der Weitlingstr. 122 gesehen. Zeitweilig soll Ekkehard Weil hier sogar eine Wohnung gehabt haben. Hier könnten die verschieden Tatverdächtigen also aufeinandergetroffen sein.

Doch einer der "Führer" des Neonazi-Hauses in der Berliner Weitlingstraße, der (inzwischen ausgestiegene) Berliner Neonazi-Funktionär Ingo H., und Reinthaler sollen sich zwischenzeitlich massiv zerstritten haben. Laut Gerüchten aus der Szene aus rein privaten Gründen. Reinthaler besorgte sich deswegen Kopien von Aussagen die Ingo H. und sein Kamerad Frank Lutz 1990 bei der Polizei über die Neonazi-Szene gemacht hatten und gab sie VAPO-Chef Küssel weiter. Dieser verschickte sie mit einer subtilen Drohung innerhalb der Szene weiter. Nur ein Einschreiten von Christian Worch konnte eine Eskalation des Konfliktes verhindern.

VAPO-Führer im Fokus

In den frühen Morgenstunden des 14. Dezembers nahm die Polizei Franz Radl Junior und Senior fest. Mit Vater Radl, Chemotechniker und einst Pächter eines Bahnhofskiosks mit neonazistischen Zeitungen, hoffte die Staatspolizei, das »Bombenhirn« gefunden zu haben.12 Aufgrund der komplizierten Bauweise der Bomben gingen sie von einem älteren Bastler aus, der nicht unbedingt selber Mitglied in einer Neonaziorganisation sein müsse. Radl (Senior) war aber schon kurz darauf wieder auf freiem Fuß, im Gegensatz zu seinem Sohn, der es schwieriger haben wird, sein Interesse an an dem Bau von Bomben zu widerlegen. Als das Haus der Familie Radl durchsucht wurde, war alles penibel auf- und ausgeräumt. Die Hausdurchsuchung kam nicht überraschend. Dennoch wurde die Polizei fündig. Ein Zettel mit dem Schema einer Bombenkonstruktion, in einem Buch eingelegt, war offenbar bei der Aufräumaktion übersehen worden. Die Indizienkette wird damit immer länger: Als Radl (Junior) eine Haftstrafe wegen NS-Betätigung absaß (er kam Mitte Oktober 1993 wieder frei), erhielt er wohl auch eine Karte von dem Burschenschaftler Hans Georg L. mit dem Vermerk, »die Briefmarkensache läuft«. Radl beschäftigte sich angeblich in seiner Haftstrafe mit dem Graf Staremberg, er ließ sich Bücher zum Thema schicken. Die Absender der Briefbomben tragen angeblich Namen von Personen, zu denen auch Radl in der Vergangenheit Bezüge hatte oder an denen er Interesse zeigte.

Als weiterer Verdächtiger ist von den Ermittlern der Schwechater Alexander W. verhaftet worden. Er soll in Kroatien als "Söldner" im Krieg gewesen sein und mit Binder persönlich bekannt sein.

Mit Gerhard Endres kam ein weiterer VAPO-Kader in Haft. Er war auf dem Weg zum Gericht mit einer Pistole in der Tasche abgefangen worden. Ziel seiner Begierde war der Journalist Wolfgang Purtscheller, gegen den er einen Zivilprozeß angestrengt hatte. Endres wurde gesucht, weil er aus Küssels Wohnung Richter und Staatsanwalt telefonisch mit dem Tode bedroht hatte.

Den »Kameradschaftsführer« der Wiener Neustadt, Sascha Kaspar, landete im Februar 1994 in Haft. Auch diese Verhaftung war keineswegs ein Erfolg langfristiger Observation durch die Ermittler, wie diese nach der Festnahme glauben machen wollten. Gegen Kaspar läuft bereits ein Verfahren wegen NS-Wiederbetätigung (er hatte Propaganda für die NSDAP/AO gemacht); jetzt wird ihm vorgeworfen, in einer Grazer Apotheke Substanzen zur Nitroglycerin-Herstellung gekauft zu haben.

Ein weiteres Verfahren wegen »staatsfeindlicher Verbindung« und NS-Wiederbetätigung gegen VAPO-Kader ist noch im Gange. Im Prozeß wurden dem VAPO-Führer Küssel nur seine Fernsehauftritte vorgehalten. Nicht nachgehakt wurde bei der Struktur oder den Finanzen der Organisation. Nach Küssels Verhaftung im Januar 1991 hatte „Profil“ ein Fax von „NSDAP-Auslandsleiter“ Gerhard Rex „Gary“ Lauck an Küssel veröffentlicht. Darin wurde von einem 500.000 DM-Projekt gesprochen, das noch gemeinsam mit Kühnen vereinbart worden sei. Im Prozeß keine Erwähnung davon.

Neonazis, Waffen, Sprengstoff - auch legal

Reinhold K., Zeitsoldat beim Bundesheer (passenderweise im zentralen Waffenlager), firmiert in der Neonaziszene als »Gaubeauftragter« von Wien. Sein ungehindertes Agieren kann eigentlich fast nur noch mit einem vertrauten Verhältnis zu den Sicherheitsbehörden erklärt werden. Auch der angeblich als "Spengmeister" tätige Hans Georg L. war einer der am 16. Dezember 1993 Verhafteten13 . In der Vergangenheit hatte er wohl Bezügen in die Kreise des Südtirol-Terrorismus. Er ist Ex-Mitglied der extrem rechten Innsbrucker „Burschenschaft Brixia“ und hat gute Kontakte zur VAPO und zu süddeutschen Neonazis. Seine Frau ist beschäftigt bei der Bundespolizeidirektion Wien - und hat Zugang zum Melderegister.

„Wehrsportgruppe Trenck“

Das Waffenlager bei Binder ist nicht der erste Waffen- uns Sprengstofffund im Umfeld von Gottfried Küssel. Kurz nach seiner Verhaftung Januar 1992 nahm die Polizei die „Wehrsportgruppe Trenck“ hoch14 . Die WSG hatte ihre Räumlichkeiten inklusive Schießstand bei der „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“ (AFP), die eine Scharnierfunktion in der neonazistischen Szene in Österreich innehat15 .

Küssel war öfters »Ehrengast« bei den WSG-Versammlungen und nahm auch schon mal an den Geländeübungen teil. Die Polizei beschlagnahmte Maschinenpistolen, Wehrmachtskarabiner, Faustfeuerwaffen, Granaten, Rohrbomben und ein Gewehr mit Laserzielgerät. Die Anführer dieser Gruppe, Hermann Ussner (-Romer) und ein 21jähriger Angestellter brauchten für dieses stattliche Arsenal nur zwei Monate in U-Haft verbringen, obwohl Ussner als ehemaliges Mitglied der verbotenen „Kameradschaft Babenberg“ und von Honsiks „Volksbewegung“ eindeutig dem neonazistischen Lager zuzuordnen ist16 .

Der Terror läuft weiter

Parallel in der „Neuen Front“, dem Organ der GdNF und in „New Order“, Zeitung der NSDAP/AO, wurden die Privatadressen und -telefonnummern von Richter und Staatsanwalt im Küssel-Prozeß veröffentlicht - Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind. Die beiden sollten in die Aktivitäten der braunen »Internationalen Solidaritätswoche« einbezogen werden. Morddrohungen bekamen außer ihnen Personen, die in der Briefbombenaffäre recherchierten oder die Ermittlungen der Behörden kritisierten.

Höhepunkt bildete im Januar 1994 ein Freipressungsversuch von Gottfried Küssel. Beim Innenministerium kam ein Brief an mit einer Zyankali-Kapsel. An einem bestimmten Termin sollte ein Hubschrauber mit Küssel bereitstehen. Andernfalls würden Giftgasanschläge auf Wien ausgeführt. Nach offizieller Version scheiterte die Befreiungsaktion, da sich die Erpresser nicht mehr gemeldet hätten.

Die Ermittlungen sind keineswegs an dem Punkt, wo schlüssig nachgewiesen werden kann, wer die Bomben gebaut und verschickt hat. Das gibt die „Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus“ (EBT) in ihrem Zwischenbericht zu.17 Die TäterInnen sind noch nicht sicher überführt oder gar alle gefaßt. In Zusammenhang mit den Bomben wird von den Sicherheitsbehörden wohl vor allem gegen die Tatverdächtigen Radl und Binder ermittelt, gegen alle anderen Festgenommenen wird "nur" wegen Wiederbetätigung ermittelt.

Die Attentate seien professionell ausgeführt, meint die EBT. Alle erkennungsdienstlichen Spuren seien, soweit möglich, beseitigt worden. Binder könne man nachweisen, daß er mit Sprengmitteln auf Nitroglycerinbasis experimentiert habe. Als Hauptbeweis gegen ihn gäbe es einen Zeugen. Bisher sind die Ermittler in erster Linie gegen die Neonazis vorgegangen, weil sie unter dem Druck der Recherchen seitens der Presse, v.a. von „Profil“, nachziehen mußten.

Alte Spuren

Für uns drängt sich eine Parallele zu der Wiener Bombenkampagne gegen jüdische Personen und Institutionen von 1982 auf. Damals gab es ebenfalls einen routinierten Bombenbauer aus Berlin, der für das Explosive zu den »Feindlisten« der Österreicher sorgte: Der Neonazi Terrorist Ekkehard Weil.18 Dieser war wegen diverser Terror Anschläge breits mehrfach in Haft, aus welcher er immer wieder fliehen konnte. Er gilt immer wieder als eine Art "Einzeltäter", obwohl er in Berlin und Österreich bei organisierten Neonazis wohnte und entsprechende Telefonnummern bei ihm gefunden wurden.

Zu seinen Kontakten zählten damals u.a. die NDP-Kader Alfred Baar und Viktor Bierochs, die ihn schließlich der Polizei auslieferten. Als Kontakperson von Weil wurde auch der Neonazi Attila Istvan Baitsy im Zuge der Ermittlungen verhaftet. Er hatte 175 Kilo Sprengstoff gelagert.19 In der Wohnung von dem Neonazi Hermann Plessl wurde ein Schweißgerät gefunden, das zu einem Einbruch in einem Steinbruch führte: Beute 300 Kilo Sprengstoff. Einen Schlüssel zur Wohnung hatte auch Weil dabei gehabt. In der Waschküche vom Altnazi und Egon Baumgartner fand ein Nachbar zufällig 100 Kilo Sprengstoff.20 Auch er war eine von Weils Kontaktpersonen. Im Zuge des Prozesses gegen Weil und das Netzwerk der "Aktion Neue Rechte" (ANR) stand auch Gottfried Küssel mit vor Gericht. Ein Zeuge war Gerhard Endres gewesen.21

Im Juli 1983 hatten Neonazis in Peggau-Hinterberg eine KZ Gedenkstätte geschändet. Im Oktober 1983 wurden deswegen die Neonazi-Funktionäre Willibald Hütter, Hermann Riegler, Hans Milcocco und Michael Wrosch zu Haftstrafen verurteilt. Wrosch war Mitarbeiter der Neonazi-Zeitung "SIEG" und ein Anhänger der "Wiking Jugend"22 und er stammt ursprünglich aus der Neonazi-Szene von Berlin.23

Der an der tschechischen Grenze beendete Berlin-Trip Binders weist aktuell wieder auf Verbindungen in die »Reichshauptstadt« hin. Eigentlich Grund genug, daß sich JournalistInnen und ErmittlerInnen die "Bombenexperten" und "Sprengstoff Liebhaber" dieser Metropole genauer anzuschauen.

Skandal nach Skandal

Skandale begleiten die Fahndung in der Briefbombensache von Anfang an:

Skandal Nr. 1:

Nach den ersten explodierten Briefbomben legt die Staatspolizei die falsche Fährte »Serben«. Andere Tätermutmaßungen des Stapo-Chefs Oswald Kessler waren ein geistesgestörter älterer Mann, dann ein „rachsüchtiger Türke“ - was gerne von der Boulevardpresse aufgegriffen wurde. Ein großer Lauschangriff wird gegen tausende Telefone von jugoslawischen Staatsangehörigen gefahren. Eine Neuauflage der »Serben-These« folgte kurz vor Weihnachten. Der Funkspruch »bis 24.12. muß Schüller nachjustiert werden« (beim Caritas-Präsident Schüller konnte die Briefbombe entschärft werden) kam nachweislich aus Zagreb, wohin ein wegen der Briefbomben gesuchter österreichischer Neonazi geflüchtet war. Dennoch behauptete das Innenministerium wider besseres Wissen, der Funkspruch stamme aus Belgrad.

Skandal Nr. 2:

Nach der Festnahme Binders ist klar, daß die VAPO-Netzwerke beteiligt sein könnten. Es folgt kein Benennen, geschweige denn ein Aufrollen der VAPO-Struktur. Die GdNF oder NSDAP/AO sind offenbar ein Fremdwort für die österreichischen Behörden. Binder kann trotz Großfahndung mit einem Auto voll Waffen ungehindert die österreichische Grenze passieren. Einer der Gesuchten, Albert Ewald St. kann sich in die politischen Strukturen des „Weißen Arischen Widerstand“ (VAM) nach Schweden absetzen. Ein weiterer Gesuchter kann nach Zagreb verschwinden.

Skandal Nr. 3:

Interna aus der „Stapo“ landen frisch auf den Frühstückstisch der Neonazis: Ein FPÖ-Personalvertreter aus der Abteilung »Rechtsextremismus« informiert Neonazistrukturen über von der Polizei eingeschleuste Spitzel. Neonazis waren vor anstehenden Hausdurchsuchungen gewarnt worden. Der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit: »Ich muß mir aber verkneifen, zu sagen, von wem die Warnungen gekommen sind."24

Skandal Nr. 4:

Es ist bekannt, daß Küssels Wohnung nach dessen Verhaftung weiterhin als "Organisationszentrale" dient. Küssels Stellvertreter, Gerhard Endres, hält sich dort auf. In der Wohnung lagerten unter dem Fußboden kiloweise Papiere und Waffen, die erst bei einer Hausdurchsuchung Wochen nach den Anschlägen gefunden wurden.

Skandal Nr. 5:

Teilweise wurde die Identität von Belastungszeugen enthüllt, so daß diese um ihr Leben fürchten müssen

  • 1HNG-Nacrichten Nr. 156, Seite 6 (November 1993)
  • 2Die Neue Front Nr. 83 (1993)
  • 3Vgl. Standard, 11.12.1993
  • 4geschehen am 31.10.1992
  • 5Vgl. Kurier 12.12.1993
  • 6Vgl. Standard 11.12.1993. In der BZ (Berlin) vom 12.12.1993, die sich weitgehendst auf den Kurier (Wien) vom 12.12.1993 bezieht, heißt es, Binder habe laut ORF den Überfall in Brandenburg zusammen mit mehreren österreichischen und einem deutschen Neonazi vorgehabt.
  • 7Vgl. Standard 13.12.93
  • 8 a b c Vgl. Profil 13.12.1993
  • 9Vgl. Standard 16.12.93
  • 10Laut dem Nachrichtenmagazin NEWS Nr. 41/1994 fand ein VAPO-Führerthing im Frühjahr 1993 in Melk statt. Anwesend bei dieser Führerbesprechung - laut Stapo-Akten - : Hans Jörg Schimanek (Junior), Peter Binder, Franz Radl und Sascha Kaspar. Vgl. 7143/J XVIII. GP - Anfrage der Abgeordneten Dr. Fuhrmann und Genossen an den Bundesminister für Justiz betreffend mögliche massive Interventionen höchstrangiger Justizbeamter zugunsten von Hans-Jörg Schimanek jun.
  • 11Vgl. Kurier 12.12.1993 und BZ 12.12.1993
  • 12Vgl. Antifaschistischer Nachrichtendienst Österreich 1994
  • 13Vgl. Profil, 20.12.1993 und (Nachtrag) Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XXI.GP Stenographisches Protokoll 24. Sitzung / Seite 105
  • 14Die „Wehrsportgruppe Trenck“ war seit den 1970er Jahren in Österreich aktiv. Im Januar 1992 wurde die „Wehrsportgruppe“ in damals Freiherr-von-der-Trenck-Heim genannten Räumlichkeiten der „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“ ausgehoben. Bewaffnete Neonazis aus Deutschland und Österreich waren in der in Kroatien kämpfenden Einheit "J.Gardjska Brigada Baron Trenck"aktiv. Franz Freiherr von der Trenck (kroatisch: Barun Franjo Trenk) war ein Freischärler aus dem Adelsgeschlecht Trenck.
  • 15Die AFP als "Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik" wurde als eine politische Partei 1963 gegründet, der Name der AFP lautete bis 1975 "Arbeitsgemeinschaft für Politik". Als die AFP 1975 behördlich aufgelöst wurde, formierte sie sich als "Aktionsgemeinschaft für Politik" neu. 1987 benannte sich die AFP sich in "Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik" um. Neben der politischen Partei wird die AFP auch von einem Verein nach außen vertreten: Der „Aktionsgemeinschaft für Politik“ (laut Vereinsregisterauszug). Vorsitzende sind Josef Kraßnig und Manfred Hubral, andere im öffentlichen Vereinsregister aufscheinende Personen: Hermann Ussner und Herminio Redondo.
  • 16Vgl. TATblatt, „Minus 19 Nr.", 31/1992, 9. Dezember 1992. Der „Bundesminister für Inneres“ hatte mit Bescheid vom 24. April 1980 den Verein "Kameradschaft Babenberg" mit dem Sitz in Wien behördlich aufgelöst. Der Auflösungsbescheid war im wesentlichen damit begründet worden, daß Ausführungen in der Vereinszeitschrift "Der Babenberger, National- und Soldatenzeitung für Österreich" in Widerspruch zu Art4 Abs2 und Art9 des Staatsvertrages von Wien 1955 stünden und im statutenmäßigen Vereinszweck keine Deckung fänden.
  • 17Vgl. Profil 7.2.1994
  • 18Weil ist mittlerweile mal wieder untergetaucht
  • 19Wiener Zeitung 11.8.1982, Die Presse 14.8.1982
  • 20Kurier 19.4.1983
  • 21Wiener Zeitung 22.12.1983
  • 22Volksstimme 23.7.1983
  • 23AZ 19.10.1983, Kurier 19.10.1983
  • 24Vgl. Standard 23.12.1993