Skip to main content

Rassismus als Struktur

Christian Jakob
Einleitung

Deutscher (Behörden-)Alltag

Die UN hatten die Sache klar erkannt. Ihr Antirassismus-Ausschuss sei „sehr besorgt über die Zunahme und Ausbreitung rassistischen Gedankenguts“ in Deutschland. Das Gremium unter Vorsitz des Menschenrechtlers José Francisco Cali Tzay aus Guatemala hatte geprüft, ob und wie Deutschland die Antirassismus-Konvention der Vereinten Nationen umsetzt. Als er im Mai das Ergebnis seiner Prüfung bekannt gab, beklagte der Ausschuss nicht nur die Diskriminierung von Minderheiten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, anti-muslimische Ausfälle von Politikern und Gewalt gegen Asylbewerber. Vor allem aber mangele es in Deutschland an „effizienten Maßnahmen zur Bestrafung und Unterbindung entsprechender Reden und Verhaltensweisen“.

Screenshot von facebook.com

Beamte der Bundespolizei sorgten mit rassistischen Kommentaren für Aufsehen.

Die UN forderten deshalb verbindliche Trainings für Polizei, Richter und Staatsanwälte in Deutschland, damit diese „rassistische Vorstellungen erkennen“. Die Polizei und Justizbeamten müssten geschult werden, um „Verständnis für den Begriff der Rassendiskriminierung“ zu bekommen, zu lernen, wie man diese bekämpft und gegebenenfalls bestraft, heißt es in dem Dokument. Nötig sei auch die Schaffung unabhängiger Instanzen im Bund sowie in den Ländern, bei denen Beschwerden gegen Diskriminierung durch Polizisten und andere Sicherheitskräfte vorgebracht werden können. Auch die Bundespolizei erwähnten die Fachleute: Diese solle das sogenannte Racial Profiling einstellen. Die Nachrichten der folgenden Wochen zeigten, wie scharfsichtig die UN-Experten waren.

Ende Mai berichtete der NDR, dass Beamte der Bundespolizeiwache am Hauptbahnhof Hannover im Internet fremdenfeindliche Kommentare verbreitet hatten. In einem Beitrag etwa hieß es: „Armes Deutschland! Ich hoffe, dass man sich irgendwann mal besinnt und die Gesellschaft diesem kriminellen Migrationsmob zeigt, wo es langgeht.“ Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich mit der Frage beschäftigt, ob Musliminnen auch im Ganzkörperbadeanzug am Schwimmunterricht teilnehmen können, wird mit Worten wie diesen kommentiert: „Mit welchem Schwachsinn sich unsere Gerichte befassen müssen. Soll sie doch in Istanbul schwimmen gehen.“ Ein anderer kommentiert das mit den Worten: „Ab nach Istanbul.“ Gepostet wurden solche Sprüche von mindestens vier Beamten verschiedener Dienstgruppen. Zu ihrem Facebook-Freundeskreis sollen laut dem NDR Dutzende weitere Polizeibeamte zählen, darunter auch Dienstvorgesetzte. Die Einträge auf Facebook sind bis ins Jahr 2013 zurückzuverfolgen. Sogar die Staatsanwaltschaft wurde auf die Angelegenheit aufmerksam. „Wir sind diesbezüglich in einem engen Kontakt mit der Bundespolizei“ sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge.

Das allerdings war er schon zuvor. Denn erst Mitte Mai wurde bekannt, dass Flücht­linge im Gewahrsam derselben Wache schwer misshandelt wurden: Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb gegen einen Beamten wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt und des Verstoßes gegen das Waffengesetz. Er selbst hatte seine Taten per Handy dokumentiert.

Den NDR-Recherchen zufolge geht es um mindestens zwei Fälle. Im März 2014 hätten die Beamten einen 19-jährigen Flüchtling aus Afghanistan mit auf die Wache genommen. Der Mann sei aufgefallen, weil er bei einer Überprüfung keinen Pass dabei hatte. In der Zelle sei der Flüchtling misshandelt worden. Diesen Schluss lasse zumindest eine Nachricht zu, die laut NDR über WhatsApp vom Handy an Poli­zei­kollegen verschickt wurde: „Hab den weg­geschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequikt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.“

Ein halbes Jahr später wurde ein 19-jähriger Marokkaner festgehalten, weil er ohne Fahrkarte Zug gefahren war. In seinen Socken fanden die Beamten etwas Marihuana. Der Marokkaner sei ebenfalls in der Gewahrsamszelle gelandet und dort ernie­drigt worden. Den Beweis dafür habe der Beschuldigte selbst mit einem Handy-Foto geliefert. Es zeigt einen auf dem Boden liegenden Mann in unnatürlicher Körperhaltung — die Hände mit Handschellen gefesselt, das Gesicht schmerzverzerrt. Dem Anschein nach wird der Mann von mindestens zwei Polizisten festgehalten.

In einer vom NDR zitierten Handy-Kurzmitteilung heißt es dazu: „Das ist ein Marokkaner. Den habe ich weiß bekommen. XY (der unmittelbare Vorgesetzte, Anmer­kung der Redaktion) hat gesagt, dass er ihn oben gehört hat, dass er geqikt hat, wie ein Schwein. Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinefleisch aus dem Kühlschrank gefressen. vom Boden.“

Bei einer Durchsuchung des Privathauses des Beamten wurde eine illegale Waffe sichergestellt, sagte die Staatsanwaltschaft später. Die Bundespolizeidirektion in Hannover wollte sich zu dem laufenden Verfahren nicht äußern. Der Beamte sei momentan nicht im Dienst. Der NDR berichtete, auch in der Vergangenheit sei der be­schul­digte Polizist an Erniedrigungen beteiligt gewesen. Die Staatsanwalt weiß nach eigener Angabe noch nicht, ob an den Erniedrigungen noch weitere Beamte beteiligt waren. Ob unter den Urhebern der umstrittenen Facebook-Einträge auch der Bundespolizist ist, der die Flüchtlinge gedemütigt hatte, ist unklar.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sorgte sich um das Ansehen der Polizei. „Auch wenn das, so wie es sich bislang darstellt, nur ein Einzelfall ist, ist zu befürchten, dass es schon jetzt einen Imageverlust gibt“, sagte Dietmar Schilff, GdP-Landeschef in Niedersachsen und Mitglied des Bundesvorstands.

Ein Einzeltäter also — diese Entlastungs­strategie ruft bei vielen nur noch Kopfschütteln hervor. „Durch diese neuen Fälle von Rassismus bei der Polizei fühlen wir uns in unserer Einschätzung bestätigt, dass die Einzeltätertheorie den Skandal verharmlost“, sagte der Geschäftsführer des Flücht­lings­rats, Kai Weber. Er forderte, dass Polizisten regelmäßig befragt und unangemeldet kontrolliert werden. Zudem sollten sie Namens­schilder tragen. Alle in den vergangenen Wochen bekanntgewordenen Vorfälle in der Dienststelle der Bundespolizei in Hannover deuteten darauf hin, dass Vorgesetzte Übergriffe, Misshandlungen und Diskriminierung von Ausländern geduldet hätten. Das Bewusstsein, dass Fremdenfeindlichkeit bekämpft werden müsse, sei dort offensichtlich nicht vorhanden.

Den Hamburger Kriminalwissenschaftler Rafael Behr überraschen die Informationen über Misshandlungen nicht. „Wir wissen, dass es immer wieder institutionelle und situative Bedingungen gibt, in denen so etwas vorkommt“, sagte Behr dem Bremer „Weser-Kurier“. So steige grob gesehen die Wahrscheinlichkeit für Fehlverhalten, wenn eine nach außen abgeschottete Gruppe junger Männer mit niedrigem Dienststatus auf einen charismatischen informellen Leiter treffe.

Doch dass rassistisches Behördenhandeln keine Spezialität der Polizei ist, hat ungefähr zur gleichen Zeit die Berliner Ausländerbehörde gezeigt. Nach ARD-Recher­chen hat sie für die Abschiebung von Asylbewerbern jahrelang mit einem Gutachter zusammengearbeitet, der gegen erhebliche Summen offenbar Gefälligkeitsgutachten erstellt hat. Der mittlerweile in Rente gegangene Arzt Rainer L., soll etwa 50.000 Gutachten im Auftrag der Berliner Behörden erstellt haben, unter anderem um die Reisefähigkeit von abgelehnten Asylbewerbern festzustellen. Dafür sollen Millionensummen geflossen sein.

Das Verwaltungsgericht Berlin erklärte am 25. Februar 2015 die Abschiebung einer jungen Frau, Banu O., in die Türkei für rechtswidrig und bewertete die Feststellungen von L. zur Flugfähigkeit als „unbrauchbar“ und den Arzt als „ungeeignet“, diese festzustellen. Der Arzt hatte im Gericht gesagt, er habe seit 30 Jahren im Auftrag der Polizei Bescheinigungen ausgestellt. Oft ging es dabei auch um die „Verwahr­fähigkeit“ von Menschen, also etwa um die Frage, ob stark Betrunkene eingesperrt werden dürfen, ohne dass sie gefährdet sind. Ein Richter am Verwaltungsgericht Berlin, sagte gegenüber der ARD, es entstehe der Eindruck, dass der Gutachter bewusst von den Behörden beauftragt worden sei mit dem Ziel, Abschiebungen zu ermöglichen.