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Rapmusik - Eine Kunstform von unten in politischer Tradition

Alex Barbian
Einleitung

Rapmusik hat seinen Status als größte Jugendkultur der Welt und wichtigste popkulturelle Diskurskraft unserer Zeit im Laufe der letzten Dekade bestätigt und weiter ausgebaut. Rap ist seit 2017 - vor Rock - die in nackten Zahlen meistgehörte Musikrichtung der USA. Auch in Deutschland ist das Genre seit etwa vier Jahren auf seinem bisherigen Popularitäts- und Umsatz-Peak angelangt: die fünf meistgehörten deutschsprachigen Künstler*innen auf der Streaming-Plattform Spotify waren im Jahr 2020 allesamt Rapper - Capital Bra, Apache 207, Samra, Bonez MC und Ufo361. Der eigentliche Ursprung der Hip-Hop-Kultur gerät zwischen Werbekampagnen, Platinplatten und Tik-Tok-Hypes dabei umso häufiger in Vergessenheit. Der folgende Text soll eine komprimierte historische Einordnung schaffen, erhebt dabei aber keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Symbolfoto von Angel Cuesta Lorenzo; CC BY-NC-SA 2.0

"STARR Infamous" beim Rap-Festival gegen Rassismus 2017 in Carabanchel in Spanien. (Symbolfoto von Angel Cuesta Lorenzo; CC BY-NC-SA 2.0)

Rapmusik ist als neue Form der Erzählkunst und Sprachrohr der Black Community in den US-Metropolen der späten Siebzigerjahre entstanden. Sie war seit Anbeginn Protestinstrument und Ausdrucksform derer, die aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer Position in der Klassengesellschaft marginalisiert waren und Diskriminierung erfuhren. Rap hat von Beginn an Geschichten von persönlicher, gesellschaftlicher und politischer Bedeutung erzählt und ist aus rein objektiver Sicht ein äußerst geeignetes Stilmittel für eine hohe Dichte an Aussagen.

Die wohl prominentesten Beispiele aus den Anfangstagen sind die Hip-Hop-Crews „N.W.A.“ aus Compton, einem Vor­ort von Los Angeles und „Public Enemy“ aus New York. Beide Gruppen begriffen eine klare politische Haltung - wenn auch in unterschiedlicher stilistischer Aufbereitungsform - als Grundsäule ihrer Kunst. Sie behandelten Themen wie Diskriminierung gegenüber People of Colour, Polizeigewalt und Unterdrückung in der Klassengesellschaft offensiv in ihren Liedern und sind nicht zuletzt durch Protestsongs wie „Fight The Power“ oder „Fuck Tha Police“ in die Geschichtsbücher eingegangen.

Gleichzeitig waren „N.W.A.“ und „Public Enemy“ wichtige Vorbilder für die ersten Rap-Crews in Deutschland. Kurz nachdem die Hip-Hop-Welle Ende der Achtzigerjahre die Bundesrepublik erreicht hatte, schossen diverse Sprechgesangs-Kollektive aus dem Boden, die sich wie selbstverständlich als politisch verstanden. Ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal von deutschem Rap war - gerade im Vergleich zur weiß dominierten Indie-Rock- oder Punk-Szene - von Beginn an, dass Menschen mit Migrationshintergrund barrierefrei als Protagonist*innen auf diesem Spielfeld aktiv wurden. Nicht zuletzt deshalb hat die bundesdeutsche Migrationsgeschichte zu jeder Zeit eine wichtige Rolle in den Texten gespielt. Einer der ersten Rap-Songs auf deutsch, der eine breite Öffentlichkeit erreicht hat, war „Fremd im eigenen Land“ von der Heidelberger Crew „Advanced Chemistry“ - ein ausdrücklich politischer Track, der als Reaktion auf die rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 entstanden war und eine migrantische Perspektive auf Diskriminierungserfahrungen, institutionellen Rassismus, Konfrontationen mit Neonazis und Racial Profiling durch die Polizei warf.

„Fremd im eigenen Land“ steht stellvertretend für deutschen Rap in seiner Anfangszeit. Auch in den Neunzigerjahren existierten verschiedene Crews, die sich in ihren Texten bewusst mit marginalisierten Gruppen solidarisch erklärten, eine emanzipatorische Grundhaltung vertraten und parallel dazu kommerzielle Erfolge feiern konnten - zum Beispiel „Anarchist Arcade­my“ oder die - damals noch „Absoluten - Beginner“. Einen wichtigen Meilenstein in der Deutschrap-Geschichte setzten 2001 die ein Jahr zuvor gegründeten „Brothers Keepers“ - ein Zusammenschluss afro-deutscher Rapper und Reggae-Musiker um Torch, Adé Bantu, Samy Deluxe, Denyo und Xavier Naidoo. Ihre antirassistische Hymne „Adriano - Letzte Warnung“ entstand als direkte Antwort auf den von Neonazis verübten Mord am aus Mosambik stammenden Alberto Adriano in Dessau.

Obgleich sich massenkompatibler Rap ab der Jahrtausendwende zunehmend vom ehemaligen politischen Grundanspruch verabschiedete und seinen Fokus mehr und mehr auf egozentrische und hedonistische Themenwelten umgelenkte, schwang zumindest immer eine provokant-sozialkritische Komponente mit. Die Ära der Plattenfirma „Aggro Berlin“ etablierte einen raueren Tonfall und damit einhergehend eine zunehmend sexistische, homophobe und behindertenfeindliche Sprache, gab aber gleichzeitig authentische Einblicke in die von Armut, Ausgrenzung und Knast geprägten, prekären Lebensverhältnisse ihrer Künstler*innen. Der Journalist und Aktivist Marcus Staiger sprach in diesem Zusammenhang oft vom „Klassenkampf ohne Bewusstsein“.

Rap galt der bürgerlichen Öffentlichkeit ab etwa 2002 - und dieser Vorwurf war sicherlich nicht gänzlich aus der Luft geholt - als Inkarnation männlicher Selbstdarstellung und Spiegel sogenannter „Unterwelten“. Tatsächlich wurden kritische Auseinandersetzungen mit kapitalistischen Verwertungskreisläufen, sexistischen oder homophoben Klischees und fundierte Distanzierungen von volksdeutschen Ideologien in dieser Zeit zu Seltenheit. 2005 sorgte der Berliner Rapper Fler mit seinem Album „Neue Deutsche Welle“, Zeilen wie „Das ist schwarz-rot-gold - hart und stolz“ und anderen politisch fragwürdigen Äußerungen für szeneninterne und -externe Debatten.

Demgegenüber entwickelten sich ab etwa 2010 etliche neue Subgenres, die innovative Formen von teils mehrsprachigem und multikulturell geprägtem Straßenrap repräsentierten und - bis zum heutigen Tage - stetig weitergedacht haben. 2021 sind emanzipatorische und kritische Inhalte ein fester Bestandteil des deutschsprachigen Hip-Hop-Kosmos - ebenso wie fortlaufende Debatten über nationalistische Standpunkte, sexistische Inhalte und andere regressive Entgleisungen. Anders als noch vor zehn Jahren ist deutscher Rap heute keine ausgemachte Männerdomäne mehr: Künstlerinnen wie Schwesta Ewa, Juju, Nura, Ebow oder Eunique verzeichnen regelmäßig große kommerzielle Erfolge und haben durch ihre Texte viele weitere weibliche MC’s empowert, ins Licht der Öffentlichkeit zu treten.

Rapmusik war, ist und bleibt eine Kunstform von unten und steht in einer politischen Tradition. Weltweit, aber auch in Deutschland ist Rap ein Genre, das stark von nichtweißen Communities geprägt ist und Mitmenschen nicht nach ihrer Herkunft beurteilt, sondern nach dem, was sie können oder zu leisten bereit sind. Alleine aus diesem Grund mutet es unheimlich absurd an, dass seit etwa 2011 rechte Ideolog*innen und Neonazis - teils erfolgreich - versuchen, Rap als Propagandainstrument zu missbrauchen.

(Alex Barbian ist freier Musikjournalist, hat unter anderem für rap.de und das JUICE Magazin gearbeitet und lebt in Berlin.)