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Pseudoautonom und kriminell

Sebastian Enzer
Einleitung

Der niedersächsische Landkreis Schaumburg an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen gilt schon lange als neonazistische Hochburg. Maßgeblich verantwortlich für diesen Ruf ist eine Kameradschaftsstruktur, an dessen Spitze der 29jährige Marcus Winter aus Minden steht. 

Bild: attenzione-photo.com

Marcus Winter (in Häftlingskleidung) und Marco Siedbürger (rechts am Transpartent) bei einer Demonstration im Juni 2007 in Herford.

Bis August 2007 agierte die Gruppe unter dem Namen »Nationale Offensive Schaumburg« (NOS). Hintergrund der Umbenennung in »Nationale Sozialisten OWL/SHG« war einerseits eine intensivierte Zusammenarbeit mit ostwestfälischen Neonazis. Entscheidender waren jedoch die Bestrebungen, ein Verbot der Gruppe zu umgehen, denn über ein solches dachte das niedersächsische Innenministerium bereits laut nach.

Die Option eines Gruppenverbotes wurde ins Spiel gebracht, nachdem letztes Jahr in Zeitungen und Fernsehen verstärkt über das zum Teil gewalttätige Vorgehen der Neonazis gegen politische GegnerInnen berichtet wurde. Betroffen von Verleumdungen, Drohanrufen, »Hausbesuchen« und Verfolgungen durch NOS-Mitglieder waren VerfasserInnen kritischer Leserbriefe, aktive AntifaschistInnen und JournalistInnen. Sogar PolizistInnen und Justizbeamte gerieten ins Visier der Neonazis: Das Dienstgebäude des Bückeburger Oberstaatsanwalts wurde mit der Parole »Du Judenknecht wir kriegen dich!« beschmiert; der vorsitzende Richter des Landgerichts fand kurz nach einem Prozess gegen Marcus Winter sein Portraitfoto auf der Internetseite der NOS wieder. Polizeibeamte der zuständigen Polizeidirektion Nienburg berichteten, wie Neonazis demonstrativ die Kennzeichen von Privatfahrzeugen auf dem Polizeiparkplatz notierten. Ob ein Verbot dennoch durchführbar gewesen wäre, ist ungewiss. Um auf Nummer Sicher zu gehen änderte die NOS den Gruppennamen aber – schließlich hat die regionale Szene mit dieser Taktik bereits gute Erfahrungen gemacht.

Kameradschaft – Aktionsbündnis – Nationale Offensive

Sucht man nach den Anfängen der heutigen Nazistrukturen in Schaumburg, muss man bis in das Jahr 2000 zurück blicken. Damals gründeten sich um eine Gruppe junger Neonazis in Rinteln die Kameradschaft Weserbergland sowie ein Stützpunkt der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten«. An der Spitze der Kameradschaft stand schon damals Marcus Winter. Um Unterstützung von Außerhalb musste er sich nicht sorgen. Kader aus dem nahen Ostwestfalen, darunter der Bielefelder Bernd Stehmann und Mitglieder der NPD Minden, leisteten ebenso Aufbauhilfe wie der damalige JN-Bundesvize Florian Cordes. Von Anfang an machten Winter und sein Gefolge wegen ihrer hohen Gewaltbereitschaft von sich reden. Immer wieder gerieten sie mit AntifaschistInnen aneinander. Die zuständige Staatsanwaltschaft bezeichnete das Ausmaß der heftigen Auseinandersetzungen in Rinteln als »herausragend für den norddeutschen Raum«.

Trauriger Höhepunkt der Gewaltspirale war die Entführung und Misshandlung eines Antifaschisten durch drei Neonazis im April 2002. Einer der Täter war Marcus Winter. Erst nach mehrmonatiger Flucht konnte er gestellt und zu einer längeren Haftstrafe verurteilt werden. Bis er Anfang 2005 vorzeitig auf freien Fuß gesetzt wurde, war es relativ ruhig um die Szene geworden. Indem Winter der Kontakt zur Kameradschaft Weserbergland gerichtlich untersagt wurde, sollte dieser Zustand aufrechterhalten werden. Winters Engagement für die Neonaziszene blieb jedoch ungebrochen. Direkt nach seiner Haftentlassung boten ihm zunächst NPD und JN die Möglichkeit öffentlicher Auftritte. So trat er bei der Bundestagswahl 2005 als Direktkandidat für die Partei an. Die Kameradschaft Weserbergland erklärte offiziell ihre Auflösung. Gleichzeitig wurde ein neues »Aktionsbündnis Weser-Leine« gegründet, so dass Winter sich auch wieder im Bereich der Kameradschaften organisieren konnte.

Im Mai 2006 erfolgte dann die Gründung der »Nationale Offensive Schaumburg«. Die ersten Aktionen unter diesem neuen Namen fanden in Bad Nenndorf statt. In dem kleinen Kurort am Deister unterhielt der britische Geheimdienst von 1944 bis 1947 ein Gefangenenlager im Kurhaus »Wincklerbad«, in dem deutsche Kriegsverbrecher und Spione verhört wurden. Wie die britische Zeitung »The Guardian« aufdeckte, wurden dabei nicht immer rechtstaatliche Grundsätze eingehalten. Diesen Zustand greift die Neonaziszene nun auf, um deutsche Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkrieges zu relativieren und ihr Bild von der »Befreiungslüge« zu fokussieren. Das Wincklerbad wird zum »alliierten Folterlager« umgedeutet und soll so zur Wallfahrtsstätte für Neonazis werden. Den Höhepunkt der neofaschistischen Geschichtsumdeutung in Bad Nenndorf stellen die seit 2006 jährlich stattfinden »Trauermärsche« im Sommer dar, die bereits bis in das Jahr 2010 im Voraus angemeldet wurden. Im Vergleich zu 2006 konnten die Neonazis ihre Teilnehmerzahl 2007 mit knapp 200 fast verdoppeln. Beim diesjährigen »Trauermarsch« am 2. August ist mit einer erneuten Steigerung zu rechnen.

Bei der Organisation von Aufmärschen beschränken sich die Schaumburger Neonazis aber bei weitem nicht nur auf Bad Nenndorf. Wichtige Funktionen hatten sie bei der Organisation des »Großkamptages« in Ostwestfalen-Lippe am 16.09.2006, an dem in drei Städten (Bielefeld, Gütersloh und Minden) gleichzeitig »gegen Sozialabbau« aufmarschiert werden sollte. Es folgten weitere Aufmärsche in Minden, Paderborn, Herford und Detmold. Das Zusammenwirken mit den ostwestfälischen Neonazis, allen voran die Freien Kräfte Gütersloh um Christian M., ist dabei so eng geworden, dass man heute von einer zusammenhängenden Struktur sprechen kann, was sich nicht zuletzt auch im aktuellen Gruppennamen widerspiegelt.

Kriminelle Energien

Die Kontakte der Schaumburger Neonazis sind weit reichend. Besonders zu Gruppen aus Dortmund, Hamm und dem übrigen Ruhrgebiet wird ein enges Verhältnis gepflegt. So hielt auch das dort verbreitet »autonome« Auftreten der Kameradschaftsszene Einzug in Schaumburg. Mit dem noch bis vor kurzem üblichen Erscheinungsbild als Nazi-Skinheads wurde schnell gebrochen. Heute findet man die Schaumburger Neonazis bei Aufmärschen mitten im »Schwarzen Block«, hinter Transparenten mit Aufschriften wie »Wir rocken das System!«. Dabei wird kaum ein bedeutender Termin ausgelassen. Ob in Dresden, Halbe, Dortmund oder wie vor wenigen Wochen in Stollberg: Die Schaumburger fehlen nirgendwo – oft laufen sie sogar ganz vorne mit. So auch bei dem bisher größten Event der »Autonomen Nationalisten«, dem Aufmarsch am 1. Mai dieses Jahres in Hamburg-Barmbek.

Die dabei zutage getretene extreme Gewalt dürfte ganz im Sinne der »Nationalen Sozialisten« aus Schaumburg gewesen sein. Ein Blick in das Vorstrafenregister einiger Mitglieder lässt diesen Schluss zu. Neben dem einschlägig vorbestraften Anführer Marcus Winter fällt dabei besonders Marco Siedbürger (26) auf. Dieser verbüßte eine 5jährige Jugendstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge, da er 1999 zusammen mit einem Komplizen einen 44jährigen Familienvater aus Eschede so heftig zusammentrat, dass dieser qualvoll erstickte. Während der Haft lernte er Winter kennen und freundete sich mit ihm an. Nach seiner Haftentlassung lies sich Siedbürger bei seinem neuen »Kameraden« in Schaumburg nieder. Man wohnte gemeinsam im Haus von Arwid Christoph Strelow in Lindhorst. Das ehemalige Vorstandsmitglied der JN Niedersachsen verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe von über 2 Jahren, die sich hauptsächlich aus diversen widerrufenen Bewährungen wegen Körperverletzungsdelikten zusammensetzt. Unter anderem schlug Strelow am Rande einer NPD-Kundgebung in Rotenburg (Wümme) mit einer Holzlatte auf einen Gegendemonstranten ein.

Auch der 30jährige Bernd S. wohnte kurzzeitig in der »Neonazi-WG«, nachdem er im Sommer 2007 aus der Haft entlassen wurde, die er wegen zwei Banküberfallen zu verbüßen hatte. Im März wurde er erneut verhaftet. Gegen ihn besteht aufgrund eines DNA-Abgleichs der dringende Tatverdacht, im November 2000 eine Frau vergewaltigt und ermordet zu haben. Fast schon harmlos erscheint dagegen das aktuelle Verfahren gegen Marcus Winter, in dem es »nur« um Volksverhetzung geht. Ihm wird vorgeworfen, einen antisemitischen Hetzartikel auf die alte Internetseite der NOS gesetzt zu haben, der Überlebende der Shoa verunglimpfte und in der Forderung gipfelte »die Bande endlich raus zu schmeißen«. Der erste Anlauf des Verfahrens platzte, da das Landgericht Bückeburg einen schweren Formfehler begangen hatte. Das wiederholte Verfahren ist inzwischen bei der letzten Instanz, dem Oberlandesgericht Celle, angekommen. Ein endgültiges Urteil ist in einigen Monaten zu erwarten. Im Fall einer Verurteilung drohen Winter bis zu 9 Monate Haft. Durch den Widerruf noch laufender Bewährungen könnte sich die Strafe noch einmal deutlich erhöhen. Marco Siedbürger wurde im Oktober 2007 vom Amtsgericht Stolzenau zu 18 Monaten Haft verurteilt. Er soll am Rande einer Party ein Gruppe, in der sich Menschen mit dunkler Hautfarbe befanden, rassistisch bepöbelt und mit einer Eisenstange attackiert haben. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, da Siedbürger in Berufung gegangen ist.

Schwieriger Widerstand

Im ländlich geprägten Schaumburg ist der Widerstand gegen Neonazis nicht einfach. In vielen Dörfern ist gerade unter Jugendlichen ein rechter Mainstream weit verbreitet. Offen auftretende Neonazis gehören auf Schützenfesten und in Dorfdiskos zum normalen Bild, an dem sich nur selten jemand stört. Entsprechend einfach fällt es dem »Nationalen Widerstand«, neue AnhängerInnen zu rekrutieren. Durch Kameradschaftsabende, Fahrten zu Aufmärschen und durch aus dem direkten Umfeld der »Nationalen Sozialisten OWL/SHG« organisierte Rechtsrockkonzerte werden die Interessenten schnell in die rechte Erlebniswelt eingebunden. Das letzte Konzert fand am 29. Dezember 2007 im Mindener Ortsteil Stemmer statt. Vor knapp 200 Neonazis spielte unter anderem die Band »Weisse Wölfe«, die wegen ihres offenen Neonazismus Kultstatus in der Szene besitzt. Obwohl die Polizei Kenntnis von der Veranstaltung hatte, schritt sie nicht ein. Dieses Verhalten ist auch von anderen Konzerten in der Region bekannt. Im Dezember 2005 lies sie ein ähnliches Konzert in Uchtdorf bei Rinteln ungestört über die Bühne gehen.

Diese Gleichgültigkeit ist leider oft die Regel. Dass es allerdings auch noch schlimmer geht, zeigte ein erst vor wenigen Monaten bekannt gewordener Fall aus dem Jahr 2004. Ein Beamter des polizeilichen Staatsschutzes pflegte außergewöhnlich enge Kontakte zur Neonaziszene. Bei einem Fußballturnier der damaligen Kameradschaft Weserbergland übergab er freundschaftlich den Pokal an die Siegermannschaft. Doch damit nicht genug: Seine Ehefrau beschäftigte Marcus Winter in ihrer Spedition. Nach dem Bekanntwerden des Vorgangs wurde der Beamte in eine andere Polizeidirektion versetzt. Immer wieder geben auch LokalpolitikerInnen durch ihre Äußerungen oder Entscheidungen die falschen Signale. Überregional sorgte ein Fall aus dem Auetal für Schlagzeilen. Eine Bürgermeisterin untersagte 2006 die Nutzung eines Dorfgemeinschaftshauses für ein Konzert gegen Rechts. Sie begründete die Entscheidung mit der Gefahr von rechten Gegenaktionen.

Ausblick

Mit Arwid Christoph Strelow ist bereits ein Mitglied der Führungsriege der Schaumburger Naziszene in Haft. Auch für Marcus Winter und Marco Siedbürger scheint der Gang hinter Gitter kaum noch abzuwenden. Der Szene wären dann vorerst wichtige Anführer entzogen. Entgegen ihrem »autonomen« Gehabe sind die Neonazis noch immer streng hierarchisch organisiert, so dass die Abwesenheit von Befehlsgebern zu einer erheblichen Einschränkung ihrer Handlungsfähigkeit führt.

Allerdings wurde von Neonazi-Seite aus intensive Nachwuchsarbeit in Schaumburg und Ostwestfalen-Lippe betrieben. Wie schnell sich dadurch die Lücken in den eigenen Reihen schließen lassen, bleibt abzuwarten. Einen wichtigen Einflussfaktor wird dabei auch die Unterstützung durch befreundete Kameradschaftsstrukturen von außerhalb darstellen.

Dies ist eine überarbeitete Version des in der Lotta 29 erschienenen Artikels 

»Alte Inhalte mit neuem Namen Die »Nationale Offensive Schaumburg« (NOS)

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