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Prozess gegen die Identitären in Österreich

prozess.report (Gastbeitrag)
Einleitung

Im Juli 2018 mussten sich 17 „Identitäre“ aus Österreich unter anderem wegen Verhetzung und Bildung/Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Graz vor Gericht verantworten. Im Prozess gegen Mitglieder der „Identitären Bewegung Österreich“ (IBÖ) am Landesgericht für Strafsachen Graz verkündete der Einzelrichter am 10. Verhandlungstag das mit Spannung erwartete Urteil. Die Beschuldigten wurden in den Hauptanklagepunkten freigesprochen, es folgten zwei Verurteilungen zu Geldstrafen wegen Sachbeschädigung bzw. wegen Nötigung und Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft hat bezüglich aller Entscheidungen Berufung eingelegt, demnach ist das Urteil bisher nicht rechtskräftig. Doch wie kam es soweit?

Foto: stopptdierechten.at

IBÖ-Chef Martin Sellner mit der rechten Medien-Aktivistin Brittany Pettibone und weiteren Angeklagten und Unterstützern vor ihrer Verhandlung in Graz.

Extrem rechte Aktivitäten erneut legitimiert?

Nur drei Tage nach den medial präsenten Hausdurchsuchungen in Privatwohnungen und vier Geschäfts- und Vereinslokalen, am 30. April 2018, erhob die Staatsanwaltschaft Graz nach fast zweijährigen Ermittlungen Anklage gegen 16 Männer und eine Frau. Der Großteil der Angeklagten waren bzw. sind bis heute führende Mitglieder und waren teilweise bereits 2012 an der Gründung der selbsternannten „Identitären Bewegung Österreich“ beteiligt. Die Anklageschrift beschränkte sich jedoch nur auf vier Vorfälle, bei denen vier unterschiedliche strafrechtliche Vergehen vorgeworfen wurden: Verhetzung, Mitgliedschaft und Gründung einer kriminellen Vereinigung, Sachbeschädigung und Nötigung.

Die Ermittlungen begannen, nachdem sich mehrere Personen der rechten Gruppierung gemeinsam mit weiteren unbekannt gebliebenen SympathisantInnen am 6. April 2016 Zugang zum Dach der Grünen Partei Steiermark verschafft hatten. Sie entrollten dort ein Transparent mit der Aufschrift „Islamisierung tötet“, verschütteten Kunstblut und skandierten rassistische Parolen. Diese Aktion war nur eine von vielen, im Vorhinein bis ins Detail geplant, von den eigenen Leuten dokumentiert und zu einem Spektakel inszeniert. Ähnliche Aktionen folgten, so zum Beispiel auf dem Brandenburger Tor in Berlin oder der türkischen Botschaft in Wien. Letztere war ebenfalls Teil der Anklageschrift. Medien berichteten damals wie gewöhnlich vom Geschehen, übernahmen das Bildmaterial der ,Identitären‘ und verbreiteten somit auch deren menschenverachtende Forderungen in einer breiteren Öffentlichkeit. Für Außenstehende und Menschen, die die ,Identitären‘ nicht einzuordnen wissen, wirken solche Aktionen wie legitimer Protest, und das ist bewusst kalkuliert. Schließlich nutzen sie bis heute die verharmlosende Selbstbezeichnung als „patriotische NGO“, rechtfertigen ihre menschenfeindliche Ideologie mit dem Argument der Meinungsfreiheit und versuchen, Einflussnahme auf den vorpolitischen und außerparlamentarischen Raum zu erlangen, um langfristige Veränderungen in der Gesellschaft zu bewirken. Inszenierten sie sich anfangs noch als die „schweigende Mehrheit“, die mit ihren Forderungen vermeintlich für einen Tabubruch sorgte, folgte in den letzten Jahren eine Gewöhnung an ihre extrem rechten Positionen, die längst im Diskurs angekommen und in der österreichischen Gesellschaft anschlussfähig geworden sind.

Dank der unermüdlichen Arbeit von Antifaschist_innen, Antirassist_innen und Expert_innen zur Extremen Rechten gelang es, die zugespitzten und verkürzten Forderungen inklusive der dahintersteckenden Ideologie zu demaskieren und ihr Gefahrenpotenzial darzustellen. Hierzu wollen wir auf den Sammelband „Untergangster des Abendlandes“ hinweisen, der eine umfassende Analyse der Ideologie und Rezeption der extrem rechten ,Identitären‘ bietet. Nach dem Ausbleiben großer Erfolge und der vermehrten Thematisierung von Gewalttaten der ,Identitären‘ wie in Wien und Graz gegen Antifaschist_innen und bei der Stürmung der Theatervorstellung „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek im Wiener Audimax der Universität, kippte die bis dahin bestehende mediale und öffentliche Wahrnehmung. Es wurde mehr als deutlich, dass die ,Identitären‘ nicht vor Gewalt zurückschrecken, um gegen Geflüchtete, Migrant_innen und Muslim_innen zu hetzen.

Nur zwei Monate nach der Stürmung in Wien, am 9. Juni 2016, störten mehrere Angeklagte eine Vorlesung über Asyl und Migration in der Universität Klagenfurt, stellten eine Steinigung nach, skandierten rassistische Parolen und versuchten, Stimmung gegen Zuwanderung und Integration zu machen. Als der Rektor der Universität versuchte, eine Person am Verlassen zu hindern, wurde er in den Bauch geschlagen. Im Grazer Prozess wurde dieser Angriff als Körperverletzung gewertet und auch so verurteilt.
Erneut wurde eine Universität zu einem Ort extrem rechter Gewalt, Personen wurden verletzt, Geflüchtete berichteten nach den Störaktionen von Retraumatisierungen und den hervorgerufenen Ängsten. Beide Vorfälle hatten juristische Konsequenzen. Auch wenn die erneuten Freisprüche bezüglich der Hauptvorwürfe einer Legitimierung gleichkommen, so zeigte der Prozess in Graz erneut deutlich, was hinter der modernisierten, extrem rechten Fassade steckt.

Obwohl die Anklageschrift auf vier Vorfälle zwischen April 2016 und März 2017 reduziert war, thematisierte der zuständige Staatsanwalt weitere Störaktionen, Angriffe auf Gegendemonstrant_innen und Sachbeschädigungen, um den Vorwurf der Verhetzung und die systematische Gewaltbereitschaft der Gruppe aufzuzeigen. Doch für den Einzelrichter war die Beweislage nicht ausreichend, bezüglich der Verhetzungsvorwürfe entschied er im Zweifel für die Angeklagten. Zum Beispiel sei die als strafbare Verhetzung angeklagte Parole „Islamisierung tötet“ so auszulegen, dass es „nicht um Glauben und Islam geht“, sondern um einen „Prozess, der vom radikalen politischen Islam angestrebt wird“. Da der „Kernbereich“ der IBÖ nicht aus strafrechtlich relevantem Vorgehen bestehen würde, wurden sie ebenfalls bezüglich der kriminellen Vereinigung freigesprochen. Der Richter folgte demnach den verharmlosenden Schutzbehauptungen und Relativierungen und kam zu dem Schluss, ihre Forderungen seien vielfach gesellschaftlicher Konsens (geworden). Die Ausführungen des Richters wirken wie ein Freibrief für die ,Identitären‘ und angesichts der FPÖ/ ÖVP-Regierung scheint ein gesamtgesellschaftliches Vorgehen gegen die extreme Rechte dringend geboten. Ob und wann es zu der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufung kommt, ist schwer einzuschätzen. Doch es scheint mittlerweile sehr wahrscheinlich, dass sich Teile der ,Identitären‘ auf ein weiteres Verfahren vorbereiten müssen. Wie die Staatsanwaltschaft und ein Zeuge vom Bundesamt für Verfassungsschutz und „Terrorismusbekämpfung“ preisgaben, laufen aktuell weitere Ermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche, bei denen bisher 57 österreichische Konten betroffen sind, die den ,Identitären‘ zugeordnet werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten: die politische Selbstinszenierung der Gruppierung setzte sich auch in diesem Verfahren fort. Während die Aussagen von Betroffenen und Expert_innen kaum präsent waren, schafften es die Angeklagten immer wieder, dieselben verharmlosenden Schutzbehauptungen zu platzieren, die auch ein Großteil der Journalist_innen unkommentiert übernahm. Wir können uns der Stellungnahme vom „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ nur anschließen, in der es heißt: „Die von der IBÖ vorgenommene rhetorische Modernisierung des altrechten Projekts einer ethnischen Homogenisierung hat den Rechtsextremismus ein Stück weit gegen juristische Verfolgung immunisiert, wie das vorliegende Urteil dokumentiert.“ Doch was nicht vergessen werden darf: Angesichts der Regierungsbeteiligung der FPÖ, den gescheiterten Großmobilisierungen der ,Identitären‘ in den letzten Jahren und den sich immer wiederholenden Aktionsformen, verliert diese extrem rechte Gruppierung immer mehr an Bedeutung. Abschreiben können wir sie noch nicht, aber sie sind nur ein kleiner Teil der extremen Rechten, die es zu bekämpfen gilt. Verlassen wir uns nicht auf Gerichte, sondern sorgen wir dafür, dass menschenverachtende Positionen nicht als gleichberechtigt im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden und sich nicht weiter normalisieren. Kritische Prozessberichterstattung kann einen Teil dazu beitragen und wird hoffentlich zu einer breiteren Auseinandersetzung führen.

(prozess.report berichtet seit 2014 von politischen Gerichtsprozessen, und hat sich zur Aufgabe gemacht, beobachtete Prozesse übersichtlich und in ihrer Komplexität nachvollziehbarer aufzubereiten. Dabei liegt der Fokus auf einem kritischen Blick und einer Kontextualisierung des Verhandelten, da auch die Justiz nicht frei von gesellschaftlichen Mechanismen agiert.)