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Pforzheim: Eine Stadt im rechten Normalzustand

Einleitung

Seit über 20 Jahren konnte sich die rechte Szene im baden-württembergischen Pforzheim nahezu frei entfalten und organisieren. Die Polizei schuf durch bewusstes Verharmlosen und Verheimlichen der Verhältnisse sowie sehr guten informellen Kontakten zur Neonaziszene optimale Voraussetzungen für die Rechten und sorgte damit auch für einen meist reibungslosen Ablauf der zahlreichen Neonazi-Veranstaltungen.

Bild: attenzione-photo.com

Rechte Aktivisten mit einem Transparent des Heidnischen Sturm Pforzheim bei einer Neonazi-Demonstration am 13. Februar 2012 in Dresden.

Starke Verankerung der Neonazi-Szene

Die starke rechte Szene im Raum Pforzheim ist in vielen Bereichen unübersehbar präsent. Organisiert ist sie u.a. in der NPD, der Vereinigten Rechten um Leo Thenn, den im Stadtrat vertretenen Republikanern, dem Freundeskreis Franz Schönhuber, der Deutschen Liga für Volk und Heimat, dem Freundeskreis ein Herz für Deutschland (F.H.D) und anderen rechten Gruppierungen. Sie organisiert Aktivitäten wie beispielsweise JN-Wanderungen und- Landeskongresse, Rechtsschulungen, Fackelmärsche, Bustouren zu Neonazi-Parteitagen, Konzerte mit »nationalen Musikern« wie Frank Rennicke oder Anett Moeck und vor allem Veranstaltungen. So traten Franz Schönhuber, Holocaustleugner wie Ernst Zündel und David Irving und Neonazikader wie Horst Mahler oder Manfred Roeder vor bis zu 400 Zuhörern auf. In der Region erhalten in manchen Stadtteilen die Republikaner rund 30 Prozent der Stimmen. Unterstützt wird der rechte Konsens durch lokale Gastwirte, Anwälte, Fabrikanten und Unternehmer.1

Dadurch ist neben viel Kapital auch eine breite Verankerung in der bürgerlichen Gesellschaft vorhanden. Neben dem rechten Bürgertum Pforzheims sind auch militante Neonazis aktiv, wenn es zu zahlreichen Schändungen jüdischer Friedhöfe bis hin zu Angriffen und Anschlägen gegen Andersdenkende kommt. In der etwa 115.000 Einwohner zählenden Stadt Pforzheim und Umgebung gab und gibt es seit Jahren so ziemlich alles, was das rechtsextreme Herz begehrt. In einem rund 80 vor allem junge Mitglieder zählenden Verein um den ersten Vorsitzenden und Hauptorganisator rechter Aktivitäten im Raum Pforzheim, Silvio Corvaglia, laufen alle Fäden zusammen. Ob NPD/JN-Mitglieder um den langjährigen Kreisvorsitzenden Jörg Euteneuer oder »freie Kameraden« - fast alle Neonazis vernetzen sich über den »Freundeskreis ein Herz für Deutschland e.V.«. Pforzheimer Stadträte und Landtagsabgeordnete der Republikaner wurden auf dessen Veranstaltungen schon namentlich begrüsst, ebenso wie der Landtagsabgeordnete und Republikaner-Kreisvorsitzende Klaus Rapp, der öffentlich zur Zusammenarbeit mit dem F.H.D steht und ihm bei der Kommunalwahl 1999 sogar neun Listenplätze zur Verfügung stellte.

Verharmlosung bis Unterstützung

In den Jahren 1993 bis 1995 wurden beispielsweise drei Schändungen des jüdischen Friedhofes der Öffentlichkeit verschwiegen. Die Polizei hatte mit Pforzheimer Zeitungen vereinbart, diese Vorfälle nicht zu erwähnen. Zudem verharmlost die Polizei mit Aussagen wie z.B. »Der im Enzkreis angesiedelte Verein Ein Herz für Deutschland bewegt sich im Rahmen der Verfassung« und »von einer rechtsradikalen Szene kann eigentlich gar keine Rede sein«2 , »In diesen Kreisen ist keine Gewaltbereitschaft festzustellen«3 oder »das Hakenkreuz auf der Internetseite ist lediglich als Illustration ohne politischen Bezug verwendet worden«4 seit Jahren rechtsextreme Aktivitäten. Dass die Polizei auf dem rechten Auge keineswegs blind und über vieles informiert ist, bestätigte ein Staatsschützer dem Ausländerausschuss im Februar 2001. Der Polizist machte neben Ausführungen zur regionalen rechten Szene deutlich, dass man sich mit den Neonazis meist abspreche und die durchgeführten Polizeieinsätze bei deren Veranstaltungen meist nur dem »Schutz vor linken Chaoten« dienten. Dieses Verhalten der Polizei begründete er damit, dass die Polizei so wenigstens immer wisse, »was los ist«. Man harmoniere mit dem »Freundeskreis« und habe so die rechte Szene im Griff, resümierte der Staatsschützer abschließend.

Die regionale Medienlandschaft wird vor allem von der »Pforzheimer Zeitung« dominiert. Diese ist z.B. 1992 bundesweit bekannt geworden, als man das rechtsextremistische und volksverhetzende »Gedicht« »Der Asylbetrüger in Deutschland« in voller Länge abdruckte. Die Redaktion korrigierte lediglich die Rechtschreibfehler. Nach Ansicht örtlicher AntifaschistInnen findet man dort in Bezug auf Rechtsextremismus nur sehr selten eine objektive und umfassende Berichterstattung. In der Vergangenheit seien den Rechten meist in Form von langen Interviews ein Forum geboten und die zumeist verharmlosenden und beruhigenden Aussagen der Polizei veröffentlicht worden. Die schlechten Bedingungen für Antifas sind daher vorprogrammiert. Nach der Gründung der örtlichen Antifa im Jahr 1998 wurden junge AntifaschistInnen systematisch von Polizei und Verfassungsschutz eingeschüchtert. Teilweise wurden Antifas mehrmals auf ihren Arbeitsstellen von Verfassungsschützern aufgesucht, die beim Chef vorstellig wurden. Den Betroffenen wurde eine »sehr lukrative« Zusammenarbeit mit dem VS oder die Einstellung ihrer politischen Aktivitäten nahe gelegt. Insgesamt gab es in dieser Zeit mindestens zehn bekannt gewordene Droh- und Anwerbeversuche.

Zudem wurde der einzige Freiraum für autonome Antifas, das »AZ Schlauch«, zerstört, nachdem die CDU die absolute Mehrheit bei der letzten Kommunalwahl gewann. Wohin ein solches politisches Klima führt, zeigen zahlreiche rechte Angriffe und Anschläge. So gab es in der Vergangenheit neben etlichen anderen rechten Übergriffen mehrere Brandanschläge oder Überfälle z.B. auf Punks und MigrantInnen, bei denen die Opfer manchmal nur durch Zufall und mit schwersten Verletzungen sowie teilweise bleibenden körperlichen Schäden überlebten. Erst als am 23. Februar diesen Jahres mehrere hundert entschlossene AntifaschistInnen Polizeiabsperrungen überrannten und den bis dahin seit zehn Jahren an diesem Tag stattfindenden Neonazi-Fackelmarsch verhinderten, sowie am 13. April eine geplante rechtsextreme Saalveranstaltung wegen breiten antifaschistischen Widerstands abgesagt werden musste, liessen sich die Verhältnisse nicht mehr länger verheimlichen. Erstmals hat eine breite öffentliche Diskussion begonnen und sich verstärkt Widerstand gegen die rechte Normalität gebildet.

  • 1Der Unternehmer Manfrid Dreher (CDU) lud 1991 zu einer Veranstaltung mit dem Holocaust-Leugner David Irving ein. Stern Nr. 46, 11/1992, Seite 28.
  • 2»Rechter Sumpf in der Region höchstens knöcheltief« Zeitunginterview mit Polizeisprecher Hans-Joachim Hoffmann, 11.08.2000
  • 3Interview mit dem Leiter Dezernat Staatsschutz Alfred Maischein, Pforzheimer Kurier, 30.04.2000.
  • 4Pressestelle der Polizei in der Pforzheimer Zeitung.