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PEGIDA Review

Einleitung

Die Formation des rechten Blocks

Politik und Medien beginnen, das Interesse an PEGIDA zu verlieren. Die Zahl der Teilnehmenden sinkt, die politischen Akteure sind gespalten und geschwächt. Entwarnung? Die Rückkehr der Themen und Motive dieser rechten, rassistischen Mobilisierung ist nur eine Frage der Zeit. Ein PEGIDA Review.
 

Foto: Kalispera Dell/CC BY 3.0

PEGIDA Demonstration in Dresden am 25. Januar 2015

Der rassistische Pragmatismus PEGIDAs

„Ich bin eine einfache Frau aus dem Volk.“, mit diesem Satz leitete Kathrin Oertel in der sonntäglichen ARD Talkshow Mitte Januar 2015 die rhetorisch unbeholfene, aber wirkmächtige Begründung ihres rassistischen Pragmatismus ein. Gegenargumente wusste sie mit der Rhetorik von „Normalität“ und „gesundem Menschverstand“ zu kontern. Ge­genüber dem flexiblen rassistischen Pragmatismus Oertels wirkte die Runde der Politprofis ratlos und entwaffnet. Im Januar 2015 war PEGIDA auf dem Höhepunkt ihrer Mobilisierung und ihrer medialen Reichweite. Wissenschaftler_innen, Journalist_innen und Politiker_innen arbeiteten sich an dem Phänomen ab, dessen Dynamik über Wochen keine Grenzen zu kennen, und sich jeder Logik des politischen Betriebs zu entziehen schien. Dass die Dresdner Spaziergänger_innen nicht das Thema der Lokalausgabe der Sächsischen Zeitung blieben, hat nicht nur mit ihrer seit Herbst 2014 wachsenden Anzahl zu tun. PEGIDA wurde zum Ausdruck der Mobilisierungsfähigkeit jener rechten Einstellungen, die Sozialwissenschaftler_innen seit Jahren in der Bevölkerung messen. Überraschte die Massivität der Mobilisierungsfähigkeit PEGIDAs auch, weil die seit Jahren gemessene Zunahme der Zustimmung zu rechten und rassistischen Einstellungen in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ihren Niederschlag bislang ausschließlich im Aufstieg der AfD fand?

Zivilgesellschaftliche Formen rassistischen Protests

Fakt ist, dass die Mobilisierungsfähigkeit von Rassismus bereits vor PEGIDA im Vergleich zur vorhergehenden Dekade zugenommen hatte. Bereits die Mobilisierungen gegen den Zuzug von Geflüchteten u.a. in Schneeberg zeigte, dass die Ausdrucksformen rassistischen Protests im Wandel begriffen waren. Zwar traten in Schneeberg und andernorts Neonazis als OrganisatorInnen und WortführerInnen auf. Doch im Unterschied zu den gewalttätigen rassistischen Mobilisierungen der 1990er Jahre nahmen die Proteste gegen Geflüchtete zivilgesellschaftliche Formen an. Der sprichwörtliche, inzwischen zum zeitweiligen Dialogpartner der Politik aufgestiegene „besorgte Bürger“ artikuliert seine Ablehnung von Geflüchteten oder Moscheebauten als Angst vor dem Wertverlust seines Grundstückes oder als Kriminalitätsangst und findet damit in Politik und Öffentlichkeit Gehör. Diese Formen der bürgerschaftlich-engagierten Legitimation rassistischer Auffassungen waren von Beginn an Teil der politischen Kommunikation PEGIDAs. Die verbale Abgrenzung von rabiatem Rassismus und Neonazismus war zwar im Hinblick auf eine Teilmenge der Protestierenden nicht glaubwürdig, funktionierte jedoch durchaus gegenüber dem konservativen Teil der Öffentlichkeit.

Doch es griffe zu kurz, PEGIDA nur als Forum für rassistische Mobilisierung zu interpretieren. Vielmehr erwies sich PEGIDA zunächst in Dresden, zeitweilig auch in Leipzig als Forum für die Mobilisierung diverser Spielarten rechter Politikangebote. Zwar ist antimuslimischer Rassismus das bestimmende Motiv des Protests, doch andere rechte Diskurselemente ließen PEGIDA wachsen. Der antimuslimisch-rassistische Affekt ist in Ostdeutschland eingebettet in soziale Milieus und politische Orientierungen überlagernde Homogenitätsvorstellungen von Gesellschaft, die eine generelle Abwehr anderer Kulturen und Lebenswelten vornimmt. Die Schnittmenge zwischen der als kulturelles Unbehagen gegenüber Migrant_innen vorgetragenen Abwehr kultureller Diversität und rechten Konzepten von Volksgemeinschaft sind hoch. Die kulturrassistisch argumentierenden programmatischen Aussagen PEGIDAs konnten hier anknüpfen.

Ostdeutsche Protestlegitimation

Dass die etablierten Institutionen von Politik und Medien über Wochen keinen Einfluss auf die Dynamik von PEGIDA hatten, verweist auf die ostdeutsche Spezifik der Mobilisierung und Legitimation von Protest. Bereits anlässlich der Hartz IV Proteste im Jahr 2004 war zu beobachten, dass die Instrumentarien der alten Bundesrepublik für den Umgang mit Protest im Osten nicht greifen. Parteien, Verbände und Interessengruppen, die in Westdeutschland gesellschaftliche Konflikte moderieren, einhegen und kanalisieren, sind im Osten nach wie vor wenig verankert. Die westdeutsch sozialisierte politische Kommunikation dieser Institutionen erreicht jene ostdeutschen Milieus nicht, die ihre Interessen nirgendwo vertreten sehen. Die Schwäche des gesellschaftlichen Korporatismus im Osten wird so wie im Fall PEGIDA zur Stärke erfolgreicher Mobilisierung von Ressentiments. Schon die ersten Recherchen zu den Organisator_innen ergaben, dass diese zwar einem Milieu und auch einem politischen Spektrum zugeordnet werden konnten, jedoch institutionell nicht eingebunden waren. Ihre daraus resultierende organisatorische Improvisation und scheinbare inhaltlich-programmatische Diffusität, verbunden mit dem von Bachmann und Oertel vehement vertretenen Anti-Establishment-Affekt, verlieh dem Protest für eine gewisse Zeit sogar Auftrieb. Kern der politischen Selbstlegitimation von PEGIDA war jedoch die Bezugnahme auf den Umbruch in der DDR im Jahr 1989.  Nicht nur mit der Aussage „Wir sind das Volk“ nahm PEGIDA eine beständige Parallelisierung ihrer Mobilisierung mit den Ereignissen des Jahres 1989 in der DDR vor. Redner_innen und Anhänge­r_innen PEGIDAs vertraten die Auffassung, die Situation in der Bundesrepublik weise eine Analogie zu damals auf.  Das politische System der Bundesrepublik habe ebenso abgewirtschaftet, wie 1989 die DDR. Neben der offenkundigen Selbstüberschätzung kommt in solchen Aussagen die kollektive Erfahrung ehemaliger DDR-Bür­ge­r_innen mit erfolgreichem Protest zum Ausdruck, die aktualisiert wird. Die wütenden und hilflosen Zurückweisungen dieser Selbst­legitimation durch Politik und Medien ändert nichts daran, dass die Erfahrung oder die Erzählung davon offenbar über den konkreten Protestanlass hinaus zur Mobilisierung beitragen können.

Ist PEGIDA eine Bewegung?

Gemessen an den klassischen Indikatoren sozialer Bewegung handelt es sich bei PEGIDA nicht um eine solche. Denn jenseits Leipzigs und Dresdens mobilisierten die diversen Ableger jenes Milieu, welches sich im Wesentlichen aus Hooligans und Neonazis rekrutiert. Im Falle der westdeutschen Ableger blieb die rechte Szene in der Regel unter sich. Den Charakter einer Bewegung hatte PEGIDA jedoch in Sachsen, wo breite Kreise kleinbürgerlicher, christlich- und nationalkonservativer Milieus mobilisiert wurden. Die Unsicherheit in der politischen Reaktion der CDU rührt aus dem Umstand, dass man dort begriffen hat, dass sich die Anhän­ge­r_in­nen von PEGIDA im magischen Dreieck zwischen AfD, NPD und Nicht-Wähler_innen bewegen. In der Logik vor allem der sächsischen Union dürfen diese nicht der rechtspopulistischen AfD überlassen werden.

Die extreme Rechte — Tanz um PEGIDA und Volk

Von der Wucht des öffentlichen Widerhalls PEGIDAs war auch die extreme Rechte überrascht. Besonders bitter ist die Entwicklung für die NPD. Nur wenige Monate bevor Tausende einen Teil ihrer Politikinhalte auf die Straße trugen, flog die Partei aus dem Landtag. Unter der naziaffinen Überschrift „Das Volk steht auf!“ feierte der ehemalige NPD- Landtagsabgeordnete Arne Schimmer PEGI­DA als Bewegung, der gelungen sei, woran andere rechte Politikkonzepte gescheitert seien, „die Verhältnisse in Deutschland zum Tanzen zu bringen.“ Die Enttäuschung darüber, dass die NPD als Partei davon offenbar nicht profitiert schwang in dem Artikel durchaus mit.
Im Milieu der intellektuellen Rechten löste PEGIDA ebenfalls Euphorie aus. Götz Kubitschek, verlegerischer und organisatorischer Impulsgeber der Szene nahm mehrfach in Dresden an den Demonstrationen teil, bevor er in Leipzig und Dresden selbst mehrmals als Redner auftrat. Ende Februar 2015 erschien eine Sonderausgabe der von Kubitschek herausgegebenen Zeitschrift „Sezession“, die der PEGIDA aus rechter Sicht den Puls fühlte. Das Volk, so ließ sich aus allen Spektren der extremen Rechten vernehmen, sei als politischer Akteur zurück auf der Bühne der Politik.

Doch dass sich die kühnen Hoffnungen der extremen Rechten auf eine rechte Volksbewegung von unten bislang nicht erfüllten, ist kein Grund, PEGIDA für einen Sturm im sächsischen Wasserglas zu halten. Die Anlässe und Motive rassistischer Mobilisierungen mögen variieren. Aber sie werden angesichts der Reichweite rechter Einstellungen in der Gesellschaft wiederkehren. Fragt sich nur in welcher Form.