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Opfer der Verhältnisse

ein ABAD e.V. (Gastbeitrag)
Einleitung

Widersprüche und Perspektiven aus einem Jahr staatlich geförderter Opferberatungsarbeit in Thüringen

Kaum hatten die Projekte zur Beratung von Betroffenen von rechtsextremen und rassistischen Angriffen ihre Arbeit aufgenommen, nagte schon der Zweifel an denen, die die Projekte – als Hauptamtliche oder entgeltlos arbeitende Freiwillige – mit Leben ausfüllten. Es lag ja von Anfang an auf der Hand, dass man im Rahmen des CIVITAS-Programms der Bundesregierung hier Geld von eben jenen erhält, die man im Rahmen der selbst gewählten und konzeptionierten Arbeit würde bekämpfen müssen. 

Bild: attenzione-photo.com

Statt einer Wende in der Einwanderungs- oder Asylpolitik geht es der rot-grünen Bundesregierung um Flüchtlingsabwehr, »Zuwanderungsbeschränkung«, Asylabschreckung und Massenabschiebungen.  Auch in Bezug auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus und rassistischem Denken ist höchstens Symbolisches passiert. Der Stellenwert des mörderischen Themas ist allenfalls marginal.

Doch schon bei diesem Lamento sollte mensch vorsichtig sein und sich fragen, was er/sie denn erwartet.  Dieses zweifelnde Reflektieren ist kennzeichnend für das ganze Agieren innerhalb der staatlich alimentierten Antirassismus- und Antifaschismus-Projekte.

Großes Krötenschlucken

Denn unter dem kardinalen Hauptwiderspruch, dass das Geld von den »Tätern«, den politischen Brandstiftern kommt, tummeln sich noch andere Kröten. So sehen sich diejenigen, die die hauptamtlichen Stellen besetzt haben, nun in der unangenehmen Situation, existenziell vom Sprudeln der Fördergelder abhängig zu sein. Die Strukturen, die mit dem warmen Geldregen aufgebaut wurden, werden nach dessen Versiegen so schnell verdorren, wie sie eben gerade mal die Oberfläche ankratzen. Und es werden Kräfte in einer »für unsere Verhältnisse« unglaublichen Bürokratie gebunden. Das Geld bringt es auch mit sich, dass die Projekte bis zu einem gewissen Grad weisungsgebunden sind. Viel Arbeitszeit verbrauchen auch Halbjahres- und Jahresberichte sowie  entsprechende Abrechnungen und Neubeantragungen, Mittelabruf pro Quartal, Rechnungsprüfungen etc.

Gesang zwischen den Stühlen

Doch die Tatsache, dass man das Geld genommen hat – und damit seine Unschuld oder Streetcredibility vergeigt zu haben fürchtet – hat noch weiter reichende Folgen: Mit dem Staatsgeld sind den Projekten ja noch lange keine hoheitlichen Befugnisse, keine Druckmittel zugewachsen. Das heißt, die ProjektmitarbeiterInnen haben in ihrer täglichen Arbeit keinerlei Druck- oder Sanktionsmittel. Was bleibt, ist, dass mensch sich in besonders unangenehmen Situationen bei Polizei, Behörden oder Politikern gelegentlich fast beschwörend auf die Bundesförderung beruft, um überhaupt etwas Gehör- oder Respektähnliches zu ernten. Die Wirkung ist allzu oft minimal: Ablehnung der Opfer samt UnterstützerInnen häufig der Alltag.

Gegenüber den KlientInnen, den Opfern rechtsextremer Gewalt, empfiehlt sich dagegen der Hinweis auf die Bundesregierung gerade nicht. Gerade wenn es sich um Personen aus der »klassischen Opfergruppe« der Asylsuchenden1 handelt, ist es  schwer, verständlich zu machen, dass man eben gerade nicht zu Polizei, Justiz oder Verwaltung gehört. Denn es reichen schon geringe Sprachkenntnisse aus, um den fundamentalen Widerspruch zu erkennen, innerhalb dessen sich die Staatsantifa bewegt. Es ist ja auch absurd, dass eine »antirassistische NGO«, die von der Regierung bezahlt wird, hilft, sich gegen Behördenwillkür, Ignoranz und staatlichen Rassismus zur Wehr zu setzen....

Neu war immerhin, dass mit dem Geld Projekte gefördert werden, die konzeptionell sehr weit gehende Eigenständigkeit haben, um ganz bewusst Kompetenzen und Personal im weit linken Spektrum der flüchtlingspolitischen, der Antira- und der Antifa-Szene einzubeziehen. Dabei gestaltet sich der Balance-Akt zwischen sozialpädagogischen Qualitätsstandards und politischem Anspruch meist äußerst schwierig – ein Aspekt jedoch, der durchaus zu den spannenderen Entwicklungen in der Opferberatung und Betroffenenarbeit gehört.

Diskriminierung in Thüringen

Das Beispiel der Anlaufstelle für Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen (ABAD)2   zeigt, wie die grundsätzliche Ausrichtung des Projekts über die reine Opferarbeit hinaus führt – und damit hinein in weitere Widersprüche oder Unzulänglichkeiten. Mit der Diskriminierung im Titel und im Konzept weitet ABAD ihr Wirkungsfeld erheblich aus: Der »klassische« prügelnde Neonazi taucht da nur am Rande auf. Nach der Phase des Sich-Bekannt-Machens als Anlaufstelle strömen allmählich immer zahlreicher Hilfesuchende in die Büros des Projekts. Sie fühlen sich diskriminiert, von der Polizei, auf Ämtern, im Asylbewerberheim, auf der Straße, im Supermarkt, in der Telefonzelle usw.

Die auf den ohnehin diskriminierenden Gesetzen fußende Asylverwaltung und Ausländerpolitik wird – vermutlich nicht nur in Thüringen – von BeamtInnen vollzogen, die mit ihren Ansichten und Handlungsweisen, ihren Vorurteilen und Ressentiments ein Spiegelbild der erdrückenden Bevölkerungsmehrheit im Lande sind. Es gibt also jede Menge zu tun für ABAD, vor allem dort, wo tragfähige Strukturen und Netzwerke im Bereich der Flüchtlings- und Asylarbeit – im Sinne »klassischer Flüchtlingsratsarbeit« – vielerorts schlicht fehlen. Eine Abgrenzung gegenüber bestimmten Problemen Hilfesuchender ist da schwer möglich.

Der Aufbau der fehlenden Netzwerke von politischen Unterstützungsstrukturen ist vor diesem Hintergrund natürlich zwingend ein weiterer Schwerpunkt der ABAD-Arbeit. Wenn man nun noch die etwas schwammige Aufgabenstellung dazu nimmt, dass ABAD zur Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas« beitragen solle, kann mensch sich vielleicht vorstellen, dass dieser an sich richtige Gesamtblick auf das gesellschaftliche Problem von Rassismus und Rechtsextremismus nicht selten eine Überforderung sein muss.

Stoiber ante portas

Pünktlich zum Ein-Jahres-Jubiläum sorgte die Bundestagswahl auf »Geberseite« – d.h. bei den Stiftungen Demokratische Jugend und der Amadeu-Antonio-Stiftung, die die Gelder des Bundesministeriums verwalten – durch hektische Betriebsamkeit für massive neue Verunsicherungen in den jungen Projekten. Allen war klar, dass mit der Bundestagswahl und einem möglichen Regierungswechsel das Anti-Rechts-Programm als Ganzes zur Disposition stand. Aber auch mit Fortbestand der rot-grünen Regierung sind das Programm und die Projekte keineswegs gesichert. Im Bundeshaushalt sind vorläufig nur Personalkosten bis Ende März 2003 eingestellt.

Ob ein neuer Bundestag eine »Verstetigung« der Projekte durch neue Fördermillionen sichern wird, ist völlig unklar. Den Projekt-Trägern wurde »vorsorglich« die Kündigung aller laufenden, längerfristigen Verträge – inklusive Arbeitsverträge – empfohlen.3 Der im August vergebene Evaluationsauftrag an das Bielefelder Heitmeyer-Institut ist bezeichnender Weise nur bis Juni 2003 befristet. Es werden auf einmal Qualitätsmaßstäbe und Qualifikationsnachweise eingefordert, von denen bei der Einstellung des Personals vor knapp einem Jahr nicht die Rede war. Eine Kofinanzierung etwa auf Landesebene und befürwortende Stellungnahmen von Landes- oder Kommunalverwaltungen werden neuerdings für Neuanträge und von Projekten gefordert, die per Definition in parteiischer Haltung für Betroffene offiziellen Stellen in höchst konfliktträchtiger Position gegenüber stehen.

In dieser Situation, die nicht eben geeignet ist, zu neuen Taten zu motivieren, wird es Aufgabe der Geförderten sein, aus dieser kurzen Chance der finanziellen Ausstattung etwas zu machen, was über den Förderzeitraum hinausreicht. Bei aller berechtigten Skepsis sollte man die Erfolge dieses ersten Jahres staatlich geförderter Opferarbeit nicht nur für unmittelbar Betroffene, sondern auch im Aufbau guter Netzwerke in bisher von Antira- und Antifa-Arbeit weitgehend unberührten Landstrichen nicht unterbewerten. Dennoch bleibt als Fazit die Frage: Ob der ungeheure Organisations- und bürokratische Aufwand die Energieverluste innerhalb widersprüchlicher Strukturen noch in einem Verhältnis zu den wünschenswerten Auswirkungen stehen.

Der Artikel wurde uns von ABAD e.V. zur Verfügung gestellt.

Kontakt:
ABAD e.V.
Büro Erfurt
Warsbergstr. 1
99092 Erfurt
Tel.: 0361 / 2172723
Fax: 0361 / 2172727
eMail: abad-ef [at] gmx.de
internet: www.abad-th.de

  • 1Natürlich gehören zu den KlientInnen der Anlaufstellen auch »nicht rechte« Jugendliche, »normale« Leute, die zum falschen Zeitpunkt in eine No-Go-Area gerieten, Aussiedler, und seltener jüdische Menschen, Schwule, Lesben und Menschen mit Behinderung.
  • 2Projekte wie ABAD in Thüringen, mit fünf Hauptamtlichen in zwei Büros in Gera und in Erfurt sowie tragfähigen Ehrenamtlichenstrukturen, sind seit Mitte 2001 in allen fünf ostdeutschen Bundesländern gegründet worden. Modell und älteste Opferberatungsstelle ist dabei die »Opferperspektive Brandenburg«. Bezahlt wird ein Großteil (oft alles) des Personals, der Ausstattung und der laufenden Arbeit der Projekte aus dem CIVITAS-Programm. http://www.abad-th.de
  • 3Maria Pfennig von SDJ in der Berliner Zeitung vom 12.8.2002