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Neuer Graswurzel-Chauvinismus in Japan

Eiichi Kido (Universität Osaka)
Bild: en.wikipedia.org; Abasaa

Zaitokukai Demonstration in Shinjuku am 24. Januar 2010 gegen das Wahlrecht von Ausländern.

Heute beherrschen Nationalismus und Populismus immer mehr die politische Stimmung in Japan. Nach dem Ende des Kalten Krieges ging Japan erstmals, wenn auch zögerlich, einen Weg zur Versöhnung mit den Nachbarländern.

Drastischer Rechtsruck Mitte der 1990er Jahre

Im August 1993 sagte der frisch gewählte Regierungschef Morihiro Hosokawa ganz deutlich, dass Japan damals einen Angriffskrieg geführt hat. Zum 50. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation äußerte der sozialdemokratische Ministerpräsident Tomiichi Murayama am 15. August 1995, dass Japan in nicht ferner Vergangenheit durch Kolonialherrschaft und Angriff den Menschen in Asien viel Leid zugefügt habe. Die politischen Kräfte, die bis heute die imperialistische Politik Japans vor 1945 als »Verteidigung der selbständigen Existenz« rechtfertigen und seine Kriegsverbrechen leugnen, empfanden diese Entwicklung als Krise. Sie stießen sich an den »selbstanklägerischen« Geschichtsschulbüchern, die das Nanking-Massaker1 von 1937 und die »Trostfrauen«-Problematik2 kritisch darstellten. Inzwischen ist es ihnen gelungen, letzteres Thema aus allen Schulbüchern für die Mittelschule (7.–9. Klasse) zu verbannen und mehr und mehr geschichtsrevisionistisches Lehrmaterial zu verbreiten. Die japanische Obrigkeit schaffte mit dem »Gesetz über die Nationalflagge und Nationalhymne« 1999 die Grundlage dafür, die Bevölkerung -insbesondere Schulkinder - bei jedem Anlass dazu verpflichten zu können, die Kaiserhymne zu singen, um dadurch nach außen ihre Opferbereitschaft zu demonstrieren. Sie nutzte den »Krieg gegen den Terror« aus und forcierte die eigene Kriegsbereitschaft. Im Dezember 2006 wurde das »Rahmengesetz für Erziehung« gründlich geändert. Die grundlegenden Ziele der Erziehung sollten nun die Achtung vor der traditionellen Kultur und Vaterlandsliebe sein. Auch die Förderung der Einstellung, zur internationalen Gemeinschaft beitragen zu wollen, gehörte dazu.

Der Machtwechsel im Sommer 2009 enttäuschte die Hoffnung auf Veränderung und es ist zu befürchten, dass die Dreifach-Katastrophe des Jahres 2011 dazu benutzt wird, um den pazifistischen Verfassungsartikel 9 abzuschaffen, sodass Japan auf der Seite der USA jederzeit und weltweit militärisch präsent sein könnte.

Anmaßende Chauvinisten

In der neoliberalen Gesellschaft Japans, in der die sozioökonomische Existenz der Menschen immer unsicherer wird, ist eine intolerante und ausgrenzende Entwicklungstendenz deutlich zu spüren. Beispiel dafür sind rassistische Organisationen wie »Zaitokukai«. »Zaitokukai« ist die Abkürzung von »Bürgerverein gegen Sonderrechte für koreanische Migranten«. Was sind die Sonderrechte der in Japan lebenden Ausländer? Für den »Zaitokukai« ist das in Japan stationierte US-Militär, das jährlich fast 20 Mrd. Euro finanzielle Unterstützung von der japanischen Regierung - auch zu Unterhaltungszwecken - einsteckt, kein Thema. Sie haben es auf ethnische Minderheiten abgesehen, die in der japanischen Gesellschaft ohnehin diskriminiert sind.

Hier einige Aktionen, die der »Zaitokukai« in den vergangenen Jahren durchgeführt hat: Mit Sprechchören wie »Die ganze kriminelle Phillipinerfamilie Calderon aus Japan rausschmeißen!« demonstrierten sie im April 2009 vor einer Schule nördlich von Tokio, die ein 13-jähriges Mädchen besuchte. Zwei Tage später wurden die Eltern des Mädchens wegen ihres »illegalen Aufenthaltes« aus Japan ausgewiesen, während die in Japan geborene Tochter bleiben konnte. Im August 2009 störten sie gewaltsam die »Trostfrauen«-Ausstellung in Tokio unter dem Motto: »Prostitutionsausstellung für Schüler zerschlagen!«

Im Dezember 2009 protestierten sie lautstark vor einer nordkoreanischen Grundschule in Kyoto, weil die Schule angeblich einen Spielplatz »illegal« als Sportplatz benutzte. Durch Lautsprecher betitelten sie die Schüler_innen als »Agentenkinder«. Im Oktober 2011 beschimpften sie auf dem Bahnhof Otsu (Präfektur Shiga) die Teilnehmer_innen einer Anti-AKW-Kundgebung und provozierten dabei ein Handgemenge. Als ein evangelischer Pfarrer und Mitorganisator der Kundgebung zu schlichten versuchte, verlor ein »Zaitokukai«-Mitglied, welches neben ihm ein Video aufnahm, das Gleichgewicht und fiel zu Boden, behauptete aber, von dem Pfarrer verletzt worden zu sein. Am nächsten Morgen um 5 Uhr wurde dieser daraufhin wegen Körperverletzung verhaftet und musste 11 Tage lang in Untersuchungshaft verbleiben.

Die »Zaitokukai«-Mitglieder und -AnhängerInnen nennen sich selbst »agierende Konservative« und vertreten diskriminierende und menschenverachtende Positionen. Auch Gewalttaten sind für sie kein Tabu und sie veröffentlichen diese sogar im Internet. Obwohl jedes Mal Polizei vor Ortwar, schauten sie unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit bei diskriminierenden Äußerungen und unverhohlenen Gewaltakten weg. Wie der Fall des Pfarrers zeigt, werden sie von der Polizei sogar unterstützt. Natürlich stehen nicht wenige Bürger_innen den Aktionen des »Zaitokukai« kritisch gegenüber. Aber für manche Jugendliche wirkt das »Aktionistische« und »Offensive« dabei anziehend.

»Tolerante« Regierung

Vertragsgegenstand der UN-Rassendiskriminierungskonvention ist nicht nur die Diskriminierung aufgrund von »Rasse«, sondern ebenso wegen Hautfarbe, Abstammung sowie nationaler und ethnischer Herkunft. In diesem Sinne ist der »Zaitokukai« eindeutig eine diskriminierende Organisation. Japan trat erst 1995 der UN-Konvention bei und meldete einen Vorbehalt an. Es ging dabei um Artikel 4 (a) und (b), der die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Aufhetzung zur Rassendiskriminierung gesetzlich zu verbieten und rassistische Organisationen zu kontrollieren. Die japanische Regierung äußerte Bedenken, die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit ihrer Bürger dadurch zu begrenzen und gegen das Prinzip nulla poena sine lege zu verstoßen. Und das auch heute noch, obwohl der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung im Jahr 2001 sowie 2010 angesichts der vorgelegten Regierungsberichte des Landes die Empfehlungen abgegeben hat, ein Gesetz zum Schutz vor Rassendiskriminierung zu erlassen und den oben genannten Vorbehalt zurückzunehmen. Folgerichtig lässt die japanische Regierung den Aktivitäten des »Zaitokukai« freien Lauf.

Kein Wunder: die japanische Regierung hat jahrzehntelang die Diskriminierungspolitik gefördert. Beim Machtwechsel im Sommer 2009 wuchs die Erwartung, dass Japan seine Ausländerpolitik ändern würde. Die neue Regierung ist aber mit ihren Reformversuchen sehr zurückhaltend geworden, nachdem bereits ihr Vorschlag eines Ausländerstimm- und -wahlrechtes bei Konservativen und Chauvinisten heftige Ablehnung hervorgerufen hatte. Als die Regierung 2010 beschloss, den Unterricht öffentlicher Oberschulen (10.–12. Klasse) gebührenfrei zu machen und privaten Oberschulen Schulbesuchsfördermittel auszuzahlen, wurden nordkoreanische Schulen unter dem Vorwand der nordkoreanischen Entführung japanischer Bürger_innen ausgenommen. Einige Kommunalverwaltungen kürzten sogar die Subvention für sie. Die japanische Regierung fördert damit weiterhin die Diskriminierung der nordkoreanischen Minderheit.

Zum Schluss

Im Zusammenhang mit dem Fall der Koreanischen Grundschule in Kyoto im Dezember 2009 wurden vier »Zaitokukai«-Mitglieder acht Monate später wegen gewaltsamer Behinderung des (Schul-) Geschäftes verhaftet und im April 2011 schuldig gesprochen. Aber weder die Ehrverletzung noch die Nötigung wurden dabei erwähnt. Der Anti-Atomkraft-Bewegung treten die »Zaitokukai«-Mitglieder offen feindselig gegenüber und es kommt regelmäßig zu Bedrohungen von Aktivist_innen, die seit dem 11. September 2011 in Protestzelten vor dem Wirtschaftsministerium in Tokio campen. Die Reihe von »Zaitokukai«-Skandalen zeigt, dass Japan eine Gesetzgebung zur Vorbeugung und Bestrafung der Hasskriminalität braucht. Japan sollte sich endlich von der Illusion einer ethnischen Homogenität und dem selbstgefälligen Großmachtsbewusstsein verabscheiden und die Gesellschaft, in der Minderheiten von oben und von unten diskriminiert werden, erneuern. Eine Gesellschaft, die Minderheiten diskriminiert und unterdrückt, verachtet sich selbst. 

  • 1Systematische Ermordung von 200.000 Zivilist_innen in der chinesischen Stadt Nanking
  • 2»Trostfrauen« ist der japanische verharmlosende Begriff für Zwangsprostituierte während des Zweiten Weltkriegs