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Neue Ansätze für alte Probleme

Diskussionsbeitrag der »autonomen antifa [f]«
Einleitung

Sicherheit vor staatlicher Repression und Neonazis muss wieder stärker in den Fokus antifaschistischer Arbeit gerückt werden. Denn seit einiger Zeit vollzieht sich eine bedenkliche Entwicklung in linksradikalen Antifa-Strukturen. Früher selbstverständliche Sicherheitsansprüche werden aufgeweicht und in Frage gestellt. Wichtige theoretische und strategische Weiterentwicklungen in der Antifa-Szene führen zu neuen Angriffsflächen. Es gilt also, das Bewusstsein für Sicherheit bezüglich neuer und alter Gefahren zu schärfen.

Bild: attenzione-photo.com

Antifaschistische Strukturen stehen weiterhin im Fokus von Neonazis.

Extrem gefährlich

In den letzten Jahren tauchen  wieder vermehrt sogenannte »Anti-Antifa«-Gruppen auf. Diese konzentrieren sich darauf, linke Strukturen zu bekämpfen, etwa indem sie Daten und Fotos von Antifaschist_innen veröffentlichen. Meist geht diese Arbeit mit offenen Aufrufen zur Gewalt gegen Antifaschist_innen einher. In Mittelhessen etwa wurden Anfang Februar 2011 Personen aus dem Umfeld der »Anti-Antifa Wetzlar« nach einem gescheiterten Brandanschlag auf das Wohnhaus eines Antifaschisten wegen versuchtem Mord zu Haftstrafen verurteilt.1 Am Rande linker Demonstrationen sind Anti-Antifa-Fotografen anzutreffen, die Teilnehmende ablichten, um die Fotos anschließend im Internet zu veröffentlichen. Persönliche Daten von linken Personen, etwa Namen und Adressen, finden sich in sogenannten Watch-Lists. In sozialen Netzwerken wie Facebook und wer-kennt-wen bilden sich stetig neue Anti-Antifa-Gruppen, deren Mitglieder von bekennenden Neonazis bis zu konservativen BWL-Studierenden reichen.

Parallel dazu findet mit der neu aufgeflammten Extremismus-Debatte eine Verschiebung der Wahrnehmung linker Gruppen und Initiativen im öffentlichen Diskurs statt. Linke Projekte, sowie kapitalismus- und parlamentarismuskritische Positionen, werden als »extremistisch« diskreditiert. Die Bundesregierung arbeitet an Programmen gegen »Linksextremismus« und kürzt gleichzeitig antifaschistischen Projekten die Fördermittel. Staatliche Repression gegen linke Strukturen nimmt im Zuge dieser Entwicklungen ebenfalls zu. Nicht nur die §129a-Verfahren der letzten Jahre und regelmäßige Hausdurchsuchungen in Infoläden sind hierfür Beispiele. Besonders brisant ist der Ende 2010 öffentlich gewordene Fall um einen Polizeispitzel mit dem Decknamen »Simon Brenner«. Dieser versuchte über linke studentische Kreise in Heidelberg Zugang zu linksradikalen Strukturen zu erlangen, laut eigenen Angaben mit dem Ziel Informationen über »die Antifa« zu erlangen. Offenbar aufwändig geplant und als langfristiges Projekt angelegt, konstruierte er sich eine typisch linke Identität, und begann in verschiedenen linken Gruppen aktiv zu sein. Durch einen glücklichen Zufall flog »Brenner« auf. Vermutlich ist er kein Einzelfall.

Veränderungen?

Scheinbar unbeeindruckt von diesen Umständen führen die strukturellen Veränderungen in deutschen Antifa-Zusammenhängen dazu, dass selbstverständliche Sicherheitsstandards aufgeweicht werden. Die Verschiebung von Arbeitsschwerpunkten lässt die Sensibilität für das Bedrohungspotenzial der Neonazis und der staatlichen Repression schwinden. Mit strukturellen Veränderungen ist hier folgendes gemeint: Große Teile einer lange Zeit vorrangig praxisorientierten und auf Anti-Neonazi-Arbeit fokussierten Antifa-Szene der 1980er und 1990er Jahre haben aufgrund theoretischer und strategischer Diskussionen und Weiterentwicklungen der letzten Jahre das Konzept des »revolutionären Antifaschismus« über Bord geworfen.

Antifaschistische Politik, also der Kampf gegen Neonazis und reaktionäre Tendenzen in der Gesellschaft, wird nicht länger revolutionär aufgeladen, und als Ticket für eine linksradikale, über die bestehenden Verhältnisse hinaus weisende Perspektive missverstanden. Stattdessen wird antifaschistische Intervention als das begriffen was sie sein sollte: Notwendige Vorarbeit für revolutionäre Politik, unverzichtbar schon allein um die Bedingungen für deren Möglichkeit aufrecht zu erhalten.2

Konsequenz dieser wichtigen Erkenntnisse ist eine Schwerpunkt-Verschiebung in politischer Arbeit und in dem Selbstverständnis von Antifa-Gruppen, eine kapitalismus- und gesellschaftskritische Grundhaltung rückt wieder in den Fokus. Der revolutionäre Gehalt von Politik misst sich nicht länger vor allem am militantem Habitus der Antifa-Gruppen. Theorie-Arbeit und Diskussionen um Bündnispolitik im Rahmen sozialer Kämpfe gewinnen an Bedeutung. Einige Gruppen verzichten seither jedoch völlig auf Anti-Neonazi-Arbeit, und schießen somit über das Ziel hinaus. Diese gilt ihnen per se als überholt und wird nur noch als Aufgabe bürgerlicher Bündnisse begriffen. Solange Neonazis und andere Rechte aber eine handfeste Bedrohung für Menschen darstellen, solange reaktionäre bis faschistische Antworten auf gesellschaftliche Konflikte existieren, solange ist ein konsequenter Antifaschismus nicht aus linksradikaler Praxis wegzudenken. Zudem müssen bisher wenig beachtete reaktionäre Bewegungen wie der Islamismus mehr ins Blickfeld rücken.3

Die Abkehr von klassischen Aktionsfeldern und Politikkonzepten blieb für die Organisationsstruktur der Gruppen nicht folgenlos. Statt vorrangig klandestin organisierten Kleingruppen, die den Schutz vor Neonazis und staatlicher Repression als Grundbestandteil ihrer Organisationsform verstanden, gründen sich nun verstärkt offene Gruppen, die für Interessierte leicht zugänglich sind. Sicherheitskriterien bei der Aufnahme neuer Mitglieder werden hierbei jedoch aufgeweicht, die organisierten Antifa-Strukturen also offener und leichter zugänglich, auch für staatliche Spitzel von

Staat und Anti-Antifa-Akteure.

Linksradikale Strukturen befinden sich also im Spannungsfeld zwischen notwendigem Schutz vor politischen und staatlichen Gegnern einerseits, und der Offenheit gegenüber potentiellen Mitstreiter_innen andererseits. Eine mögliche Antwort darauf sind angeleitete Jugendantifa-Gruppen, in denen junge Antifaschist_innen erste Erfahrungen mit und in organisierten Strukturen sammeln, und zudem ein Bewusstsein für die notwendige Sicherheit entwickeln können.

Was bleibt?

Bei all den beschriebenen Problemen kann es nicht darum gehen, die strategischen und konzeptionellen Entwicklungen der letzten Jahre zu kassieren, und somit eine Rolle rückwärts zu vollziehen. Positionen, die ein zurück zur Antifa-Bewegung der 1980er fordern und das Konzept des »revolutionären Antifaschismus« nach wie vor für richtig erachten, halten wir für antiquiert, und vor allem für falsch. Diese Ansätze bieten weder inhaltlich noch strategisch eine Perspektive für die Entwicklungen der radikalen Linken. In diesem Sinne geht es darum, das Problembewusstsein bezüglich Sicherheit wieder zu schärfen, ohne hinter beschriebene Fortschritte zurück zufallen. Sozialisierungsprozesse, Sicherheits-Konzepte und Anti-Neonazi-Arbeit sind notwendiger Bestandteil linksradikaler, antifaschistischer Zusammenhänge. Diese alten Erkenntnisse müssen sich ebenso in den Organisationsformen heutiger Antifa-Gruppen niederschlagen wie die beschriebenen inhaltlichen Weiterentwicklungen.