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Neu aufgelegt - Die Light-Variante der Extremismusklausel

Einleitung

Per E-Mail an alle »Zuwendungsempfänger« und mit dürren Worten gestand das Bundesfamilienministerium am 14. September 2012 eine Teilniederlage in der Auseinandersetzung um die so genannte »Extremismus­klausel« ein. 

Foto: PM Cheung

Das Ministerium habe ein »großes Interesse daran«  mit den Zuwendungsempfängern der Bundesprogramme »TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN« und »Initiative Demokratie Stärken« weiterhin »vertrauensvoll zusammen zu arbeiten«. Daher bleibe »ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung« in den Bundesprogrammen, die sich mit den »Feinden der Demokratie« auseinandersetzten, selbstverständlich. Verschämt wurde dann hinzugefügt: Um mehr Rechtssicherheit zu schaffen, hätten das Bundesfamilien- und das Bundesinnenministerium die euphemistisch »Demokratieerklärung« genannte Zwangsklausel »überarbeitet und präzisiert«.  Ab sofort müssen die Projekte in den Programmbereichen »Rechtsextremismus, islamischer Extre­mismus und Linksextremismus« folgen­de Erklärung unterschreiben, wenn es nach dem Willen der Ministerien geht: »Hiermit bestätigen wir, dass wir  uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Wir werden keine Personen oder Organisationen mit der inhaltlichen Mitwirkung an der Durchführung des Projekts beauftragen, von denen uns bekannt ist oder bei denen wir damit rechnen, dass sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grund­ordnung betätigen.«

Minimale Fortschritte

Hintergrund dieses ungewohnt öffentlichen Rückzugsgefechts ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden vom 22. Juni 2012. Die 1. Kammer dieses Gerichts hatte die Extremismusklausel des Bundes für komplett rechtswidrig erklärt. Geklagt hatte das mehrfach preisgekrönte Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AKuBiz e.V.) aus Pirna. Denn seit Oktober 2010 müssen alle Projekte, Vereine und Initiativen, die Bundesförderung erhalten, die so genannte »Demokratieerklärung« unterschreiben, um staatliche Fördergelder beziehen zu können. Dabei müssen sich die Initiativen nicht nur selbst zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sondern auch für die Verfassungstreue ihrer Kooperationspartner_innen bürgen. Wer nicht unterschreibt, erhält kein Geld und macht sich aus Sicht der Regierungskoalition politisch verdächtig. In Sachsen muss sich zudem auch jede_r einzelne Kooperationspartner_in einer Initiative gegen Neonazis schriftlich zum Grundgesetz bekennen. Konkret bedeutet das, dass die betroffenen Initiativen seit zwei Jahren permanent mit Kontrolle, Misstrauen und der schleichenden Verstaatlichung zivilgesellschaftlicher Aufgaben konfrontiert sind.

Schon im Oktober 2011 kam der Wissenschaftliche Dienst des Sächsischen Landtages in seinem Gutachten zur Extremismusklausel zu dem Schluss, dass sowohl im Hinblick auf »negative Meinungsfreiheit« wie auch auf die Geeignetheit zur Förderung demokratischer Kultur »verfassungsrechtliche Bedenken« bestünden. Zudem wies das Gutachten auf die Gefahr hin, »dass sich Bürger zur Abgabe des Bekenntnisses gedrängt fühlen und von gemeinwohlorientierter Arbeit eher entfernen.« Das Gutachten kam schließlich zu der Schlussfolgerung, »dass durch das Verlangen nach Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (...) in nicht gerechtfertigter Weise in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingegriffen wird.« Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages nannte die Forderung nach einem solchen Bekenntnis im Januar 2011 »verfassungsrechtlich fragwürdig«. Der Staatsrechtler  Prof. Ulrich Battis hielt in einem Gutachten bereits 2010 fest: »Der zweite und dritte Satz der Bestätigungsklausel stellen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Bestimmtheitsgebot dar und sind daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.« Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte zudem auch vor den Konsequenzen der Klausel gewarnt. »In einem Klima des Misstrauens und der gegenseitigen Gesinnungsüberprüfung dürfte sich das Erleben von demokratischer Teilhabe kaum organisieren lassen.«

Das Ziel: Vollständige Abschaffung der Extremismusklausel

Angesichts des zähen Festhaltens des Bundesfamilienministeriums und seiner Ministerin an dem tief in der Totalitarismustheorie verhafteten Projekt der absolutistischen Kontrolle von potenziell widerspenstigen Initiativen, waren die Betroffenen nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden im Sommer 2012 denn auch eher verhalten skeptisch, dass am Ende der juristischen Auseinandersetzung eine Abschaffung der Klausel stehen würde – zumal der beklagte Landkreis Sächsische Schweiz Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt hatte Entsprechend eindeutig reagierten Projekte und Initiativen nun auf die »Light-Variante« der Extremismusklausel. Beispielsweise erklärten die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD) und die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAGKR): Mit großer Genugtuung stellen wir fest, dass der von der Zivilgesellschaft beschrittene Weg erfolgreich war. Das Bundesfamilienministerium musste aufgrund des 18 Monate währenden politischen Drucks zahlloser Initiativen die Extremismusklausel verändern und den als ›Bespitzelungsparagraphen‹ bezeichneten Passus streichen. Diese Entwicklung zeigt, dass die Zivilgesellschaft auch unter hoher Belastung solidarisch zusammen steht«; wobei es bedauerlich sei, dass erst der juristische Weg die Bundesregierung zum Einlenken gezwungen habe. Bei aller Freude über die aktuelle Entwick­lung weisen die beiden Bundesverbände aber darauf hin, dass mit dieser Entscheidung erst die halbe Wegstrecke absolviert sei: »Das nach wie vor geforderte Bekenntnis zur freiheit­lich-demokratischen Grundordnung (FDGO) zeugt weiterhin von einem tiefen Misstrauen des Bundesfamilienministeriums gegenüber zivilgesellschaftlichen Initiativen. Überdies ist das Bekenntnis in seiner einseitigen Fixierung auf den Staat als alleinigen Maßstab unzureichend und muss im Sinne einer starken Demokratie als untaugliches Instrument abgelehnt werden. Wir fordern nach wie vor eine komplette Streichung der Extremismusklausel – zumal in Zeiten, in denen staatliches Fehlverhalten und Versagen von Behörden in Bund und Ländern im Zusammenhang mit dem NSU unübersehbar sind.«

Das geplante Steuerrecht: Drohender Gesinnungs-TÜV durch Geheimdienste

Gleichzeitig verweisen die Initiativen und Projekte darauf, dass die geplante Änderung des Steuerrechts als eine neue, gefährliche Hintertür, den Geheimdiensten auf anderem Weg erneut die Kompetenz zuzuschreiben, die ihnen in der überarbeiteten Extremismus­klausel erst in zweiter Instanz zugesprochen wird. Nämlich die Entscheidung über die Förderungswürdigkeit und vermeintliche Verfassungskonformität eines Vereins. Die Geheimdienste seien mitverantwortlich dafür, dass das Neonaziterrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) in einer beispiellosen rassistischen Mord- und Anschlagsserie zehn Menschen ermorden und zwei Dutzend Menschen schwer verletzen konnte. Es sei »ein Schlag ins Gesicht aller, die sich tagtäglich gegen Rassismus und Neonazis zur Wehr setzen müssen, wenn diese Organe nun darüber entscheiden sollen, wer gemeinnützig ist und wer nicht. Eine logische Konsequenz aus den Skandalen rings um den NSU muss sein, die Kompetenzen und Aufgaben der Verfassungsschutzämter radikal zu beschneiden,« forderten die beiden Bundesverbände denn auch vor dem Aktionstag am 26. September 2012.