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Neonazis, Lügen und Videos

Einleitung

Auch nach dem Brandanschlag ist in Zossen der Groschen nicht gefallen

Dass das »Haus der Demokratie« in Zossen in einer schäbigen Holzbaracke untergebracht war, könnte für diesen Ort nicht sinnfälliger sein. Dass diese in der Nacht zum 23. Januar 2010 einem Brandanschlag von Neonazis zum Opfer fiel, passt ins Bild.

Zossen ist eine jener brandenburgischen Kleinstädte, für die das Wort Tristesse noch eine freundliche Beschreibung des trostlosen Alltag darstellt. Zum Jahreswechsel 2009/2010 kam es dort mehrfach zu Hakenkreuzschmierereien, gezielten Sachbeschädigungen und Morddrohungen gegen engagierte Einzelpersonen. Bei einem Anschlag Ende Januar brannte das »Haus der Demokratie« komplett nieder (vgl. AIB 86). Obwohl mehrere Täter ermittelt werden konnten, halten örtliche Neonazis nicht die Füße still, sondern setzen auf  den Rückzug in die Parteistrukturen der NPD.

Das Brandenburger LKA hatte die Brandstiftung schnell aufgeklärt: Binnen weniger Tage war der damals 16-jährige Daniel S. als Haupttäter ermittelt worden und gestand. Er sei in der Szene jedoch nur ein Mitläufer, der sich mit der Tat habe profilieren wollen, hieß es. Deswegen suchte man nach möglichen Anstiftern und wurde unter anderem bei den beiden maßgeblichen Protagonisten der Neonaziszene in Zossen, Daniel Teich und Christoph Sch., sowie bei Julian B. aus Berlin-Rudow fündig, der enge Kontakte zu den Beiden pflegt und bereits 2008 nach rassistischen Brandanschlägen ins Visier der Polizei geriet.1

Einem Ermittlungsansatz zufolge zeichnen die Neonazis um Teich und Sch. für die meisten Taten in Zossen verantwortlich. Ganz offen gibt Teich zu, im Juli 2009 das Wohnhaus des Sprechers der lokalen Bürgerinitiative »Zossen zeigt Gesicht« besprüht und ihm im August sogar mit Mord gedroht zu haben.2 Zudem war er dabei als, kurz nach der Eröffnung, in das »Haus der Demokratie« eingebrochen, das Inventar verwüstet und ein Feuerlöscher entleert wurde.

Freie Kräfte machen mobil                

Bis dato gehörten die Zossener Neonazis zu den »Freien Kräften Teltow-Fläming« (FKTF). Der Name dient dabei vor allem als Überbau für örtliche, in losen Cliquen organisierte Neonazis in einzelnen Schwerpunktregionen des Landkreises, wie eben Zossen, aber auch Ludwigsfelde und Blankenfelde. Antifaschist_innen erkannten schnell, dass der kreisweite Anspruch, den der Name suggerieren soll, real nicht erfüllt werden kann. Es wird von einem Mobilisierungspotenzial von insgesamt rund 50 Personen ausgegangen.

Zuletzt wurden im Februar sechs Mitglieder der FKTF, unter ihnen Teich, wegen »Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole« verurteilt. Sie hatten im Mai 2009 auf einem Flugblatt  die BRD als »erbärmlich feigen Staat« bezeichnet. Intern geriet der Zossener Zusammenschluss seit September 2009 zunehmend in die Kritik, weil sie gegen andere Abmachungen eigenmächtig einen misslungenen Aufmarsch von »gerade einmal 20 eher Minder- denn Volljährigen«3 aus Zossen und Umgebung organisiert hatten. Unter den Teilnehmenden befand sich auch Julian B.

Zossen zeigt Gesicht

Gegen den Aufzug protestierten damals mehrere hundert Antifaschist_innen, Anwohner_innen und Mitglieder der Bürgerinitiative »Zossen zeigt Gesicht«. Eine Selbstverständlichkeit war das nicht, denn besonders sensibel war man vor Ort beim Umgang mit Neonazis in der Vergangenheit nicht gewesen. Das änderte sich erst im November 2008 schlagartig, als der damals bereits überregional bekannte »Reichsbürger« Rainer Link für einen Eklat sorgte. Als vor seinem Internetcafé in der Berliner Straße »Stolpersteine« für während der Nazizeit ermordete jüdische Bürger_innen verlegt werden sollten, forderte der Neu-Zossener deren Entfernung und griff einen Anwesenden sogar tätlich an.4

Der Vorfall offenbarte der Gemeinde erst, wer da eigentlich seit 2006 in bester Innenstadtlage unter ihnen weilte. Damals gründeten beherzte Zossener_innen die Initiative »Zossen zeigt Gesicht«.

Zossener Verhältnisse

Offen antisemitische Hetze gegen die »Schuldkultsteine«5 bis hin zur Schmähung: »Wenn ich gewusst hätte, dass in dem Haus jemals Juden gewohnt haben, hätte ich das Objekt nie gekauft«6 , führten dazu, dass sich die örtliche Kameradschaft der »Freien Kräfte« hinter Link sammelte. Seitdem war Zossen Schwerpunktregion der Szene. Einzelne Neonazis konnten sogar bei Link im Internetcafé arbeiten. Zudem wurden Treffen mit VertreterInnen der örtlichen DVU und Horst Mahler im Laden beobachtet.

Dennoch kam es im folgenden Jahr bereits zum Zerwürfnis, an dessen Ende der Selbstmord Links stand. Seine Angestellten fanden nach eigenen Angaben kinderpornografisches Material auf seinen Rechnern, welche wenig später bei einem Einbruch verschwanden. Die Polizei stieß nach Razzien bei Sch., Teich und anderen wegen der bereits erwähnten Flugblätter eher zufällig auf diese Dateien. Es hieß: »Mehrere Bilder [zeigten] L. gemeinsam mit Kindern in einer Weise (…), dass die Fahnder einen Anfangsverdacht wegen Kindesmissbrauchs erkannten«.7 Es folgten Ermittlungen gegen Link. Am 30. November 2009 fand man ihn samt Abschiedsbrief und mehreren leeren Tablettendosen tot in seiner Wohnung. Doch mit seinem Selbstmord spitzte sich die Auseinandersetzung erst richtig zu: Auf dem neonazistischen Internetportal »Altermedia« bekannten sich die Computer-Diebe zu ihrer Tat mit der Begründung, die Rechnerdaten erst auswerten und sichern und »dann anonym der Polizei zukommen«8 lassen zu wollen. Diese Motive überzeugten jedoch nicht alle Anhänger Links, die dahinter wahlweise staatliche Verschwörung oder »Kameradenverrat« witterten.

Doch selbst nach diesen Vorkommnissen und dem Brandanschlag, ging es munter weiter: Bei einer Gedenkkundgebung zur Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 2010 auf dem Zossener Marktplatz, erschienen Teich, Sch. und B. mit rund 15 Gleichgesinnten, um durch »Lüge«-Rufe, Trillerpfeifen und einem Hitlergruß die Anwesenden zu provozieren. Die massiv präsente Polizei schritt nicht ein, eine polizeiliche Videoaufnahme der Aktion war im nachhinein plötzlich gelöscht. Anwesende mussten erst bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten, damit gegen die Neonazis und letztlich auch die Polizisten »unter dem Aspekt der Strafvereitelung im Amt« ermittelt wurde.9 Seither gibt es eine Sonderkommission des LKA zur Aufklärung der Zossener Vorfälle.

Neuerdings lässt sich in der Neonaziszene eine Entwicklung beobachten, wie sie nicht zum erste Mal angesichts von Repression vollzogen wird: Immer häufiger wird in Zossen unter dem Label der NPD agiert. Obwohl bereits vor dem Brandanschlag NPD-Wahlkampf und ähnliches in der Region ausschließlich von »Freien Kräften« oder auswärtigen Kameraden getragen wurde, da Parteistrukturen de facto nicht existierten. Nun wird versucht, das Potential im Landskreis zu einem NPD-Kreisverband zusammenzufassen. Veranstaltungen, die vorher unter dem FKTF-Label (neuerdings auch »Nationale Sozialisten Zossen«) stattfanden, laufen jetzt unter dem der NPD.

Die Lokalpolitik verkennt die Problemlage bis heute konsequent. Die Zossener Bürgermeisterin Michaela Schreiber von der kommunalen Listenvereinigung »Plan B« etwa, kritisiert die Bürgerinitiative als zu »linkslastig«10 und warnt nach Neonaziaktionen vor »Links- und Rechtsextremisten«. Obwohl dieses Verhalten durch den Brandanschlag auch bundesweit wahrgenommen und kritisiert wurde, hält sie an ihrer Linie fest und ist sich dabei der Unterstützung lokaler Parteigliederungen sicher. Antifaschist_innen sehen sich daher nicht nur mit sich verfestigenden Neonazistrukturen in Zossen konfrontiert, sondern auch mit einem politischen Klima, das ihr Engagement eher kriminalisiert als unterstützt.