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Nazis rein!

Einleitung

In Mecklenburg-Vorpommern votierten am 17. September 2006 rund sechzigtausend Menschen für eine Neonazi-Filiale im Schweriner Schloss. Die NPD ist jetzt mit einer zweiten Fraktion in einem bundesdeutschen Landtag vertreten.

Der NPD-Abgeordnete Udo Pastörs am 1. Mai 2006 beim Wahlkampfauftakt in Rostock

Überall Stimmen gewonnen
Das Endergebnis von 7,3 Prozent ermöglicht es der NPD sechs Abgeordnete für die nächsten fünf Jahre in den Landtag zu entsenden. Die Aufrufe von verschiedenen Seiten am 17. September quasi nur aus »antifaschistischen« Motiven wählen zu gehen, hatten allenfalls kosmetische Effekte. Selbst bei einer höheren Wahlbeteiligung hätte die NPD den Einzug in das Schweriner Landesparlament geschafft. Nur in drei von 36 Wahlkreisen blieb die Partei unter der 5 Prozent-Marke. 

Landesweit konnte die NPD im Vergleich zu vorherigen Wahlen massiv Stimmen hinzugewinnen. Spitzenreiter waren erwartungsgemäß die Landkreise Ostvorpommern und Uecker-Randow mit rund 13 Prozent und 15 Prozent Stimmenanteil. Gefolgt von den Landkreisen Demmin, Ludwiglust und Mecklenburg-Strelitz. Örtliche Wahlergebnisse von über 20 Prozent waren keine Seltenheit.

Die DVU trat vereinbarungsgemäß in Mecklenburg-Vorpommern nicht an und auch sonst fehlte die Konkurrenz von ganz rechts. Die Republikaner verzichteten mangels Personal auf einen Wahlantritt im Norden und die Splitterpartei »Deutschland« war von vornherein chancenlos.

Einzige »Opposition«

Der Wahlkampf der NPD war in vielen Punkten eine professionalisierte Neuauflage der sächsischen Strategie von 2004. Neu war der Antritt von Direktkandidaten in allen Wahlkreisen –so konnte die Partei erstmals flächendeckend auch um die Erststimmen werben. Unter diesen Kandidaten, wie etwa Thomas Wulff und Andreas Theissen, befand sich im übrigen nur eine einzige Kandidatin. Welche Rolle  rechten Frauen ansonsten in der Partei spielen, machte der künftige Fraktionschef Udo Pastörs in seiner ersten Rede nach dem Wahlerfolg deutlich, als er Ihnen für die »Bewirtung« und das »Wäsche waschen« in der Wahlkampfzeit dankte. In Sachsen profitierten die Neonazis zum Teil von der Anti-Hartz IV Welle.

Die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern  zeigten, dass es nicht unbedingt eines bundesweiten Reizthemas bedarf, um das rechte WählerInnenpotential zu aktivieren. Weil fast alle anderen Parteien in irgendeiner Form auf Bundes- und Landesebene an Regierungen beteiligt sind, gerierte sich die NPD vorrangig als einzige Oppositionspartei. »Wehrt Euch!« und »Den Bonzen auf die Finger hauen« – mit derartigen Plakaten tapezierten zum Teil bewaffnete Neonazicliquen jede Stadt und jedes noch so kleine Dorf im Nordosten. Der Materialschlacht hatten andere Parteien vielerorts nichts mehr entgegenzusetzen.

Die NPD verzichtete weitestgehend auf Aufmärsche und konzentrierte sich auf die gezielte Ansprache von Wählern und Wählerinnen. Viele kleine Kundgebungen und Infotische, Volksmusik, Gespräche am Gartenzaun sowie Zeitungen und Flugblätter mit einer Auflage im siebenstelligen Bereich. Von einer Protestwahl kann allerdings nicht die Rede sein. Dass die NPD eine Neonazipartei ist, wissen ihre WählerInnen und so wurde sie auch nicht trotz, sondern auch wegen rassistischer, antisemitischer und nationalsozialistischer Parolen gewählt. In etlichen Regionen gehören extrem rechte Einstellungen und Organisationen zum normalen politischen Meinungsspektrum. Das sächsische Landtagsmitglied Jürgen Gansel beschreibt das als eine »völkische Graswurzelrevolution«.

... if the nazis are united, they will never be divided?

Als am Wahlsonntag um 18.00 Uhr die Prognosen den Einzug in den Schweriner Landtag versprachen, fallen sich Spitzenkandidat Udo Pastörs, Wahlkampfleiter Holger Apfel und der Rest des sächsischen Supports jubelnd in der Arme. Am Rande stehen die Vertreter der Neonazi-Kameradschaften, deutlich weniger euphorisch,  in dem extra für die TV-Kameras angemieteten Hotelzimmer. Dem Ueckermünder Maurer Tino Müller von Listenplatz 2 ist sein Unbehagen ob dieses Auftritts der NPD-Funktionäre und des Medienrummels deutlich anzusehen. Diese Mischung aus Unsicherheit und Abscheu strahlen auch seine Begleiter aus – neben Müllers Bruder, dem »Heimatbund Pommern«-Aktivisten Marco M., sind auch der Chef des Salchower Neonazizentrums Alexander Wendt und der Sprecher des Kameradschaftsnetzwerks »Soziales und Nationales Bündnis Pommern« (SNBP) Michael Gielnik mit nach Schwerin gekommen.

Auch wenn die Bundes-NPD nach eigenen Angaben 400.000 Euro und reichlich Personal in den Wahlkampf investiert hat – ohne die »Freien Nationalisten« wäre der erfolgreiche Antritt der Partei wohl kaum möglich geworden (siehe AIB 71 »Braun-Braune Fusion oder feindliche Übernahme?«). Die spürbare Distanz der Kameradschaften zu den NPDlern wie Udo Voigt und Holger Apfel ist noch kein Indiz für ein Scheitern des Zweckbündnisses in Mecklenburg-Vorpommern. Die hiesigen Parteikader werden sich mit den Neonazigruppen arrangieren müssen. Die besten Ergebnisse für die Partei wurden in der Hochburgen die Neonazi-Netzwerke eingefahren und stärken Müller und Co. den Rücken.  Der Parteistratege Peter Marx und der aus Greifswald stammende JN-Chef Mathias Rochow, beide werden aus Sachsen nach Schwerin wechseln, haben Erfahrungen im Umgang mit Kameradschaften.

... und morgen die ganze Republik

Sollte es bei der Zusammenarbeit in Zukunft doch Probleme geben, ist immer noch ein »Nebeneinander« denkbar. Denn die durch den Wahlerfolg geschaffenen Ressourcen, wollen weder NPD noch Kameradschaften aufs Spiel setzen. Mit Abgeordnetendiäten, Parteienfinanzierung und Fraktionsgeldern erhält der Landesverband nach Informationen der Ostseezeitung in den nächsten fünf Jahren rund 4,5 Millionen Euro aus der Staatskasse. Die Partei wird damit eine weitere Stärkung und Verankerung rechter Strukturen vorantreiben.

Die sechs Abgeordneten Udo Pastörs, Tino Müller, Michael Andrejewski, Stefan Köster, Birger Lüssow und Raimund Borrmann wollen in ihren Wahlkreisen Bürgerbüros eröffnen. Etliche weitere Kader, wie der Aktivist der »Mecklenburgischen Aktionsfront« David Petereit, werden als Mitarbeiter im wahrsten Sinne zu »Berufsneonazis«. Nicht zu unterschätzen ist auch der Motivationsschub den der Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Berlin und Niedersachsen auslöst. Regional wollen Neonazis um weitere kommunale Mandate kämpfen. Die Bundesführung träumt bereits vom Einzug in die Landtage von Bayern und Hessen – und 2009 in den »Reichstag«.

Hart, aber ist so ...

Für die wenigen AntifaschistInnen in Mecklenburg-Vorpommern war das Abschneiden der NPD vorhersehbar. Das Ergebnis entspricht den Realitäten im Bundesland. Dennoch versuchten mehrere Gruppen mit der Kampagne »Keine Stimme den Nazis!« den Wahlkampf für antifaschistische Interventionen zu nutzen. Mit mehreren Demonstrationen, Infotischen, Konzerten, Stören von NPD-Ständen, Flugblattaktionen und dem Briefing von JournalistInnen machte sie auf lokale Neonazistrukturen aufmerksam und thematisierte deren Verankerung in der Bevölkerung. Als unabhängige Initiative rief die Kampagne nicht zur Wahl auf und kritisierte stattdessen die Rolle der Parteien beim jahrelangen Ignorieren und Runterspielen des rechten Organisierungsgrades in MV.

Trotz des NPD-Ergebnisses sehen UnterstützerInnen die Kampagne als sinnvoll an. Die Aktivierung und Vernetzung von linken Gruppen war ein wichtiges Ergebnis der letzten Monate. Ungeachtet dessen bleibt die Feststellung, dass die Neonazis im Kampf um Köpfe, Straßen und Parlamente weitere Erfolge erzielen. Das wiederholte Palaver um »Entzauberung« und »Verbot« der NPD in der Politik illustriert erneut, dass sich ihnen zumindest im ländlichen Raum Ostdeutschlands niemand ernsthaft in der Weg stellt.