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Nazi-Gedenken ohne Ende – Tag(e) der Ehre in Budapest

Einleitung

Seit Ende der 1990er Jahre versammeln sich jährlich im Februar Neonazis in der ungarischen Hauptstadt, um dem Ausbruchsversuch deutscher und ungarischer Soldaten aus der von der Roten Armee belagerten Stadt in 1945 zu gedenken. Das unter dem Namen „Tag der Ehre“ bekannte Neonazi-Event ähnelt heute eher einer „Gedenkwoche“, bei der den international angereisten Teilnehmenden RechtsRock, NS-Folklore und Leistungssport geboten wird.

Bild: Pixel-Archiv

Eine Delegation der Partei „Die Rechte“ aus Dortmund vor dem Soldatendenkmal im Városmajor-Park. An der Flagge: 1.v.l. Michael Brück, 2.v.l. Matthias Deyda und 1.v.r. Markus Walter.

Budapester 2. Sturmkompanie - Hier! 8. SS-Kavallerie-Division ‚Florian Geyer‘ – Hier! (...)“. Es folgen die Namen weiterer deutscher und ungarischer Truppenverbände, vorgetragen im tiefsten, sächsischen Dialekt. Es ist der 8. Februar 2019. Bis zu 30 deutsche Neonazis sammeln sich in der Nähe von Szomor, um unter Trommelschlägen durch die Nacht zu einem Gedenkstein zu ziehen, den sie laut eigener Aussage vor einigen Jahren dort errichtet haben. Dieses „Heldengedenken“ fand konspirativ, außerhalb der offiziellen Aufmärsche statt. Gefilmt wurde es jedoch von Nikolai Nerling, der mit seinem YouTube-Format „Der Volkslehrer“ seit einigen Jahren u.a. Neonazi-Events begleitet und propagandistisch aufarbeitet.

Ein straffes Programm

Glorifizierungen wie in dieser Nacht im Umland von Budapest reihten sich in diesem Jahr in das mehr oder minder öffentliche Programm des „Becsület Napja“, dem sog. „Tag der Ehre“ ein. Eingeleitet wurde das Neonazi-Event am 7. Februar mit einer „Willkommensparty”. Traten dort in den letzten Jahren u.a. deutsche Liedermacher wie Tobias Winter als „Bienenmann“, Andreas Schmidt als „Rommel“ oder Philipp Neumann als „Phil von Flak“ auf, konnte in diesem Jahr David Allan Surette alias „Griffin” für den Auftakt gewonnen werden. Der in Berlin lebende Kanadier gehört der rocker-ähnlichen Neonazi-Gruppierung „Vandalen – ariogermanische Kampfgemeinschaft” an und wirkt aktuell bei der Band „Sons of Odin”. Diese ist auch für das kommende „Schild & Schwert”-Festival im Juni 2019 in Ostritz als „Skrewdriver” angekündigt und besteht aus Musikern diverser ungarischer RechtsRock-Bands.

Die Nähe deutscher Neonazis zur extremen Rechten in Ungarn und die Anziehungskraft des „Tages der Ehre” dürfte also auch der gemeinsam sich austauschenden Musikszene um das „Blood & Honour“ (B&H)-Netzwerk geschuldet sein. Nach der „Willkommensparty” folgte am 8. Februar neben der konspirativen Gedenkveranstaltung deutscher Neonazis gleich das nächste RechtsRock-Konzert, u.a. mit Surettes „Sons of Odin”.

Verwirrung und Inszenierung

Unklar war bis Freitagabend, wo die Aufmärsche am Samstag stattfinden werden. Nach Medienangaben wurde der von „B&H Hungaria” angekündigte Aufmarsch am Kapisztrán Platz auf der Burganlage verboten. Damit sollte erschwert werden, dass zentrale Orte und Denkmäler in Beschlag genommen werden. Bilder wie in 2007 (siehe AIB Nr. 75: „NS-Kult in Budapest”), wo bis zu 1.000 Neonazis auf dem „Heldenplatz” aufmarschierten, möchte man von staatlicher Seite vermeiden. Nicht weil das Gedenken an die „Schlacht um Budapest” unerwünscht sei, sondern weil der Staat seine eigenen Inszenierungen gestört sieht. Kaum ein Kriegsdenkmal ist an diesem Datum nicht mit Kränzen oder Flaggen geschmückt.

Extrem rechte Versammlungen zum „Heldengedenken” fanden trotz aller Repression jährlich statt. Mal außerhalb der Stadt auf privatem Gelände oder wie 2018 am Kapisztrán Platz. Die dort in diesem Jahr nicht genehmigte Gedenkfeier wurde stattdessen geheim in einem angemieteten Saal ausgetragen. Hauptsächlich von „Blood & Honour Hungaria”-AktivistInnen initiert, waren dort Redner aus Frankreich und Tschechien angekündigt. Ein Redner aus Ungarn endete mit den Worten „Es lebe Ungarn, es lebe das weiße Europa, es lebe die weiße Rasse.

Etwa zur selben Zeit verkündete das extrem rechte Bündnis „Festung Budapest” den Treffpunkt für ihr „Heldengedenken”. Zentral gelegen, im Városmajor-Park, konnten dabei der ungarische Ableger der „Hammerskins” sowie die seit Sommer 2018 bestehende Organisation „Légió Hungária” als (Mit)-OrganisatorInnen ausgemacht werden. Vom Sammelpunkt zogen die Teilnehmenden in Dreier-Reihen bis vor ein Soldatendenkmal, an dem das „Gedenken” schon 2017 ausgerichtet wurde. Der Zug setzte sich dabei aus rund 450 VertreterInnen diverser Organisationen aus Ungarn, Polen, Russland, der Ukraine, Norwegen, Schweden, Italien, Bulgarien, der Schweiz und Deutschland zusammen. Wie bei vergangenen Aufmärschen stellten die Deutschen den größten Anteil der aus dem Ausland angereisten Teilnehmenden, unter ihnen Neonazi-Aktivisten aus dem Raum Rostock, Mitglieder der „Hammerskins” aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, sowie eine Delegation der Dortmunder Neonazi-Partei „Die Rechte”.

Stellvertretend für diese verlas Matthias Deyda eine Rede, deren antisemitischer und NS-verherrlichender Inhalt in Deutschland sicher strafbar gewesen wäre. Gergely „Geri“ Csirke - führender „Hammerskin“, Aushängeschild der „Légió Hungária” und Sänger der RechtsRock-­Band „Vérszerzödés” - übersetzte die Reden ins Ungarische. Neben Deyda ergriff auch Simon Lindberg von der skandinavischen Gruppe „Nordic Resistance Movement” das Wort und die ungarische Neonazi-Band „Romantikus Eröszak” um Sänger Sziva Balázs spielte ein Akustik-Set. Abschließend legten die Delegationen, begleitet von dem in Endlosschleife abgespielten Soldatenlied „Der gute Kamerad“, Kränze nieder und zeigten teils den militärischen Gruß.

Seilschaften seit den 1990er Jahren

Bereits 1998 pilgerten bis zu 120 deutsche Neonazis zum „Tag der Ehre“ nach Ungarn. Zeitnah entstand auch der Zusammenschluss „Deutsch-Ungarische Freundschaft”, deren Vertreter Illés „Elek” Zsolt nach Deutschland vor allem Kontakte nach Bayern aufbaute und bis heute pflegt. Zsolt, Führungsperson von „Blood & Honour Hungaria”, bewegte sich in Franken hauptsächlich im Netzwerk der 2014 verbotenen Kameradschaft „Freies Netz Süd” (FNS) und trat in den letzten Jahren bei Veranstaltungen der Partei „Der III. Weg” auf. Diese gilt als Auffangbecken für zahlreiche AktivistInnen des FNS. Neben Zsolt avancierte Milán Széth zu einem Bindeglied zwischen Neonazis um die Partei „Der III. Weg” und der extremen Rechten in Ungarn. Er sprach schon 2009 auf dem Neonazi-Festival „Fest der Völker” in Pößneck und war Redner auf Aufmärschen von „Der III. Weg” in Gera 2017 und in Chemnitz 2018.

In Hinblick auf diese langjährigen, politischen Zusammenhänge war die Abwesenheit deutscher Neonazis um „Der III. Weg” auf dem diesjährigen Gedenken im Városmajor-Park nicht öffentlich nachvollziehbar. Bekannt ist jedoch, dass die ungarische Szene nicht frei von Konflikten ist. Eine Dokumentation ihres Aufenthalts in Budapest folgte seitens der Kleinstpartei „Der III. Weg“ dennoch. Neben Treffen mit AktivistInnen des „Nordic Resistance Move­ment” wurden bekannte Denkmäler besucht und mit Grabkerzen der Partei versehen – etwa auf dem Kapisztrán Platz, Stunden vor dem offiziellen „Heldengedenken”.

Gewaltmarsch

Trotz der Spannungen innerhalb der ungarischen Neonazi-Szene fand man sich nach dem „Heldengedenken“ auf dem Kapisztrán Platz für den „Ausbruch 60-Gedenkmarsch” ein, der seit 2009 durchgeführt wird und u.a. von „Blood & Honour Hungaria” unterstützt wird. In unmittelbarer Nähe zur Touristen-Attraktion Fischerbastei zogen, teils mit Uniformen der Waffen-SS bekleidet, immer wieder 20-köpfige Gruppen über den Burgberg zum Sammelplatz. Hier und da blitzten (vermutlich) Replikate von Sturmgewehren und Stilhandgranaten auf. SS-Abzeichen, Hakenkreuze und Ähnliches sind in Ungarn eigentlich verboten. Da der Marsch aber als eine historische Nachstellung des Ausbruchs angekündigt wird, dürften diese Symbole in eine legale Grauzone fallen. Diverse, von der „Aktionsgruppe Börzsöny” präsentierte Kriegsgeräte wie Wehrmachtsgespanne sollten zusätzlich für „Authentizität” sorgen.

Alternativprogramm

Dass sich deutsche Reisegruppen im Laufe des Tages aufteilten, war nicht selten. Schließlich kündigte des Bündnis „Festung Budapest” für den Abend des Marsches ein internationales RechtsRock-Konzert an. Der im Internet als „eine der wenigen Möglichkeiten des Jahres 2019” beworbene Auftritt der Dresdner Band „Blutzeugen” dürfte also ein weiterer Grund der deutschen Szene gewesen sein, nach Budapest zu reisen. Deren Bandmitglieder Michael Lorenz, Mario Rudolf und Riccardo Gutte nahmen schon am Nachmittag am „Heldengedenken“ im Városmajor-Park teil. Sänger Lazlo Klab stieß wohl erst am Abend im „Blue Hell Club“ dazu.