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Moskau: Aufmarsch der Braunen

N.N. (Moskau)
(Bild: mariano-mantel/CC BY-NC 2.0 Deed)
(Bild: Mariano Mantel/CC BY-NC 2.0 Deed)

(Symbolbild der Straße Arbat in Moskau)

Ein Brief aus Moskau:

Von dem Beschluß der Moskauer Faschisten, den 7. November 1998 als Jahrestag der Oktoberrevolution zu begehen, erfuhr ich aus dem Internet. Als Treffpunkt für die "Sturmleute" aus der "Nationalfront" wurde ein Platz auf dem Arbat zwischen dem Smolensker Supermarkt und dem Außenministerium bekanntgegeben. Unlängst wurde dieses Büro noch vom derzeitigen Premierminister Rußlands Jewgenij Primakow in Anspruch genommen, und heute versammeln sich hier die Neonazis und brüllen «Sieg Heil!«.

Die Demonstration der FaschistInnen war offiziell genehmigt worden. Ganz in der Nähe standen Milizionäre, die einen reibungslosen Ablauf gewährleisteten. 70 Leute, davon etwa 68 Männer und zwei Frauen, vorzugsweise in Schwarz gekleidet, mit Fahnen, die an Naziflaggen erinnerten, bewegten sich unter Paukenschlägen in einer Kolonne den Arbat entlang, die berühmte Moskauer Fußgängerzone. Aufschluß über ihre politischen Vorlieben gaben nicht nur einzelne Ausrufe wie »Der Nationalsozialismus wird siegen«, sondern auch das einträchtige Hochreißen der rechten Arme zum "Hitlergruß" mit der Parole »Sieg Heil!« und ihre politischen Forderungen: »Weg mit den Schwarzen! Weg mit den Teufeln!«, »Ausländer haut ab! Hier gehört alles den Russen

Unter den Versammelten fielen BeobachterInnen u.a. einer der Anführer der jungen Faschisten Konstantin Kasimovskij 1 und der Bandleader der Rockgruppe »Banda Tschetyrjoch« (»Die Viererbande«) und Dynamofan Ilja Malaschenkov ("Santim") auf.

An diesem naßkalten Tag waren nicht viele Leute auf dem Arbat, aber diese wenigen brachten keinerlei Protest oder Empörung angesichts dieser Ereignisse zum Ausdruck. Sei es, weil sie es nicht rechtzeitig schafften, auf die schnell vorbeimarschierende Kolonne in schwarzen Uniformen und Bomberjacken zu reagieren. Oder aber sie fühlten sich tatsächlich solidarisch mit dem General Makaschov2 . Die meisten Passantinnen zeigten jedenfalls Verwunderung, Neugier und offene Sympathie.

Die Neonazis waren sich ihrer Überlegenheit bewußt und berauschten sich daran. »Heute haben sich auf den Straßen ganz in der Nähe viele Leute unter roten Fahnen versammelt. Achtet nicht auf sie - das sind alles alte Leute. Sie werden bald sterben und dann gehört das Land uns Jungen«, sagte einer ihrer Führer während der Kundgebung. Die Redner sprachen nicht lange, stellten dafür aber radikale Forderungen auf. Ihren Feinden drohten sie mit dem Tod in naher Zukunft, »nach dem Sieg«.

Jede kurze Rede endete mit der Parole »Ruhm und Ehre für Rußland!« und dem Hitlergruß. Journalistinnen waren kaum erschienen; auch Fernsehkameras fehlten, so daß die russische Bevölkerung den Aufmarsch also nicht in den Abendnachrichten verfolgen konnte und ihr  ein Entsetzen darüber erspart blieb.

Irgendwie finde ich keine adäquaten Ausdrücke, um den Schock wiederzugeben, den ich zwischen 12 und 13 Uhr am 7. November 1998 in der Hauptstadt  unseres Landes erlitten habe, indem ich Augenzeuge einer legalen faschistischen Veranstaltung wurde, ohne dabei irgendeinen Widerstand zu registrieren.

  • 1Anmerkung AIB: Auch als Konstantin Kassimovsky benannt. Laut russischen Antifas zusammen mit Aleksei Vdovin führend aktiv in "Русская Национальная Социалистическая Партия" (РНСП) / "Russkaja Nacional'naja Socialističeskaja Partija" (RNSP)
  • 2Anmerkung AIB: Hiermit könnte der früherer KPdSU-General Albert Makashov gemeint sein, der jetzt von russischen Antifas der extrem rechts und nationalistschen „Pamjat“ und der DPA zugerechnet wird.