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Mehr als nur Kameraden

Einleitung

Das Modell und Label der Bruderschaft

Als neonazistische Bruderschaften benennen wir Männerbünde, die sich selbst als Bruderschaften verstehen und deren Mitglieder zumindest mehrheitlich Neonazis sind. In der Regel sind dies Gruppen mit dem Style und Habitus von Motorradclubs (MCs). Zur Zeit existieren in Deutschland Dutzende derartige Bruderschaften mit insgesamt vielen hundert „Members“. Einzelne von ihnen bestehen aus einer Handvoll Personen, andere expandieren bundes- und europaweit. Manche betreiben eine strenge Mitgliederauslese, andere verbreiten ihre Mitgliedspatches über Soziale Netzwerke. Das Modell und Label der Bruderschaft bedient augenscheinlich die Bedürfnisse vieler Neonazis, die der Jugendkultur und dem Bewegungsaktivismus entwachsen und in ihrer eigenen Szene nach Distinktion trachten.
 

Foto: Screenshot von facebook

Aufstellung der Neonazi-Bruderschaft „Wolf’s Hook“ im Clubhaus der Vandalen. Die Gruppe nannte sich „White Brotherhood“ und unterhielt Sektionen in Berlin und England. Führende Berliner Member wechselten zu den „Hammerskins“.

Das Spiel mit den Codes

Schon immer nutzen Neonazis das Label „Bruderschaft“. Zwei bekannte Beispiele sind die Hammerskins, die sich als internationale Skinhead-Bruderschaft verstehen, und die Arische Bruderschaft, die der NPD-Funktionär Thorsten Heise ab 1999 als seine Hausmacht aufbaute.

Um eine Clique oder Kameradschaft zur Bruderschaft werden zu lassen, wird ein entsprechendes Emblem entworfen und in der internen Kommunikation der Terminus des „Kameraden“ durch die Anrede „Bruder“ ersetzt. In der Regel folgt die zumindest teilweise Übernahme des Rockerstyles: Lederwesten, sogenannte Kutten, mit den Emblemen der Gruppe und Abzeichen, die den Träger als deren „Präsidenten“, „General“ (Brigade 8) oder „Leitwolf“ (Hardcore Crew) ausweisen. Oft befinden sich auf den Kutten Patches mit Codes und Kürzeln, die sich Außenstehenden nicht erschließen und die Exklusivität der Gruppe deutlich machen sollen. Gängig ist das aufgenähte Treueversprechen. „HFFH“ meint „Hammerskins Forever — Forever Hammerskins“ in Anlehnung an das Hells Angels-Kürzel „AFFA“ („Angels Forever — Forever Angels“). Oft kopiert man den Organisationsaufbau der Motorradclubs gleich mit: Es gibt eine Führungsebene, die Members, Prospects (Mitgliedsanwärter) und das Umfeld der Supporter. Die Aufnahme in die nächsthöhere Ebene geschieht nach klaren Regeln und Ritualen.

Ein weiterer Aspekt, der den Unterschied zwischen der Kameradschaft und der Bruderschaft markiert, ist das veränderte Selbstverständnis der Protagonisten. Die Identität als Bruderschaft soll etwas Höheres, etwas Erhabeneres darstellen als die Zugehörigkeit zu einer explizit politischen Gruppe. Die Bruderschaft ist ein Sehnsuchtsort, aufgeladen durch den Pathos des Lebensbundes. Sie kennzeichnet das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft, die Kontinuität und Ordnung verspricht, die exklusiv, unverbrüchlich, familiär, überschaubar und frei von Widersprüchen ist und in deren Räumen Männerkult und elitäres Gehabe ohne Einschränkungen gelebt werden können. Die Bruderschaft markiert gleichermaßen Erwachsensein und Distinktion, Ausbruch und den Rückzug in eine Gemeinschaft, die sich selbst genug ist.

Nicht nur eine Frage des Stils

Im Spektrum neonazistischer Bruderschaften herrscht in der Realität Kommen und Gehen. Gruppen und Labels entstehen, lösen sich auf, spalten sich und fusionieren. Einzelne Personen schafften es, binnen zwei Jahren drei verschiedenen Bruderschaften „forever“ die Treue zu geloben. Brüche erfolgen meist, wenn sich die Gruppe entscheiden muss, ob sie in der Liga der führenden Rockerclubs mitspielen will. So wird manche Bruderschaft eine Marginalie bleiben. Andere — wie die Hammerskins oder die Berliner Gruppe Vandalen — haben hohe Kontinuität und große Einflussbereiche.

Das Gesamtspektrum ist jedoch heterogen, eine Zuordnung fällt bei mancher Gruppe nicht leicht. Drei Beispiele sollen dies verdeutlichen.

Die 80 Neonazis von „Voice of Anger“ (VoA) aus Baden-Württemberg und Bayern nennen sich „Bruderschaft“ und etliche von ihnen halten enge Kontakte in die Rockerszene. VoA gliedert sich in Chapter und unterhält auch ein Nomad-Chapter. Der Begriff ist Rocker-Terminus und beschreibt eine Sektion (Chapter), die keinen festen Standort hat. Jedoch: VoA tritt gar nicht mit Kutten auf.

Am anderen Ende der Republik, in Ost­vor­pommern, existiert der „Kamerad­schafts­bund Anklam“ (KBA) als eine der ältesten akti­ven Neonazikameradschaften in Deu­tsch­land. Längst tritt auch der KBA im Rockerstyle mit Kutten und Patches auf. Doch der KBA versteht sich bis heute vor allem als Kameradschaft.

In der Mitte Deutschlands, in Kassel, existiert die Bruderschaft „Hardcore Crew“, die von Neonazis gegründet wurde und sich als Rockergruppe im Umfeld der Hells Angels aufstellt. Im Juli 2015 wurde ein geplanter Schusswaffendeal publik, der zwischen einem bayerischen Neonazi und dem Anführer der „Hardcore Crew“ abgewickelt werden sollte. Doch bei einigen der heute knapp 20 Gruppenangehörigen lässt sich keine neonazistische Vergangenheit und Gegenwart feststellen. Je stärker sich die Gruppe im Milieu um die Hells Angels etabliert, umso mehr gelingt es ihr, Personen ohne eindeutigen neonazistischen Hintergrund einzubinden. Ab wann fällt die „Hardcore Crew“ aus der Kategorie „neonazistische Bruderschaft“ heraus?

Der Weg in Bruderschaft und Rockerszene

Seit jeher sehen Neonazis bewundernd auf die Rocker: Ideale von Stärke, Ehre und Loyalität haben dort hohe Authentizität. Über den medialen Hype um Hells Angels und Bandidos seit Anfang der 2000er Jahre prägten sich Bilder von Rockergruppen ein, die in einer Parallelwelt mit eigenen Gesetzen lebten, ganze Städte im Griff hätten, derweil die Behörden vor ihnen kapitulierten. Die Motoradclubs wurden Unternehmen. Der Kampf um Geschäftsbereiche ließ sie in der Auswahl ihrer Mitglieder und Hilfstruppen immer weniger wählerisch werden.

So schlossen sich in den vergangenen Jahren viele Neonazis Rockergruppen an. Dies nahm stets zu, wenn Neonazigruppen aufgelöst oder verboten wurden. Allenfalls verlangte der Club von den Neumitgliedern, die Politik aus dem Clubleben heraus zu halten, bot ihnen jedoch an, reaktionären Männlichkeitskult und Machtfantasien uneingeschränkt leben zu können. Ganze Chapter und Charter1  führender Rockerclubs sind heute von Personen dominiert, die in der Neonaziszene politisiert und sozialisiert wurden. Das Antifaschistische Infoblatt hat mehrfach ausführlich darüber berichtet.2 Viele Rocker, die aus der Neonaziszene kommen, verstehen sich als nicht mehr politisch oder nicht mehr „extremistisch“. Doch einen Ausstieg im Sinne eines ideologischen und strukturellen Bruchs haben nur wenige vollzogen. Nicht nur, dass Freundschaften zu Neonazis weiter gepflegt werden: Die Blicke in PEGIDA, in Netzwerke rechter Hooligans, in die sich formierenden rechten „Bürgerwehren“ sowie in rassistische Hetzseiten auf Facebook zeigen eine enorme Anzahl von Rockern, die sich dort als knallharte Rechte zu erkennen geben.

Von den Bruderschafts-Neonazis treibt es tatsächlich nur einen Teil zu den „echten“ Rockern und ins „Rotlichtmilieu“. Am Mythos der Hells Angels oder Bandidos zu schnuppern, auf deren Events mitzufeiern und Kontakt zu deren Fußvolk zu halten, reicht manchen völlig. Härte ausstrahlen und Härte erleben sind unterschiedliche Bedürfnisse. Die neonazistische Bruderschaft „Brigade 8“ (B8) stellt vorauseilend klar: „Auch wenn unser auftreten ähnlich wie bei Rockern ist, haben wir nichts mit deren Geschäften und Machenschaften am Hut und distanzieren uns davon“. Dies hielt einzelne B8-Member freilich nicht davon ab, sich den Hells Angels anzuschließen.

Die Welt der Erwachsenen

Neonazistische Bruderschaften werden von der Generation 35+ dominiert und haben für junge Aktivisten wenig Integrationsangebote. Die Bruderschaft bewegt sich meist in einem durch und durch ritualisierten Sozialraum, in dem die „Alten“ darüber wachen, dass die Jungen ja nichts durchein­ander bringen. Gerade die Bikerszene ist keine Kultur, die jugendkulturellen Trends folgt.

Die „Brigade 8“ schreibt in ihrem Selbstverständnis: „Immer mehr Brüder konnten sich mit unserer Idee anfreunden und kehrten dem ,pöbelnden normalen’ Skinhead Leben den Rücken. Die Brigade 8 ist erwachsen und macht Schluss mit dem Klischee Schubladen denken.“ Das Identitätsmodell, mit dem viele Neonazis der Generation 35+ in den 1990er und den frühen 2000er Jahren sozialisiert wurden, ist der Männerbund, der eine soziale und politische Einheit darstellt. Dieser verlangt Loyali­tät und lässt wenig Fluktuation und Widersprüche zu. In den „Aktionsgruppen“ und popkulturell anmutenden Cliquen, die heute das Bild der Neonazis prägen, spiegelt sich dies alles nicht wieder. Die Lebens­welt der Rockerszene liegt den „Alten“ näher und da dort bereits Kameraden unterkamen, sind die Wege kurz.

Die Bruderschaft bietet eine Plattform, auf der sich ihre Mitglieder als männlich, hart und kompromisslos präsentieren. Zugleich sind sie jedoch keinen politischen Verpflichtungen und persönlichen Konsequenzen ausgesetzt, die der Aktivismus in einer neonazistischen Kameradschaft mit sich bringt.

Gemeinschaft ohne Widersprüche

Die Kernfrage Außenstehender bei Betrachtung der Mischszenen aus Neonazis und Rockern ist oft: Wer ist nun Neonazi, wer ist Rocker? Es werden in dieser Frage politische und kulturelle Kategorien vermengt. Was aber die primäre Identität des Einzelnen ausmacht, beschäftigt Antifaschist_innen und Behörden mehr als diesen selbst. Das Mitglied der Bruderschaft muss sich nicht erklären, es muss sich nicht einmal darüber Gedanken machen. Rocker, Neonazi, Hooligan und Kampfsportler verfließen mit dem Emblem der Bruderschaft zu einer eigenen, übergeordneten Identität. Dies befriedigt das augenscheinliche Bedürfnis nach einer Gemeinschaft, die keine unangenehmen Fragen zulässt und Widersprüche scheinbar mühelos aufzulösen vermag. Die Bruderschaft ist nur sich selbst verpflichtet und immun gegen Kritik von außen. Es zählen die Brüder, die „Familie“ und dann kommt lange nichts.

Elitäre Aufwertung

Bikerszene und Brotherhood bieten die vortreffliche Möglichkeit, den Alltag und das Leben an sich aufzuwerten. Der Saufabend in der zum Clubhaus umgestalteten Gartenhütte mit drei Dutzend Brüdern, schlechtem Schnaps und noch schlechterem Liedermacher wird von außen als Inbegriff kultureller Tristesse wahrgenommen. Doch über die Aufnahmezeremonie des neuen Mitglieds mit Fahne, Fackel und Treueschwur wird der Abend für den Einzelnen zu einem bewegenden, spektakulären Event. Rituale und Pathos sind Kernelemente, mit denen Bruderschaften ihr mythisch-elitäres Image aufbauen und ihren Zusammenhalt festigen. Oft zitiert wird der „Blutschwur“ der amerikanischen Gefängnis-Gang „Aryan Brotherhood“: „Ein arischer Bruder hat keine Sorge. Er geht, wohin die Schwachen und Herzlosen nicht wagen. Für einen arischen Bruder birgt der Tod keine Furcht. Die Rache wird die seine sein, durch seine Brüder, die weiterleben.”

Nachordnung des Politischen

Auftritte neonazistischer Bruderschaften auf Aufmärschen geschehen sporadisch und dann geht es ihnen meist um Aufstellung im „eigenen“ Territorium. Die Delegation der Bruderschaft „Nordic 12“ auf einem Aufmarsch in Dortmund am 28. März 2015 war personell gerade stark genug, um ihr Transparent zu präsentieren. Auf dem hatten sie außer dem Schriftzug „Nordic 12“ nichts mitzuteilen.

Offen neonazistische Bekenntnisse im Selbstverständnis bilden zunehmend die Ausnahme. In den Bruderschaften wird die Politik dem Clubleben nachgeordnet. Die „Brigade 8“ schreibt: „Natürlich hat bei uns jeder seine politische Gesinnung doch diese ist nicht der Fokus unserer Bruderschaft”. Die Neonazis der „Wodan Bruderschaft“ aus dem Münchner Raum erklären: „Politische Gesinnung, Weltanschauung und Meinung sind Bestandteil der Individualität und somit jedes Einzelnen. Sie spiegeln nicht die Ansichten oder Interessen der Bruderschaft als Gruppe wieder.” Derartige Aussagen sind freilich Schutzbehauptungen, mit der man sich antifaschistischer Aufmerksamkeit entziehen will. Doch sie verdeutlichen, dass die Bruderschaft für viele zum ausschließlichen Bezugsrahmen wird, der der „politische Kampf“ nachgeordnet wird.

Vollendung des Mannseins

Der Nürnberger „Bombers MC“ wurde 2012 von rechten Hooligans gegründet, ein führendes Mitglied ist aus der Neonaziband „Radikahl“ der 1990er Jahre bekannt. An einer extrem rechten Kundgebung gegen Isla­mismus im Mai 2014 in Nürnberg nahmen mehrere Member des Clubs teil. Im Interview mit dem Magazin „Bikers News“ im März 2014 betonen Clubmitglieder ihre Verbundenheit mit der Hooliganszene und der Kampfsportszene. Der Weg von Hooligans zu Rockern wird von ihnen nicht als Bruch, sondern als Vollendung des Lebens- und Gemeinschaftsideals beschrieben. „Auch beim Fußball wird ein intensiver Codex gelebt. Es geht um das „Mannsein“ und darum, wie schwer ein Wort oder eine Tat wiegen kann. Es ist der Zusammenhalt aus ehrlichen Gründen, ohne Vertrag oder Zwang. Das war auch der Grund, weswegen wir die für uns nächste, evolutionäre Stufe in eine weitere starke Gemeinschaft gegangen sind.“ Die Bruderschaft erscheint als das höchste erreichbare „evolutionäre“ Level, das die Gemeinschaft, der Männerbund und der Mann an sich erreichen kann. Dieser Aspekt steht so zentral, dass er nachfolgend in einem eigenen Beitrag behandelt wird.3

Schutz vor Repression

Die Mimikry mit Rockerstyle bietet Neonazis vielfach wirksamen Schutz vor Repression. Auch wenn in Lagebildern von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt mittlerweile auf „rockerähnliche Strukturen“ von Neonazis hingewiesen wird, so passen die Gruppen oft in keine polizeilichen Kategorien. Die Akten wandern dann in den Polizeipräsidien vom Staatsschutz zur Abteilung „Rockerkrimininalität“, die sich nicht zuständig sieht und sie liegen lässt.

Auch antifaschistische Gruppen hatten und haben Einschätzungsprobleme. Aufgrund der Nähe vieler Neonazi-Bruderschaften zu Rockern war vorsichtiges Handeln geboten. Die Neonazigruppen erkannten die Unsicherheit, demonstrierten ihre Anbindung an Rocker und platzierten Support-Artikel führender Rockerclubs in den Auslagen ihrer Läden. Antifaschist_innen mussten herausfinden, wie substanziell diese Verbindungen waren, und entscheiden, ob sie Ärger mit den Rockern aushalten konnten. Das Phänomen der Neonazigruppen im Rockerstyle ist heute zwar weit bekannt, doch die Drohkulisse durch Kutte und eine zur Schau gestellte Nähe an eine Rockergruppe wirkt noch immer.

Bruderschaften im militanten Untergrund

Der Teilrückzug aus der Bewegung, den die Gründung einer Bruderschaft in der Regel darstellt, ist in manchen Fällen auch der Rückzug in eine Gruppe, die sich konspirativ abschottet und eine mörderische Mili­tanz entwickelt. Historisches Beispiel ist die US-amerikanische Terrorgruppe „The Order“, die sich auch „Brüder Schweigen“ nannte. Sie beging in den Jahren 1983 und 1984 Überfälle auf Banken und Geldtransporter, verübte Bombenschläge auf eine Synagoge und ein Theater und ermordete einen jüdischen Radiomoderator.

In Deutschland sind Bruderschaften wie die Hammerskins oder die Berliner Vandalen seit über 20 Jahren Kristallisationspunkte militanter und terroristisch ambitionierter Neonazis. Und schließlich war es die Neonazigruppe „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE), aus deren Reihen der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) maßgebliche Unterstützung erhielt. Angeführt wurde die WBE von den Brüdern André Eminger und Mike Eminger. André Eminger ist derzeit im Münchner NSU-Prozess angeklagt und bewegt sich heute im Kreis der Rockergruppe „Stahlpakt MC“. Beide Eminger-Brüder traten — als Angeklagter und Zuschauer — im Prozess mit Shirts mit Schriftzug „Brüder Schweigen“ auf. Dies ist eine Anspielung auf die gleichnamige US-amerikanische Terrortruppe und zugleich die Selbstvergewisserung: Auf Brüder sei immer Verlass.