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MC Praetorians

Bernard Schmid
Einleitung

Sportsfreunde ziemlich eigener Art machten im vergangenen Jahr im Norden Frankreichs von sich reden. Dort eröffnete in Berzy-le-Sec der als „Kulturvereinigung“ eingetragene Motorradclub namens MC Praetorians. Sein Vereinsheim ähnelt vom Äußeren „eher einem Kuhstall als einem Empfangssaal“, wie die Antifapublikation La Horde im vorigen Jahr einmal spottete.

Foto: La Horde

Esteban Morillo (links im Kreis), der 2013 den Antifaschisten Clèment Méric tötete, auf einem Treffen der Neonazi-Organisation „Troisième Voie“ zusammen mit Serge Ayoub (rechts im Kreis), damaliger Anführer der Organisation und Mitbegründer des „MC Praetorians“.

Alte Bekannte der extremen Rechten in Frankreich

Dem breiteren Publikum wurde der MC bekannt, als sie im April 2015 ein erstes Konzert in dessen Lokal stattfand. „Der von ehemaligen nationalistischen Aktivisten gegründete Motorradverein bei Soissons beunruhigt“, schrieb die Zeitung L’Union. Seitdem fanden dort diverse Neonazi-Konzerte statt: Im Juli mit „Endstufe“ aus Bremen, im September mit „Tattooed Mother Fuckers“ aus England und im November mit „Lemovice“ aus Frankreich. Auch ein für den 22. Februar 2016 im Raum Paris angekündigtes Konzert — unter anderem mit den deutschen NS-Black Metal Bands „Nord­glanz“ und „Stahlfront“ — fand schließlich im Clubhaus des MCs statt.

Im alten Rom bezeichnete der Ausdruck „Prätorianergarde“ eine militärische Truppe, die sich dadurch auszeichnete, dass sie nicht nur für Feldzüge an den Außenfronten, sondern auch als Machtfaktor für innenpolitische Aufgaben im Kernland eingesetzt wurde. In der Spätzeit der römischen Republik und danach unter den Kaisern wurde sie zur Abrechnung mit politischen Widersachern in Rom und auf der italienischen Halbinsel eingesetzt.
Nach wie vor wird der Ausdruck „garde prétorienne“ im Französischen oftmals benutzt, wenn es darum geht zu beschreiben, wie politische Akteure ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen versuchen und dabei eine eigene Prügeltruppe — oder gar eine bewaffnete Miliz — unterhalten. So fand der Begriff auch Verwendung, um die gewaltaffine Anhängerschaft zu beschreiben, die alljährlich am bzw. um den 9. Mai in Paris aufmarschiert. Es handelt sich um die zentrale Demonstration von Neonazis, die nach dem Aufmarsch des "Front National" (FN) am 1. Mai auf die Straße gehen, um dieser zu „verweichlichten“ Partei ein Gegenbild entgegenzusetzen. Offiziell geht es dabei um das Gedenken an Sébastien Deyzieu, einem extrem rechten Aktivisten der 1994 bei dem Versuch sich seiner Festnahme zu entziehen, auf einen Balkon kletterte und tödlich abstürzte. 2015 fiel der Aufmarsch kleiner aus als in den Vorjahren: Die extrem rechte Szene ist zersplittert und wurde seit Juni 2013 von mehreren Organisationsverboten getroffen.
In früheren Jahren regelmäßig, nicht aber 2015, war auch Serge Ayoub mit seinen Anhängern bei solchen Aufmärschen dabei. Er gehört zu den Leuten, die in der Lage sind, sich eine eigene Prätorianer-Garde als Leibtruppe zu halten. Seitdem er im Jahr 2010 die „Jeunes nationalistes révo­lutionnaires“ (JNR, „Revolutionäre nationalistische Jugend“) neu gründete — unter Verwendung eines Namens, der in den 1980er Jahren bereits einmal als Organisationsbezeichnung diente — konnte er über einige Dutzend ebenso treu wie blind ergebene Anhänger verfügen.
Auf den Gruppenfotos dieser nicht eben für ihre Gewaltlosigkeit bekannten „Aktivisten“ stand Ayoub stets im Mittelpunkt, so wie er jetzt auf den Fotos des Bikerclubs „MC Praetorians“ im Zentrum auftaucht. Denn Serge Ayoub ist einer der Mitbegründer und faktischer Präsident des MCs.
Dieser dient ihm als eine Art Refugium, um einem Verbot seiner politisch-wehrsportartigen Aktivitäten zu entgehen. Aus seinem früheren Leben nahm er einige Getreue mit, wie Gilles Dussauge, der ihn seit den Tagen der JNR begleitet oder den früheren Aktivisten des „Troisième Voie“ („Dritter Weg“) Hugo Lesimple.
Die im Juli 2013 erlassenen staatlichen Organisationsverbote zielten in erster Linie auf Ayoub ab. Voraus ging am 5. Juni 2013 der gewaltsame Tod des jungen Antifaschisten Clément Méric. Der 18-jährige starb unter den Schlägen des zwei Jahre älteren Neonazis Esteban Morillo. Letzterer war Mitglied der ungefähr 200 Mitglieder umfassenden Kleinstpartei „Troisième Voie“, deren schlagender Arm die rund dreißig ausgesuchte Aktivisten umfassende JNR darstellte.
Da es dort weder nach außen hin formalisierte Strukturen noch Mitgliedsbücher gibt, bestritt der Anführer beider Gruppierungen (Troisième Voie und JNR), Serge Ayoub, zunächst Morillos Mitgliedschaft. Ist die Zugehörigkeit zu der stark abgeschotteten JNR zwar schwer nachweisbar, räumte Morillo bei seiner Vernehmung gegenüber den Ermittlungsbehörden doch ein, „sechs Monate“ Mitglied bei „Troisième Voie“ gewesen zu sein. Dass er dort leitende Funktionen bei Aufmärschen — nicht nur am oder um den 9. Mai — aufwies, belegen auch Fotos, die in antifaschistischen Publikationen oder der bürgerlichen Presse auftauchten.
Kurz nach dem Tod von Clément Méric räumte das Innenministerium Ayoub eine 14-tägige Frist ein, um Stellung zu einer drohenden Verbotsverfügung zu nehmen. Am 25. Juni 2013 erklärte Ayoub dann überraschend die „Selbstauflösung“ von „Troisième Voie“ und JNR. Er wollte dadurch wohl ein formales Verbot vermeiden. Ergeht ein solches, ist die „Wiedergründung einer verbotenen Organisation“ ein mit sehr empfindlichen Sanktionen belegter Straftatbestand.
Ende Juni 2013 fiel die Gruppierung, einige Tage nach ihrer angeblichen Selbstauflösung, schon wieder unangenehm auf. Es wurde bekannt, dass in Agen sieben Neonazis aus dem Milieu von „Troisième Voie“ festgenommen worden waren. Ihnen wird vorgeworfen, in der Nacht einen 25- und einen 33-Jährigen mit Schlägen attackiert zu haben. Der Jüngere von beiden wurde zudem wegen seiner nordafrikanischen Herkunft rassistisch beschimpft. Die Beiden befanden sich auf dem Nachhauseweg von dem linksalternativen Festival "La Prairie". Beide Opfer trugen Gesichtsverletzungen davon.
Am 10. Juli 2013 erließ das französische Kabinett eine offizielle Verbotsverfügung gegen drei Gruppierungen: „Troisième Voie“, die JNR und der eingetragene Verein „Envie de rêver“ („Lust zu träumen“). Unter dem zuletzt genannten Namen firmierte ein Verein von Serge Ayoub, der den von ihm geleiteten Treffpunkt „Le Local“  in Paris verwaltete. Das „Lokal“ eröffnete er 2007 zusammen mit dem antisemitischen Schriftsteller Alain Soral, mit dem er sich später zerstritt. Eine angebliche „Selbstauflösung“ wirkte wie ein Manöver, um das  Zentrum aus der Schusslinie zu nehmen.
In der Folgezeit hielt Ayoub sich an die Verbote. Ihm geht in der Szene der Ruf voraus, dass er wisse, welche „roten Linien“ zu respektieren sind, um sich selbst nicht zu gefährden. Mitunter sei er auch einer verdeckten Zusammenarbeit mit Polizeidiensten nicht abgeneigt, wenn es um seinen Selbstschutz gehe.
In den 1980er Jahren war Ayoub im Raum Paris als Neonazi-Skinheadführer unter dem Namen „Batskin“ aufgetreten und hatte die JNR in ihrer ersten Version aufgebaut. Doch seine damalige „rechte Hand“, Régis Kerhuel, war wenige Jahre später in einen Mord verwickelt: Er war daran beteiligt, als der Mauritianer James Dindoyal zum Trinken von Säure gezwungen und im Anschluss ins Hafenbecken von Le Havre geworfen wurde. Zwar entkam er dem Ertrinken, verstarb jedoch an inneren Verletzungen. Kerhuel wurde 1998 als Tatverdächtiger identifiziert und festgenommen, im Jahr 2000 erhielten er und ein Mitangeklagter, Joël Giraud, je zwanzig Jahre Haft. In jenem Zeitraum zog sich Ayoub aus der extrem rechten Organisationspolitik zurück und eröffnete in Paris eine Biker-Kneipe namens „Le garage“. Dies war auch sein erster Versuch, in der Biker-Szene weiterzukommen, weil es in „der Politik“ nicht mehr voran ging. Kerhuel kam mittlerweile aus der Haft frei, dank Anrechnung der Untersuchungshaft und guter Führung, und ging zwischenzeitlich zum Hells Angels MC.
Nach dem Verbot von 2013 versuchte Ayoub noch kurzzeitig, eine eigene Bewegung unter dem Namen „Solidarisme“ aufzubauen, was jedoch aufgrund interner Zerwürfnisse scheiterte. Auch deswegen versucht er es jetzt erneut mit einem Eintauchen in die Biker-Subkultur.