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Leipzig: Strukturelle Unfähigkeit

Einleitung

Zumindest der Hamburger Neonazi-Kader Christian Worch scheint immer wieder gern nach Leipzig zu kommen. An der Attraktivität der lokalen Neonazi-Szene kann das nicht liegen. Gefestigtere Neonazistrukturen existieren weniger in Leipzig selbst, sondern eher im Umland. Seit 2001 ruft Worch regelmäßig zu Aufmärschen in Leipzig auf – die Initiative dazu ging nie von Leipziger Neonazis aus. Zwar beruft sich Worch manchmal auf Einschätzungen »von Kameraden vor Ort«, und auch der Lkw, von dem aus  die Rechtsrockband »Oidoxie« die Neonazis auf dem Ostplatz beschallten, wurde von lokalen Unterstützern besorgt.

Conny R. und ihr Mann (vorne rechts mit Kapuzen) bei einer Neonazidemonstration am 1. Oktober 2005 in Leipzig.

Seit August 2004 jedoch reisen Neonazis aus Leipzig immer wieder geschlossen und mit eigenem Transparent eines »Freien Widerstands Leipzig« (FWL) zu Aufmärschen in der Region und darüber hinaus. Kurze Zeit später trat dann auch ein »Jugendsturm Leipzig« in Erscheinung, der eher die jüngeren Neonazis sammelt, wobei selbst der FWL sich größtenteils aus Leuten zusammen setzt, die kaum älter als Anfang 20 Jahre sind. Zwischen beiden gibt es enge Zusammenarbeit, so wechselten einige recht bald vom Jugendsturm zum FWL. Zum engeren Kern kann man 10-20 Neonazis zählen, inklusive weiterem Umfeld können sie ca. 50 Neonazis mobilisieren. Das erste Mal tauchten diese Gruppierungen am 8. Mai 2004 mit einer Transparent-Aktion gegen eine Kranzniederlegung auf. Seitdem scheinen sich ihnen immer mehr Neonazis angeschlossen zu haben, die Aktionen beschränkten sich jedoch auf die organisierte Teilnahme an Aufmärschen und eine versuchte Prozess-Beobachtung: Auf Bitte vom Neonaziaktivisten Ronny Thomas aus Dresden besuchten sie den Prozess gegen einen Dresdner Antifaschisten und waren um das Amtsgericht herum als Späher unterwegs.

Die Geburtsstunde dieser Zusammenhänge muss im Jahr 2003 verortet werden. Von Seiten der zu dieser Zeit sehr aktiven sachsen-anhaltinischen Kameradschaftsstrukturen waren schon länger Versuche zu beobachten gewesen, über das zwischen Halle und Leipzig gelegene Schkeuditz auch in Leipzig Strukturen aufzubauen. Im Anschluss an einen der wieder nicht bis zum Völkerschlachtdenkmal vorgedrungenen Worch-Aufmärsche waren alle TeilnehmerInnen noch zu einem Aufmarsch im Nachbarort Schkeuditz gefahren. Angemeldet hatte diesen zwar ein lokaler Kader, die Organisation lag jedoch bei Sven Liebich aus Halle. So kam es in Schkeuditz dann im Dezember zu mehreren Aufmärschen, an denen sich anhaltinische ebenso wie lokale und Leipziger Neonazis beteiligten.

Bereits in den 90er Jahren hatte es in Form des »Kameradschaftsbunds Möckern-Schkeuditz« gute Verbindungen zwischen Leipzig und der Kleinstadt gegeben. Und auch heute pflegt eine nicht ganz unwichtige Gestalt im FWL, Patrick K., gute Verbindungen nach Schkeuditz und Halle – unter anderem zum Betreiber des Mitteldeutschen Musikversands in Halle. Kurz darauf gelang es Neonazis, einen Treffpunkt mit überregionaler Anziehungskraft zu etablieren. Im »Freien Jugendklub Grünau« in einem alten Industriegebiet, der szene-intern auch schon mal als »Club 88« firmierte, fanden Schulungsveranstaltungen und Konzerte, aber auch Partys, Treffen und Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem NPD-Landtags-Wahlkampf statt. Mitveranstalter war zeitweise Sascha Wagner (NPD). Nachdem die Mietzahlungen unregelmäßiger wurden, erhielten die Neonazis, welche selbst als Mieter aufgetreten waren, die Kündigung und zogen Ende April 2005 notgedrungen aus.

Auch zu der Kreisstadt Delitzsch bei Leipzig gibt es recht gute Verbindungen. Der Leipziger Jens Schober meldete am 8.Mai in Delitzsch einen Aufmarsch an und Leipziger aus dem FWL unterstützten diesen strukturell. Darüber hinaus sind sowohl Leipzig als auch Delitzsch auf demselben, von Thomas Richter (oikrach.com, Halle) betriebenen Internetportal »Nationaler Beobachter« mit Unterseiten vertreten. Die Inhalte der beiden ähneln sich so sehr, dass man fast ein und denselben Betreiber vermuten kann. Auch das mittlerweile eingestellte Internetprojekt einer so genannten »Kameradschaft Leipzig« ist eher eine Ein-Mann-Aktion von Patrick K. gewesen.

Spätestens seit der gemeinsamen Teilnahme am Aufmarsch in Greiz am 5. März 2005 arbeitet man auch mit Thomas Gerlach zusammen. Gerlach, Spitzname »Ace«, kann dem Kameradschaftsbund Deutscher Sozialisten (KDS) ebenso wie den Hammerskins und dem Nationalen und sozialen Aktionsbündnis Mitteldeutschland (NSAM) zugerechnet werden und begann in Altenburg seit seiner Haftentlassung, wieder Strukturen aufzubauen. Neonazis aus dieser Gruppe ließen sich in München auf einem von Norman Bordin organisierten Aufmarsch und auch am 13. Februar 2005 in Dresden als Ordner einsetzen. In den Muldentalkreis, besonders die Region um Wurzen, scheint es dagegen vor allem personelle Kontakte zum Wurzner Kai D. zu geben, aber gerade die im Muldental stärker mit der NPD verflochtenen Neonazikreise machen bisher eher ihre eigenen Aktionen, und auch auf Aufmärsche fährt man getrennt.

Dafür macht ein alter Bekannter aus dem Hooligan-Umfeld des 1.FC Lok Leipzig wieder von sich reden: Riccardo Sturm. Bereits seit Anfang der 90er aktiv, gehört er heute zum Kreis der Neonazis, auf die sich Worch bei seinen Besuchen in Leipzig verlässt. So war er bei den teils lokalen, teils angereisten Neonazis dabei, die Worchs Auftritt als Zeuge vor dem Leipziger Amtsgericht absichern sollten (siehe AIB # 68). Über diese Aktion wurde mit Stolz auf den Seiten des »Nationalen Beobachters« berichtet. Doch Sturm ist nicht der einzige im Lok-Umfeld: im Herbst 2004 versuchten 30 jüngere Lok-Hools, nach einem Spiel in den Stadtteil Connewitz einzufallen, die Polizei verhindert jedoch Auseinandersetzungen mit wartenden AntifaschistInnen.

Das alles zusammen könnten eigentlich ganz gute Bedingungen für eine gefestigte Kameradschaftsstruktur sein. Immerhin gibt es in Leipzig im Zweifelsfall ein Potenzial von ca. 200 Neonazis, nimmt man auch den letzten organisierungsunwilligen Dumpfbacken-Bonehead dazu. Und in der Tat ist die Stadt und die Region keine, in der es keine Übergriffe gäbe. Doch nach wie vor haben die Nazis aus dem Kameradschaftsspektrum es nicht geschafft, regelmäßige Außenwirksamkeit oder einen Treffpunkt langfristig zu erhalten. Das liegt zum einen am Druck von außen durch Staatsorgane und Antifa: Patrick K. hat seine DNA-Probe nach eigener Aussage schon lange abgeben müssen, in Delitzsch beschweren sich die Kameraden über Anwerbeversuche des Verfassungssschutzes, und Jens Schober sowie zwei seiner Kameraden wurden in Leipzig nach der Rückkehr von ihrem Aufmarsch in Delitzsch von Antifas verprügelt. Zum anderen haben sie ihren Zustand zu weiten Teilen auch ihrer eigenen Unfähigkeit zuzuschreiben.

Von diesen Strukturen relativ getrennt gibt es immer noch einige ehemalige Blood & Honour-Aktivisten. Zwei von ihnen, Conny R. und ihr Mann, haben Anfang 2005 versucht, eine Neonazikneipe einzurichten. In der Kurt-Schumacher-Straße übernahmen sie das ehemalige Tabledance-Lokal »Lady Liberty«. Die vorher in der Nähe zum Rotlicht- und Drogenmilieu angesiedelte Bar wurde kaum verändert: eine Flagge mit der »Schwarzen Sonne« und einen »Landser«-Biertruck hinter den Tresen drapiert, »Odinstrunk« ins Sortiment aufgenommen, ein paar Landserhefte und »Deutsche Stimme«-Ausgaben auf den Toiletten ausgelegt und auch als Musik etwas Landser abgespielt: fertig die »Kneipe für Nationalisten«. Am 11. Juni gab es sogar ein Konzert mit einer Neonazi-Nachwuchsband. Ca. 30 Besucher waren gekommen.

Nach Antifasprühereien und einer Outingaktion mit Flyern und Indymedia-Posting wurde das »Lady Liberty« jedoch relativ schnell wieder geschlossen. Conny R. reagierte bei indymedia verbittert: »wir geben niemals auf! Die nä.Kneipe wird in Kürze von uns für Nationalisten in Leipzig eröffnet ...«. Derweil verbringt sie ihre Zeit jedoch erstmal mit ihrem Job als Trockenbauerin in der ganzen Republik oder auf Reisen zu Rechtsrock-Konzerten nach England oder zu Bekannten aus dem Blood&Honour-Umfeld.