Skip to main content

Land in Blau?

Einleitung

Mit 24,3 Prozent der Zweitstimmen und fünfzehn Direktmandaten erhielt die Alternative für Deutschland (AfD) in keinem anderen Bundesland so hohe Ergebnisse wie in Sachsen-Anhalt.

Verkündung der ersten Prognosen im Landtag in Magdeburg: (v.l.n.r.) Alexander Raue (MdL, Halle), Daniel Roi (MdL, Thalheim), André Poggenburg (MdL, Stößen), Steffen Schröder (Hintergrund, Mitarbeiter Fraktion Brandenburg), Björn Höcke (MdL, Bornhagen, Thüringen), Andreas Kalbitz (MdL, Königs Wusterhausen, Brandenburg) I Foto: René Erler

Ein Blick auf die Wahlergebnisse zeigt, dass die AfD im Süden Sachsen-Anhalts, in den ehemaligen industriellen Zentren Ostdeutschlands die höchsten Ergebnisse erzielt. So etwa in Bitterfeld, wo die 30-Prozent-Marke locker geknackt wurde. In den an Thüringen grenzenden Landkreisen erzielte die Partei ihre höchsten Wahlergebnisse auf Kreisebene und brachte aus dem Stand ihre weithin unbekannten Direktkandidaten gegen die etablierte Konkurrenz der CDU durch, die seit jeher so etwas wie ein Abonnement auf die direkt zu gewinnenden Wahlkreise hatte. Nördlich von Magdeburg fielen die Wahlergebnisse nicht ganz so hoch, aber immer noch zweistellig aus. Ein solches Süd-Nord-Gefälle der Ergebnisse für rechte Parteien war bereits bei der Landtagswahl 2011 zu beobachten, als die NPD, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau, ebenfalls im Süden Erfolge einfuhr. Der Wahlerfolg der AfD gründet auch auf der Mobilisierung bisheriger Nicht-Wähler_innen quer durch fast alle sozialen Milieus. Besonders bei Arbeite­r_in­nen und Erwerbslosen konnte die Partei punkten. Insgesamt ist die Wähler_innenschaft der AfD jedoch auffallend männlich geprägt und gehört zur Kohorte der ca. 35 bis 55-Jährigen. Damit unterscheidet sich die Kernwählerschaft der AfD deutlich von jener, die den Wahlerfolg der DVU im Jahr 1998 ermöglichte. Damals waren es die männlichen Jung- und ErstwählerInnen der „Generation Hoyerswerda“, die der Neonazipartei einen Stimmanteil von 12,9 Prozent bescherten. Zwar machte auch die AfD in der Endphase des Wahlkampfes, analog zur DVU, mit Sprüchen wie „Es reicht! Sachsen-Anhalt wählt AfD.“ auf sich aufmerksam, doch die monatelange rassistische Debatte um Flüchtlinge und die damit vor allem in Ostdeutschland einhergehende Ethnisierung sozialer Widersprüche entfaltete eine stärkere Reichweite als klassisch extrem rechte Politikangebote. Der Anstieg der Wahlbeteiligung von rund 52 auf mehr als 60 Prozent wurde in Stimmen fast ausschließlich der AfD gutgeschrieben. Eine deutlich rechts und rassistisch motivierte Protestwahl.

Ganz rechts: Der AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt

In der kurzen Geschichte der AfD hatte sich der Landesverband Sachsen-Anhalt frühzeitig sehr weit rechts positioniert. André Poggenburg, Landes- und nunmehr auch Fraktionsvorsitzender der Partei, gehörte zu den Erstunterzeichnern der sogenannten „Erfurter Resolution“ des rechten Parteiflügels, die den Sturz des Parteigründers Bernd Lucke einleitete. Poggenburg war es auch, der sich für eine Mitgliedschaft des neurechten Publizistenpaares Götz Kubitschek und Ellen Schenke (Autorin-Name "Ellen Kositza") bereits zu einem Zeitpunkt einsetzte, als deren Mitgliedschaft vom Bundesvorstand unter Lucke noch abgelehnt wurde. Die Verbindungen zwischen der neugewählten Fraktion und dem in Sachsen-Anhalt ansässigen neurechten Thinktank „Institut für Staatspolitik“ (IfS) sind nach Bekunden beider Seiten eng. Im Juni spekulierte die regionale Presse über die Anstellung von Personen aus dem Umfeld des IfS bei der Fraktion in Magdeburg. Noch am Wahlabend hatte sich Kubitschek für eine Kooperation mit der AfD-Fraktion offen gezeigt. Unter Poggenburgs Führung steht der Landesverband Sachsen-Anhalt fest an der Seite des Thüringer AfD-Funktionärs Björn Höcke — einer Galionsfigur des völkisch-nationalistischen Flügels.
Dass die Fraktion nach rechtsaußen keinerlei Berührungsängste hat, wurde bereits in den ersten Wochen nach der Wahl deutlich. So trat der frisch gebackene Landtagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt bei einer Kundgebung der „Identitären Bewegung“ in Wernigerode im Harz auf. Deren Anhängerschaft rekrutiert sich nach Angaben lokaler Antifaschist_innen nicht unwesentlich aus vormalig Aktiven der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) bzw. deren neonazistischer regionaler Vorläuferstruktur „Wernigeröder Aktionsfront“. Als die regionale Presse den Auftritt Schmidts bei den „Identitären“ thematisierte, sprach Poggenburg davon, dass man als Partei und Fraktion organisatorisch mit den „Identitären“ nichts zu tun habe, es jedoch inhaltliche Schnittmengen gebe.
Überregionale Beachtung fand der Auftritt des Landtagsabgeordneten Hans Thomas Tillschneider anlässlich einer „PEGIDA“-Kundgebung in Dresden. Im Ton eines Kameradschaftsführers sprach er die Teilnehmenden mit „Kameraden!“ und „Deutsche!“ in einem stramm rechten Imperativ an, um sodann einen Schulterschluss zwischen AfD und PEGIDA zu fordern. Dies wiederum kam bei AfD-Chefin Frauke Petry gar nicht gut an. In einem Brief an den Landesverband Sachsen-Anhalt kritisierte sie Tillschneiders Auftritt dem Sinn nach als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landesverbandes. Doch Tillschneider und Poggenburg sahen keinen Grund, in Bezug auf ein Bekenntnis zu PEGIDA zurückzurudern.

Zeichen setzt die Fraktion auch mit ihrer Personalpolitik. Wahlkreismitarbeiter des Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt ist der ehemalige sachsen-anhaltische NPD-Kader Stefan Träger. Mit der vormaligen PEGIDA-Frontfrau Kathrin Oertel führt die Fraktion offenbar Verhandlungen um ihre Einstellung.

Angesichts dieser stramm rechten Ausrichtung der Fraktion nimmt sich die Wahl von Volker Olenicak zum Obmann der AfD im „Parlamentarischen Kontrollgremium“  fast als Satire aus. In den Medien wurden ihm Kontakte zu Reichsbürgern nachgesagt, andere warfen Olenicak antisemitische Facebook-Veröffentlichungen vor. Dieser Mann wird nun also den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt (mit)­kontrollieren.

Das Parlament als Bühne

Eine Ahnung davon, wie sich die AfD im Parlament verhalten wird, war anlässlich der ersten Sitzungen des Landtages zu bekommen. Zunächst hatte die Partei taktisch geschickt einen Kandidaten für das Amt des Landesvizepräsidenten mit mehr Stimmen als jene der eigenen Reihen durchgebracht. Doch bereits nach einer Sitzung im Amt schmiss der gewählte MdL Daniel Rausch den Job wieder hin. Beobachter sagen, er sei mit dem Amt und seiner Ausführung sichtlich überfordert gewesen. So sehr die Fraktion noch mit den Fallstricken des Parlamentsalltags ringt; das sie jenes als Bühne für scharfe Attacken auf die von ihr geschmähten „Altparteien“ nutzen will, ist jetzt schon klar. Ob Abwassergebühren oder Integrationsgesetz: Immer geht es der AfD darum, sich als „Stimme der Bürger“ in Szene zu setzen und rechte Ideologiebausteine in die Öffentlichkeit zu tragen. Mit Erfolg. Bislang stiegen auch kleinste Wortmeldungen der AfD zur dominanten Schlag­zeile in der Berichterstattung auf.

Gesellschaftliche Wirkung

Wie stark sich die AfD-Präsenz im Landtag im Feld der Gesellschaftspolitik auswirken wird, ist bislang nur in Umrissen klar. Als größter Oppositionspartei stehen ihr Sitze in so ziemlich allen Gremien der Kultur- und Gesellschaftspolitik zu. So geht in der Kulturszene des Landes die Angst um, für bestimmte Projekte zu den Themen Integration von der AfD angegriffen zu werden. Einen Vorgeschmack lieferte der Abgeordnete Gottfried Backhaus, der in einer Debatte um die Theaterlandschaft konzidierte, das die Kulturszene im Land nicht ganz so „linksversifft“ sei wie andernorts. Zuvor hatte der Intendant des „neuen theater halle“ eine kritische Auseinandersetzung der Kulturschaffenden mit den Positionen der AfD angemahnt. Hans Thomas Tillschneider hat bereits Gegenwehr bei der Umsetzung von „Gender Mainstreaming“-Konzepten angekündigt und nach der Finanzierung des gegen rechts aktiven Vereins „Miteinander e.V.“ gefragt. Einen Eklat löste der Abgeordnete Andreas Gehlmann aus, der in einer Debatte um die Situation von Homosexuellen in sogenannten sicheren Drittstaaten des Maghreb laut stenographischem Protokoll Zustimmung zu der Forderung nach Haftstrafen forderte.

Ausblick

Die Debatte darum, wie die Auseinandersetzung mit der AfD zu führen sei, ist in Parteien und in der Gesellschaft in vollem Gange. Der Umstand, dass hier eine nicht-neonazistische Partei offen völkisch-rassistische Positionen bezieht, erschwert vielen die Einordnung und inhaltliche Auseinandersetzung. Dass die AfD eine heterogene rechte Sammlungsbewegung ist, die derzeit von negativen moralischen Zuschreibungen von außen profitiert, macht eine Strategiedebatte um die Auseinandersetzung mit extrem rechten Positionen im populistischen Gewand notwendig. Nicht nur in Sachsen-Anhalt.