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Kopftuch-Verbotsdebatte in Frankreich

Ein Beitrag von Bernhard Schmid (Paris)
Einleitung

Ein Überblick über die Positionen. Von Links bis Rechts.

Nachdem das Thema zwei Monate lang die innenpolitische Debatte dominiert und fast alle anderen Themen völlig überlagert hatte, war es am 10. Februar 2004 soweit. Die französische Nationalversammlung verabschiedete in erster Lesung das Gesetz zum »Verbot des Tragens auffälliger religiöser Symbole« in öffentlichen Schulen. Die Annahme erfolgte mit überwältigender Mehrheit: Die beiden wichtigsten staatstragenden Parteien die konservative UMP und die Sozial­demo­kraten hatten sich zuvor in der derzeit wichtigsten innenpolitischen Streit­frage geeinigt. Faktisch besteht der Gegenstand des neuen Gesetzes darin, künftig den Unterrichts- oder Schul­aus­­schluss von Kopftuch tragenden Schülerinnen moslemischer Konfession auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Zwar bezieht sich der Gesetzestext in der Theorie auf alle »auffällig getragenen« religiösen Symbole, also etwa auch Kreuze und Kippas. Doch Jugend­liche aus orthodoxen jüdischen Fami­lien, die eine Kippa tragen, besuchen ohnehin meist konfessionelle Privat­schulen. Und für die Sprößlinge aus streng katholischen Familien gibt es die nach wie vor katholisch geprägten Privatschulen.

Dass es bei dem Gesetz vor allem um eine sichtbare Präsenz des Islam in Form von Mädchen mit verhülltem Haupthaar geht, das hat auch Bil­dungs­­minister Luc Ferry deutlich gemacht. Vor der Gesetzeskommission des Parlaments, wo er die Vorlage Mitte Januar dieses Jahres vorstelle, führte er aus: »Ich sage zu den Vertretern des Islam: Wollen Sie, dass unsere Kinder sich in den Schulen schlagen?«

Gesetzgebungsverfahren und Wahltermine

Ein anderer Beweggrund für die Eile, welche die neokonservative Mehrheit im Gesetzgebungsverfahren an den Tag legte, hat auch mit den anstehenden Wahlterminen zu tun. Im März werden sämtliche französischen Re­gio­nal- und ein Teil der Bezirks­parlamente neu gewählt.

Es handelt sich, neben den Europa­wahlen im Juni dieses Jahres, um die letzten landesweiten »Testwahlen«, bevor 2007 sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt werden. Den Zusammenhang zu den Wahlen allgemein, und dem Abschnei­den der extremen Rechten im Beson­deren haben zahlreiche konservative Poli­tiker in den letzten Wochen hergestellt, die damit drohten, der Front National werde noch besser abschneiden, falls die Gesetzesvorlage nicht schnell verabschiedet werde.

Die extreme Rechte

In einer ersten Phase, im Spätherbst 2003, nahm die vermutliche künftige Parteichefin und »Modernisiererin« Marine Le Pen eine Position ein, die eher immanent zur Logik des Verbots­gesetzes erschien. Sie argumentierte damit, welche Symbole ihrer Auffas­sung nach als »auffällig« zu gelten hätten und welche nicht, was eher an eine »konstruktive« Position zugunsten des Verbotsgesetzes denken ließ. Alsbald aber »radikalisierte« die rechts­extreme Partei ihre Positionen erheblich und ging auf Abstand zum Vorhaben der Regierung. Dieses löse ohnehin keinerlei Problem, tönte der alternde Noch-Parteichef Jean-Marie Le Pen. Er wandte sich in der Folge­zeit gegen das Verbotsgesetz zu Kopf­tüchern an der Schule, das nur dafür sorge, dass man »die Gefahr« (jene der »Überflutung« mit Immigranten) nicht mehr sehe. Man solle ruhig die Differenz sichtbar erkennen, so lautet die Philosophie, die den Argumenten Le Pens zugrunde liegt. Ihm ist nämlich nicht an der, »kleinen Trennung« (dem Schulausschluss) gelegen, sondern an der Vorbereitung der »großen Trennung«, jener zwischen der euro­pä­ischen Bevölkerung und den Immi­granten aus moslemischen Ländern.

Mit dieser Position konnte der Front National weiterhin als »radikale Anti-System-Opposition« erscheinen, wäh­rend er zugleich die Hetze gegen die Einwandererbevölkerung verschärfte.

Auch die bürgerliche Rechte ist sich uneins

Auch innerhalb der regierenden bürgerlichen Rechten kam es im Vorfeld der Abstimmung vom 10. Februar zu Kontroversen. Für die UMP-Abgeord­neten hatte ihr Vorsitzender Jacques Barrot in dieser Fraktion die Frak­tions­disziplin aufgehoben. Deswegen konnten auch einige Konservative und Liberale ihre abweichenden Positionen zum Ausdruck bringen.

So wollte ein Teil der konservativen Spitzenpolitiker, allen voran der Parlamentspräsident und ehemalige Innenminister Jean-Louis Debré (UMP), die neue Verbotsregel ausweiten. Nicht nur »plakative« oder »auffällige« religiöse Symbole, wie es nunmehr in der definitiven Fassung der Gesetzesvorlage hieß, sondern überhaupt alle »sichtbaren« Symbole ­ religiöser wie übrigens auch politischer Natur wollte etwa Debré untersagt wissen. Auch ein Teil der sozialdemokratischen Abgeordneten, etwa der ehrgeizige Nachwuchspolitiker Malek Boutih, früher Vorsitzender der staats­nahen Antirassismusgruppe SOS Racisme, plädierten in diese Rich­tung.

Das war aber innerhalb der großen staatstragenden Parteien nicht durch­setzbar. So fürchteten viele, eine zu rigide Formulierung des Verbots werde in der Praxis wesentlich mehr Konflikte auslösen, als es Probleme löse. Zwar juckte es viele Konser­vative in den Fingern, insbesondere auch politische Symbole unter Schülern zu verbieten. Doch letztendlich überwog die Angst, der dadurch ausgelöste Widerspruch könne eher zu einem Politisierungsschub unter Jugendlichen führen und somit gegen­teilige Wirkung entfachen. Einem anderen Teil der Bürgerlichen dagegen ging die Gesetzesvorlage bereits zu weit. Insbesondere Christdemo­kraten und Wirtschaftsliberale stimmten gegen den Entwurf oder enthielten sich zumindest der Stimme. Bei den Einen herrschte die Befürchtung, ein neues Gesetz zum Laizismus werde auch den Einfluss der christlichen Kirchen auf den sozialen Alltag noch stärker zurückdrängen, als das ohne­hin der Fall ist. Das erklärt die Enthal­tung in einem Großteil der christdemokratischen UDF-Fraktion, aber auch die Gegenstimme der ultrakatholischen Abgeordneten Christine Boutin.

Wirtschaftsliberale in den Reihen der UMP sind ihrerseits misstrauisch gegen­über allen etatistischen Vorstel­lungen, die in ihren Augen das gesellschaftliche Leben zu sehr regulieren. Ihnen schwebt eher eine Regelung wie in den USA vor, wo alle Religions­gruppen sich weitgehend frei betätigen können, sofern sie die staatliche Ordnung nicht bedrohen.

Die Spaltungslinien innerhalb der Linken

Aber auch innerhalb der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Linken und im Milieu der sozialen Bewe­gungen rief die Debatte um Laizis­mus und Kopftuchdebatte Spal­tungen hervor. Die Furcht vor einer Stigmatisierung der Einwanderungs­bevölkerung, feministische und anti­klerikale Traditionen, antirassistische Essentials und in manchen Fällen auch eine Art verklärender Dritte-Welt-Romantik trafen dabei aufeinander. Doch überwog bei der KP, bei den Grünen und der trotzkistisch-undogmatischen LCR die Ablehnung der Gesetzesvorlage der Regierung. Dage­gen befürwortete die traditionalistisch-klassenkämpferische Partei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) grundsätzlich Verbotsmaßnahmen für Kopftücher an staatlichen Schulen. Die LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) dagegen einigte sich, nach heftigen inneren Kontro­versen, auf die Mehrheitsposition: »Weder Kopftuch noch Verbots­gesetz«. Einigkeit herrscht allein bei der Ablehnung der Gesetzesvorlage der neokonservativen Regierung.

Ähnlich verläuft die Debatte auch bei den Grünen und der KP, wobei es in einem Teil des KP-Umfeldes ­ vor dem Hintergrund etatistischer Traditionen ­ Sympathien für das Verbotsgesetz der Regierung gibt. Bei den Grünen, die derzeit nur drei Abgeordnete im französischen Parla­ment haben, stimmten zwei gegen die Vorlage.

Argumente der KritikerInnen

Die KritikerInnen befürworten nicht in allen Fällen das Kopftuchtragen als solches. Im Gegenteil betonen linke Kritiker in der Regel ihre Opposition zum Kopftuch oder zumindest gegen jede Form von Zwang – möge er von den Familien oder, in einem anderen politischen und gesellschaftlichen Kontext, von islamistischen Regimen und Gesetzen ausgehen. Zugleich erklä­ren sie, Maßnahmen wie Schul­verweise lösten keinerlei Probleme, sondern könnten die Probleme auch vom Standpunkt der Emanzipation aus nur vergrößern.

Dagegen wird von Kritikerinnen betont, Emanzipation könne nur von den Betreffenden selbst kommen, niemals aber ihnen staatlich verordnet werden. So schreibt die anarchosyndikalistische CNT unter anderem: »Misstrauen gegenüber jedem Herr­schaftsapparat, der sich zum Vertei­diger der individuellen Rechte« – gemeint sind hier jene der Frauen – »aufschwingt, ist geboten. (...) In Wirklichkeit kann die Befreiung der moslemischen Frauen nur das Werk dieser Frauen selbst sein, oder es wird sie nicht geben. Wo sie dagegen stattfindet, werden wir uns bedingungslos mit dieser Emanzipation solidarisieren.«

Unterschiedliche Positionen unter Feministinnen

Auch die feministische Bewegung ist an diesem Punkt gespalten. Das Spektrum der Positionen reicht auf der einen Seite bis zur Position der Zeitschrift ProChoix um Fiametta Venner und Caroline Fourest. Sie gehen von einer gemeinsamen, koordinierten Offensive von »christlichem, jüdischem und islamischem Fundamentalismus« gegen die Rechte der Frauen in der modernen Gesell­schaft aus. Andere dagegen sehen das als eine zu einfache Position an, welche die Widersprüche zwischen den einzelnen Kulturen oder Ideologien mit jeweiligem Hegemonialanspruch unterschätze und einen neuen »Hauptwiderspruch« aufmachen wolle. Auf dem Gegenpol finden sich Femi­nistinnen, die davon ausgehen, dass es notwendig unterschiedliche Wege zur Emanzipation gebe.

Zwischen beiden entgegen gesetzten Polen finden sich eine Reihe von Zwischen­positionen. Nicht zuletzt opponieren jene feministischen Gruppen, die vorwiegend Frauen aus der Einwanderer­bevölkerung vertreten, wie etwa die Vereinigung Rebelles Voix d’Elles (Rebellinnen, Weibliche Stimmen), oft scharf gegen den Gesetzentwurf. Sie befürchten, dass der von vielen Moslems so erlebte »Stigmatisie­rungs­effekt« durch das Gesetz eher Solidarisierungen auslöse, die den reaktionären Strömungen Rücken­deckung durch andere Teile der Immigrantenbevölkerung verschaffen. Allerdings äußern nicht organisierte junge Frauen und Mädchen aus der maghrebinischen Community umgekehrt mitunter Sympathien für das geplante Verbotsgesetz, da sie es als eine Art Schutzwall gegenüber eventuellen Ansprüchen ihrer Väter oder Familien betrachten. Mit dieser »Fernwirkung« eines Verbots nicht auf die unmittelbar von Schul­ver­weisen betroffenen Mädchen, aber auf die anderen Schülerinnen rechtfertigen auch viele – linke und andere – Befürworter ihre Position zu dem Gesetz.

Zwang oder »Differenz«suche?

Jüngste Untersuchungen von Einzel­fällen scheinen zu zeigen, dass die jungen Kopftuchträgerinnen, die unter Druck und Zwang seitens ihrer Familie handeln, wie es bei den ersten »Kopf­tuch-Affären« 1989 anscheinend der Fall war, nur noch einen kleinen Teil der verzeichneten »Fälle« darstellen. Vielfach werden umgekehrt heute die Eltern, die eher Anpassung und Kon­zen­tration auf die schulische oder berufliche Zukunft von ihren Kindern fordern, von einer Form der Radikali­sierung der jungen Generation überrannt. Jungen und Mädchen werfen ihren Eltern vor: »Ihr seid 40 Jahre lang stumm gegenüber allen Benach­teiligungen geblieben und habt nur gearbeitet, weil ihr immer mit der Perspektive der Rückkehr ins Her­kunfts­land gelebt habt. Wir dagegen wollen offen zeigen, dass wir uns nichts mehr gefallen lassen.«

Das zentrale Problem dabei ist aber, dass diese Haltung sich in den 80er Jahren noch vorwiegend mittels der Forderung nach Gleichheit ausdrückte, etwa anlässlich des »Marschs für die Gleichheit«, ein spektulärer Fuß­marsch arabischstämmiger Einwan­derer­kinder von Marseille nach Paris ­ im Dezember 1983. Angesichts des vielfachen Scheiterns dieser Perspek­tive, aufgrund der Verschlimmerung der sozialen Situation in den Ban­lieues und der enormen Enttäuschung der Einwandererkinder durch mehrere Linksregierungen, drückt sich die Frustration der nachwachsenden Gene­ration dagegen oft eher im Verlangen nach Ausdruck von »Diffe­renz« aus. Eine emanzipatorische Perspektive ist das nicht, zumal wenn islamistische oder andere Identitäts­ideologien mit ins Spiel kommen. Dennoch müssen die Gründe dafür ernst genommen werden.

Ob das neue Verbotsgesetz daran irgend etwas ändern wird, wird von den KritikerInnen angezweifelt. Selbst einige konservative Abgeord­nete, die für das Gesetz stimmten, vertraten die Ansicht, dass sich de facto nicht viel ändern werde. Wie Bildungsminister Luc Ferry vor dem Gesetzesausschuss des Parlaments bei der Vorstellung des von ihm mitverfassten Gesetzentwurfs anmerkte, würden jetzt eben neue Symbole gesucht.