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Konstrukt mit Wirkungsmacht

Friedrich Burschel
Einleitung

Die Entwicklungen seit dem Antritt der schwarz-gelben Regierung sind alarmierend: Der über das Dauerthema «Rechtsextremismus» hegemonial gewordene Extremismus-Begriff schlägt auf jene zurück, deren Arbeit gegen Neonazismus und Rassismus sich in den letzten Jahren bewährt hat. Das zuständige Familienministerium macht eine Weiterförderung dieser Projekte von der Unterschrift unter eine Gesinnungsklausel abhängig und erweitert ihre Programme mit fragwürdigen Argumenten auf andere »Extremismen«.

Bild: attenzione-photo.com

Der niedere Stammtisch treibt hohe Politik

Spätestens seit sich Familienministerin Kristina Schröder im Oktober 2010 mit dem Thema »Deutschenfeindlichkeit«1 in Szene setzte, dürfte klar sein, wohin die Reise geht: mit dem angeblich gegen Deutsche gerichteten Rassismus bedient sich der Spross des äußersten rechten Randes der CDU Hessen unbekümmert aus dem politischen Repertoire deutscher Neonazis oder ihnen nahestehender Organisationen. Sie steht für einen massiven Rollback im Gewand der Extremismus-Doktrin und veranstaltet einen ganz eigenen »Aufstand der Anständigen«, der im zurückliegenden Jahrzehnt mühsam erkämpfte Standards im Kampf gegen den organisierten Neonazismus in Deutschland massiv gefährdet. Im Zusammenspiel zwischen Verfassungsschutzämtern, Regierung, sowie Wissenschaft, Politik und Medien, entsteht eine zunehmend repressive Stimmung, in der sich unabhängige Träger der politischen Bildung und Initiativen gegen Rechts einem wachsenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sehen.

Antiextremistische Medienkampagnen schafften es die öffentliche Wahrnehmung von Bedrohungsszenarien zu verändern und die Bedrohung von links an die Wand zu malen: Berlins Innensenator phantasierte mit Blick auf Autonome von »rot lackierten Faschisten« und der Berliner Tagesspiegel prognostizierte im Vorfeld der Dresdener Proteste 2010 eine »Invasion der Extremisten«2 . Während die bewährten Projekte gegen Rechts versuchen mit den neuen Anforderungen klarzukommen, laufen die von Schröder forcierten Programme gegen Linksextremismus und Islamismus an und  es haben sich erste Institutionen gefunden, die aus dem Extremismus-Hype Kapital schlagen wollen.3 Diese werden kein Problem damit haben, die Extremismus-Klausel zu unterzeichnen und vertrauensvoll mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten.

Ein Konstrukt wird realitätstauglich gemacht

Dem immer wieder in die Auseinandersetzung geworfenen Extremismus-Konstrukt wurde mit dem Amtsantritt der schwarz-gelben Regierung zum Durchbruch verholfen. Der Theorie der beiden Professoren Backes und Jesse zufolge seien nur die Erscheinungen am Rande und außerhalb des »Verfassungsbogens« zu bekämpfen, die es auf die Abschaffung des demokratisch-freiheitlichen Systems anlegten und zur Erreichung dieses Ziels auch nicht davor zurückschreckten Gewalt anzuwenden. Dabei werden Ähnlichkeiten zwischen rechten und linken »Staatsfeinden« derart betont, dass es einer Gleichsetzung nahekommt und konsequent neonazistische Umtriebe und menschenfeindliches Denken in der maßgeblichen Mitte verharmlost werden.4

Übertragen auf die aktuellen Verhältnisse ist diese recht simple Theorie schon rasch ad absurdum geführt: daher versuchen beide Wissenschaftler seit einiger Zeit, ihre Idee zu präzisieren und realitätstauglich zu machen, indem sie kurzerhand die Formen »weichen« und »harten« Extremismus einführten. Weiche Extremismusformen halten sich demnach formal an die demokratischen Prinzipien. Harte Extremismusformen zielen dagegen (mehr oder weniger offen) auf den ›Systemwechsel‹ und instrumentalisieren die Demokratie.»5 So steht es im Jahresband 2009 der von Backes und Jesse zu verantwortenden Reihe »Extremismus und Demokratie«, die massiv vom Bundesinnenministerium gefördert wird.6 Was hier als Wissenschaft daherkommt und im Fahrwasser der schwarz-gelben Regierung an gesellschaftlicher Deutungsmacht gewinnt, hält einer kritischen Überprüfung nicht stand und ist vielfach widerlegt worden.7

Die Extremismus-Kampagne der Bundesregierung folgt einem klaren Prinizip: »Das autoritäre Programm, das die Extremismusforschung formuliert, passt sich ein in den neoliberalen Umbau gegenwärtiger Politik. Gegenbewegungen und soziale Proteste werden umgehend als extremistisch (…) identifiziert und so massenwirksam stigmatisiert. (…) Extremismusforschung kann daher als kulturindustrielles Wissenschaftsprogramm des Neoliberalismus gegenwärtiger Prägung verstanden werden (…).«8 Dennoch entfaltet das Wechselspiel zwischen der Ministerin, den »wissenschaftlichen« Zuarbeiter_innen sowie den Bundes- und Landesämtern für Verfassungsschutz eine Wirkmacht, die mühevoll gewachsene Strukturen des Kampfes gegen Neonazismus und Rassismus bedroht und in inakzeptabler Weise politisch instrumentalisiert.

FDGO-Zulassungsstelle

Der Verfassungsschutz (VS) rekrutiert derweil Wissenschaftler_innen aber auch Journalist_innen und maßt sich einen dezidierten Bildungsauftrag an – in Niedersachsen etwa werden Mitarbeiter, die durch Schulen tingeln, ohne Ironie »Demokratielotsen« genannt9 – und kontrolliert den Zugang zum erlauchten Kreis der »Zivilgesellschaft«. Abgesehen davon, dass es eine besorgniserregende Vorstellung ist, dass der VS zunehmend freie Träger aus der politischen Bildungsarbeit verdrängt und sich mit einer ganzen Reihe von öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen,10 in die Schulen und die politische Bildung hineinschiebt, sind auch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes häufig mehr als mangelhaft und halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand: Waren vor allem kleine Projekte und Initiativen11 von dem Backlash betroffen, konnten einige, die sich gegen die Stigmatisierung ihrer Arbeit als »linksextremistisch« zur Wehr gesetzt haben, zumindest zum Teil Erfolge erzielen.12

Politischer Trümmerbruch

Viele aktive Antifaschist_innen und Akteure zivilgesellschaftlicher Arbeit gegen Neonazis hatten sich Anfang des zurückliegenden Jahrzehnts in das Staatsprogramm gegen »Rechtsextremismus« begeben, um mit antifaschistischer Expertise dem Bundesprogramm auf die Sprünge zu helfen. Doch von Anfang an waren sie in dem eng getakteten Fahrplan von Zwischen- und Jahresberichten,  Antragsfristen und arbeitsintensiver Antragsstellung gezwungen auf die »Antragslyrik« einzugehen, die das Programm verlangte. Wesentliche Vokabel bei diesem Procedere war das Wort »Rechtsextremismus«. Deshalb liegt die These nah, dass genau diese Akteure dem Begriff »Rechtsextremismus« mit zu der Wirkmacht verholfen haben, welche ihnen mit der unsäglichen Extremismus-Doktrin nun auf die Füße fällt. Im Rahmen der Arbeit als Berater_innen von Kommunen, Bürgerbündnissen und in der Opferberatung, waren sie bereit, Koalitionen und Kompromisse einzugehen, die sie in der Zeit davor mit guten Gründen abgelehnt hätten. Im Laufe dieser Entwicklung hat sich der Rechtsextremismus-Begriff mit seinen ideologischen Konnotationen durchgesetzt. Viele dieser Institutionen haben sich trotz der ideologischen Mutationen auf dem Weg von der rot-grünen bis zur schwarz-gelben Regierung und den damit verbundenen Anpassungen an immer fragwürdigere Vorgaben und parteipolitische Rücksichtnahmen denoch eine hohe Respektabilität erarbeitet, so dass sie heute noch vernehmbar sind. Welchen Preis sie in politischer Hinsicht dafür bezahlt haben, wird in diesen Tagen sichtbar, wo sie mehr oder weniger hilflos auf die neuen Zumutungen des Familienministeriums reagieren müssen.

  • 1Vielfach tauchte das Phantom der Schröderschen »Deutschenfeindlichkeit« in denzurückliegenden Jahren auch unter dem Namen »Inländerfeindlichkeit« auf und ist im deutschsprachigen Raum eine Domäne der »extremen Rechten«; vgl. auch Guido Speckmann: Deutschenfeindlichkeit. Karriere eines Begriffs, in: Sozialismus www.sozialismus.de/archiv/kommentare_analysen/detail/artikel/deutschenfeindlichkeit (zuletzt aufgerufen am 18.1.2011).
  • 2Tagesspiegel vom 8.1.2010.
  • 3Darunter die Junge Union, die Konrad Adenauer Stiftung, aber auch das Archiv der Jugendkulturen und das Violence Prevention Network, vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Ulrich Maurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.– Drucksache 17/4127 – vom 20.12.2010, und Velten Schäfer: Umstrittene Polit-Knete, in ND vom 15.1.2011; www.neues-deutschland.de/artikel/188614.umstrittene-polit-knete.html (zuletzt aufgerufen am 16.1.2011).
  • 4Eckhard Jesse in Die Welt vom 4.2.2002: »Die Erosion der Abgrenzung zwischen demokratisch und extremistisch geschieht am linken, nicht am rechten Rand.«
  • 5Eckhard Jesse: Die NPD und die Linke. Ein Vergleich zwischen einer harten und einer weichen Form des Extremismus, in: Uwe Backes/ Alexander Gallus/ Eckhard Jesse (Hrsg.): Extremismus & Demokratie, 21. Jahrgang 2009, S. 17
  • 6Das BMI kauft große Chargen der Auflagen von »Extremismus und Demokratie« auf: Deutscher Bundestag Drucksache 17/2850, 17. Wahlperiode 02.09.2010; Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. Förderung der Herausgabe des »Jahrbuches Extremismus und Demokratie« durch die Bundesregierung oder sonstige Bundesbehörden
  • 7u. a. Christoph Kopke/Lars Rensmann: Die Extremismusformel. Zur politischen Karriere einer wissenschaftlichen Ideologie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 45/2000, S. 1451–1462; Markus Mohr/Hartmut Rübner: Gegnerbestimmung. Sozialwissenschaft im Dienst der »inneren Sicherheit«, Münster 2010.
  • 8Vortragsmanuskript, Gesprächskreis Rechts der Rosa Luxemburg Stiftung am 19. März 2010 in Duisburg.
  • 9Bildzeitung Hannover vom 17.1.2011.
  • 10Friedrich Burschel: Kampfküken Köhler und Musterdemokrat Andi, in: analyse & kritik 545, 18.12.2009: www.akweb.de/ak_s/ak545/17.htm (zuletzt aufgerufen am 16.1.2011).
  • 11Die Antifa-Zeitschrift Lotta aus NRW, der Unrast-Verlag aus Münster, die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archiv-Stelle (a.i.d.a.) in München, das Mehrgenerationenhaus-Projekt Inwole in Potsdam etc.)
  • 12So gelang es etwa der Antifa-Zeitung LOTTA dem Verfassungsschutz zu verbieten, sie als »diskursorientierten Linksextremismus« zu führen.