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Keinen Schritt zurück – non un passo indietro

Ein Beitrag von Vincent Arcangelo
Einleitung

Lombardia/Italia. Bereits im AIB 59 berichteten wir über den Mord an dem Mailänder Antifaschisten Davide »Dax« Cesare aus dem centro sociale (cs) »O.R.So.«. Sein Todestag jährt sich am 16. März 2005 zum zweiten Mal. Seit über einem Jahr wird die Linke in der gesamten Lombardei, speziell aber in Mailand, vom stetig anwachsenden Terror der Neonazis bedroht. Hauptziel scheint die Zerstörung der linken Infrastruktur in der Region zu sein – aber auch vor Mord schrecken sie nicht zurück.

Neonaziskinheads in Mailand posieren vor dem »Last Resort«.

Im Gegensatz zu Süditalien, wo die in der Regierung vertretenen Faschisten auf soziale Hegemonie setzen, ist der Norden Schauplatz rechtsterroristischer Angriffe. Die Nachwehen der militanten Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua im Juli 2001 nutzte die parlamentarische sowie die außerparlamentarische Rechte in Italien geschickt, um die antagonistische Linke zu torpedieren. Großflächig wurden Ermittlungsverfahren gegen Globalisierungsgegner angestrengt, die in Prozessen zu hohen Strafen verurteilt wurden. Auch losgelöst von den Ereignissen in Genua erreichte die Kriminalisierung der Linken bedrohliche Ausmaße. Hand in Hand mit der staatlichen Repression gehen auch die militanten Neonazis zum Frontalangriff über.

Das »O.R.So.« und dessen Aktivisten stehen dabei im Focus der Angriffe. Dies ist kein Zufall, denn dieses Zentrum steht für konsequente antifaschistische Politik. Den Auftakt der bis dato anhaltenden Angriffe machte ein zunächst unspektakulär wirkender Vorfall. Am 17. Januar 2004 waren Aktivisten aus dem »O.R.So.« und anderen Mailänder centri sociali auf dem Weg zu einer antifaschistischen Demonstration in Genua. Bei der Abfahrt in Mailand hielten sich zwei Nazis im Zug auf. Ihnen wurden ihre rechten Aufnäher abgenommen und sie mussten am nächsten Bahnhof aussteigen. Umgehend erstatteten sie Anzeige bei der Polizei. Der in Genua für die Antifa-Demo zuständige Einsatzleiter ließ daraufhin alle DemoteilnehmerInnen abfilmen. Das gewonnene Material wurde dann den Neonazis vorgeführt, die zunächst zwei Personen beschuldigten: Marta und Orlando aus dem O.R.So., die maßgeblich die Rolle der Polizei bei der Ermordung von »Dax« anprangerten. Knapp zwei Monate später wurden Marta und Orlando sowie zwei weitere Genossen, Milo und Frederico, aufgrund der Neonaziaussagen verhaftet. Die Anklage lautete auf Körperverletzung und Raub. Erst im Juli konnten die vier die Haft verlassen und wurden unter Hausarrest gestellt. Als erste wurde Marta im Oktober zu knapp zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die anderen Urteile stehen noch aus.

Eine Gruppe von 15 Neonazi-Skins zog am 20. April durch das in Mailand als linkes Viertel bekannte »Ticinese«. Als ein Aktivist des »O.R.So.« zufällig den Weg der Gruppe kreuzte, gingen die Neonazis sofort zum Angriff über. Er erlitt Stich- und Schnittwunden am Bein. Vier Tage später kam es in Bergamo zu einem ähnlichen Vorfall, an dem ebenfalls ca. 15 Neonazis beteiligt waren. In der Nacht des 2./3. Juni verübten Neonazis einen Brandanschlag auf das c.s. »La Sede« in Vigevano, nahe Mailand, welches fast vollständig zerstört wurde. Das Zentrum hatte sich stark in der Freilassungskampagne für die vier Antifas engagiert.

Ende August griffen etwa 15 Neonazis eine Gruppe von Linken aus dem c.s. »Pací Paciana« in Bergamo wiederum mit Messern an. Dabei wurden drei Genossen verletzt. Eine Person erlitt einen Messerstich direkt neben dem Herzen und überlebte nur durch Zufall. Knapp eine Woche später, am 6. August, kam es erneut zu einem Überfall auf Antifas in »Ticinese«. In einer linken Kneipe tauchten zwei Neonazis auf und pöbelten Gäste an. Der Wirt bat im nahe gelegenen c.s. »Conchetta/Cox 18« um Hilfe. Als die Antifas eintrafen, flüchteten die Neonazis in eine kleine, schlecht beleuchtete Seitenstrasse. Dort warteten bereits ca. 25 weitere Neonaziskins mit gezückten Messern. Innerhalb kurzer Zeit erlitten sechs Antifas schwerste Verletzungen. Eine Person lag für mehrere Tage im Koma und schwebte in Lebensgefahr. Es handelte sich um eine sorgsam geplante Falle, was auch daran deutlich wird, dass ein älterer Neonazi die Aktion leitete. Bei dem Angriff verlor Stefano del Miglio, ein Kader der neonazistischen »Skinheads Milano«, seinen Ausweis. Er wurde einige Tage später auf einem Zeltplatz in der Toscana verhaftet. Zudem wurden noch zwei weitere Neonazis festgenommen.

In der Nacht auf den 15. August verübten Neonazis einen Brandanschlag auf das c.s. »Cantiere« in Mailand. Es entstand nur geringer Sachschaden. Am nächsten Abend nahm die Polizei drei Neonaziskins in flagranti fest, als sie einen Anschlag auf das c.s. »Vittoria« in Mailand durchführen wollten.

In Bergamo brannte am 20./21. Dezember das c.s. »Pací Paciana« ab. Die Nazis zerstörten alle elektronischen Geräte und setzten dann die Räume mit Benzin in Brand. Sie hinterließen einen Vorschlaghammer. Im Mailänder »O.R.So.« wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar 2005 Feuer gelegt. Weite Teile des Gebäudes wurden dabei zerstört. Obwohl auch hier ein Vorschlaghammer gefunden wurde und es zwei Brandherde gab, wurde der politische Hintergrund ignoriert und die Polizei geht unbeirrt von einem Kurzschluss aus.

Am 22. Januar organisierte die »Fronte Nazionale« in Brescia einen Büchertisch mit rechtsextremer Propaganda. Als sich ein vom c.s. »Magazzino47« organisierter Protestzug auf den Büchertisch zu bewegte, stürmten die Nazis mit Knüppeln bewaffnet auf die Teilnehmer los, mussten jedoch im Verlauf der Auseinandersetzung den Rückzug antreten. Als Racheakt wurde zwei Tage später das »Magazzino47« in Brand gesteckt und zerstört.

Am 28. Februar 2005 wurde ein Wahlwerbestand der »Alleanza Nazionale« in Mailand angegriffen und teilweise zerstört. In diesem Zusammenhang wurde Daniele A., ein Aktivist des c.s. »Vittoria«, festgenommen. Er wurde in einem Schnellverfahren zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt. Wegen der mutmaßlichen Beteiligung von Daniele verübten Anfang März Neonazis einen Anschlag auf das »Vittoria«. Sie schlugen wiederum mit einem Vorschlaghammer ein großes Loch in die Rückwand des Gebäudes und drangen so in die Räume ein. Auch hier zerstörten sie zunächst alle elektronischen Geräte und setzten dann das Zentrum in Brand. Auch das »Vittoria« brannte vollständig aus.

Bereits in den 70er und 80er Jahren war Norditalien Ziel von neofaschistischen Terroranschlägen. Heute gilt es als sicher, dass die rechtsextremen Akteure mit Unterstützung von Geheimdiensten und Polizei agierten. Nur in Italien selbst wird dieses vehement abgestritten. Dieser Logik folgend wurden erst im letzten Jahr die Verantwortlichen für den neofaschistischen Bombenanschlag vom 12. Dezember 1982 an der Piazza Fontana/Mailand endgültig freigesprochen. Auch jetzt liegt die Vermutung nahe, dass die Neonazis zumindest mit Duldung der staatlichen Organe ihr Unwesen treiben. Die Unergiebigkeit der Ermittlungen, die Verleugnung eines Zusammenhangs zwischen den einzelnen Angriffen sowie das Abstreiten eines politischen Hintergrundes der Anschläge sprechen wohl für sich.