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Keine Köpfe, keine Strukturen, kein Konzept?

Einleitung

Wer in den 1990er-Jahren den »Rassenkrieg« von heute plante

Jahrelang haben die Behörden, die für die Beobachtung der Neonaziszene zuständig sind, die Existenz einer terroristischen Gruppierung nicht aufdecken können. Ein Grund dafür liegt in der unzureichenden Analyse dessen, was eine neo-nationalsozialistische Bewegung ausmacht.1 Die politischen Ziele der neo-nationalsozialistischen Rechten sind in ihrem Kern immer verbunden mit Gewalt, Terror und Vernichtung. Dem Terror des historischen NS kam die Aufgabe zu, politische und »rassische« Gegner_innen auszuschalten oder zu vernichten. Ähnlich agiert der neonazistische »nationale Widerstand« heute, wenn er sich Platz auf der Straße oder in den Kommunen verschaffen will: er nimmt die »Volksfeinde ins Visier« und droht ihnen mit dem Tod.

  • 1So schrieb im Jahr 2000 der VS in Nordrhein-Westfalen: »Vor dem Hintergrund anhaltender Gewalttaten von Rechtsextremisten und Waffenfunden (…) wurde in der Öffentlichkeit die Gefahr der Herausbildung rechtsterroristischer Strukturen thematisiert. (…) Dazu dürften (…) vor allem Konzepte, Infrastrukturen und strategische Köpfe fehlen«.

Das Buch »The Way Forward« des norwegischen B&H-Führers Erik Blücher bzw. Tor Erik Nilsen (Bildmitte), das den Aufbau von Combat 18 als bewaffneten Arm von Blood & Honour, organisiert nach dem Prinzip des »führerlosen Widerstandes« skizziert, kursierte in der Szene.

Wenn wir eine Antwort darauf finden wollen, warum die Neonazigruppe, deren Kern sich zuletzt als »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) bezeichnet hatte, den Weg in den bewaffneten Untergrund genommen hat, müssen wir uns auch noch einmal mit ihrem Ausgangsort beschäftigen. Wir müssen das politische Milieu und damit ihren geistigen und aktionistischen Erfahrungsraum in den 1990er-Jahren beschreiben.

»Anti-Antifa«: denunzieren und  angreifen

Die 1990er Jahre brachten die massivste politische Gewalt von Rechts hervor, die es in Deutschland seit 1945 je gegeben hat. Jahrelange Gewaltexzesse und vor allem deren relativer Erfolg in den Kommunen, sei es bei der Vertreibung der Flüchtlinge oder in der Bekämpfung der Linken, waren die politische Schule einer ganzen Generation von Neonazis. Direkte polizeiliche Repression blieb oft aus. Erst ab Ende 1992 bis ins Jahr 1996 folgte eine Welle von Verboten gegen den organisierten Teil der Szene. Die führenden Köpfe entwickelten da bereits den nächsten Schritt der gewaltsamen Auseinandersetzung: das Konzept der »Anti-Antifa«. Obwohl es rhetorisch immer als Gegengewalt verkauft wurde, diente es doch der offensiven Ausweitung der Angriffe auf noch mehr politische Gegner_innen. Der Kreis der als »Volksfeinde« denunzierten Menschen wurde erheblich ausgedehnt auf alle, die sich politisch gegen Neonazis stellten. Und die veröffentlichten Adresssammlungen forderten die Neonazi-Gruppen auf, vor Ort tätig zu werden. Oder wie es der »Einblick« 1993 formulierte: den Linken »unruhige Nächte« zu bereiten und sie »endgültig auszuschalten«.

Vor der staatlichen Repression  wegtauchen: Kameradschaften und Subkultur

Die Organisationsverbote führten zu einer Differenzierung der Neonaziszene. Das erfolgreichste Konzept der zweiten Hälfte der 1990er wurde der Aufbau kommunaler Kameradschaften. Nach außen lose wirkende Zusammenschlüsse Gleichgesinnter ohne fixiertes Regelwerk, um drohenden Verboten entgegen zu wirken. Nach innen waren und sind die Kreise verschworene Gruppen »politischer Soldaten«, angeleitet und geführt von einem oder mehreren männlichen Kameraden – selten auch von Frauen in Führungsrollen. Von Beginn an wurden regionale und überregionale Vernetzungen der Führungskreise aufgebaut, wodurch beispielsweise politische Kampagnen angeschoben wurden.1   Selbstverständlich setzten diese Kameradschaften auch die Anti-Antifa-Arbeit um.

Neben dem Strassenterror fokussierten Andere auf den Aufbau der militanten Neonaziskinhead-Gruppen. Blood & Honour wurde spätestens in der zweiten Hälfte der 1990er das führende Netzwerk, das lokal die neonazistische Subkultur stärkte, sich an den Einnahmequllen der illegalen Musikproduktion bereicherte und internationale Netze sponn.

Combat 18: Den »Rassenkrieg«  organisieren

Als Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt 1998 in den Untergrund gingen, war das Konzept von Combat 18 impulsgebend für den neonazistischen Untergrund und für die, die es werden wollten.

Das Buch »The Way Forward« des norwegischen B&H-Führers Erik Blücher (auch Tor Erik Nilsen), das den Aufbau von Combat 18 als bewaffneten Arm von Blood & Honour, organisiert nach dem Prinzip des »führerlosen Widerstandes« skizziert, kursierte in der Szene. Diese erste Schrift wurde um die Jahrtausendwende ergänzt durch das »Field Manual« von Blood & Honour, das der konkreten Umsetzung der Hinweise aus »The Way Forward« dienen sollte: Es gab »actual activist instructions«. Jahrelang waren in der Szene die Videomagazine »Kriegsberichter« kursiert, die offen den »Rassekrieg« propagierten und visualisierten: »Zigger, Zigger. Shoot that fucking Nigger!«.

Eine Generation des bewaffneten Rassismus

Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Wohlleben und Gerlach stammen alle aus Jena. Sie waren organisiert in Kameradschaftsstrukturen, vernetzten sich über den Thüringer Heimatschutz landesweit und tauchten, in unterschiedlichen Konstellationen, seit Mitte der 1990er-Jahre auf überregionalen Demonstrationen oder auch bei Konzerten des B&H-Netzwerkes auf. Von Böhnhardt und Mundlos wird erzählt, sie seien in Thüringen direkt in Blood & Honour-Aktivitäten involviert gewesen. Böhnhardt, Mundlos und Wohlleben beteiligen sich an solidarischen Aktionen für Manfred Roeder, der bereits in den 1980er-Jahren wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden war und ein Vorbild der Szene blieb. Während Teile der Neonazi-Strukturen die Vorbereitung auf den »Rassenkrieg« propagierten, unternahmen die späteren NSU-Mitglieder bereits erste Schritte beim Bau von zunächst Bombenattrappen und später Rohrbomben. Sie brachten also von ihrer Seite alles mit, um den Schritt in den bewaffneten Untergund zu gehen. Dass ihnen dies so umfassend und langanhaltend gelang, hatte mit Sicherheit auch andere Gründe. Denn außer den ThüringerInnen könnte man sicherlich noch ein paar Hundert andere nennen, die Ende der 1990er-Jahre eine Generation des bewaffneten Rassismus formierten. Ihr Verbleib wird uns auch in Zukunft noch beschäftigen müssen.

Fazit

Die Option des »bewaffneten Widerstands« nimmt in den strategischen Planungen der Neonaziszene je nach Situation einen breiten oder marginalen Raum ein; sie ist jedoch als Option ständig präsent. Dies sollten wir uns bei der Untersuchung der Neonazis immer wieder vor Augen halten. Vor allem ist das Training von und die geistige Vorbereitung auf gewaltsame und bewaffnete Auseinandersetzungen eine permanente Praxis. Das beginnt bei der begeisterten Beschäftigung mit jederlei militärischen Themen, vor allem des »heldenhaften« Kampfes der Großväter im zweiten Weltkrieg. Die Aktivisten und Aktivistinnen der Szene begreifen sich in erster Linie als »politische Soldaten«. Eine Rolle, die deutlich männlich konnotiert ist und meistens auch den Männern vorbehalten bleiben soll. Die gewaltsame Auseinandersetzung mit den politischen Gegner_innen, vor allem den »Roten«, der Antifa oder auch den »Ausländerbanden« wird als dauerhaftes Muss und Beweis der Härte des Kampfes stilisiert. Und schließlich streben alle neonazistischen AktivistInnen nach der Ausbildung an Waffen, der paramilitärische Umgang wird in Wehrsport- und Schießübungen trainiert, einschlägige Literatur kursiert und wird intern diskutiert.

  • 1Zu erwähnen sei in diesem Kontext vor allem die massiven Proteste ab 1997 gegen die sogenannte »Wehrmachtsausstellung« des Hamburger Institut für Sozialforschung, die mit Parolen wie »Mein Großvater war kein Verbrecher« oder »Schluß mit der antideutschen Hetze!« agierte.