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Kein Anstand der Zuständigen. Gleiche Rechte statt Rassismus und Ausgrenzung

Einleitung

Dem Gerede von Menschlichkeit und Toleranz steht eine Praxis gegenüber, die MigrantInnen diskriminiert und ihnen gleiche Rechte verweigert. Die Inhaftierung und Abschiebung von Flüchtlingen ist alles andere als human.

Am 9. November letzten Jahres geschah etwas Ungewöhnliches. Bundes- und Länderregierungen, Parteien und ParlamentarierInnen sahen sich genötigt, die Regierungsgeschäfte zu unterbrechen, um auf der Straße für Menschlichkeit und Toleranz Gesicht zu zeigen. Ungewöhnlich, weil diese Gesichter jeden Tag in den Medien zu sehen sind. Ungewöhnlich aber auch, weil diese Leute die Bevölkerung zum Handeln aufriefen, statt die weitreichenden Entscheidungen, die sie täglich treffen, zu überdenken. Entweder nehmen sich die PolitikerInnen selbst nicht ernst oder sie nehmen das Problem nicht ernst, von dem sie vorgeben, so erschüttert zu sein.

Vor acht Jahren, am 8. November 1992, gab es schon einmal eine staatlich inszenierte Großdemonstration in Berlin. Zuvor hatte die Polizei die pogromartigen Angriffe auf Flüchtlinge u. a. in Hoyerswerda und Rostock geduldet. Hunderttausende gingen zu Lichterketten, und einige Neonazigruppierungen wurden verboten. Schon damals ging es den Verantwortlichen in der Regierung darum, gegenüber dem Ausland das anständige Deutschland zu repräsentieren. Nachdem das erledigt war, schafften die damalige Bundesregierung und die SPD Mitte 1993 das Grundrecht auf Asyl faktisch ab. Dabei nutzte die Politik die rassistischen Angriffe als Begründung. Durch das Flughafenverfahren, die Abschiebehaft, das Asylbewerberleistungsgesetz, Arbeitsverbote und -einschränkungen oder zahlreiche Kampagnen gegen Flüchtlinge, sogenannte Ausländerkriminalität oder die islamische Religion in den folgenden Jahren wurde die Lage der Betroffenen kontinuierlich verschärft.

In diesem gesellschaftlichen Klima konnten sich rechtsextremes Einstellungspotenzial und Neonazistrukturen weiter entfalten. Todesopfer neonazistischer Gewalt wurden ignoriert oder geleugnet, die punktuelle Dominanz der Neonazis auf der Straße großzügig übersehen. Auf ein Neues: Die Inszenierung des »Aufstandes der Anständigen«. Acht Jahre nach den Lichterketten wurde nach einigen spektakulären Anschlägen plötzlich die »braune Gefahr« wieder erkannt. Neue Verbote von Naziorganisationen und ein neuer Aufruf der Regierenden an die Bevölkerung, sich zu Demonstrationen einzufinden. Die Vorgeschichte lässt nichts Gutes ahnen. Wieder steht zur Disposition, was vom Grundrecht auf Asyl noch übriggeblieben ist. Diesmal im Rahmen der Zuwanderungsdebatte.

Staatliche Ausgrenzung und institutioneller Rassismus

Die halbherzige Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts 1999 und die Erleichterungen bei der Einbürgerung durch die rotgrüne Regierung können nicht über eine Vielzahl ausgrenzender Gesetze und Verordnungen hinwegtäuschen, die nach wie vor Gültigkeit haben. Die Inhaftierung von Flüchtlingen in Abschiebeknästen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, als dass sie hier Zuflucht gesucht haben, die Unterbringung unter menschenunwürdigen Umständen in Sammelunterkünften, die Versorgung weit unter dem Existenzminimum nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder die Einschränkung der Freizügigkeit durch die Residenzpflicht sind nur einige Beispiele. Diese Behandlung von Flüchtlingen soll der Abschreckung dienen. Sie ist ganz offen gegen die Würde der Menschen gerichtet, soll sie zermürben und demütigen.

Viele Forderungen der extremen Rechten, die jetzt als dumpf oder intolerant gescholten werden, sind vonder Politik breit getragen und längst umgesetzt worden. So etwa die »Republikaner«-Parole »kriminelle Ausländer raus«, die später von Gerhard Schröder benutzt wurde. Der Aufsehen erregende Fall »Mehmet« ist nur ein Beispiel für die gängige Praxis, selbst jugendliche Straftäter abzuschieben, die hier geboren und aufgewachsen sind. Auch der NPD-Slogan »Arbeit zuerst für Deutsche« ist seit 1993 bereits Realität. Seitdem dürfen Arbeitserlaubnisse für nichtprivilegierte Ausländer nur dann erteilt werden, »wenn es trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten desinländischen Arbeitsmarktes nicht gelingt, einen freien Arbeitsplatz mit einem bevorrechtigten Arbeitnehmer zu besetzen«. Demnach können nur Arbeitsplätze, für die nachweislich keine Deutschen oder bevorrechtigte ArbeitnehmerInnen z. B. aus der EU zu finden sind, an MigrantInnen vergeben werden. Selbst bei ausdrücklichem Wunsch des deutschen Arbeitgebers können zum Teil langjährige Beschäftigungsverhältnisse nicht fortgeführt werden.

Ungleichbehandlung und institutioneller Rassismus wird auch im Handeln von Behörden, Polizei oder Bundesgrenzschutz deutlich. Die verdachtsunabhängigen Personenkontrollen desBundesgrenzschutz treffen vorwiegend MigrantInnen. Ausgerechnet dort, nämlich beim Vollzugsorgan der Abschiebungen, eine Hotline einzurichten, an die sich Betroffene rassistischer und neonazistischer Übergriffe wenden sollen, ist ein kaum zu überbietender Zynismus. Nicht selten wenden sich Polizeimaßnahmen gegen die Opfer von Übergriffen statt gegen die Täter. Der britische Journalist Justin Jin erfuhr das am eigenen Leibe. Im brandenburgischen Rathenow war eram 25. August 2000 von Neonazis angepöbelt worden. Statt Jin zu schützen, entriss die herbeigerufene Polizei ihm den Fotoapparat und zerrte ihn in einen Streifenwagen. Einen polnischen Staatsangehörigen, der bei einem Angriff schwer verletzt wurde, schoben die Berliner Behörden im Herbst letzten Jahres wenige Tage vor dem Prozess ab. Da es dem Opfer nicht mehr möglich war, als wichtigster Zeuge in dem Prozess auszusagen, konnte der mutmaßliche Täter nicht verurteilt werden.

Kulturelle Begründung von Rassismus

Rassismus beruht heute nicht mehr nur auf der Konstruktion von sogenannten Rassen durch biologistische Unterscheidungen. Dieser traditionelle Rassismus mit seinen absurden Auswüchsen wird vor allem durch Neonazis propagiert. Er ist jedoch durch die Wissenschaft vielfach widerlegt. Moderner Rassismus stützt sich auf kulturelle Verschiedenheiten und begründet damit den angeblich unterschiedlichen Wert von Menschen. Insofern wird vielfach infrage gestellt, ob der klassische Rassismusbegriff nicht am Kern der Sache vorbeigeht. Wesentlicher ist in diesem Zusammenhang jedoch die Funktion des Rassismus als vermeintlicher Beweis für die eigene Überlegenheit und als Legitimierung von Herrschaft und Ausbeutung. Derzeit dient er auch als Rechtfertigung der europäischen Abschottungsideologie und rigider Abwehrmaßnahmen an den Außengrenzen, die bereits Hunderte von Todesopfern gefordert haben. Daher erscheint Albert Memmis weitgefasste Definition, wonach Rassismus die »verallgemeinerte und verabsolutierteWertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Vorteil des Anklägers und zum Nachteil seines Opfers, mit den Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen« durchaus aktuell. Auch wenn Memmi dies auf den traditionellen, biologistischen Rassismus bezieht. 

Die Möglichkeit, mittels kultureller Unterschiede die eigene Höherwertigkeit und die Aggression gegen andere zu begründen, sind ungeheuer vielfältig. Im aktuellen Diskurs ist es z. B. die Formulierung einer bislang noch undefinierten »Leitkultur« durch die CDU. Nicht nur platte Aussagen, wie die vom CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer mehrfach geäußerte Parole der Rechtsextremen, er sei »stolz Deutscher zu sein« oder der CDU-Wahlkampfslogan »Kinder statt Inder«, der dann von den »Republikanern« übernommen wurde, gehören dazu. Eine ähnliche Funktion hat die Stigmatisierung von Flüchtlingen als Wirtschaftsflüchtlinge, d. h. Aufgrund ihrer Herkunft aus dem Trikont, durch Innenminister Schily, die Betonung von Problemen multikulturellen Zusammenlebens oder die Beschwörung einer Gefahr für die westliche Kultur durch die islamische Religion. Selbst der gutgemeinte, scheinbar antirassistische Vorschlag der Ausländerbeauftragten MigrantInnen erst einmal Integrationskurse absolvieren zu lassen, impliziert jenseits der Sprachvermittlung eine problematische Verschiedenheit und Überlegenheit der deutschen oder europäisch/westlichen Kultur.

Nützlichkeitsdenken und Sozialdarwinismus

Zwar werden rassistische Einstellungen in der Bevölkerung von PolitikerInnen mobilisiert und funktionalisiert, die Auswirkungen sind jedoch keineswegs immer erwünscht. Daher ist es nicht nur Heuchelei, wenn neonazistische Gewalt verdammt und ihre Eindämmung gefordert wird. Der Widerspruch existiert etwa da, wo sie nicht nur deutsche und ausländische Habenichtse, sondern ausländische Wissenschaftler und Spezialisten trifft, die am »Standort Deutschland« benötigt werden. Im Diskurs des letzten Sommers hat sich darum die Unterscheidung in »nützliche und unnütze« MigrantInnen durchgesetzt. Nicht erst die zugespitzten Äußerungen von CSU-Politikern haben das bewirkt. In die gleiche Richtung zielte bereits der Vorschlag einer per Greencard zeitlich befristeten Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Spezialisten durch Bundeskanzler Gerhard Schröder. Trotz dieser scheinbaren Öffnung für Zuwanderung hat damit der Diskurs nichts von seinen Ausgrenzung eingebüßt.

Elemente rechtsextremer Einstellungen wurden vielmehr bestärkt. In der Unterscheidung von »nützlichen und unnützen« Ausländern, solchen, »die gebraucht werden« und solchen, die »der Bevölkerung nur auf der Tasche liegen«, wird ein Sozialdarwinismus zum Ausdruck gebracht, an den rechtsextreme Propagandisten anknüpfen können. Werden MigrantInnen von den Neonazis allgemein als unnütz angesehen, führt die Gegenreaktion, nämlich deren Nützlichkeit im Einzelfall nachzuweisen, zum endgültigen Durchbruch einer Ideologie, Menschen nach Nützlichkeitskriterien einzuordnen und zu behandeln. Damit geht zumindest langfristig auch der mitunter gut gemeinte Versuch nach hinten los, die »Standortinteressen« für einen besseren Schutz von Minderheiten vor rassistischen Angriffen zu nutzen und die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen, um z. B. Gegen »No-go-areas« vorzugehen. Biologismus und Volkstum sollen von einem modernen Rassismus abgelöst werden, der kapitalistische Interessen wieder in den Vordergrund stellt. Die völkische Gemeinschaft weicht der Standortgemeinschaft, zu der auch dunkelhäutige »LeistungsträgerInnen« gehören können. Nur, die meisten »Leistungsträger« sind eben immer noch deutsch, weiß und männlich. Die vereinfachende Parole, »Hinter dem Faschismus steht das Kapital«, wird zwar der zunehmend differenzierteren Realität nicht mehr gerecht. Aber die Unterscheidungen in Ausländer und Deutsche, Leistungsträger und Sozialschmarotzer, Ungleichheit, Konkurrenzdenken und Ausgrenzung gehören gleichermaßen zu den Bedingungen für Kapitalismus und Rechtsextremismus.

Die Toleranz der Wirtschaft beginnt dort, wo rassistische Gesetzgebung und Alltagsrassismus die rassistische Ausbeutung behindern, etwa wenn durch die Störung des Betriebsfriedens Arbeitsmotivation und Produktivität sinkt. Die Lockerung des Arbeitsverbotes für Flüchtlinge ist deshalb kein ausschließlich menschenfreundlich motivierter Akt, ebenso wie das Toleranzwerben gegenüber ausländischen Spitzensportlern, Wissenschaftlern und Spezialisten. Es endet dort, wo Minderheiten und MigrantInnen nicht mehr im kapitalistischen Produktionsprozess verwertbar sind. Damit ist Armut wieder zum anerkannten Ausgrenzungskriterium geworden. Bislang war noch nicht die Rede davon, die Situation der Habenichtse, etwa der Obdachlosen oder Flüchtlinge zu verbessern. Statt ihnen ein normales Leben zu ermöglichen, das die Gewöhnlichkeit des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen durch gleiche Rechte verdeutlichen würde, stehen Abgrenzung, Abschottung und die Institutionalisierung des Anderen und Fremden im Vordergrund. Neonazis setzen diese Ausgrenzung in gewalttätiger Weise um. Sie fühlen sich als Speerspitze alltäglicher und politischer Ausgrenzung. Auch diese Erkenntnis ist nicht neu. Dass sie immer noch ignoriert wird, zeigt wie wenig ernst das Gerede von Menschlichkeit und Toleranz gemeint ist.

Rassismus der Eliten und Ethnisierung von Konflikten

Es ist unbestritten, dass rassistische Einstellungen eine lange Geschichte haben, kulturell verwurzelt und gewachsen sind. Sie werden jedoch durch die Berichterstattung der Medien oder Aussagen von PolitikerInnen immer wieder reproduziert und funktionalisiert. Auf rassistische Einstellungen wird z. B. zurückgegriffen, wenn es darum geht, ein Gefühl vermeintlich kollektiver Überlegenheit gegenüber anderen herzustellen, durch das soziale Widersprüche und soziales Elend leichter zu ertragen sind. Rassismus wird dann mobilisiert, wenn es darum geht, Konflikte und Missstände zu ethnisieren. Für die zunehmend ungleiche Verteilung von Arbeit, Reichtum oder Bildungschancen können dieserart wahlweise portugiesische Bauarbeiter, kurdische Sozialhilfeempfänger oder jugendliche MigrantInnen in Schulklassen verantwortlich gemacht werden, statt der Akteure in Politik und Wirtschaft. Die sozialen Verlierer der neoliberalen Kapitalisierung lassen sich dadurch ebenso leicht gegeneinander aufhetzen und spalten, wie sich ihre Frustration und Wut kanalisieren lässt. Auch kommunale »Problemlagen«, von Jugendkriminalität über Drogenmissbrauch bis hin zu Fehlentwicklungen von Stadtstrukturen, werden als Streitfragen multikulturellen Zusammenlebens mit Hautfarbe und Herkunft in Verbindung gebracht, statt politische Lösungen dafür zu finden.

Neonazistische Gewalt ist die offensichtliche, wenngleich unappetitliche Folge der Politik der Mitte und der öffentlichen Diskurse der Eliten. Abgrenzung gegen Rechtsextremismus und dessen Pädagogisierung verfolgen daher immer auch den Zweck, eigene Verantwortung zu negieren. Auch das zeigen die Erfahrungen der Lichterketten von vor acht Jahren. Die extreme Rechte ist durch eine weitere Rechtsentwicklung, durch Rassismus, Ausgrenzung und Nationalismus nicht zu bekämpfen. Dieser falsche Weg wird heute erneut eingeschlagen. Etwa wenn Bundesinnenminister Schily die inhumane Politik von Abschottung und Abschiebung fortführt. Untauglich sind auch Versuche von linksliberaler Seite, wie z. B. der Vorwurf Jürgen Trittins an die Neonazis, keine guten Deutschen zu sein, weil sie dem deutschen Ansehen im Ausland schaden oder die plötzliche Liebe der PDS-Führung zur deutschen Nation. Damit wird der extremen Rechten nicht das Wasser abgegraben, sondern sie werden gefördert. Solange das eigentliche Anliegen der etablierten Politik der Schutz des nationalen Ansehens ist, wird es keine konsequente Bekämpfung des Rechtsextremismus geben. Derzeit scheint es ihnen wichtiger, Neonazis von Nationalsymbolen wie dem Brandenburger Tor fernzuhalten als von Flüchtlingsunterkünften.

Gleiche Rechte statt Mitleid

Am 9. November 2000 kamen Opfergruppen und Initiativen, die sich seit langem gegen Neonazis, Rassismus und Ausgrenzung engagieren, nicht zu Wort. Sie hätten die Illusion eines großen Konsens gegen rechtsextreme Gewalt gestört. Die Forderung kann nicht in Mitleid und Toleranzwerben für diejenigen bestehen, die immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Stattdessen muss die Position von Minderheiten gestärkt werden. Das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen kann erst dann zur Selbstverständlichkeit werden, wenn auch gleiche Rechte durchgesetzt werden. Für die antifaschistische Linke war dies immer eine zentrale Forderung im Kampf gegen Rassismus. Sie entsteht aus der Erkenntnis, dass die »Grenzen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten verlaufen«. Mitleid und gutgemeintes Toleranzwerben zeigen immer noch an, dass Minderheiten und MigrantInnen als außerhalb der Gesellschaft stehend angesehen werden. Stattdessen gilt es, die gemeinsamen sozialen Interessen zu erkennen und zusammen dafür zu kämpfen.

Gesellschaftlich relevante Beispiele dafür liegen leider lange zurück. Etwa in der Streikbewegung der 70er Jahre, als Deutsche und MigrantInnen vor dem Hintergrund des Widerspruches zwischen Arbeit und Kapital noch für Lohnerhöhungen, Mitbestimmung oder bessere Arbeitsbedingungen in den Betrieben kämpften. Damals war die linke Arbeiterbewegung noch nicht völlig in der Konsens- und Standortpolitik der Gewerkschaften untergegangen. Auch die Kampagne der 80er Jahre für ein Kommunalwahlrecht für MigrantInnen war ein Schritt bei dem Versuch, gleiche Rechte zu erkämpfen. Von einer Politik der gleichen Rechte sind die Akteure der Sommerdebatte weit entfernt. Sie versuchen lediglich, die Gewalttaten der Neonazis gegen das bestehende System von Ausgrenzung und institutionellem Rassismus abzugrenzen. Statt auf mehr Demokratie, soziale Gleichheit und Gerechtigkeit setzen sie einerseits auf den Ausbau des Repressionsapparats und Einschränkung von BürgerInnenrechten und andererseits auf die Vermittlung abstrakter demokratischer Werte. Letzteres kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn jene Werte wenigstens ansatzweise der Realität entsprechen und nicht zu bloßen Werbeslogans verkommen.

Die große Resonanz, die das Thema Rechtsextremismus im letzten Sommer gefunden hat, bietet für die linke Antifabewegung trotz aller Kritik jedoch auch die Chance, für ihre Forderungen und Ansichten eine aufgeschlossenere und aufmerksamere Öffentlichkeit zu finden. Viele TeilnehmerInnen der Demonstration am 9. November haben in kritischer Weise die Asylpolitik zum Thema gemacht und dagegen protestiert. Die etablierten Parteien und Medien werden auch zukünftig von Thema zu Thema springen. Schon jetzt fehlt ihnen der lange Atem, sich weiterhin öffentlich zu positionieren und Kundgebungen gegen marschierende Neonazis zu organisieren. Sie haben aber im Sommer 2000 mit der Debatte über Rechtsextremismus viele Menschen aufgerüttelt und sensibilisiert. Auf diese Menschen lohnt es sich zuzugehen und sich mit ihnen zusammen der extremen Rechten auch praktisch in den Weg zu stellen. Das Bündnis »Köln stellt sich quer« ist ein gutes Beispiel dafür. Am 9. Dezember 2000 wurde auf einer Kundgebung deutlich gegen staatlichen Rassismus Stellung bezogen. Danach schlossen sich 20.000 Menschen einer Spontandemonstration an, um einen Neonaziaufmarsch zu blockieren. Rassismus kann, wie bei der Demonstration gegen die NPD-Bundeszentrale am 7. Oktober in Berlin, auch bei antifaschistischen Aktionen mitthematisiert werden. Als die Demonstration am Abschiebeknast Grünau vorbeikam, brachen TeilnehmerInnen eine Tür auf und versuchten die Gitter zu lösen.

Neonazis und Behörden

Im brandenburgischen Elsterwerda wurde im August 2000 der Ägypter Salah El N. abgeschoben. Er hatte zuvor eine Aufenthaltsgenehmigung, weil er in seiner Pizzeria vier Arbeitsplätze geschaffen hatte. Nachdem Neonazis das Lokal niedergebrannt und zerstört hatten, sei dieser Grund weggefallen, so die zuständige Ausländerbehörde. Seitdem gäbe es kein öffentliches Interesse mehr an der Anwesenheit El N.`s. Der Ägypter hatte bis dahin 13 Jahre in der Bundesrepublik gelebt.

Institutionalisierter Rassismus

Der algerische Flüchtling Khaled B. war im Februar 1999 von Neonazis in Guben gejagt, geschlagen und getreten worden. Für seinen Landsmann Omar Ben Noui hatte die Menschenjagd tödliche Folgen. Bei dem durch den Angriff traumatisierten Kahled B. hatte das Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer eine »schwere Angsterkrankung« festgestellt. Da er in dem Land, in dem er traumatisiert wurde, »nur bedingt in der Lage sein soll, sein Leben zu meistern«, so ein schon mehr als zynisches Schreiben aus dem brandenburgischen Innenministerium, wurde Khaled B. ein gesicherter Aufenthaltsstatus verweigert. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Thierse intervenierte in dem Fall und warf den Behörden »rassistisches Verhalten« vor.