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Kampagnen gegen die AfD

Einleitung

Ein Gespräch mit Aktivist_innen von "Aufstehen gegen Rassismus" (AgR) und "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) über antifaschistische Strategien gegen die AfD.

Foto: strassenstriche.net; CC BY-NC 2.0

AIB: Stellt eure Kampagnen bitte kurz vor. Welchen thematischen Schwerpunkt habt ihr für eure Arbeit gelegt und warum?

NIKA: Am Anfang stand die Idee einer Mitmachkampagne, um als antifaschistische und antirassistische Linke gegen den politischen Rechtsruck handlungsfähig zu werden. So haben wir es mit über 400 Leuten, die einem öffentlichen Aufruf gefolgt sind, in Frankfurt/Main im Januar 2016 diskutiert. Es sollte ein wiedererkennbares Label entstehen — für den Widerstand gegen die AfD und andere Teile der rechten Bewegung auf der einen und gegen die autoritäre Wende der bürgerlichen Parteien und ihren staatlichen Rassismus auf der anderen Seite. Deswegen auch der Slogan: Gegen die Festung und ihre Fans. Dabei ist Nationalismus die verbindende Klammer zwischen den beiden Seiten der autoritären Formierung. Die ,Rückkehr‘ zu nationaler „Souveränität“ sowie geschlossenen Grenzen und die Vorstellung, der eigene Staat bzw. Standort sei ein sinnvoller Bezugspunkt und nicht Teil des Problems, vereint die verschiedenen Lager von Neoliberalen über Völkische bis zu nationalistischen „Linken“. Insofern haben wir auch versucht, mit NIKA die Lücke, die bundesweite Antifa-Bündnisse hinterlassen haben, zu füllen. Gleichzeitig sagen wir den Leuten aber auch: die Beschäftigung mit Kamerad­schaften und Neonazis wird der aktuellen Gefahr von Rechts alleine nicht gerecht.

AgR.: Unsere Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ (AgR) wurde im Frühjahr 2016 von einem bundesweiten Bündnis ins Leben gerufen und richtet sich gegen den Aufstieg der AfD. Die AfD hatte bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-­Württemberg und Sachsen-Anhalt bis zu 24 Prozent der Stimmen bekommen. Spätestens dadurch wurde klar, dass die AfD bundesweit zu einer ernsthaften Gefahr geworden war und die bestehenden lokalen Bündnisse und Initiativen nicht mehr ausreichen, um es mit ihr aufzunehmen. AgR ist eine breit getragene Kampagne, bei der attac, NaturFreunde, VVN-BdA, Jusos, Die LINKE, IG Metall Jugend und ver.di Jugend die größten Beiträge liefern. Mit ihren einzelnen Projekten reicht sie aber deutlich darüber hinaus und involviert insbesondere auch Menschen, die bislang nicht politisch aktiv waren. Mit PEGIDA und dem darauf folgenden Aufstieg der AfD ist Rassismus weit in die Mitte der Gesellschaft salonfähig geworden. Ihr Erfolgsrezept ist das Bündnis zwischen national-konservativen RassistInnen und Neonazis. Mit der Abspaltung des Lucke-Flügels, dem Austritt von Petry, den zahlreichen Höcke-Unterstützern in der AfD-Bundestagsfraktion gewinnt der Neonazi-Flügel stetig an Macht. Ziel des Flügels ist es, mit einer faschistischen Massenbewegung und Macht in den Parlamenten die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Wir müssen nun von unten so viel Druck aufbauen, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD undenkbar bleibt, dass sie schnell wieder an Zustimmung einbüßt und sich weder in den Parlamenten noch auf der Straße als gesellschaftliche Kraft etablieren kann.
Die AfD hat es geschafft, Flucht und Migration zum wichtigsten Wahlkampfthema zu machen. Viele Politiker*innen der anderen Parteien gingen daraufhin weiter nach rechts, in der falschen Hoffnung, so weniger Wähler*innen an die AfD zu verlieren. Die AfD sorgt also schon jetzt für einen Rechtstrend im politischen Diskurs. Die AfD ist geistige Brandstifterin. Durch ihren Rassismus und der Zustimmung, die sie dafür bekommt, fühlen sich rechte Gewalttäter bestätigt. Im Jahr 2016 gab es 995 Angriffe auf Asylunterkünfte, 91 Anschläge auf Moscheen und insgesamt 23.555 rechte Straftaten. Das ist ein neuer Höchststand, der mit dem Aufstieg der AfD einher ging. Die Dunkelziffer liegt natürlich noch viel höher.

AIB: Wie bewertet ihr eure Arbeit nach der Wahl? Was hat gut funktioniert, was weniger?

NIKA: Die Kampagne hat es nicht geschafft, den Wahlausgang groß zu beeinflussen – das war aber auch nicht das Ziel. Vielmehr wollten wir dazu beitragen, dass die antifaschistische Linke wieder handlungsfähiger wird und die Chance zur Politisierung von neuen Leuten nutzen. Gemessen am aktuellen Zustand der radikalen Linken hat das gut funktioniert: Über die zwei Jahre der Kampagne sind eine große Menge an Demonstrationen, klandestinen Aktionen und öffentlichen Interventionen gelaufen, die die AfD, aber auch andere VertreterInnen der autoritären Formierung, öffentlich mit Dreck beworfen haben. So haben wir zu jenem Druck gegen die AfD beigetragen, der intern immer wieder zu Spaltungen geführt hat und eine Normalisierung der Partei weiterhin verhindert. Die AfD hat in internen Papieren auch zugegeben, dass die „Antifa“ immer wieder ihrem Ansehen und ihrer Etablierung schadet. Außerdem mussten sich viele bürgerliche Akteure in dieser Konfliktsituation für eine Seite entscheiden. Trotzdem haben viele Linksliberale immer noch Beißhemmungen gegen die neuen Rechten, weil die ja keine ‚richtigen‘ Nazis wären. Auch was die inhaltliche Vermittlung antinationaler Inhalte angeht ist noch Luft nach Oben. Das zeigt: Wir sind von einem relativ niedrigen Niveau gestartet. Organisatorisch hat NIKA sich als Label zum Glück etwas verselbstständigt und ist von verschiedenen Gruppen und Bündnissen aufgenommen worden. So haben die Aktionen gegen die Rechtswende eine öffentlichkeitswirksame Gestalt bekommen, die nicht vom Chor der bürgerlichen Demokrat*innen einverleibt werden kann. Gerade bei den Mobilisierungen am Wahlabend hat sich auch gezeigt, dass es viele humanistisch und kosmopolitisch orientierte Jugendliche gibt, die nicht fassen können, dass FaschistInnen in einer Einwandungsgesellschaft wieder im Bundestag landen und fast jeden Tag ein Flüchtlingsheim angegriffen wird. Die NIKA-Kampagne konnte dazu beitragen, diese Wut politisch sichtbar zu machen. Dazu gab es erfreulicherweise am Wahlabend ohne größere Absprachen Demonstrationen unter anderem in Göttingen, Köln, Frankfurt/Main, Dresden, Leipzig, Paderborn, Mainz, Hamburg, München und Berlin, die von NIKA-Aktivist*innen organisiert wurden.

AgR.: Unser Ziel ist es, eine bundesweite Bewegung gegen die AfD aufzubauen. In den Monaten vor der Wahl hat sich diese Bewegung formiert. An unzähligen Orten gab es Proteste und Aktionen gegen die Veranstaltungen, Demos und Wahlkampfstände der AfD. Einer der Höhepunkte war der bundesweit mobilisierte Protest von 20.000 Menschen gegen den AfD-Bundesparteitag in Köln im April. Wir von AgR konnten dazu einen Teil beigetragen: Wir haben Aufklärungsarbeit über die AfD betrieben, eine Million Flyer „Warum die AfD keine Alternative ist“ an Aktivist*innen im ganzen Land verschickt, wir haben zu Protesten aufgerufen und mobilisiert, Aktions­kits für Aktionen gegen AfD-Wahlkampfstände verkauft, social media-Arbeit betrieben, Erfahrungen zusammengetragen und Aktionsanleitungen veröffentlicht. 39 AgR-Gruppen bundesweit haben vor Ort Aktionen und Proteste gegen die AfD organisiert und neue Aktivist*innen für den Kampf gegen die AfD gewonnen.
Wir haben also gemeinsam mit vielen anderen Bündnissen und Initiativen eine bundesweite Bewegung gegen die AfD aufgebaut. Doch — wie wir bei den Wahlergebnissen gesehen haben — ist diese Bewegung noch nicht stark genug, um die AfD bundesweit zurückzudrängen.
Wen wolltet ihr mit euren Kampagnen ansprechen und welche Mittel habt ihr dafür gewählt?

NIKA: Als dezentrale Mitmachkampagne war es uns einerseits immer wichtig, das Signal an eine etwas lethargische Antifa-­Szene und wütende Jugendliche zu senden, dass Widerstand gegen das rechte Projekt möglich und Organisierung dafür nötig ist und andererseits sowohl in Richtung der AfD, als auch der bürgerlichen Kräfte deutlich zu machen: „Ihr tragt die Verantwortung für die rassistische Gewalt, Gesetzesverschärfungen und die Abschottung Europas.“ Das erforderte ein niedrigschwelliges Aktionsniveau zwischen zivilem Ungehorsam und „milder“ Militanz, damit sich Leute das NIKA-Label aneignen und eigene Handlungsfähigkeit entwickeln können. Die inzwischen charakteristischen weißen Anzüge sollten dabei Wiedererkennbarkeit sichern und an die Spurensicherung am „Tatort Rassismus“ erinnern. Besonders einige Videos — wie „Return to sender“ (Brandschutt der Geflüchtetenunterkunft in Nauen vor der AfD-Bundeszentrale), „Abschottung könnt ihr haben!“ (AfD-Büro in Frankfurt/Main zugeschraubt) oder die Geburtstagsfeier unter dem Motto „Happy Birthday Schreibtischtäter“ für den Think Tank, der das EU-Türkei-Abkommen zur Abschottung gegen Geflüchtete ausgearbeitet hat — waren sicherlich ‚öffentlichkeitswirksame‘ Highlights der Kampagne.
Für die Breite der Kampagne stehen vor allem die vielen erfolgreichen lokalen Aktionen, etwa gegen Räume der AfD in Paderborn, Jena, Köln, Halle und an weiteren Orten, aber auch gegen CDU, SPD und Grüne durch symbolische Straßensperrungen und ähnliche Aktionsformen. Aber auch einige Massenaktionen wurden unter dem Label gestemmt, so die Proteste gegen die Bundesparteitage der AfD in Stuttgart und Köln, oder diverse Großdemonstrationen, z.B. gegen den Dritten Weg in Plauen am 1.Mai 2016.

AgR.: Mit unserer Kampagne wollen wir alle Menschen ansprechen, die gegen die AfD und gegen Rassismus sind. Die Beispiele Köln und Münster zeigen, dass Massenproteste gegen die AfD die Stimmung in einer ganzen Stadt verändern können. In Münster hat ein breites Bündnis im Frühjahr gegen den AfD-Neujahrsempfang tausende Menschen auf die Straße gebracht und in Köln zwei Bündnisse gemeinsam 20.000 Menschen gegen den AfD-Bundesparteitag. Auch wenn die Bündnisarbeit sehr unterschiedlich war und es in Köln eine Spaltung gab, haben sie es gemeinsam geschafft, in der Stadt eine Stimmung zu schaffen, dass die AfD nicht akzeptiert ist. Das ist ein Grund, warum in Münster und Köln die Wahlkreise sind, wo die AfD bei der Bundestagswahl die schlechtesten Ergebnisse hatte.
Bunte, breite Massenproteste sind also ein sehr wichtiges Mittel. Aber auch die vielen kleinen Aktionen gegen AfD-Veranstaltungen und Wahlkampfstände schaden der AfD und ihrem Image. Im Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein hat diese Strategie besonders gut funktioniert. Wir machen außerdem Stammtischkämpfer*innen-Seminare, in denen wir den Umgang mit rechten und rassistischen Parolen üben und potentielle Mitstreiter*innen kennen lernen. Die AgR-Gruppen haben offene Treffen, zu denen jede*r kommen kann, der/die gegen die AfD aktiv werden möchte und ab und zu öffentliche Diskussionsveranstaltungen. Der Rassismus und die Zustimmung zur AfD ist bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Wir brauchen also auch Aktivist*innen aus der Mitte, um dagegen zu kämpfen. Daher sind uns offene Strukturen für neue Aktivist*innen ohne Organisation oder aus Organisationen, die bisher nicht aktiv am Kampf gegen rechts beteiligt waren, sehr wichtig. Unser Ziel ist die Wiederherstellung der „roten Linie“ gegen die extreme Rechte, die gesellschaftliche Ächtung der AfD.
Wir können der AfD noch viel mehr schaden, wenn unsere Aktionen und Proteste nicht einzeln gesehen werden, sondern als eine Bewegung. Wenn wir uns einen gemeinsamen Nenner geben, dann ist eine kleinere Aktion mehr wert als eine Meldung in der Lokalpresse, sondern ein Beispiel für eine Reihe von Aktionen der bundesweiten Bewegung gegen die AfD. Die AgR-Gruppen sind sehr unterschiedlich. Manche wurden neu gegründet, andere sind schon seit Jahren aktive Bündnisse gegen Rechts. Alle Bündnisse, die gegen die AfD kämpfen, laden wir herzlich ein bei AgR mitzumachen.

AIB: In vielen Debatten innerhalb der Linken gibt es eine Gegenüberstellung von Identitätspolitik und Klassenkampf. Der Vorwurf lautet, dass die Linke sich zu weit von der „Arbeiterklasse“ entfernt und sie damit der AfD überlassen hätte. Was haltet ihr davon?

NIKA: An der Gegenüberstellung ist doch fast alles falsch. Schon die Emanzipation von Frauen* und Migrant_innen von der „sozialen Frage“ zu trennen, akzeptiert doch die linksnationalistischen Deutungen von Wagenknecht und Co., die sich unter Arbeiterklasse immer noch nur weiße deutsche Männer vorstellen wollen — als wäre der Kampf für gleiche soziale und politische Rechte von Frauen, Homosexuellen und Migrant*innen keine Klassenfrage. Zweitens steckt dahinter die These: Wenn es mir sozial schlecht geht, werde ich Rechts. Aber Nationalist wird man nicht automatisch, weil es einem schlecht geht, sondern weil man reaktionäre Ideologien übernimmt. In einem global vernetzten Kapitalismus, in Zeiten globaler Flucht- und Migrationsbewegungen in Richtung der Wohlstandsinseln, die ihre hohen sozialen und ökologischen Kosten noch immer auslagern, kann aber die „soziale Frage“ nur grenzübergreifend beantwortet werden. Drittens werden so reaktionäre Einstellungen einfach entschuldigt und außerdem auf die sozialen Unterklassen projiziert. In der Mittelklasse gibt es aber mindestens ebenso viele autoritäre Charaktere, die viertens nicht einfach durch das ‚richtige‘ politische Angebot zu Genoss*innen werden. Die AfD mobilisiert vor allem Ressentiments und Verschwörungsmythen, aber keine sozialen Interessen. Vielmehr ist es doch so, dass die gesellschaftliche Linke es in den letzten dreißig Jahren nicht geschafft hat, der neoliberalen Hegemonie eine solidarische Praxis und breitenwirksame Perspektiven entgegenzusetzen. Denn gerade die neoliberale Vereinzelung bereitet den Boden dafür, in scheinbar natürlichen Gemeinschaften Halt zu suchen und z.B. einen identitären Rollback zu fordern oder traditionelle Geschlechterverhältnisse zurückholen zu wollen.

AgR.: Wir haben eine doppelte Verantwortung, die wir nicht als zwei getrennte Strategien gegeneinander ausspielen sollten: Wir müssen erstens die AfD bekämpfen und für diesen Kampf möglichst viele Menschen gewinnen. Das schaffen wir nicht allein aus der gesellschaftlichen Linken heraus. Wir brauchen auch viele neue Aktivist*innen, Demokrat*innen und Antirassist*innen aus der Mitte der Gesellschaft, um genug Druck gegen die AfD aufbauen zu können.
Zweitens müssen wir natürlich eine Alternative aufbauen, die auf Abstiegsängste, Sozialabbau und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich solidarische Antworten gibt. Aber der Aufbau einer linken Alternative ist nicht die Aufgabe einer breiten, antirassistischen Kampagne. Viele unserer Bündnisorganisationen arbeiten daran, diese solidarische Alternative aufzubauen. Allerdings geht es hier um eine langfristige Aufgabe, für die unterschiedliche Organisationen sehr unterschiedliche Ideen und Ansätze haben. Zudem sind auch organisationsintern oft lange Debatten nötig, um sich überhaupt auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Der Aufbau einer solidarischen Alternative braucht außerdem demokratische Strukturen und ganz viel Raum für Diskussionen. Den Rahmen dafür kann und soll AgR nicht bieten

AIB: Wie sieht die Zukunft eurer Kampagnen aus? Was plant ihr? Gibt es nach der Bundestagswahl neue Strategien?

NIKA: Klar ist in jedem Fall: Der Rechtsruck wird nicht durch Anpassung an ihn gestoppt werden. Wenn die Antifa nicht kompromisslos deutlich macht, dass der Rahmen der legitimen politischen Auseinandersetzung dort endet, wo anderen Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung das Grundrecht auf Beteiligung abgesprochen wird, wird es niemand tun. Dabei sollten wir uns von der rechten Kampagne für „Meinungsfreiheit“ und der Aufregung einer nach rechts taumelnden Mitte nicht täuschen lassen: Ein konsequenter Antifaschismus mag nicht immer legal sein, er ist aber nicht nur legitim, sondern notwendig. Den offenen Feinden der Emanzipation keinen Raum zu lassen, ist nicht „Extremismus“, sondern ihre Bedingung ist es. Mit den notwendigen Aktionen gegen Reaktionäre allein wird der gesellschaftliche Ruck nach Rechts aber nicht gestoppt werden. Die zahlreichen Gegenaktionen der letzten Jahre haben die Etablierung der AfD ja höchstens be-, aber nicht verhindern können. Schon ein Blick auf die Wahlergebnisse der AfD zeigt: Nationalismus zieht dort besonders gut, wo Regionen abgehängt und Menschen faktisch aussortiert sind oder sich davon bedroht fühlen. Deshalb ist auch die Herrschaft liberaler Technokraten trotz ihrer Appelle an „Weltoffenheit“ und „Toleranz“ kein Mittel gegen den Rechtsruck, sondern dessen Treibstoff. Eine Linke, die weder bei dem Rückfall in die Barbarei mitmachen, noch sich in einer langfristig hoffnungslosen Defensive verlieren will, muss daher selbst eine antikapitalistische Handlungsfähigkeit entwickeln. Ein „Aufstehen gegen Rassismus“ gemeinsam mit den Vertretern eines neoliberalen Wettbewerbsstaates kann daher nicht funktionieren. Was — wie ein Blick über den nationalen Tellerrand zeigt — hingegen funktionieren kann, sind im Alltag verankerte Formen der Solidarität und der Selbsthilfe, die verbunden werden mit dem Mut, offensiv den sozialen Konflikt zu suchen. Zuallererst heißt das: Es braucht mehr Organisierung, mehr Jugendarbeit und den Aufbau eigener Strukturen. Deswegen sollte „next level“ das Ziel sein, nun z.B. mit offenen Treffen mehr Leute in organisierte Strukturen einzubinden.

AgR: Für nächstes Jahr stehen europaweite Proteste gegen Rassismus und den Aufstieg der Rechten an. Außerdem planen wir eine bundesweite Aktivenkonferenz, bei der wir über die Gefahr der AfD diskutieren und unsere gemeinsamen Gegenstrategien weiter entwickeln wollen. Im Mai sind außerdem Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein und im Herbst Landtagswahlen in Bayern und Hessen, wo wir der AfD gehörig den Wahlkampf vermiesen möchten. Unser großes Ziel bis 2021 ist, dass die AfD nicht noch einmal in den Bundestag einziehen kann, dass sie zur Episode wird. Wir werden die bundesweite Bewegung gegen die AfD weiter aufbauen und verbreitern. Wenn wir noch mehr Organisationen und Aktivist*innen gewinnen und gemeinsam als plurale, bundesweite Bewegung wahrgenommen werden, können wir so viel Druck aufbauen, dass niemand mehr mit der AfD zusammenarbeiten will, dass sie ausgegrenzt wird und dass sie es 2021 nicht über die 5 Prozent schafft.

AIB: In der ak wurde u.a. betont, die innerparteilichen Richtungsstreitigkeiten der AfD seien weiter zu befeuern, um auf diesem Weg eine Schwächung herbeizuführen. Haltet ihr dieses Vorgehen für sinnvoll und wie könnte ein solches Unterfangen gelingen? Oder scheint es nicht doch eher angebracht, linke Politik wieder stärker auszubuchstabieren und sich darauf zu konzentrieren?

NIKA: Das ist kein Entweder-Oder. Denn spätestens seit Petrys Austritt hat sich eine Wagenburgmentalität in der AfD gezeigt. Kaum jemand ist in ihre Partei übergewechselt, die meisten Mitglieder scheinen eher mit dem radikal rechten Flügel zu sympathisieren. Eine Unterscheidung in schlimme und weniger schlimme Teile der Partei ist nicht sinnvoll: Wir sollten daher lieber den Druck von Außen erhöhen. Denn auch wenn das natürlich gegen eine Partei wie die AfD erstmal schwieriger ist, sollten wir nicht vergessen, dass auch die Verhinderung von Neonaziaufmärschen und NPD-Demonstrationen lange Zeit nur ein Ziel der autonomen Antifa war, bis dann andere zivilgesellschaftliche Akteure nachzogen. Es ist nicht unmöglich, dass auch AfD-Parteitagen dasselbe Schicksal wiederfährt. Dafür braucht es aber eben auch Ansprechbarkeit u.a. durch Pressearbeit, Veranstaltungen und den Austausch mit anderen Milieus, eine Verankerung im Alltag, beispielsweise durch Soziale Zentren und systematische Bündnisarbeit — und gerade mit Akteuren, wie migrantischen Communities an der Basis und Jugendlichen, die von der rechten Politik zwar betroffen, bisher aber noch viel zu selten Teil der klassischen linken „Szene“ sind. Und darüber hinaus braucht es, wie gesagt, eine Doppelstrategie, die dafür sorgt, dass das „Gespenst, das umgeht“ wieder der grenz­übergreifende Klassenkampf von Links und nicht der Rassismus von Rechts ist. Dazu gibt es ja gerade auch unterschiedliche Versuche in der radikalen Linken, die auf Stadtteilebene oder im Logistiksektor z.B. bei Amazon versuchen, Antikapitalismus zu lokalisieren.

AgR: Nochmal: Es ist fatal, beide Aufgaben gegeneinander auszuspielen. Wir müssen die AfD stoppen, sonst wird die Gewalt gegen Geflüchtete, Muslime, Migrant*innen, LGBTIQ* und andere weiter zunehmen. Sonst werden wir selbst als Antifaschis­t*innen, als Linke, als Feminist*innen, Gewerkschafter*innen, als „Gutmenschen“ ihre nächsten Opfer sein. Sonst wird die AfD eines Tages in einer Regierungskoalition sitzen, vielleicht eine neue faschistische Massenbewegung aufbauen und die Linke soweit kriminalisieren, dass wir kaum noch Mittel und Freiräume haben. Wir müssen aber auch neue Strategien für soziale Verbesserungen und Visionen für eine solidarische Gesellschaft entwickeln. Sonst wenden sich Aktivist*innen enttäuscht ab, sonst bauen wir nicht weiter auf, sonst haben wir keine Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft mehr, sonst überlassen wir die Systemkritik den Rechten. Viele Bündnisorganisationen teilen also ihre Ressourcen auf und arbeiten an beiden Aufgaben.
Die innerparteilichen Spannungen der AfD zu befeuern, funktioniert. Die Abspaltung von Petry ist ein Beweis dafür. Ohne die breite Kritik aus der Bewegung und aus den Medien, die Höcke und seine Leute als Neonazis enttarnten, hätte Petry ihn nicht als Hindernis für den Erfolg der AfD gesehen und hätte sich nicht gegen ihn stellen müssen. Die AfD ist nur erfolgreich, solange sie einen konservativ nationalistischen Deckmantel hat, hinter dem sich Neonazis verstecken können. Indem wir immer wieder zeigen, dass die AfD massenweise Neonazis in ihren Reihen hat und diese in politische Verantwortung bringt, können wir erreichen, dass sich die AfD weiter spaltet und eines Tages wie die NPD heute als Neonazi-Partei dasteht. Damit würde sie wahrscheinlich kaum noch Unterstützung über die organisierte Rechte und überzeugte Neonazis hinaus bekommen.

AIB: Was erwartet ihr von der Linken? Welche Impulse wollt ihr setzen und welche Forderungen habt ihr an Menschen, die sich gegen die AfD positionieren wollen?

NIKA: Bemerkenswert ist aktuell die Selbst­entwaffnung der Liberalen und das naive demokratische Bewusstsein, nach der die bloße Masse an Stimmen schon Legitimation bedeutet. Aber nur weil Neonazis demokratisch gewählt wurden, muss man sie nicht demokratisch bekämpfen. Dass die „Mitte der Gesellschaft“ den gleichen Fehler trotzdem immer wieder macht, liegt an den inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit dem rechten Rand (Sozialdarwinismus, Rassismus, etc), die nicht zuletzt daraus resultieren, dass eine Demokratie unter kapitalistischen Bedingungen immer wieder und ganz nüchtern jene Ausschlüsse hervorbringen muss, die die Rechten dann noch bejubeln und verklären. Dazu kommt: Viele bürgerliche Demokrat*innen finden die Rechtsradikalen nur solange schlimm, wie sie die parlamentarische Demokratie abschaffen wollen — dadurch haben sie dem neuen Projekt der radikalen Rechten, einer „auto­ritären Demokratie“, aber fast nichts mehr entgegenzusetzen. Wohin das führen kann, zeigt ein Blick nach Österreich.
Für die Linke heißt das auf der praktischen Ebene ganz sicher: Nicht den reaktionären Teilen der Gesellschaft hinterherzulaufen, sondern erstens den Druck auf die AfD zu erhöhen, indem wir ihre Normalisierung praktisch behindern, wir also ihre Verankerung und ihre Infrastruktur wie z.B. Compact verstärkt angehen, und zweitens eigene Punkte zu setzen — z.B. mit der Unterstützung von Kämpfen im Logistikbereich oder beim Thema Mieten, bei der Stadtteilarbeit und bei der Organisation grenzübergreifender Solidarität. Eine Möglichkeit wäre zudem vielleicht, die AfD nicht nur dort anzugehen, wo sie ideologisch stark ist, sondern ihr eine eigene, grenzübergreifende Mobilisierung anhand der sozialen Frage entgegenzustellen.

AgR: Wir erwarten von der gesellschaftlichen Linken, dass sie die Gefahr der AfD anerkennt und einsieht, dass wir breite Bündnisse und eine bundesweite Bewegung brauchen. Natürlich gehören aus linker Sicht der Kampf gegen Rassismus und gegen Kapitalismus zusammen. Doch die Linke allein ist nicht stark genug, um allein gegen die AfD zu kämpfen. Im Kampf gegen die AfD müssen wir mit Bündnispartnern zusammenarbeiten, deren politische Strategie wir auf anderen Feldern nicht teilen. Wenn wir das nicht schaffen, dann nehmen wir in Kauf, dass die AfD sich als politische Kraft etabliert, weiter aufbaut und wir sie nicht mehr loswerden. Wir laden daher alle Linken, alle Antifaschist*innen und alle Antirassist*innen ein, mit uns zusammenzuarbeiten.