Skip to main content

Köln: CDU-Mann schießt auf Jugendlichen

"Solidaritätsnetzwerks Köln" (Gastbeitrag)
Einleitung

Am 30. Dezember 2019 schoss ein Mann einem 20-jährigen Jugendlichen in die Schulter. Der mutmaßliche Täter: der 72-jährige CDU-Politiker Hans Josef Bähner. Gegen das Fraktionsmitglied der CDU Köln-Porz wurde jedoch kein Haftbefehl erlassen. Sein Mandat in der Bezirksvertretung Köln-Porz ruht bis zur Klärung der Vorwürfe. Ermittlungsbehörden und Medien halten zusammen. Über den möglichen Täter wird zunächst nur anonymisiert berichtet, das Opfer durch Medienberichte stigmatisiert. Ein mögliches rassistisches Tatmotiv wird zunächst ausgeblendet.

Alles geschah in der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember 2019: Drei Jugendliche im Alter zwischen 20 und 23 Jahren treffen sich am Rheinufer in Porz, um zu chillen. Was dann passiert, beschreibt der 20-jährige Krys mit den folgenden Worten:

Der Mann kam mit einer Waffe aus dem Haus und brüllte: „‚Haut ab ihr scheiß Kanaken, ihr Dreckspack‘ – da haben wir zurückgeschimpft. Der Mann stand in seinem Garten und hat uns aufgefordert, über die Mauer zu kommen, dann hätte er einen Grund auf uns zu schießen. Dann gab es Streit mit Worten. Dann hat er plötzlich geschossen.

Nach den Aussagen der Jugendlichen hatte der Mann einen Revolver an die Schulter von Krys gehalten und abgedrückt. Krys wurde schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Er hatte Glück, denn nur durch Zufall wurden keine wichtigen Arterien verletzt. Zeug_innen hatten die Polizei verständigt und den Beamten das Haus beschrieben, in das der Mann nach der Tat zurückgegangen war. Bei der darauffolgenden Hausdurchsuchung im Haus von Hans Josef Bähner fand die Polizei fünf scharfe Schusswaffen, von denen lediglich vier auf seiner Waffenbesitzkarte registriert sind. Außerdem sei eine „nicht unerhebliche“ Menge an Schwarzpulver gefunden worden. Bähner selbst sei alkoholisiert gewesen.1

Schleppende Ermittlungen und stigmatisierende Presseberichte

Bei den nachfolgenden Ermittlungen wird ein mögliches rassistisches Tatmotiv zunächst nicht in Erwägung gezogen. Bereits am Tag nach dem Angriff kommt der Beschuldigte wieder auf freien Fuß. Es gibt keinen Haftbefehl. Ermittelt wird wegen „gefährlicher Körperverletzung“. Der Sprecher der Anklagebehörde erklärt, man gehe nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen von einem „Rücktritt vom Tötungsdelikt“ aus. Demzufolge wird wegen eines versuchten Tötungsdelikts nicht bestraft, wer „freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt“. Dem Beschuldigten wird dabei zugutegehalten, nicht noch einmal abgedrückt und den Jugendlichen nicht erschossen zu haben.

Der beschuldigte Politiker macht keine Angaben zur Tat. Die Presse berichtet nicht über den möglichen Täter, sondern über das Opfer. Der Kölner Stadtanzeiger schreibt einen Tag später über den Fall, das „Opfer der Schießerei“ sei „polizeibekannt“ gewesen. Auch die Jugendlichen in Porz, die gern ihre Freizeit am Rheinufer verbringen, werden in dem Bericht diskreditiert. Anwohner_innen würden sich angeblich über „Drogendealer“ am Rheinufer beklagen und es käme immer wieder zu Polizeieinsätzen gegen Jugendliche, die zu laut gewesen seien. In diesem Kontext wird auch erwähnt, dass das Opfer osteuropäischer Abstammung sei2 . Der Zusammenhang zwischen diesen Informationen und der Tat bleibt offen. Anstatt aus den Aussagen von Opfer und Zeug_innen Informationen zu Tatmotiven und Täter zu sammeln, werden den Leser_innen kriminelle Migrant_innen präsentiert und die Tat als solche relativiert.

Erst drei Tage später äußerte sich die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit den Worten: „Klar ist, dass eine solche Tat mit den Erwartungen an ein öffentliches Mandat unvereinbar wäre“. Obwohl Hans Josef Bähner eine Person des öffentlichen Lebens ist, nannten die meisten Kölner Lokalmedien seinen Namen tagelang nicht und berichteten anonymisiert. Auch das Polizeipräsidium Köln schützte den Namen des Beschuldigten und hielt zunächst ebenso geheim, dass Bähner Politiker der CDU und Ratsmitglied im Porzer Bezirksrathaus ist. Acht Tage lang gelang es also der Stadtpolitik, Staatsanwaltschaft, Lokalpresse und Anwält_innen, Informationen über die Tat der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Erst am achten Tag nach dem Angriff wurde der Fall auch kurzzeitig bundesweit zum Thema. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hatte auf Twitter unter dem Hashtag „#Baehner“ mit den Worten „Gewalt darf keinen Platz in der Gesellschaft haben!“ auf die Tat reagiert und damit den Namen publik gemacht. Auf Twitter erreichen die Hashtags "#bähner" sowie "#baehner" die Tops in den Twitter-Charts. Laut Informationen des Kölner Stadt-Anzeigers hatte Ziemiak seinen Tweet zwischenzeitlich wieder gelöscht.

Der (damalige) Medienanwalt des beschuldigten Politikers, hatte ihn dazu aufgefordert, den „rechtswidrigen Tweet zu löschen“. Wenig später erschien der ursprüngliche Tweet erneut – allerdings ohne die Nennung des Namens per Hashtag.3 Viele andere Twitter-Nutzer_innen hatten den Namen zu diesem Zeitpunkt schon weiter verbreitet. Gegenüber der taz äußerte sich der (damalige) Medienanwalt nicht zum Sachverhalt, gab aber an: „Wir führen dieses Verfahren vor der Kölner Justiz und nicht in den Medien oder gegen einen wildgewordenen Twitter-­Lynchmob, der keine Ahnung hat, was wirklich passiert ist.“4

Die Kölner CDU rea­gierte erst auf die Vorwürfe, nachdem Bähner selbst entschieden hatte, sein Amt als Bezirksvertreter vorerst ruhen zu lassen. In einem gemeinsamen Statement äußerte sie: „Sollten sich die Vorwürfe (…) erhärten, erachten wir eine Mandatsniederlegung als einzig mögliche und unausweichliche Konsequenz.

Rassismus

Der ermittelnde Oberstaatsanwalt behauptet, der Staatsschutz habe den Fall erst so spät übernommen, da erste Vernehmungen der vier jungen Männer keine Hinweise auf ein mögliches rassistisches Motiv Bähners gegeben hätten. Diese seien erst durch „die Berichte der Presse“ deutlich geworden.5 Ein Blick auf Facebook hätte Hinweise liefern können. Ein User unter dem Namen „Hajo Bähner“ hatte dort Beiträge von rechten Blogs geteilt, ihm gefiel offenbar nicht nur die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sondern auch Artikel des russischen Nachrichtenportals Sputnik.6 Seit Februar 2018 lag das Profil schon weitgehend still7 bevor es dann von der Bildfläche verschwand. Auf Twitter wurde von etlichen Nutzern nach der Tat Screenshots des ihm zugeordneten Accounts geteilt, um die vermutete politische Gesinnung des Tatverdächtigen zu verdeutlichen. Auch diesen Screenshots zufolge finden sich bei den „Likes“ viele rechte bis extrem rechte Inhalte.

Trotz vieler Hinweise wurde die Schuld am Geschehen wie erwähnt zunächst beim Opfer gesucht, dieses sei „polizeibekannt“ und wurde in einem Atemzug mit Jugendlichen vom Rheinufer genannt, die dort angeblich Anwohner_innen belästigen und Drogen verkaufen würden. Während Bähner sich zeitweilig von dem Medienanwalt und dem ehemaligem Sprecher der "Werte Union" (CDU) Ralf Höcker vertreten liess, der bis zuletzt versucht hatte zu verhindern, dass der Name seines Mandanten überhaupt veröffentlicht wird, musste Krys sich gegen die stigmatisierenden Presseberichte selbst verteidigen.

Er tat dies in einem WDR-Beitrag8 und hatte sich zuvor auch an den Kölner Stadtanzeiger9 gewandt, um eine Richtigstellung bezüglich seiner „Polizeibekanntheit“ öffentlich zu machen. Darin berichtet er dem Kölner Stadtanzeiger, beim Karneval in der Kölner Altstadt angegriffen und zusammengeschlagen worden zu sein, woraufhin er selbst Anzeige erstattete und die Täter mit einer Gegenanzeige reagierten. Die Ermittlungen wurden später eingestellt.

Seine Freunde und er haben mit der Drogenszene zudem nichts zu tun und er ist Deutscher, auch wenn seine Eltern polnische Wurzeln haben. Dies würde selbstverständlich auch keine kriminellen Neigungen nahelegen. Die Mutter von einem seiner Freunde sagte ebenfalls dem Kölner Stadtanzeiger: „Hier wird versucht, aus einem Opfer einen Täter zu machen.“10

Initiative „Gerechtigkeit für Krys“

Nachdem wir als Solidaritätsnetzwerk von dem Fall erfuhren, haben wir uns auf die Suche nach weiteren Informationen und nach Krys gemacht. Nach ein paar Gruppengesprächen gründeten wir eine Initiative, die wir „Gerechtigkeit für Krys“ nannten. Als erste Aktion besuchten wir das Bezirksrathaus am Tag der ersten Porzer Ratssitzung, um dort auf einen „Monat Schweigen und Vertuschung11 11 aufmerksam zu machen. Dazu hatten wir an unsere Schultern Verbände angelegt und diese mit Kunstblut angemalt. Vor Ort wurde zuvor die Erklärung Bähners von seinem Ratskollegen verlesen, sein Mandat in der Bezirksvertretung Köln-Porz bis zur Klärung der Vorwürfe ruhenlassen zu wollen. Nach unser Protestaktion haben wir an den Pfeilern zum Eingang des Bildungszentrums des Bezirksrathauses die blutrot eingefärbten Verbände angebunden.

Unsere Aktion werteten wir positiv aus. Es war notwendig, die Öffentlichkeit über die Versäumnisse zu informieren. Die Anwesenden der anderen Fraktionen waren der Aktion gegenüber positiv gestimmt. Allerdings ist es für uns wichtig zu betonen, dass alle Politiker_innen selbst die Gelegenheit gehabt hätten, sich mit Krys zu solidarisieren und sich für eine solidarische Berichterstattung und Aufklärung möglicher rassistischer Motive der Tat einzusetzen. In Zukunft werden wir Solidaritätsaktionen für Krys organisieren. Aktuell sind wir gespannt, ob und wann eine Anklage gegen Hans-Josef Bähner erhoben wird. Falls es einen Prozess gibt, werden wir diesen sehr genau beobachten.