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Juristische Schützenhilfe für die NPD

Einleitung

Die Tradition, dass Neonazis Veranstaltungen ihrer politischen Gegner besuchen, um diese gewaltsam zu sprengen, orientiert sich an der Politik der SA in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und zu Beginn der 1930er. Ziel war es, die Treffen kommunistischer, antifaschistischer und demokratischer Gruppen und Vereinigungen zu be- bzw. zu verhindern und sich selbst durch inszenierte Diskussionsbeiträge, gefolgt von anschließender Saalschlacht, öffentlich bekannt zu machen. Mit dieser Strategie gelang es der NSDAP in Arbeiterbezirken Fuß zu fassen und die Organisierung der politischen Gegner nachhaltig zu zerrütten. 

Wortergreifung als Strategie

Die »Wortergreifungsstrategie« der NPD folgt den Pfaden der historischen Vorbilder, wenn auch, aus taktischen Gründen, noch nicht bis zur letzten Konsequenz. In einer Presseerklärung der JN vom März 2006 wurde zum Besuch von Veranstaltungen demokratischer Parteien aufgerufen:  »In der direkten Konfrontation mit dem Gegner soll dieser nicht mehr in der Lage sein über Nationalisten, sondern nur noch mit ihnen zu diskutieren.«

Bisher konnten antifaschistische  Gruppen ein Infiltrieren und Stören ihrer Veranstaltungen durch Neonazis unter Berufung auf den §6 Absatz 1 des Versammlungsgesetzes (»Bestimmte Personen oder Personenkreise können in der Einladung von der Teilnahme an einer Versammlung ausgeschlossen werden«) verhindern.

In Ankündigungen auf Flyern, Plakaten oder Homepages, wurde  mitgeteilt, dass Personen die »Mitglieder und Anhänger rechtsextremer Parteien und Organisationen wie NPD, DVU, REP und der ›Freien Kameradschaften‹« sind, auf der Veranstaltung unerwünscht seien. Durch diese Absicherung konnten sich die VeranstalterInnen im Notfall die Polizei als erweiterte Türsteher engagieren; bekannte Neonazis konnten so schon beim Versuch den Raum zu betreten wieder weggeschickt werden. Auf diese Einschränkung in den Veranstaltungs-Einladungen konnten sich linke und antifaschistische VeranstalterInnen bisher immer berufen wenn es darum ging Neonazis des Raumes zu verweisen.

Ein Urteil des Hamburger Verwaltungsgerichts könnte in Zukunft diese bisherige Praxis, die einen friedlichen Verlauf von Anti-Nazi-Veranstaltungen sicherstellte, verhindern, und der »Wortergreifungsstrategie« der NPD zum Erfolg verhelfen. Nur wenige Monate nach der Presseerklärung der JN veranstaltete die DGB-Jugend Hamburg im November 2006 einen Infoabend zum Thema »Strukturen der rechten Szene in Hamburg-Wandsbek«. Wie üblich wurde in der Pressemitteilung und auf den Einladungsflyern mitgeteilt, dass Neonazis auf der Veranstaltung unerwünscht seien. Dies wurde auch auf Plakaten an der Tür des Veranstaltungsraumes kundgetan.

Nichtsdestotrotz, oder gerade deswegen, verlangten 20 Neonazis, unter ihnen der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Dr. Karl-Heinz Göbel, am Abend Einlass. Als ihnen der Zutritt verwehrt wurde, wurden sie handgreiflich, scheiterten an den Ordnern, und kamen schließlich mit der Polizei wieder. Diese forderte den Veranstalter auf, die Neonazis an der Veranstaltung teilnehmen zu lassen, ansonsten müsse sie beendet werden. Nach Ansicht der Polizisten könnten nur jene Personen ausgeschlossen werden, die zuvor bei der Rangelei mitbeteiligt gewesen seien. Allen anderen jedoch sei der Zutritt zu gewähren. Die Veranstaltung musste daraufhin abgebrochen werden.

Nachspiel

Im Juli 2008 folgte das gerichtliche Nachspiel. Die DGB-Jugend wollte die Unrechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns feststellen lassen. Doch überraschenderweise stärkten die Richter der NPD den Rücken. Der Grund: Die Neonazis beriefen sich auf die Veranstaltungsankündigungen in mehreren Hamburger Zeitungen, in denen die Zutrittsbeschränkung nicht mitabgedruckt worden war. Dadurch hätten sie das Recht gehabt, an der Veranstaltung teilnehmen zu können, da öffentlich für diese geworben worden war.

Als sich abzeichnete, dass die Klage der DGB-Jugend keinen Erfolg haben würde, zog der DGB-Landesjugendsekretär diese zurück. Obwohl es also kein Urteil gibt, kommt der Argumentation des Hamburger Verwaltungsgerichts in zukünftigen ähnlichen Fällen enorme Bedeutung zu, da mit dieser Positionierung der Richter Stellung in einem juristischen »absoluten Neuland«, so Richter Roggentin,  bezogen wurde.

Nach Ansicht der Richter hätte die DGB-Jugend im Vorfeld alle ihre Pressemitteilungen in den Zeitungen auf ihre Vollständigkeit überprüfen und gegebenenfalls auf den vollständigen Abdruck der Pressemitteilungen bestehen müssen. Da Veranstaltungshinweise der Regel nach am gleichen Tag wie die Veranstaltung gedruckt werden, sind die Vorschläge des Verwaltungsgerichts allerdings völlig unbrauchbar. Eine Richtigstellung der Pressemitteilung würde erst Tage nach der Veranstaltung erscheinen.

Was tun?

Ob das Urteil des Hamburger Verwaltungsgerichts bestand haben wird bzw. inwieweit sich andere Verwaltungsgerichte dieser Rechtsauffassung anschließen werden, muss sich erst noch zeigen. 

Bis dahin sollten antifaschistische VeranstalterInnen weiterhin wie bisher in allen ihren Einladungstexten, auf Plakaten und im Internet auf §6 und die unerwünschten Personengruppen verweisen. Wenn Zeitungen angeschrieben werden muss aber in Zukunft stärker darauf geachtet werden, dass auch wirklich der vollständige Einladungstext abgedruckt wird. Die Gefahr, dass Neonazis absichtlich selber Ankündigungen auf ihren »Heimatseiten« oder in ihren Zeitungen ohne den Ausschlusszusatz veröffentlichen, um die Teilnahme ihrer Anhänger zu ermöglichen, besteht, zumindest juristisch, nicht. Sie wurden nicht gezielt kontaktiert und handeln demnach auch nicht im Sinne der Veranstalter. Die OrganisatorInnen haben diese Ankündigungen also nicht zu verantworten. Eine andere Sache ist es natürlich den herbeigerufenen Polizisten diese feinen juristischen Unterschiede glaubhaft verständlich zu machen.

Eine weitere Möglichkeit ist es, bei ungebetenem Besuch, die Veranstaltung offiziell zu beenden, und eine Stunde später in den gleichen Räumen eine andere Veranstaltung zu beginnen. In der vor Ort ausgesprochenen mündlichen Einladung dafür werden erneut Neonazis explizit von der Einladung ausgenommen.