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Johann Trollmann: Die Tragödie eines sinto-deutschen Boxers

Einleitung

Am 9. Juni 1933 feierte der Sinto–Deutsche Johann Trollmann seinen größten sportlichen Erfolg – er gewann die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewichtsboxen. Im Biergarten einer Brauerei besiegte er Adolf Witt klar nach Punkten.

Bild: flickr.com; Rasande Tyskar/CC BY-NC-ND 2.0

Johann Trollmann 1928: Norddeutscher Meister der Amateure beim Verein »Herus« in Hannover.

Boxkämpfe vor großem Publikum unter freiem Himmel waren damals keine Seltenheit. In der Weimarer Zeit wurde der Boxsport populär. Zuvor als proletarische »Klopperei« abgetan, verhalfen Ausnahmesportler wie Trollmann Box-Veranstaltungen zu ihrem gesellschaftlichen Ansehen. Auch Hans Albers und Bertolt Brecht saßen bei seinen Kämpfen am Ring. Trollmann, 1907 bei Hannover geboren, bot Faustfechten statt einer stumpfen Prügelei: Sein tänzelnder beweglicher Boxstil verhalf ihm zu dem Spitznamen »Rukeli«, was auf Sinto soviel wie »biegsames Bäumchen« bedeutet. Anstatt unbeweglich auf den Gegner einzudreschen, wie die meisten Boxer, wich der drahtige junge Mann mit Pendelbewegungen und flinken Schritten seinen Gegnern aus und setzte blitzschnell seine eigenen Schläge, ansatzlos und sauber platziert. Während der Kämpfe spaßte er mit dem Publikum, warf Frauen eine Kusshand zu – und den dazwischen grölenden Männern eine passende Antwort an den Kopf. Mit seiner schwarzen Lockenmähne und den schönen braunen Augen avancierte der groß gewachsene Athlet zum Sexsymbol und Publikumsliebling. Wenn Trollmann durch den Ring tänzelte, wirkte alles an ihm leicht und unbeschwert.

Doch nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 erging es Trollmann kaum anders als vielen Musiker_innen, Maler_innen oder Schriftsteller_innen. Unverzüglich begann der neue Vorsitzende des Verbandes Deutscher Faustkämpfer (VDF) Georg Radamm, ein altgedientes NSDAP-Mitglied, mit der »Generalsäuberung« des Boxverbands. Jüdinnen und Juden, »Nichtarier« und Sportler, »die keine nationale Gesinnung nachweisen können«, wurden vom Sportbetrieb ausgeschlossen. Ein anderer Ausnahmekämpfer jener Zeit, der Jude Erich Seelig, zog unmittelbar die Konsequenzen und floh nach Paris. Trollmann blieb, obwohl er schon längst unter besonderer Beobachtung stand. Von Anfang an wurde sein Boxstil von den Nazis verachtet und als »zigeunerhafte Unberechenbarkeit« und »Flitzen« bezeichnet.

Ein deutscher Boxer hatte wie betoniert im Ring zu stehen, auszuteilen und einzustecken. Je erfolgreicher Trollmann kämpfte, desto brutaler wurde der Hass auf ihn: »Leg dich, Zigeuner, oder wir holen dich und deine Familie«, pöbelte ihn ein Braunhemd an, als er wieder einmal einem Gegner schwer zusetzte. Gerade bei dem eingangs beschriebenen Kampf um den deutschen Meistertitel kam es zu einem Eklat. Anwesende NSDAP-Mitglieder erwirkten trotz eines klaren Sieges von Trollmann ein Urteil »ohne Entscheidung«, da beide Boxer »ungenügende Leistungen« erbracht hätten. Das boxkundige Publikum war jedoch nicht bereit, Teil der ideologischen Manipulation zu werden. Nach halbstündigem lautstarken Protest und Drohungen gegen die anwesenden nationalsozialistischen Funktionäre wurde ihm der Siegerkranz um den Hals gehängt. Acht Tage später wurde ihm der Titel jedoch wegen »armseligen Verhaltens« – wohl unter dem Vorwand von Trollmanns Freudentränen nach dem Sieg – wieder aberkannt.

Die Nazis ließen nicht locker. Vor seinem nächsten Kampf wurde er gewarnt, sich an den deutschen Boxstil zu halten. Ihm wurden Auflagen gemacht, die ihn in seiner Art der Kampfesführung stark einschränkten. Unter Androhung des Entzugs seiner Boxlizenz wurde ihm untersagt, dem Gegner tänzelnd kein Ziel zu bieten und diesen auszukontern. Auch durfte er keinen Gebrauch von seinem Reichweitenvorteil machen und nicht auf Distanz boxen. Diese Warnung karikierte er mit seinem Auftritt als »arischer Boxer«. Er betrat den Ring mit blond gefärbten Haaren, seine Haut  mit weißem Puder bedeckt, boxte steif wie ein Brett und verlor den Kampf in der 5. Runde durch K.O. Dadurch konnte er seine Boxlizenz noch für wenige Monate behalten.

Im Frühjahr 1934 musste er seine Profiboxerkarriere zwangsweise beenden. In den folgenden Jahren waren Trollmann und seine Familie von der fortschreitenden Ausgrenzung und Diskriminierung der Roma und Sinti betroffen. Einige Familienangehörige wurden zwangssterilisiert, andere interniert. Er selbst schlug sich als Kellner und Rummelboxer durch. Im September 1938 ließ sich Trollmann von seiner Frau Olga scheiden, in der Hoffnung, sie und die gemeinsame Tochter so vor Verfolgung zu schützen. Zu diesem Zeitpunkt standen so genannte Zigeunermischlinge unter besonderer Beobachtung nationalsozialistischer Rassenkundler und der Reichskriminalpolizei.

Im November 1939 wurde Trollmann in die Wehrmacht einberufen; von den Kämpfen fürs Vaterland waren die Sinti und Roma noch nicht ausgeschlossen. Nachdem er als Infanterist in Polen, Belgien und Frankreich stationiert war, wurde er im Frühjahr 1941 an die Ostfront geschickt, wo er nach dem Überfall auf die Sowjetunion verwundet wurde. Zeitgleich fanden die ersten Massenerschießungen sowjetischer Sinti und Roma statt. 1942 gab das Oberkommando der Wehrmacht einen Erlass heraus, der Sinti und Roma aus »rassenpolitischen Gründen« vom Wehrdienst ausschloss; auch Trollmann wurde aus der Wehrmacht entlassen. Mehrere Angehörige seiner Familie waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Arbeitslagern inhaftiert und mussten Zwangsarbeit leisten.

Im Juni 1942 wurde Trollmann in Hannover verhaftet und in die berüchtigte »Zigeunerzentrale« gebracht, wo man ihn schwer misshandelte. Von dort aus wurde er im Oktober in das KZ Neuengamme bei Hamburg deportiert. Als Häftling mit der Nummer 9841 musste er schwerste Zwangsarbeit leisten. Bald erkannte ihn jedoch der frühere Ringrichter und nunmehrige SS-Mann Albert Lütkemeyer, der veranlasste, dass Trollmann trotz schwindender Kräfte – er hatte in nur 3 Monaten KZ-Haft 30 kg an Gewicht verloren – jeden Abend nach der Zwangsarbeit gegen SS-Männer zum Boxen antreten musste. Das illegale Häftlingskomitee von Neuengamme beschloss deshalb, Trollmann eine neue Identität zu geben und ihn aus dem Fokus der SS zu lösen: Offiziell starb Johann Trollmann am 9. Februar 1943 an Herz- und Kreislaufversagen. Tatsächlich handelte es sich bei dem Toten um einen verstorbenen Häftling, dessen Identität weitergegeben wurde.

Um der Entdeckung zu entgehen, wurde Trollmann ins Nebenlager Wittenberge transportiert. Aber auch hier entkam er seiner Vergangenheit als Boxer nicht und musste sich 1944 bei einem von Lagerältesten organisierten Kampf dem bei Mithäftlingen verhassten kriminellen Kapo Emil Cornelius stellen. Trollmann gewann zwar den Kampf, doch wenige Zeit später rächte sich Cornelius für die Niederlage und ließ Trollmann bei einem Arbeitseinsatz außerhalb des Lagers bis zur Erschöpfung arbeiten, um ihn dann mit einem Knüppel zu erschlagen. Sein Tod wurde als Unfall deklariert, sein Leichnam mit den vielen anderen Toten des Lagers auf dem Friedhof von Wittenberge verscharrt. Doch der Häftling Robert Landsberger, der beim Arbeitseinsatz Zeuge des Mordes an Trollmann wurde, überlebte das KZ und machte nach seiner Befreiung eine Aussage über die wirklichen Todesumstände. Diese blieb im Archiv der Gedenkstätte Neuengamme lange Zeit unentdeckt. 

Die Familie Trollmanns erlebte im Nachkriegsdeutschland ein typisches Schicksal für Roma und Sinti. Es gab weder eine Entschädigung noch eine Anerkennung für die erlittene Verfolgung. Im Gegenteil, die Deportationen in die Konzentrationslager wurden immer wieder als kriminalpolizeiliche Präventionsmaßnahme gerechtfertigt. Der hannoversche Boxer und Verleger Hans Firzlaff recherchierte zu Trollmanns Leben und veröffentlichte seine Geschichte. Es gelang ihm, das Schicksal des Meisterboxers in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. In Trollmanns Geburtsstadt Hannover wurde mittlerweile eine Straße nach ihm benannt. Im Jahr 2003 wurde ihm auf Initiative der Berliner Boxpromoterin Eva Rolle  posthum der Titel des Deutschen Meisters für das Jahr 1933 verliehen. Symbolisch wurde dabei seinen Angehörigen ein Meistergürtel überreicht - 70 Jahre zu spät.