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Jobs für Schläger. Ignoranz in Sachsen

Einleitung

Sachsen gehört nach wie vor zu den Bundesländern, wo ganze Regionen dem gleichen, was als »National Befreite Zone« durch die Medien geht. Tatsächlich gibt es hier viele Landstriche, die ständiger Angstraum für nicht-deutsche Menschen und alternative Jugendliche sind, da hier eine rechte Jugendkultur dominiert. Die NPD fährt Traumergebnisse bei regionalen Wahlen ein, und die Kameradschaftsszene boomt. Die regionalen Verantwortungsträger üben sich häufig in penetranten Verharmlosungen oder stellen ihren organisierten Neonazikadern eigene Jugendclubs zur Verfügung.

Bild: attenzione-photo.com

Neonazis in Sachsen: Szene bei einer Neonazi-Demonstration in Leipzig am 1. Mai 2006.

Formen zivilgesellschaftlicher Interventionen werden als ungerechtfertigte Einmischung von Außen abgelehnt. Doch trotz dieser schwierigen Ausgangsbedingungen bemüht sich AMAL Sachsen seit Sommer 2001 um die Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt. Hierbei arbeitet AMAL nach einem parteiischen, an den Bedürfnissen der Betroffenen orientierten Ansatz. AMAL ist in Sachsen mit drei Büros und entsprechend drei Teams vertreten: in Wurzen, Dresden und Görlitz. Träger von AMAL Sachsen ist das Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. in Wurzen. Finanziert wird AMAL durch das Bundesprogramm CIVITAS.

In der Nacht vom 30. zum 31. Oktober 2001 sind drei Jugendliche in der Nieskyer Innenstadt Heimweg. Als sie den beiden stadtbekannten Rechtsextremen Robert N. und Benjamin Fl. begegnen, versuchen sie diesen aus dem Weg zu gehen. Doch die Verfolger haben kein Interesse daran, die Jugendlichen ziehen zu lassen. Die Schritte werden schneller, schließlich ergreifen die drei die Flucht. In einem Hinterhof verstecken sie sich, werden jedoch kurz darauf entdeckt.Nach einem kurzen Wortwechsel beginnen die Schläge, 10-15 weitere Rechte, die bereits informiert waren, stoßen zu der Gruppe hinzu. Der Hinterhof wird zur Falle, alle drei werden wieder und wieder von ihren Angreifern geschlagen und getreten. Erst die Drohung einer Nachbarin, sie rufe die Polizei, lässt die rechten Schläger inne halten.

Leider kein Einzelfall in der ostsächsischen Kleinstadt, deren Bürgermeister Wolfgang Rückert (CDU) behauptet, es gäbe kein Problem mit Rechtsextremismus. Dabei gibt es seit Anfang der neunziger Jahre neonazistische Aktivitäten in der 12.000 Einwohner zählenden Stadt und deren Umgebung.

Jahrelange Naziorganisierung

Anfangs waren es das Junge Nationale Spektrum (JNS) bzw. die Jungnationalen (JNA) mit deutlicher Beeinflussung durch den Berliner Nazikader Frank Schwerdt, das in Niesky mit Udo Hempel einen agilen Aktivisten aufzubieten hatte. Doch seit Mitte der neunziger Jahre ist eine andere Gruppierung in Niesky und Umgebung aktiv: die Kameradschaft Schlesische Jungs (SJ). Sie zählt ca. 20 Mitglieder und nutzt seit Jahren Räumlichkeiten, die ihr von der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft vermietet werden. Wie für Kameradschaften üblich, geben sich viele ihrer Mitglieder über eine gemeinsame Symbolik in der Öffentlichkeit zu erkennen - mit einheitlichem Schriftzug auf Bomberjacken, T-Shirts und Autos.

Sie beteiligen sich sowohl an regionalen Naziaufmärschen als auch an Übergriffen auf alternative Jugendliche. Kontakte zu anderen Kameradschaften in der Region werden gepflegt, und auch vor Ort gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit anderen Nazi-Gruppierungen. So nutzen die Schlesischen Jungs mit dem Bündnis Rechts und dem Ortsverband der NPD ein gemeinsames Postfach. Ideologisches Futter erhält die Kameradschaft u.a. von Klaus Menzel aus Niederseifersdorf bei Niesky. Der aus Norddeutschland zugezogene Rentner ist nicht nur designierter Nachfolger des Ex-Wehrmachtsoffiziers und Gründers der Kleinstgruppe Interessensgemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands e.V., Georg Paletta, sondern auch stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Sachsen.

Ignoranz der Opfer und Unterstützung der Täter

Die Reaktionen öffentlicher Stellen sind weitestgehend typisch für Sachsen. Der Aufstand der Anständigen hat hieran – wie in vielen anderen sächsischen Regionen – nichts geändert, da er schlichtweg nicht statt fand. Weder die Aktivitäten der SJ noch die Bereitstellung von Räumen für Neonazis werden, außer von der PDS und einem neu entstandenen, alternativen Jugendclub, öffentlich hinterfragt.

Während des Herbstfestes 2000 kam es zu gewalttätigen Attacken auf Festbesucher und einen Jugendclub, die man öffentlich nicht mehr unbeachtet lassen konnte. Als Reaktion wurden zum Herbstfest 2001 20 Mitglieder der Kameradschaft in das Sicherheitskonzept der Veranstalter einbezogen, indem Einzelverträge mit ihnen abgeschlossen und sie mit Security-Aufgaben betraut wurden. Eine tolle Idee sei das, waren sich Revierleiter, Ordnungsamt und Bürgermeister einig. Letzterer kommentierte die kritische Berichterstattung der Lokalpresse: »Das ist eine förmliche Einladung zu Randalen.« Doch nicht nur beim Herbstfest wurden Mitglieder der Kameradschaft als Ordner beschäftigt. Engagiert für diesen Job wurden sie im vergangenen Jahr ebenfalls bei einem Schlesiertreffen in Nieskys größtem Restaurant und bei den Eishockeyspielen des örtlichen Eissportvereins.

Neben den Organisatoren von Veranstaltungen übten sich aber auch andere Institutionen im Integrieren bzw. Verharmlosen rechtsextremer Strukturen. Die bereits erwähnte Vermietung einer Immobilie durch die Stadt erinnert dabei stark an die Praxis der Stadt Zittau gegenüber dem Nationalen Jugendblock. Die Lokalredaktion der Sächsischen Zeitung berichtete über die Tätigkeiten der Kameradschaft ebenso wenig wie über die Übergriffe, denen alternative Jugendliche in Niesky immer wieder ausgesetzt waren. Das Thema Schlesische Jungs war Chefsache, und Chefredakteur Wolfgang Nagorske sah offenbar das Image seiner Stadt in Gefahr.

Für die vielen nicht-rechten Jugendlichen, die sich häufig auf dem Zinzendorfplatz im Stadtzentrum treffen und dort immer wieder von Mitgliedern der örtlichen rechten Szene angegriffen wurden, sind all diese Tatsachen völlig unverständlich. Und mehr noch: die Ignoranz lokaler Entscheidungsträger und das Desinteresse an einer Berichterstat-tung durch die einzige Zeitung vor Ort verschlechtern die Situation für die Betroffenen. Hinzu kommt, dass die Polizei in ihren Einsätzen oft die betroffenen Jugendlichen in ihrer Wahrnehmung, in ihren Ängsten nicht ernst nimmt, z.T. vor Ort sehr fragwürdig reagiert und somit von den Jugendlichen nicht als Unterstützung angesehen wird. Die zahlreichen Feste in den Sommermonaten in Niesky und Umgebung werden z.B. von einigen Jugendlichen, aber auch von älteren Leuten inzwischen gemieden. Zu einschlägig sind die gemachten Erfahrungen; zu groß ist die Gefahr, Opfer eines Übergriffs zu werden.

Don Quichote in Sachsen?

So stellte sich die Situation dar, als die MitarbeiterInnen von AMAL im letzten Jahr begannen, Jugendliche in Niesky zu beraten. Dabei war erschreckend, dass die Betroffenen und deren Umfeld die ständige Bedrohung und letztlich auch die Gefahr, zusammen geschlagen zu werden, scheinbar als normal akzeptiert hatten. Es konnte also nicht nur darum gehen, mit den Betroffenen eine juristische Aufarbeitung anzustreben. Vielmehr musste die Existenz rechter Strukturen in Niesky und die damit verbundene Einschränkung der Bewegungsfreiheit und somit auch der Lebensqualität öffentlich gemacht werden.

Unterstützung bekam AMAL hier durch die erst kürzlich in Niesky eingerichtete und ebenfalls CIVITAS-geförderte Netzwerkstelle. Ein Gespräch mit einigen Jugendlichen und der Sächsischen Zeitung wurde arrangiert. Dort fand sich mittlerweile eine Mitarbeiterin, die das Thema ebenfalls für wichtig hält und bereits erste Artikel veröffentlichte. Auch mit dem Revierleiter der Polizei gab es inzwischen ein Gespräch, in dem dieser

Handlungsbedarf einräumte und Kooperationsbereitschaft zum Ausdruck brachte. Der nächste Schritt wird eine Gesprächsrunde sein, an der neben den Jugendlichen, dem Revierleiter und einem Vertreter des Ordnungsamtes auch der Bürgermeister teilnehmen wird. Die MitarbeiterInnen von AMAL begleiten diesen Prozess mit dem Ziel, dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen können und ihre Sichtweisen, Wünsche und auch Verletzungen nicht übergangen werden. Sie sollen sich in ihrer Stadt auch nachts wieder ohne Angst bewegen können. Mit einer öffentlich geduldeten oder gar gestützten Kameradschaft vor Ort wird dies nicht möglich sein.

Kontakt:
AMAL - Hilfe für Betroffene rechter Gewalt
Beratungsteam Ostsachsen
Bautzener Str. 20
02628 Görlitz
Tel. 03581 / 878583 bzw. 0170 / 3180755
Fax. 03581 / 878584
email:  HYPERLINK "mailto:amal.goerlitz [at] ndk-wurzen.de" amal.goerlitz [at] ndk-wurzen.de