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JLO-Trauermarsch in Dresden blockiert

Ein Rückblick

Die mit Abstand längsten Gesichter sah man in diesem Jahr am 11. Februar in Dresden beim Trauermarsch der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO). Nicht nur aufgrund des für sie traurigen Termins, auch AntifaschistInnen trugen ihren Teil dazu bei.

Erstmalig gelang es in Dresden den traditionellen Aufmarsch zu blockieren und damit zur Umkehr zu zwingen. Die Zahl der angereisten Neonazis ging dagegen nur geringfügig zurück. Am Marsch hatten sich etwa 4.700 TeilnehmerInnen beteiligt. Damit ist endgültig klar: Der 13. Februar ist ein fester Eintrag im Terminkalender der Deutschen Neonaziszene.

Wie in den Vorjahren hatte die ansonsten weitgehend inaktive JLO den Aufmarsch angemeldet. In der öffentlichen Wahrnehmung und nicht zuletzt selbst innerhalb der Neonaziszene wurde er dennoch vielfach als NPD-Veranstaltung rezipiert. Einmal mehr wurden die bestehenden und sich verschärfenden Konfliktlinien zwischen »Freien« und der Partei deutlich. Als der Aufmarsch angesichts einer Blockade von mehreren Hundert AntifaschistInnen von der Polizei gestoppt wurde, gelang es dem Anmelder Alexander Kleber von der JLO nicht, den Unmut zu beenden. 

Dem Vorbild von Berlin und Halbe 2005 folgend und vom langen Warten frustriert, lieferten sich die Neonazis etliche Scharmützel mit der Polizei und starteten Durchbruchsversuche durch Polizeiketten, die in erster Linie wegen mangelnder Koordination und Entschlossenheit scheiterten. Allerdings gelang es trotzdem größeren Gruppen an anderer Stelle durch das in weiten Bereichen des Aufmarschs nahezu nicht vorhandene Polizeispalier »zu schnellen« und AntifaschistInnen oder JournalistInnen anzugreifen und zu verletzen. Eine Gruppe von etwa 150 Neonazis konnte sich unbehelligt in die nahe gelegene Neustadt absetzen, wo sie Punker angriffen um dann schlussendlich zum Bahnhof zu ziehen und von dort wieder abzureisen.

Die ohnehin nur spärlich anwesende Polizei abgezogen zur Antifa-Blockade, die Ordner unfähig und Unwillens, der Aufmarsch nicht mehr unter Kontrolle, musste Kleber die Polizei um Hilfe bitten. Mühsam kamen die Teilnehmer wieder zusammen und müde und entnervt musste die Demonstration angesichts der Blockade den Rückweg antreten. Der »Trauermarsch« war dahin. Nichtsdestotrotz war die Teilnehmerzahl für die Neonaziszene ein Erfolg.

Europäische Teilnahme

War 2005 die immense Anzahl der Teilnehmer noch mit den öffentlichen Diskursen anlässlich des Gedenkens zum 60. Jahrestag des Kriegsendes zu erklären, greift dieses Argument 2006 nicht mehr. Dresden - 13. Februar ist ein Begriff innerhalb der Szene geworden, ein Symbol, das für sich selbst spricht und keiner zusätzlichen Mobilisierung mehr bedarf.

Die Größe und Zusammensetzung des Aufmarsches zeigte auch dieses Jahr die bundesweite Bedeutung als festes Event für die Neonaziszene. Hinzu tritt der offensichtliche Versuch der Veranstalter, durch eine »Europäisierung« die Zugkraft weiter zu erhöhen und aus den Mobilisierungserfolgen vom Heß-Marsch in Wunsiedel Wunsiedel zu lernen.

So waren erstmalig Redner aus anderen europäischen Ländern zu hören, darunter der Neonazi Mario Machado aus Portugal, der aus seiner nationalsozialistischen Gesinnung keinen Hehl macht. Auf dem rechten Unterarm trägt er ein Hakenkreuz-Tattoo. Andere Redner neben den obligatorischen Alexander Kleber, Peter Naumann und Udo Voigt sowie dem sachsen-anhaltinischen DVUler Ingmar Knop kamen aus der Schweiz und Österreich.

Auch in den letzten Jahren hatten sich immer wieder Delegationen aus anderen Ländern beteiligt. Dieses Jahr wurden ihnen durch die Reden, wie auch durch das Marschieren in eigenen Blöcken, erstmalig herausragende Rollen verschafft. Im Zusammenhang mit dem Aufmarsch kam es im Vorfeld sowie im Nachhinein zu gemeinsamen Treffen und Absprachen. So beispielsweise zwischen schwedischen Neonazis und Mitgliedern der JN Sächsische Schweiz.

»Freie Kräfte«

Dagegen wurde den »Freien Kräften« kein eigener Redner zugestanden, obwohl sie den Großteil der TeilnehmerInnen stellten. Ihren momentanen Höhenflug demonstrierten sie auf ihre Weise. Gemeinsam mit etwa 350 Neonazis aus Sachsen-Anhalt und Berlin trafen sie sich zu einer »Vorabdemo« und marschierten mit etwa 900 Personen vom Hauptbahnhof bis zum Zwingerteich. Zweimal durchbrachen sie dabei dünne Polizeiketten. Deutlich wurde dabei das angewachsene Mobilisierungspotenzial der sächsischen »Freien Kräfte«. Eine ganze Reihe von Neonazigruppen, die letztes Jahr noch als Kameradschaften formierten, traten nun als »Freie Kräfte« auf und erweiterten so enorm die Reihen. In Zukunft werden AntifaschistInnen gerade in Sachsen einer neuen Qualität beim gewaltbereiten politischen Gegner gegenüberstehen.

Ebenfalls wie in den Vorjahren fanden sich auch während der Abreise mehrere Hundert Neonazis in Mobs zusammen und zogen ungestört durch die Innenstadt. Wie jedes Jahr auch in unmittelbarer Nähe der Synagoge, wo ihnen Jahr für Jahr von der Stadtverwaltung Dresden Busparkplätze gestellt werden.

Interne Kritik

Trotz dieser zumindest »erlebnisorientierten« Erfolge hagelte es im Nachhinein Kritik an den Veranstaltern und deren (Nicht-)Konzept. Im Forum des sachsen-anhaltinischen Neonaziportals oikrach.com schreibt ein erboster Neonazi: »Ich hab langsam keinen Bock mehr auf dieses Friedenstauben Geschiss.« Ein weiterer Streitpunkt ist die mangelnde Entschlossenheit bei den Durchbruchversuchen: »Wäre kein Problem gewesen mit 400 entschlossenen das Grüne Personal bei Seite zu bitten. Danach hätte man direkt die »friedliche« Blockade aufsuchen können um da mal klarzustellen...«

In Strukturen der »Freien Kräfte«, wie bei der Wernigeroder Aktionsfront oder den Freien Kräften Dresden hat im Nachhinein offen eine Strategiediskussion begonnen, wie dem als zu zögerlich empfundenen Vorgehen der NPD und JLO ein offensiveres und entschlosseneres Vorgehen entgegengesetzt werden kann und wie der regelmäßig stattfindenden staatlichen Repression zu begegnen sei. Ein Zufall ist es nicht, dass diese Debatte maßgeblich aus Sachsen und Sachsen-Anhalt angeschoben wird. Bestehen doch hier schon seit Jahren enge Vernetzungen zwischen den aktiven und militanten Neonazis aus den Regionen Dresden-Pirna, Leipzig-Halle und Magdeburg. Genau aus diesem Spektrum heraus wurden schon eine Reihe neuer Impulse für die Szene gesetzt.

Insofern ist der Aufmarsch trotz der ungeplanten Missgeschicke für die Neonaziszene ein Erfolg. Mit wenig Aufwand im Vorfeld wurde eine annähernd so hohe Teilnehmerzahl mobilisiert wie im letzten Jahr. Und gerade in Sachsen zeigte sich die Zugkraft eines Groß-Events weit in die nicht mehr als ideologisch gefestigte Szene der erlebnisorientierten »Freien Kräfte«. Bis in das nächste Jahr, wenn wieder tausende Neonazis nach Dresden kommen, sollte sich der Neonaziaufmarsch auch als fester Termin bei bundesweiten Antifagruppen finden lassen. Die verschiedenen Einschätzungen und Ansätze sollten bis dahin diskutiert worden sein. Dabei muss aber über inhaltliche Differenzen hinweg klar bleiben: Der Großaufmarsch von Dresden ist eines der bedeutsamen Neonazi-Events, welchen gemeinsam begegnet werden muss.