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Jenseits des Antisemitismus?

Regina Wamper
Einleitung

Europäische Rechte auf Israel-Tour

Bild: attenzione-photo.com

Filip Dewinter, Fraktionsvorsitzender des Vlaams Belang (Belgien), beteiligte sich an einer rechten Reisegruppe nach Israel.

Vertreter mehrerer extrem rechter europäischer Parteien reisten im Herbst 2010 nach Israel. Heinz-Christian Strache, Andreas Mölzer (beide FPÖ), Filip Dewinter (Vlaams Belang), René Stadtkewitz (Die Freiheit) und Kent Ekeroth (Schwedendemokraten) trafen sich, um eine »Jerusalemer Erklärung« abzugeben. Vertreter der deutschen pro-Bewegung durften nicht teilnehmen, signalisierten aber ungefragt nachträglich ihre inhaltliche Zustimmung.1 Dieses Dokument, das unter anderem in der extrem rechten österreichischen Zeitung »Zur Zeit«2 veröffentlicht wurde, sagt mehr über strategische Optionen der Rechten aus als über deren Verhältnis zum Judentum.

Das Dokument

Die Grundlage des Papiers sei laut den Verfassern ein »unverbrüchliches Bekenntnis zu Demokratie und freiheitlichem Rechtsstaat, zu den Menschenrechten […], zum Völkerrecht und zum Wertekanon der westlichen Zivilisation, der auf dem geistigen Erbe der griechisch-römischen Antike, der jüdisch-christlichen kulturellen Werte, des Humanismus und der Aufklärung basiert«. Die Verfasser sehen sich als »Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten gegenüber allen totalitären Systemen und deren Helfershelfern«, als »Teil des weltweiten Kampfes« und gar in »vorderster Front des Kampfes für die westlich-demokratische Wertegemeinschaft«. Dieser Kampf gelte dem (fundamentalistischen) Islam, der als weltweite Bedrohung aufgefasst und auf eine Stufe gestellt wird mit den »totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts«. Unterdrückung gehe heute vom Islam aus. Auch in Europa, so wird es imaginiert, würden »nicht-islamische Minderheiten« (!) durch Muslime und Muslima in ihren Rechten eingeschränkt. Ziel des Islam sei die »Unterwerfung der Welt«. Israel wird als »einzige wirkliche Demokratie im Nahen Osten« bezeichnet, weshalb sich zum »Existenzrecht des Staates Israel« bekannt wird. Israel sei in völkerrechtlich anerkannten Grenzen legitim, ebenso wie dessen Recht auf Selbstverteidigung gegenüber Aggression, »insbesondere gegenüber islamischem Terror«; allerdings wird nach Respekt verlangt gegenüber den Menschenrechten und »den politischen Rechten der arabischen Bevölkerung«. Ein Sternchen am Schluss dieses Satzes verweist auf eine weitere Einschränkung speziell der FPÖ. Diese schreibt im Anhang, es sei ihr »überaus wichtig«, »österreichische Neutralität« zu wahren. Die FPÖ wolle in Tradition von Bruno Kreisky eine »neutrale Vermittlungsposition zur Durchsetzung des Friedens in dieser Region in staatlich gesicherten Grenzen für beide Teile« beibehalten.

Mit Verweis auf den Konflikt in Israel/Palästina wird das eigene »Recht« eingefordert, Migration aus islamischen Ländern nach Europa abzuweisen, das »Recht«, als homogenisiertes »Volk« mit einer vermittelten Kultur/Religion in einem abgesteckten Territorium leben zu können.

Diskursive Tricks

Es mag zunächst absurd klingen, wenn sich extrem Rechte auf Werte des Humanismus berufen. Es geht hier darum, verschiedene Werte gegeneinander auszuspielen. In diesem Fall werden Werte der Aufklärung, Toleranz, Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Partizipation in Stellung gebracht gegen den Islam. Aus der Position der Freiheitskämpfer_innen gegen die Unterdrückung können viel unverfänglicher rassistische Positionen hervorgebracht werden.

Effekt dieses binären Denkens ist es, dass der Eindruck entsteht, man müsste sich für einen von genau zwei Polen entscheiden. Wer für Menschenrechte ist, muss gegen den Islam sein, wer gegen antimuslimischen Rassismus ist, muss für den politischen Islam und damit gegen die Menschenrechte sein. Diese diskursiven Spielchen sind tief in der »Mitte« der Gesellschaft seit Jahren und Jahrzehnten zu beobachten, jüngst beim Karikaturenstreit (Meinungsfreiheit versus Islam), bei der Kopftuchdebatte (Gleichberechtigung versus Islam) und bei der sogenannten Sarrazindebatte, bei der all diese Konstruktionen geballt auftauchen.

Die Referenzen auf Menschenrechte, Aufklärung und Humanismus werden allerdings durch völkische Wendungen ad absurdum geführt. Begriffe werden in eigene ideologische Rahmungen aufgenommen und mit eigenen Inhalten vermittelt. In der »Jerusalemer Erklärung« werden die Rechte der oder des Einzelnen quasi identisch mit dem »Menschenrecht« eines »Volkes« auf »Heimat«. Das aufklärerische Ideal der persönlichen Handlungsfreiheit wird auf die Kategorie »Volk« übertragen. Gezielt wird damit erneut in Richtung Entrechtung und zwanghafte Unterwerfung der/des Einzelnen unter ein (völkisches) Kollektiv.

Es handelt sich hier nicht um einen Kurswechsel der Rechten. »Neu« ist allenfalls, diese Forderungen auch für Israel geltend zu machen. Israel und die USA waren bisher meist von diesen völkischen Vorstellungen ausgeschlossen; sie wurden als kulturlose »Kunstnationen« beschrieben, denen damit das Recht auf ein eigenes Territorium nicht zukam. Mehr noch: Gerade diese beiden Staaten galten dem Großteil der europäischen extremen Rechten als Urheber_innen internationalistischer Konspiration, als Zersetzer_innen der völkischen Einheit, als »Antiprinzip«, als nicht zu tolerierendes Drittes. Sie waren nicht »Gegenvolk«, sondern »Antivolk«. Dass sich solch kontinuierlich wirkende Diskurse in kurzer Zeit ändern, ist unwahrscheinlich.

Die europäische Rechte, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus

Die anhaltende Wirkung dieser Diskurse zeigt sich nicht zuletzt in einigen der beteiligten Parteien. Dass Vlaams Belang und FPÖ fest in der »Tradition der NS-Kollaboration« stehen, ist kein Geheimnis.3 Die FPÖ machte auch jüngst noch in Sachen Antisemitismus von sich reden, als der Vorarlberger FPÖ-Spitzenkandidat Dieter Egger 2009 den Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems, Hanno Loewy, als »Exiljude aus Amerika mit seinem hochsubventionierten Museum« bezeichnete und ihn warnte, er möge sich aus österreichischem Wahlkampf heraushalten.4   Die FPÖ ist nach der Abspaltung der Anhänger Jörg Haiders inhaltlich eher noch weiter nach rechts gerückt. Das äußert sich auch in abnehmender Vorsicht bei antisemitischen Aussagen.

Etwas anders stellt sich die Lage bei den Schwedendemokraten dar. Zwar blickt die Partei auch auf eine antisemitische Vergangenheit5 zurück, und einige Funktionär_innen haben sich bis heute nicht davon gelöst – das schwedische Magazin Expo hat 2010 einige Kontakte zu explizit nazistischen Zusammenhängen aufgezeigt. Offiziell distanziert sich die Partei heute allerdings von nazistischen Zusammenhängen und macht den Islam zum Hauptthema.6

Die Parteineugründung »Die Freiheit« fällt aus NS-nahen Zusammenhängen noch deutlicher heraus. Sie gehört nicht zu den »österreichisch-flämisch-deutschen Bündnisstrukturen«7 , sondern kooperiert vornehmlich mit Geert Wilders und seiner rassistischen Partij voor de Vrijheid (PVV), die »parallel zu den Bündnisstrukturen von FPÖ und Vlaams Belang«8 am Aufbau internationaler Bündnisse arbeitet. Und so distanzierte sich »Die Freiheit« auch prompt von ihren Mitreisenden.8

Bei aller Unterschiedlichkeit der beteiligten Akteure ist ihnen allerdings allen der Schwerpunkt Islam/ Migration und ein »populistischer« Zugang zur Politik gemeinsam, der sich weniger an Inhalten festmachen lässt, als an Fragen des politischen Stils. Dieser Politikstil erlaubt eine gewisse Beliebigkeit. Ist eine Solidaritätsbekundung mit Israel momentan opportun, um vor der »islamischen Gefahr« zu warnen, dann zählt es nicht unbedingt, dass dies der Ideologie des Antisemitismus widerspricht. Das bedeutet aber nicht eine Abkehr vom Antisemitismus, wie es beispielsweise ein Artikel in der selben Ausgabe der FPÖ-nahen Zeitung »Zur Zeit« deutlich macht, in der auch die Jerusalemer Erklärung erschien.9  

Richard Melisch beleuchtet in dem Artikel mit Referenz auf Erich Ludendorff den »Untergang des osmanischen Reiches«. Es ist von drei großmachtpolitischen Zielen Englands die Rede, die zum Ersten Weltkrieg und damit zu den »Unterwerfungsdiktaten« von Versailles führten. Neben britischen Hegemonialansprüchen und ökonomischen Interessen werden »die Interessen der anglo-amerikanischen Hochfinanz« genannt, die sich mit den »Zielen der Zionisten deckten«. Die Entente sei fest in zionistischer Hand gewesen. Da es sich nur lohne, in Sieger zu investieren und der Kriegseintritt der USA den Sieg der Entente garantierte, begannen »die Zionisten« laut Melisch, »die seit Jahrhunderten geknüpften familiären, weltanschaulichen, politischen Beziehungen diesseits und jenseits des Atlantik« zu nutzen. Neben den Zinsen und Zinseszinsen sprang für die Geldgeber »Palästina als Heimstätte für auswanderungswillige Juden« heraus.

Von einer Abwendung vom Antisemitismus in der parteinahen, u.a. von FPÖ-Funktionär Andreas Mölzer herausgegebenen Zur Zeit kann also keineswegs zu sprechen sein. Vielmehr finden sich antisemitische Verschwörungskonstruktionen neben solidaritätsbekundenden Aussagen gegenüber Israel. Da kann Antisemitismus zugunsten einer anderen Feindkonstruktion auch einmal in den Hintergrund treten.

Es geht weniger um die Kohärenz extrem rechter Ideologien, als um das, was der Faschismusforscher Robert O. Paxton im Bezug auf den historischen Faschismus als »mobilisierende Leidenschaften« bezeichnete. Als mobilisierend gilt manchen Rechten momentan der antimuslimische Rassismus offenbar mehr als der Antisemitismus. Der Islam wird dabei als weltumspannende, universelle Bedrohung inszeniert und mit einigen Topoi aufgeladen, die zuvor im Zusammenhang mit dem europäischen Antisemitismus bekannt wurden. Er gilt als strategisch infiltrierend, als völkische Einheit zerstörend, als machtvoll und universalistisch. Dass die Feinbildproduktion gegen den Islam durchaus geeignet ist, rassistische Stimmungen weit über die Rechte hinaus zu produzieren, haben nicht zuletzt die Plebiszite in der Schweiz gezeigt. In diesem Sinne ist die »Jerusalemer Erklärung« vor allem als ein strategischer Akt anzusehen.

Problematisch ist für extrem Rechte das Bekenntnis zu Israels Existenzrecht dennoch. Lange schon diskutieren extrem Rechte in Deutschland das Verhältnis von Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus.10 Dabei wird häufig der Standpunkt bezogen, dass die Polarisierung gegen muslimische Migrant_innen in Europa die Solidaritätsbekundungen mit Ahmadinedschad & Co nicht ausschließt. Außenpolitisch wurde in der Regel gegen Israel und für die Israel-feindlichen Staaten Stellung bezogen. Insofern ist hier tatsächlich ein Perspektivwechsel zu beobachten, so vorsichtig er auch daher kommen mag.

Reaktionen der deutschen extremen Rechten

Die neonazistische Rechte in Deutschland ärgert das zweifellos. Gilt ihnen der Antisemitismus doch weiter als zentrale Welterklärungsideologie, das Judentum als verantwortlich für Kapitalismus, für Marxismus und für die Zersetzung des Volkes durch Migration – damit auch für den vermeintlichen Einfluss des Islam in Europa. Diese ideologischen Funktionen kann der antimuslimische Rassismus auch bei gewissen Ähnlichkeiten zu antisemitischen Topoi nicht einnehmen. Er dient zwar als Verschwörungskonstruktion und als Projektionsfläche zur Feindbestimmung, nicht aber als Welterklärungsprogramm. Die NPD ist als NS-nostalgische Partei entsprechend bestürzt über die Israelreise der Kollegen. Innerhalb der extremen Rechten gäbe es eine »Klärung der Fronten«: »Wer um kurzfristiger politischer Vorteile willen Grundsatzpositionen leichtfertig preisgibt, hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Mit solchen Leuten kann es keine Zusammenarbeit geben.«11 Die »populistischen Pseudopatrioten« seien »fremden Mächten« auf den Leim gegangen. Die NPD stehe »auf der Seite der Völker«, also nicht auf der Seite der »USA und ihrer Außenstelle im Orient«.

Auch die Junge Freiheit als nicht-neonazistische extrem rechte Zeitung ist verunsichert. Doris Neujahr alias Thorsten Hinz beschwert sich in der JF über die Einseitigkeit der Positionierung für Israel und konstatiert die Bereitschaft der Rechtspolitiker, durch einen Besuch in Yad Vashem »sich den Ritualen und dem Geist der Zivilreligion zu unterwerfen«. Diese »zivilreligiösen Metaphysik«, begründe eine »Menschenrechtsideologie« im Zusammenhang »mit vorgeblichen Lehren aus der NS-Herrschaft« und bewirke den schwachen Staat durch die »Destruktion nationaler Identitäten«.12 Dies werde flankiert von einer »Abhängigkeit der Politik von den internationalen Finanzzentren«. In dieser Situation finde eine Islamisierung Europas statt. Hinz’ Argumentation liest sich vielleicht vornehmer als die der NPD, ist aber mit ähnlichen antisemitischen Mustern unterlegt. Die »Metaphysik der Schwäche« biete »für Israel ein moralisches Erpressungspotential, über das es mit Argusaugen wacht«. Solange allerdings aus der Bezugnahme extrem Rechter auf Israel »keine Abhängigkeit und Instrumentalisierung folgt«, findet Thorsten Hinz diesen »taktische[n] Schachzug akzeptabel«.8

Im nicht-parteigebundenen Spektrum reagiert man, wie zu erwarten, kategorisch. Auf Altermedia ist zu lesen: »Allem Wortgeklingel dieser Erklärung zum Trotz, macht dieses Statement deutlich, daß sich die ›Rechtsparteien‹, die dieses Dokument unterzeichnet haben, zum willigen Vasallen des Staates Israel und seiner Diaspora-Sektionen gemacht haben. Es ist daher nicht verkehrt, in ihnen künftig nichts weiter zu sehen, als eine Art Fünfter Kolonne im Dienste des Weltjudentums«.13 Ein User allerdings bemerkt in der Kommentarspalte: »Im Prinzip ist es doch egal, wie die Parteispitzen denken. Die Basis wird auch weiterhin nicht allzu viel von den Juden und Zionisten halten…«14 Damit wird vielleicht zumindest ein Teil der Frage nach der zukünftigen Relevanz des Antisemitismus für einen Großteil der europäischen extremen Rechten beantwortet.

Zum anderen gilt es aber zu bedenken, dass mit dem Stil auch die Ideologie aufweichen kann. Ideologische Aussagen wie die des Antisemitismus bedürfen der Aktualisierung, um wirkmächtig zu bleiben. Bleibt diese aus, kann Strategie durchaus zum Programm werden.