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"Jahr gegen Rassismus": Antirassismus als Farce

Einleitung

Nach dem Ende des »Europäischen Jahres gegen Rassismus« kommt nun die Zeit der Bilanzen und Resümees. Während antirassistische Gruppen ernüchtert feststellen müssen, daß das Europäische Jahr zumindest in Deutschland kaum mehr als eine Farce war, listet das Bundesinnenministerium auf mehr als 100 Seiten und unter dem Titel »Veranstaltungen und Projekte für das Europäische Jahr gegen Rassismus« nahezu 800 Projekte auf, die ihrer eigens eingerichteten Geschäftsstelle mitgeteilt und dort mit dem Logo des Europäischen Jahres versehen wurden - bei näherer Betrachtung ein ziemlich dreistes Stück von Etikettenschwindel.

Foto: Christian Ditsch

Praktischer Antirassismus jenseits staatlicher Fördergelder.

Ministeriale Mogelpackung

Verantwortlich für diese Auflistung, herausgegeben am 17. Dezember 1997, zeichnet der Nationale Koordinierungsausschuß (NKA), eine ad-hoc-Maßnahme des Innenministeriums (BMI), die im Oktober 1996 kurzfristig geschaffen wurde, nachdem die politisch Verantwortlichen auf einmal befürchten mußten, daß das Europäische Jahr ganz ohne ihre Teilnahme vonstatten geht. Der NKA unter Leitung von Ministerialdirektor Reinhard Rupprecht hatte die Aufgabe, ein Programm zu erarbeiten, eine »wichtige Vermittlerrolle« bei der Durchführung der verschiedenen Projekte auszufüllen und »ein Votum im Hinblick auf die Förderungswürdigkeit von Projekten abzugeben, die von deutscher Seite bei der EU wegen finanzieller Unterstützung eingereicht wurden.«

Die Praxis des NKA allerdings sah so aus, daß die Aktivitäten der einzelnen Gruppen und Initiativen ganz banal in einem »nationalen Programm« unter dem Briefkopf des NKA und dem Logo des Europäischen Jahres zusammengeschrieben wurden. Die Tatsache, daß viele Initiativen, die - von den staatlichen Institutionen bislang kaum beachtet oder gar gefördert - beständig um ihre Existenz kämpfen, ihre Arbeit heute unter dem Stempel des NKA wiederfinden, legt den Verdacht nahe als wolle sich hier jemand mit fremden Federn schmücken.

Die Initiativen und Projekte, die sich darüber finanzielle Unterstützung aus dem Topf der EU erhofft hatten und die, insgesamt gesehen, eine immense Anzahl von Arbeitsstunden allein in die Ausformulierung der Projektanträge investierten, sahen sich schon bald eines Anderen belehrt. Denn die EU sah eine Projektförderung von 50 Prozent vor, deren Vergabe an die Bedingung gekoppelt war, daß die jeweiligen Träger die Restfinanzierung selbst übernehmen bzw. aus nationalen Töpfen auftreiben sollten. Doch auf nationaler Ebene waren kaum Gelder vorhanden und die überaus bescheidenen Mittel, die etwa das BMI zur Verfügung stellte, wurden vom NKA unter anderem für das pompöse Eröffnungszeremonial im März 1997 in Berlin verpulvert.

Die Konsequenz daraus war wiederum, daß lediglich 26 Projekte mit EU-Geldern gefördert wurden und daß etliche geplante Seminare, Projektwochen, Veranstaltungen usw. nur in minimierter Form oder eben überhaupt nicht stattfinden konnten, sich aber in der Auflistung vom 17. Dezember zum Teil als »durchgeführte« Veranstaltung wiederfinden.

Lediglich im Vorwort gesteht das NKA ein, daß »manche Projekte (...) verändert oder verkleinert« werden mußten, um sich gleich darauf daran zu erfreuen, daß viele Projekte »trotz Ablehnung einer Mitfinanzierung (...) realisiert werden konnten«. So vermittelt die Aufzählung allenfalls den Eindruck, als habe eben nicht alles im vorgesehenen Umfang stattfinden können, was bei der beträchtlichen Anzahl von Projektplanungen auch eher normal gewesen wäre. Die Auswahl der aufgelisteten Projekte läßt nach stichpunktartiger Überprüfung den bösen Verdacht aufkeimen, das NKA habe recht wahllos Projektvorstellungen und -antrage aufgelistet, um am Jahresende mit einem prall gefüllten Veranstaltungskalender national und international protzen zu können.

Dieser Verdacht wird untermauert durch ein Schreiben der nationalen »Geschäftsstelle« (mit dem hochtrabenden Namen "Forum gegen Rassismus"), welche zur Zeit mit der Erstellung der offiziellen Dokumentation der »im EU-Jahr durchgeführten Veranstaltungen und Projekte« beauftragt ist und sich deswegen bereits Anfang Februar von den Trägern kurze Projektbeschreibungen erbeten hatte. Auf diese Bitte, so heißt es in dem Schreiben vom 27. April, hätten von 324 angeschriebenen Projektträgern lediglich 64 geantwortet und »um eine aussagekräftige Dokumentation erstellen zu können, reicht die Zahl der Antworten aber nicht aus«.

Die politische Bilanz des Jahres 1997, selbstverständlich nicht unter dem Logo des "Europäischen Jahres gegen Rassismus", sieht indes noch bedrückender aus. Der Rassismus in der Gesellschaft nimmt stetig zu, Menschen wurden zu Tausenden in Bürgerkriegsländer abgeschoben, weitere Abertausende sind in Abschiebeknästen eingesperrt oder in Wohncontainer eingepfercht. Und schlußendlich, pünktlich zum Ende des Europäischen Jahres, liegt die Gesetzesnovelle zur Kürzung von Sozialleistungen von Asylsuchenden auf dem Tisch, die GutachterInnen nicht nur als menschenunwürdig sondern gar als offensichtlich verfassungswidrig und gegen internationales Recht verstoßend bezeichnen.

So wird es die Aufgabe der antirassistischen Bewegung sein, eine eigene Bilanz dieses Jahres zu ziehen und dem Protzpapier des BMI die nüchterne Realität gegenüber zu stellen. Es bleibt zu hoffen, daß Herr Rupprecht, der den antirassistischen Initiativen »Ernst und Durchsetzungsvermögen« bescheinigt, wenigstens in diesem einen Punkt Recht behält.