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Italien: „No Vax“ und die Neofaschisten

Einleitung

Am 9. Oktober 2021 marschierten tausende Maßnahmen-Gegner_innen durch das römische Zentrum. Angeführt wurden sie von der neofaschistischen "Forza Nuova". Diese machte keinen Hehl aus ihrer politischen Gesinnung und posierte immer wieder mit ausgestrecktem rechtem Arm für die Kameras. Der Zug endete mit einem Sturm auf das Hauptquartier der CGIL, bei dem die Büros des Gewerkschaftsbundes demoliert wurden. Im Nachgang saßen mehrere Neofaschisten in Haft oder standen unter Hausarrest und das Parlament debattiert über ein Verbot der Partei.

Foto: Screenshot YouTube

Neofaschisten versuchten am 9. Oktober 2021 in Rom das Hauptquartier der italienischen Gewerkschaft CGIL zu stürmen.

Ursprünglich hatten die Organisatoren des „No Green Pass“-Marsches offenbar vorgehabt den Palazzo Chigi anzugreifen. Der Mob – welcher im Januar 2021 das Kapitol in Washington D.C. stürmte – muss für die italienische Rechte inspirierend gewesen sein. Doch der Sitz des italienischen Minister­präsidenten an der Piazza Colonna wurde zu stark geschützt. Und so steuerten sie das Gebäude an, in dem sich die Büros des größten Gewerkschaftsbundes Italiens befinden. Für die italienischen Maßnahmen-Gegner_innen wurden die Gewerkschaften zur Zielscheibe, weil sie die „Green Pass“-Regelung der Regierung mittragen, wonach ab dem 15. Oktober nur arbeiten darf, wer geimpft, genesen oder getestet ist.

Antigewerkschaftliche Gewalt

Um die Symbolkraft dieses Angriffs zu erfassen, muss ein Blick auf die Geschichte des italienischen Faschismus geworfen werden. Die faschistische Partei war in ihren Anfangsjahren ein Zusammenschluss verschiedener Banden – meist ehemalige Soldaten, die im ersten Weltkrieg gedient hatten – die sich von den Arbeitgebern anheuern ließen, um Fabrik- und Landbesetzungen oder Streiks zu zerschlagen. Benito Mussolini formierte diese Gruppen zu einer politischen Bewegung, die Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele geradezu glorifizierte. Auf die kommunalpolitischen Erfolge der Sozialisten im Herbst 1920 reagierten Mussolinis „Fasci di Combattimento“ mit Angriffen auf Arbeitskammern, sozialistische Parteibüros und Redaktionen. Sie töteten tausende organisierter Arbeiter_innen und zerstörten mit brutaler Gewalt ein über Jahrzehnte gewachsenes Netz sozialer, ökonomischer und organisatorischer Strukturen der Arbeiter_innen-Bewegung.

Es sollte also nicht überraschen, dass eine Woche nach dem Angriff mehr als 100.000 Menschen zu einer antifaschistischen Gewerkschaftsdemonstration nach Rom kamen. Sie forderten ein Verbot der "Forza Nuova". Die "Demokratische Partei" kündigte an, einen entsprechenden Antrag im Parlament zu stellen. Zuvor war bereits eine vom CGIL initiierte und von mehreren Linksparteien unterstützte Petition der Regierung und dem Parlament übergeben worden.

Wer ist "Forza Nuova"?

Gegründet wurde „Forza Nuova“ in den neunziger Jahren vom heute 62-jährigen Roberto Fiore. In den bleiernen siebziger Jahren gehörte Fiore der bewaffneten "Terza Posizione" an. Nach einer Verurteilung konnte er sich seiner Haftstrafe durch die Flucht nach London entziehen. England wollte ihn nicht an Italien ausliefern. Und so konnte Fiore zu einem erfolgreichen Immobilienmakler werden, der aktuell auch im Mittelpunkt eines Finanzskandals steht. Als sein Urteil 1999 verjährt war, kehrte Fiore nach Italien zurück. Bei den Wahlen blieb „Forza Nuova“ stets unter einem Prozent. Trotzdem saß Fiore Dank eines Wahlbündnisses mit anderen Rechtsparteien zeitweise im Europaparlament. Danach wurde es lange sehr still um seine Partei, bis sie anfing sich im Rahmen der Bewegung von Maßnahmen-Gegner_innen zu engagieren.

„No Vax“ in Italien

Die „No Vax“ genannte Bewegung hat – wie in anderen Ländern – eine sehr große Reichweite. Maßgeblich dafür ist sicherlich, dass sie auch in Italien sehr heterogen ist. Sie reicht von Vertreter_innen der Regierungspartei „Movimento 5 Stelle“, über die üblichen Verschwörungsgläubigen und Esoteriker_innen, die sich selbst als eher links verstehen würden, bis zu den Neo-Faschist_innen. Politisch hat „No Vax“ allerdings in Italien sehr viel weniger Gewicht als etwa in Deutschland oder der Schweiz. Die höchste Mobilisierungskraft hat sie in Süd-Tirol und dem Nord-Osten des Landes. Die Bewegung formierte sich in dieser Form bereits vor der Corona-Krise, als im Jahr 2017 in Folge einiger Meningitis- und Masern-Ausbrüche an Schulen eine Impfpflicht eingeführt wurde.

Während einige Journalist_innen nach dem Sturm auf die Gewerkschaftszentrale von einer „Infiltration“ der Neo-Faschisten schrieben, kann getrost behauptet werden, dass „Forza Nuova“ von Anfang an ein Teil der Bewegung war. Seit Beginn der Pandemie positionierten sie sich gegen den Lockdown, die Maskenpflicht und später gegen die Impfkampagne. Dabei bekamen die Neo-Faschist_innen nicht zuletzt wegen ihrer organisatorischen Kapazitäten eine herausragende Stellung innerhalb von „No Vax“. Die Mehrheit der anderen Protagonist_innen hatte schließlich noch nie eine Demonstration organisiert.

"Casa Pound" und die Gastronomie

Auch andere Rechtsparteien versuchten sich in der Bewegung zu profilieren. „Casa Pound Italia“ – die selbsternannten Faschisten des neuen Jahrtausends – war insbesondere gegen die Schließung der Gastro-­Unternehmen aktiv, die sie ökonomisch auch selbst getroffen haben muss. Die „Casa Pound“-Sprecher Luca Marsella aus Ostia und Saverio Di Giulio aus Florenz engagierten sich im Rahmen der #ioapro- Kampagne von Gastro-Unternehmer_innen, die sich einer Schließung widersetzen wollten. Und auch am Abend nach der grossen Demonstration in Rom sollten Aktivisten von „Casa Pound“ noch eine Rolle spielen: Einige (Neo)Faschisten machten am Abend nach der Demonstration noch Ärger in der Notaufnahme eines römischen Krankenhauses. Unter ihnen Manuel Sannino, der ex-Capo der notorisch rechten Ultras von "Ostiamare" und derzeitiger Sprecher der „Casa Pound“-Besetzung „Area 121“ in Ostia bei Rom. Insgesamt scheint sich „Forza Nuova“ aber innerhalb der „No Vax“ deutlich besser vernetzt zu haben als ihre Konkurrenz von „Casa Pound“.

Der Sturm auf das Gewerkschaftshaus hat Roberto Fiore und seiner Partei nun landesweit grosse Aufmerksamkeit beschert. Und die Symbolkraft der Aktion hat ihre Glaubwürdigkeit bei allen Fans des Urfaschismus massiv gestärkt. Trotzdem ist fraglich, ob „Forza Nuova“ sich mit dem Angriff nicht einen Bärendienst erwiesen hat. Während die faschistische Gewalt in den 1920er Jahren von der Staatsgewalt toleriert wurde – der die starke Arbeiter_innen-Bewegung grosse Sorgen bereitete – wurde nun der größte Teil der Führungsstruktur von „Forza Nuova“ erst mal aus dem Verkehr gezogen.

Verhaftungswelle gegen Rechts

Roberto Fiore, Giuliano Castellino und der palermitanische FN-Chef Massimo Ursino saßen im Gefängnis. Ebenso wie Massimiliano Petri, Fabio Corradetti und Pamela Testa. Sogar Biagio Passaro, Sprecher der Gastro-Bewegung #ioapro saß hinter Gittern, obwohl dieser wahrscheinlich kein Mitglied von „Forza Nuova“ ist. Weitere Neofaschisten wie Roberto Borra standen unter Hausarrest, während Francesco Bellavista, Federico Trocino und Luca Castellini sich jeden Tag beim Polizeiposten ihrer Wohngemeinde melden mussten. Ebenfalls verhaftet wurde Luigi Aronica. Er ist heute ebenfalls „Forza Nuova“ zuzurechnen und saß bereits 18 Jahre im Gefängnis, weil er in den 1970er Jahren den rechtsterroristischen „Nuclei Armati Rivoluzionari“ (NAR) angehörte. Die Fußball-Szene der „Curva Nord“ von „Inter Mailand“ solidarisierte sich nach der Verhaftung mit dem „Panther“, indem sie ihm ein Spruchband widmete.

Pino Meloni, neuer FN-Chef der römischen Sektion, durfte nach den Verhaftungen seiner Kameraden die Führung der Organisation übernehmen. Er hört auf den Spitznamen „la rana“ („der Frosch“) und hat sich wie Castellino lange im Fußball-Milieu des Kurvenumfelds der A.S. Roma bewegt. Nach den Ausschreitungen im Rahmen des Spiels der Roma in Brescia im Jahr 1994 musste er für einige Jahre ins Gefängnis. Er hatte einem Polizisten mit einem Messer lebensgefährliche Verletzungen zugefügt. Es ist fraglich, ob er der Richtige ist, die Partei in einem möglichen Verbotsverfahren zu leiten.