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Italien: „Kein Schritt zurück“

Medienkollektivs „left report“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Am 12. Januar 2018 wurden in Genova (Genua) Antifaschist_innen überraschend von Neonazis angegriffen, während sie Plakate für eine Demonstration klebten. Einem der Antifaschisten wurde dabei eine schwere Stichwunde am Rücken zugefügt. Die Angreifer können dem neuen "CasaPound Italia" (CPI) in Genua zugeordnet werden, das erst im November 2017 eröffnet wurde. Am 3. Februar 2018 fand daher eine antifaschistische Großdemonstration statt.

Traditionell gilt Genua als Hochburg des Widerstands gegen den Faschismus. Schon während der deutschen Besatzung ab 1943 sabotierten antifaschistische Aktionsgruppen militärische Einrichtungen der Wehrmacht wiederholt durch Bombenanschläge. 1945 begannen Partisan_innen und Teile der Genuesischen Bevölkerung einen Aufstand gegen die deutschen Truppen und konnten diese erfolgreich zerschlagen. Genua ist die einzige der damals von Deutschen besetzten italienischen Städte, in der sich die Streitkräfte den Vertreter_innen des Widerstands direkt ergaben. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt Teil des norditalienischen „Industrie-Dreiecks“1 und war geprägt von einer linkspolitisch ausgerichteten Arbeiter_innenschaft. Im Jahr 1960 verhinderte die Bevölkerung durch militante Proteste einen Kongress der neofaschistischen Partei „Movimento Sociale Italiano“ (MSI). Noch heute beziehen sich genuesische Antifaschist_innen oft auf ihre widerständige Geschichte.
Bisher gab es kaum nennenswerte Neonazi-­Aktivitäten und keine organisierten rechten Strukturen in Genua und bis Anfang 2018 hatte es seit Jahrzehnten keinen gewalttätigen Angriff auf Antifaschist_innen durch Neonazis gegeben. Kürzlich eröffneten allerdings gleich zwei neofaschistische Zentren in der Stadt — eines davon ein Sitz von „Casa Pound“.

„Casa Pound“ ist eine neofaschistische HausbesetzerInnenbewegung und Partei, die sich einen sozialen Anstrich gibt, tatsächlich aber klar rassistische und neofaschistische Positionen vertritt und durch vermeintlich gemeinnützige Arbeit die italienische Bevölkerung für ihre Ziele gewinnen will. Die Bewegung, die sich auf den Mussolini-Anhänger Ezra Pound bezieht, eröffnete seit ihrer Gründung im Jahr 2003 in mehreren italienischen Städten eigene Zentren. Teilweise handelt es sich dabei um Wohnprojekte, in denen Mitglieder der Vereinigung leben und teilweise um reine Büroräume, die für die Parteiarbeit genutzt werden — wie im Fall von Genua. Die Ziele von „Casa Pound“ bestehen in der Durchsetzung sozialer Maßnahmen nur für Italiener_innen im nationalistischen Sinn. Sie vertreten eine „Italians first“-­Politik, die sich folglich insbesondere gegen Migran­t_innen richtet und streben einen souveränen italienischen Nationalstaat unabhängig von der Europäischen Union an. Immer wieder sind Mitglieder von „Casa Pound“ in Gewalttaten gegen Migrant_innen, Antifaschist_innen und Andersdenkende verwickelt.

Trotz des offenen Bekenntnisses der Bewegung zum Faschismus erlebte sie in den letzten Jahren eine Art Normalisierung, die nicht nur zu wachsender Akzeptanz, sondern durchaus zu Erfolg und einem starken Zuwachs von AnhängerInnen innerhalb der italienischen Bevölkerung führte. Die italienischen Institutionen und nicht zuletzt die Medien2   trugen ihren Teil dazu bei, die neofaschistische Organisation „reinzuwaschen“. Obwohl Parteien gegen die italienische Verfassung verstoßen, wenn sie sich offen zum Faschismus bekennen, konnten die Mitglieder sich erfolgreich als AnhängerInnen eines „neuen Faschismus“ präsentieren, der vom „alten Faschismus“ abgegrenzt werden könne und somit durchaus verfassungskonform sei. Bei den italienischen Parlamentswahlen am 4. März 2018 trat „Casa­ Pound“ mit ihrem Spitzenkandidaten und Mitbegründer Simone di Stefano an, der seit jeher eine wichtige Führungsfigur innerhalb der Partei darstellt.

Besonders die „sozialen“ Bestrebungen von „Casa Pound“ scheinen in einer Stadt wie Genua, die in den letzten Jahren von einem enormen wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen war, der für viele Menschen zum Verlust ihrer Arbeitsplätze und zu einem Absinken der Bevölkerungszahl führte, teils auf fruchtbaren Boden zu fallen. So konnten sie nach Angaben des genuesischen „Casa Pound“-Provinzkoordinators Cristian Corda an nur einem Wochenende über 300 Unterschriften für ihren Antritt bei den kommenden Wahlen sammeln.3

Die Genueser_innen sehen sich daher mit einer neuen Situation in Form einer erstarkenden neofaschistischen Bewegung konfrontiert. In Folge der Eröffnung des „Casa Pound“ gründete sich daher ein neues antifaschistisches Bündnis unter dem Namen Genova Antifascista, das am 3. Februar 2018 eine Demonstration gegen Neonazi-­Zentren, Rassismus und neofaschistische Tendenzen in der Regierung und für eine revolutionäre antifaschistische Bewegung durchführte. Für eben diese Demonstration plakatierten Antifaschist_innen, als sie am späten Abend des 12. Januar 2018 von Neonazis angegriffen wurden. Die Gruppe von circa 30 NeofaschistInnen aus den Kreisen der „Casa Pound“ war mit Messern, Flaschen und Gürteln bewaffnet. Ein Antifaschist wurde niedergestochen und überlebte schwer verletzt.

Die Brutalität des Angriffs schockierte nicht nur viele Genueser_innen, sondern führte auch zu einer Welle der Solidarität. Daraufhin wurden sowohl Antifaschist_innen aus anderen Städten Italiens als auch aus anderen Ländern auf die Situation in Genua und die Eröffnung von „Casa Pound“ aufmerksam. Zahlreiche linke Gruppen traten in das Bündnis "Genova Antifascista" ein und die Mobilisierung zu der Demonstration Anfang Februar 2018 erfuhr einen enormen Aufschwung.

Am 3. Februar 2018 begannen schon eine Stunde vor der angekündigten Startzeit auf der Piazza De Ferrari — einem der größten Plätze Genuas — sich Menschen zu versammeln. Bis zum Beginn der Demonstration wuchs die Menschenmenge auf mehrere Tausend an. Die Demonstration zog durch die Innenstadt Genuas. Eines der neuen neofaschistischen Zentren lag auf der Demonstrationsroute und wurde symbolisch versiegelt. Im weiteren Verlauf führte die Demonstration an der Piazza Alimonda vorbei, wo im Jahr 2001 Carlo Giuliani während der Proteste gegen den G8-Gipfel von einem Polizisten erschossen worden war. Unmittelbar hinter einem Kirchengebäude auf der Piazza Alimonda befindet sich nun das „Casa Pound“-Büro, welches an diesem Tag jedoch von der Polizei komplett abgeriegelt wurde. Die Demonstration führte über die große Einkaufsstraße Via XX Settembre zurück, wo von der Brücke Ponte Monumentale ein schwarz-rotes Banner mit der Aufschrift „Genova Antifascista“ heruntergelassen wurde. Unter den Marmorbögen stand ein Partisan und sang „Bella ciao“ und die Teilnehmer_innen der Demonstration stimmten mit ein. Insgesamt setzten an diesem Tag über 6.000 Antifaschist_innen ein starkes Zeichen: Es war die größte Demonstration in Genua seit vielen Jahren.

Die Aktivist_innen des Bündnisses "Genova Antifascista" zeigten sich überwältigt von der großen Zahl an Teilnehmer_innen, von denen viele extra angereist waren. Allerdings sind die lokalen Antifaschist_innen auch besorgt. Der Angriff vom 12. Januar 2018 hat viele Menschen aufgerüttelt und verängstigt. In der kommenden Zeit werden die Genueser_innen einen beständigen Kampf gegen den Neofaschismus führen müssen — auch abseits von Großereignissen wie dem am 3. Februar 2018. In Gesprächen unterstrichen ortsansässige Genoss_innen, dass die Attacke vielen Menschen ins Bewusstsein gerufen hat, wie bedrohlich die Ansiedlung neofaschistischer Strukturen in der Stadt ist und dass kontinuierliche, entschlossene Gegenwehr unabdingbar ist.

Die Demonstration und die Gründung eines breiten revolutionär-antifaschistischen Bündnisses in der Stadt zeigen, dass Genua sich den NeofaschistInnen organisiert in den Weg stellt und widerständig bleibt. “NON UN PASSO INDIETRO!“

Weitere Informationen: www.leftreport.blogsport.eu