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Interview mit der "Opferperspektive"

Einleitung

Die Initiative »Opferperspektive - Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt in Brandenburg« ist ein relativ neues Projekt, daß sich zur Aufgabe gemacht hat, die Opfer rechtsextremistischer Gewalt zu unterstützen, beziehungsweise Unterstützungs- und Solidarisierungsprozesse vor Ort anzuregen und zu begleiten. Der Tätigkeitsbereich ist auf Brandenburg beschränkt. In einigen Städten Brandenburgs sind regional bereits ähnliche Initiativen entstanden. Ob die Einrichtung von Opferberatungsstellen in Leipzig und Sachsen-Anhalt, mit den in Brandenburg bestehenden, vergleichbar sein wird, ist noch offen. Das Projekt »Opferperspektive« in Brandenburg wurde aus LOTTO-Mitteln durch das Justizministerium bis Februar 1999 gefördert. Ein Antrag auf eine weitere Förderung im Rahmen des Programmes »Tolerantes Brandenburg« ist bis Ende Juni 1999 nicht beschieden worden. Wir finden den Ansatz der Initiative interessant, und haben deshalb einen Vertreter zu einem Gespräch eingeladen.

Foto: Christian Ditsch

Gedenken an ein Todesopfer rechter Gewalt.

AIB: Wer seid Ihr und was beinhaltet das Projekt »Opferperspektive«?

OP: In unserem Projekt sind zur Zeit vier Leute nahezu ganztägig beschäftigt. Wir kommen aus verschiedenen Bereichen des Antifa-/Antira-Spektrums mit unterschiedlichen regionalen Erfahrungen. Das Projekt »Opferperspektive« wurde im März 1998 gegründet. Der Name klingt vielleicht etwas merkwürdig, es geht aber darum, Menschen, die aus rechtsextremen oder rassistischen Motiven angegriffen worden sind, bei der Bewältigung der damit verbundenen Folgen zu helfen. Dazu gehört einerseits die Sicht der Angegriffenen in einer möglichst großen Öffentlichkeit zu vermitteln und andererseits zusammen mit Initiativen und Einzelpersonen vor Ort Perspektiven für sie zu entwickeln. Unsere Unterstützungsarbeit beinhaltet für die Angegriffenen das Angebot selbst aktiv zu werden, anstatt sich in der Rolle eines Opfers einzurichten. Die Zielrichtung unserer Arbeit steht insofern im Gegensatz zu den in der Gesellschaft überwiegenden Diskursen und den daraus entwickelten Handlungskonzepten, die sich überwiegend mit den Tätern auseinandersetzen.

AIB: Ihr kümmert Euch also um die Opfer, wollt deren Situation nach einem Überfall anderen verdeutlichen. Das klingt ein bißchen wie Opferhilfe nach dem Konzept »Weißer Ring«, aber auch so als ob die Rechten weniger gefährlich wären, wenn ihnen die Folgen ihres Handelns vor Augen geführt werden würde.

OP: Wir leben in Brandenburg - und wir denken, das gilt genauso für andere Gebiete im Osten - in einem gesellschaftlichen Klima, das stark von Rassismus und völkischem Nationalismus geprägt ist. Gerade unter Jugendlichen ist ein sogenannter »rechter Lifestyle« weit verbreitet. Jugendliche, die sich dem nicht anpassen wollen, werden verdrängt oder kaum unterstützt. »No-Go-Areas« für Ausländer durchziehen das ganze Land. Gewalt spielt bei der Aufrechterhaltung und Durchsetzung dieser Zustände eine zentrale Rolle. Im Unterschied zu gewöhnlichen Straftaten, beinhaltet ein rechtsextremistisch motivierter Angriff neben der konkreten individuellen Verletzung zusätzlich eine ausgrenzende Botschaft. Den für »undeutsch« befundenen Angegriffenen soll vermittelt werden, sie gehören nicht hierher, haben weniger Rechte oder seien als Mensch weniger wert. Eine einzelne rechte Gewalttat wirkt dabei nicht nur auf die direkt Betroffenen, sondern auf ein ganzes Kollektiv, das pauschal als »Ausländer« oder »Zecken« bezeichnet wird. Alle sollen eingeschüchtert werden. Sie trifft damit diejenigen, die ohnehin einen gesellschaftlich schlechten Stand haben oder als Nichtdeutsche rassistische Diskriminisierung im Alltag erfahren. Aufenthaltsbeschränkunkungen, Arbeitsverbote und die Verweigerung demokratischer Teilhaberechte bewirken, daß die Möglichkeiten, sich als Betroffene gegen Angriffe zu wehren, beschränkt sind. Rechte Gewalt befördert somit in der Gesellschaft bestehende Ausgrenzungsprozesse. Unabhängig davon, ob sich der einzelne »rechte Schläger« dessen bewußt ist, trägt er dazu bei, das von Neonazis als »völkischer Nationalismus« bezeichnete Ziel der »Säuberung des deutschen Volkskörpers« umzusetzen. Insofern greifen Ansätze, die Gewalt lediglich als das falsche Mittel einer Konfliktbewältigung betrachten, viel zu kurz. Die zu Gewaltausübung führenden rechtsextremistischen Motive werden so verschleiert und geschützt. Mit einer vordergründigen Problematisierung von Gewalt wird Rechtsextremismus in seinen politischen und sozialen Zusammenhängen verschleiert. Ein rechter Angriff ist daher für uns lediglich der Anlaß für ein konkretes Eingreifen. Ziel ist dabei, eine gesellschaftliche Solidarisierung mit den Opfern rechtsextremer Gewalt zu mobilisieren. Die Folgen eines Angriffes sind für den Einzelnen erträglicher, wenn es Leute gibt, die konkrete Hilfe anbieten und die Betroffenen nicht alleine lassen. Einschüchterung kann so unterlaufen werden. Darüber hinaus kann über die Unterstützung ein sozialer Zusammenhang entstehen, der die Opfer vor weiteren Angriffen und sich gegenseitig schützt. Mit der Vermittlung der Sicht der Opfer auf die Angriffe besteht für die Unterstützer die Möglichkeit, die Gewalt gerade in ihrem gesellschaftlichem Kontext zu verstehen.

AIB: Und was macht Ihr konkret, wenn Ihr von einem Angriff erfahrt?

OP: Wir suchen die Betroffenen vor Ort auf, lassen uns von dem Geschehenen berichten, besprechen, wie sie sich im Nachhinein gegen die Täter wehren können, welche konkreten Schäden durch den Angriff entstanden sind und wie damit umgegangen werden kann. Weiter erörtern wir mögliche Schritte, die notwendig sind, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen. Wie dann eine Unterstützung konkret aussieht, hängt davon ab, was die Angegriffenen selbst wollen. Wir sprechen Personen oder Initiativen aus dem Ort oder der Region an, welche Unterstützung sie leisten können, wer noch miteinbezogen werden könnte und welche weiteren Handlungsmöglichkeiten für sie bestehen könnten. Hauptsächlich haben wir es mit Leuten zu tun, die aufgrund ihres unveränderbaren Äußeren angegriffen wurden, aber auch viel mit Jugendlichen, die sich dem rechten mainstream nicht unterordnen wollen oder verweigern, sogenannte alternative Jugendliche. Die wenigsten hatten zuvor eigene Erfahrungen mit dem Rechtssystem, so daß wir ihnen Aufbau und Funktion erklären. Wir erörtern mögliche juristische Schritte, suchen gegebenenfalls Zeugen der Tat und helfen ihnen, einen Anwalt zu finden, der sie bei einer eventuellen Nebenklage gegen den Täter vertritt. Wenn notwendig, organisieren wir auch einen Dolmetscher. Mit dem Einreichen einer Nebenklage nehmen die Opfer eine aktive Rolle im Strafverfahren ein und können somit der Gefahr begegnen, in der Verhandlung als Zeuge »auseinandergenommen« zu werden. Ist ein Prozeßtermin festgesetzt, besprechen wir mit ihnen den Ablauf. Eine Begleitung zu einem Prozeßtermin - gerade von nicht-deutschen Opfern - gewährt ihnen Schutz auf dem Weg zum Gericht und im Gebäude und führt häufig dazu, daß sie sich überhaupt trauen, in Anwesenheit der Täter vollständig auszusagen. Angegriffene Flüchtlinge unterstützen wir bei ihrer Umverteilung in ein anderes Heim, wenn sie im Ort bedroht werden und helfen ihnen beim Ausfüllen von Anträgen, die mit dem Angriff in Zusammenhang stehen. Oft sind Flüchtlinge als Folge eines Angriffes psychisch traumatisiert, und wir helfen ihnen, eine therapeutische Behandlungsmöglichkeit zu finden. Wir vermitteln Kontakte zu Journalisten damit Art und Ausmaße rechtsextremistischer Übergriffe in der Öffentlichkeit realistisch dargestellt werden.

AIB: Das hört sich alles nach einer Art Symptomhilfe an.

OP: Klar. Doch wir können die allermeisten Angriffe nicht verhindern und wir können sie auch nicht mehr rückgängig machen. Und die Frage ist, was kann dann getan werden. Wir verstehen unsere Tätigkeit als Teil einer antifaschistischen Strategie, die die Betroffenen eines rechtsmotivierten Verdrängungsprozesses in den Mittelpunkt stellt. Wenn zum Beispiel rechte Angriffe als Anknüpfungspunkte für eine Unterstützungsarbeit der Betroffenen genommen werden, hat das mehrere Effekte. Es bietet sich eine praktische Möglichkeit für interessierte Gruppen aktiv zu werden, und die Opfer bleiben nicht länger weitestgehend isoliert. Damit verbunden sind Lernprozesse, die die Unterstützer und die Betroffenen selbst verändern, deren Position vor Ort wird gestärkt. Über die Einbeziehung anderer lokaler Initiativen und Institutionen können Solidarisierungsprozesse mit den Betroffenen rechter Gewalt ausgelöst werden, die die Stimmung im Ort verändern und Ausgangspunkt für eine weitergehende Auseinandersetzung mit Rassismus und Nationalismus sind. Gleichzeitig verlieren die Nazis an Zustimmung und Respekt und damit an ihrer Stärke.

AIB: Du sprichst von Solidarisierungsprozessen mit den Betroffenen rechter Gewalt. Welche Rolle spielen dabei die sich vielerorts gründenden "Bündnisse gegen Rechts"?

OP: Anlaß für die Gründung derartiger Bündnisse ist in der Regel die Besorgnis über die Zunahme rechtsextremer Organisierung und Gewalt. Inwieweit sie tatsächlich etwas bewirken werden, hängt stark von ihrer regional doch sehr unterschiedlichen Ausrichtung und Zusammensetzung ab. Manche Bündnisse dienen den Stadtverwaltungen und Parteien als Alibiveranstaltungen und zur Imagepflege. Die eigentlich Betroffenen finden kaum Gehör. Oder über jugendspezifische Ausdrucksformen wird bevormundend und abwertend hinweggegangen. Dabei sind es in der Regel die Jugendlichen der örtlichen alternativen Szene, die die direktesten Erfahrungen im Umgang mit den Nazis haben und über die meisten Kenntnisse der rechten Szene verfügen. Das sind oft die Probleme. Andererseits wirkt oft allein schon die Gründung eines "Bündnisses gegen Rechts" positiv auf die Stimmung in der Stadt. Es besteht die Möglichkeit, diejenigen kennenzulernen, die noch am ehesten gewillt sind, den Nazis etwas entgegenzusetzen und Kooperation praktisch auszuprobieren. Es besteht die Chance der Auseinandersetzung mit anderen Argumenten und Strategien und dabei voneinander zu lernen. Grundsätzlich finden wir daher eine aktive Bündnisarbeit notwendig und lohnenswert. Bündnisse können bei der Entwicklung und Stabilisierung von Solidarisierungsprozessen eine bedeutende Rolle einnehmen.

AIB: Ist es nicht oft eher so, daß die tragenden politischen Kräfte Teil des Problems sind und an einer Stabilisierung zivilgesellschaftlicher Elemente eher kein Interesse haben?

OP: Sie können zumindest gedrängt werden, das Problem Rechtsextremismus nicht weiter zu negieren oder zu verharmlosen. Dazu ist es nötig, die relativierenden und negierenden Diskurse über Rechtsextremismus auseinanderzunehmen. Diese Diskurse - um nur einige zu nennen: rechter wie linker Extremismus, Jugendgewalt, Randgruppen, Einzeltäter, Täter als Modernisierungsverlierer - sind ein Teil des Problems und behindern ein inhaltliches Begreifen. Eingebracht werden kann diese Kritik auf der Grundlage gesammelter Erfahrungen bei der Unterstützung der Opfer, aufgrund des Begreifens von Zusammenhängen zwischen Gewalt und gesellschaftlichen Verhältnissen. Bei der Vermittlung von Kritik an den gesellschaftlich tragenden Kreisen können die Bündnisse behilflich sein.

AIB: Danke für das Gespräch.