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Interview mit dem kalifornischen Antifaschisten Eric K. Ward

Xavier Bonnet (Gastbeitrag)
Einleitung

Ein Interview von Xavier Bonnet mit dem kalifornischen Antifaschisten Eric K. Ward.

Foto: splcenter.org

Bonnet: White Supremacy und White Nationalism in den USA werden manchmal fälschlicherweise gleichgesetzt. Können Sie die Begriffe entschlüsseln?

Ward: Weiße Nationalisten halten Weiße für ein biologisch determiniertes Volk, das, wenn es erst einmal „aufgewacht” ist, die US-Regierung stürzen, Nicht-Weiße loswerden und einen eigenen weißen Staat errichten wird. Der Weiße Nationalismus formierte sich ab den 1960er Jahren als Gegenreaktion zur Bürgerrechtsbewegung. Er wurzelt in der White Supremacy, der rassistischen weißen Vorherrschaft, die nach dem Ende der Sklaverei bis in die 1960er Jahre im US-Süden institutionell verankert und gesetzlich festgeschrieben war und im Rest des Landes zwar formal abgeschafft war, faktisch aber fortdauerte. Für weiße Nationalisten befinden sich das Land und seine Gesellschaft seit den 1960er Jahren in einer Dauerkrise, weil die Weißen angeblich verdrängt und „ausgetauscht” werden. Dieses angebliche „Replacement” dient als ideologische Klammer von etlichen Konservativen bis hin zu Rechtsterroristen.

Bonnet: „Jews will not replace us” skandierten Hunderte von weißen Nationalisten bei der berüchtigten Nazidemonstration von Charlottesville in 2017...

Ward: In der White Supremacy und im weißen Nationalismus stellt der Antisemitismus die ideologische Grundlage dar, wenn man es so ausdrücken will. „Die Juden” gelten darin als die eigentliche Triebkraft hinter dem „Replacement”. Denn wenn die Schwarzen und andere Nicht-Weiße als minderwertige Rasse aus eigener Kraft zur Verdrängung der Weißen und zu einer Bürgerrechtsbewegung nicht in der Lage sind, dann muss etwas Mächtigeres dahinterstecken. Und außerdem: wer unterzieht die anderen Weißen einer Gehirnwäsche, wer manipuliert und kontrolliert Fernsehen, Banken, Hollywood, das Bildungswesen und das Weiße Haus? Wer sorgt für die Aufhebung der traditionellen Geschlechterrollen und für das Aufkommen liberaler und sozialistischer Ideen, wie kam es zur Wahl eines Schwarzen Präsidenten? Das kann nur die eine Gruppe sein.    
     
Bonnet: Nun distanzierte sich Trump nicht von diesen weißen Nationalisten und gab manchmal auch  antisemitische Äußerungen von sich. Andererseits gab er sich philosemitisch und extrem pro-­israelisch. Seine Tochter war zum Judentum übergetreten, und ihr jüdisch-­orthodoxer Mann war Trumps Chefberater. Wo verorten Sie das Trump-Bündnis auf dem Antisemitismus-Spektrum?

Ward: Die Trump-Koalition beziehungsweise „Alt Right“ oder „MAGA“ (Make America Great Again) besteht aus verschiedenen Fraktionen. Nicht jeder in diesem Bündnis ist ein weißer Nationalist. Aber eine der einflussreichsten innerhalb dieser Koalition war und ist sicherlich die weiße nationalistische Bewegung mit dem Antisemitismus als ihrer Kernideologie. Wenn Donald Trump sich also hinstellte und sagte „Die Juden können in ihr eigenes Land zurückkehren“, womit Israel gemeint war, dann war das eine eindeutige antisemitische Trope. Sie suggerierte, dass Juden als Amerikaner hier keinen Platz haben. Andere Tropen aus dem Trump-Spektrum und von ihm selbst waren verbale Angriffe auf George Soros. Die Vorstellung dahinter lautet: die Juden besässen eine globale geheime Macht. So etwas hat direkt zu  Gewalt und Terrorismus gegen Juden in den USA geführt. Aber auch bei anderen terroristischen Anschläge und Schießereien, etwa auf lateinamerikanische Einkäufer in einem Walmart in El Paso oder auf afroamerikanische Einkäufer in einem Lebensmittelgeschäft in Buffalo und weitere in der jüngsten Vergangenheit, spielte der Antisemitismus eine wichtige Rolle, nicht nur der Rassismus. In jedem dieser Fälle glaubte sich der Mörder in einem geheimen, existentiellen Krieg mit der jüdischen Gemeinschaft. Denn sie ist immer der Drahtzieher, der seine Marionetten tanzen lässt, dass heisst Einwanderer, Nicht-­Weiße, Frauen, die Regierung, Arbeiter, Lehrer und so weiter. Und um auf Trump zurückzukommen: letzendlich ist es weniger wichtig genau zu definieren, ob Donald Trump selbst ein ganzer oder halber Antisemit ist. Die Frage ist, ob er den Antisemitismus als politische Kraft in den Vereinigten Staaten vorantrieb. Und die Antwort ist eindeutig ja.

Bonnet: Der berühmte Künstler Ye, der früher Kanye West hieß, aber auch andere prominente Afroamerikaner wie der Basketballstar Kylie Irving und der Comedian und Schauspieler Dave Chapelle äußerten sich offen antisemitisch. Trotz Kritik und Boykott legte Ye sogar mehrmals nach. Wie ist das zu erklären?

Ward: Vorausschickend muss man sagen, dass Hassgruppen und weiße Nationalisten den Antisemitismus nicht in unsere Schwarzen Communities hineintragen. Sie versuchen einfach, den existierenden Antisemitismus zu organisieren. Sie zapfen den Antisemitismus quasi an, um sich politische Macht zu verschaffen oder Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das haben Ye, Irving und Chappelle getan. Wichtig ist auch zu verstehen, dass ein Zweck des Antisemitismus immer darin bestand, als gesellschaftliche Kraft ein Puffer zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden zu schaffen. So funktionierte er in Osteuropa im 19. Jahrhundert. Man deutete auf die Juden, wenn man zu den Besitzenden gehörte und sich vor den Habenichtsen schützen wollte. Und wenn die Habenichtse sich über die Ungleichheit und Ungerechtigkeit aufzuregen begannen, ließen sie ihre Frustrationen entsprechend an den Juden aus. Es ist von daher überhaupt nicht überraschend, dass Antisemitismus gerade auch in den USA in marginalisierten Communities auftritt. Man kann Zielscheibe von einer Form der Bigotterie sein,  während man selber eine andere Form von Bigotterie ausübt. Ich kann ein Opfer von Rassismus sein und trotzdem Homophobie, Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit gegenüber Einwanderern ausüben.

Zwischen den drei genannten Schwarzen Prominenten gibt es allerdings auch Unterschiede. Ye zapft ganz bewusst eine politische Philosophie des Antisemitismus an und vertritt sie. Damit versucht er, Antisemitismus zu organisieren. Chappelle spielt mit antisemitischen Tropen, um Kontroversen zu schüren und mit Lachern auf Kosten der jüdischen Community Aufmerksamkeit zu erzeugen. Irving steht in der Mitte. Der Antisemitismus hat eben unterschiedliche Ausdrucksformen.  

Bonnet: Ye und Irving haben beide mehr oder weniger lose Verbindungen zu den „Black Hebrew Israelites“, die sich als Religionsgemeinschaft versteht. Darauf lassen ihre „Likes” schließen. Inwieweit ist der Antisemitismus in den USA religiös geprägt?

Ward: Sicherlich existieren Formen von antijüdischer Bigotterie oder antijüdischem Hass, die religiös beeinflusst sind. Aber man muss sich immer wieder klarmachen, dass Antisemitismus eine Form des antijüdischen Hasses ist. Er hat seine Wurzeln im Europa des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das Besondere und Einzigartige am Antisemitismus als Form der antijüdischen Bigotterie ist, dass er die Juden nicht bloß als minderwertige religiöse oder ethnische Wesen betrachtet, sondern als etwas rundum Konträres und komplett „rassifiziert”. Die Mehrzahl der „Black Hebrew Israelites“ betrachten Weiße als minderwertig, aber die Juden darunter als das absolut Böse, als die buchstäblichen Kinder des Satans und ohne Seelen. Schwarze seien dagagen die wahren verlorenen Stämme Israels.

Bonnet: Schwarzer Rechtsextremismus und Antisemitismus sind also auch als Reaktion auf Bigotterie und Rassismus der Mehrheitsgesellschaft zu begreifen?

Ward: Auch, ja, aber nicht ausschließlich, wie ich oben schon sagte. Das musste nicht von außen in die Communities hineingetragen werden. An dieser Stelle möchte ich an den Faschismus und seine bekannten Träger in den USA vor etwas mehr als 100 Jahren erinnern. Da fallen Namen wie Charles Lindbergh oder Henry Ford ein. Ford war es zum Beispiel, der 1920 die „Protokolle der Weisen von Zion” als „The International Jew” in einer Auflage von einer halben Million in den USA nachdrucken ließ.

Aber kaum jemand kann mit dem Namen Lawrence Dennis etwas anfangen, obwohl er als einer der bedeutendsten extrem rechten Strategen in den USA gelten muss. Dennis agierte zur selben Zeit wie Lindbergh und Ford. Er verbrachte einige Zeit in Deutschland. Lindbergh und Ford sind so etwas wie die Gründungsväter der amerikanischen extremen Rechten, in dem Sinne, dass sie den klassischen Faschismus nachzuahmen versuchten, und hatten schließlich auch ein eigenes Program. Dennis war „of mixed race”, ging aufgrund seiner Hautfarbe aber als Weißer durch. Was ihn antrieb, war sein Schwarzsein. Er glaubte, der Faschismus sei die notwendige Antwort auf die rassistische Ungleichheit. Das Grundübel, das er mithilfe einer faschistischen Ordnung beseitigen wollte, sah er in der Mischung aus weißer Vorherrschaft und Liberalismus. Wenn man das versteht, dann kann man entschlüsseln, weshalb es in Teilen der Schwarzen Community in den USA Rechtsoffenheit gibt.