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Internationale Proteste gegen SS-Gedenkmarsch in Riga

Frank Brendle

„Die haben hier eine eigene Willkommenskultur“, scherzte Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN-BdA, als der Bus aus Berlin am Abend des 15. März 2014 endlich in Riga ankam. Schon bei der Abfahrt am Berliner Ostbahnhof hatte sich die (deutsche) Polizei vor Ort ein Bild von den Antifas gemacht. An der litauisch-lettischen Grenze wurde der Bus, Schengen hin, Schengen her, zwei Stunden angehalten, die Personalien der 25 Reisenden erfasst und alle mitgeführten Plakate fotografiert. Kurz vor Riga gab es dann inmitten eines Schneesturmes einen weiteren, diesmal vierstündigen Stopp, weil die Verkehrspolizei bei einer „zufälligen“ Kontrolle irgendetwas am Fahrtenschreiber auszusetzen hatte.

Das behördliche Misstrauen speiste sich aus dem Ziel der Reisenden: Protest gegen den alljährlichen Waffen-SS-Gedenkmarsch wird in Lettland gar nicht gern gesehen.

Denn dort ist die Ehrung der „Lettischen Legion“, also der Angehörigen der 14. und 19. Waffen-SS-Division, keine Sache einer „extremistischen“ Minderheit, sondern gesellschaftlicher Mainstream. Es ist kein typischer Neonazimarsch. Es gibt kaum Paro­len, an der Spitze der in diesem Jahr rund 2.000 SS-VerehrerInnen marschiert ein evangelischer Pastor, die Strecke führt vom Dom zum Freiheitsdenkmal, das an die Unabhängigkeitsbewegung von 1918 erinnert. Damit werden die SS-Leute in die Kontinuität der „antibolschewistisch“ gedeuteten Unabhängigkeitskämpfer gestellt. Von 1991 bis 1998 war der „Tag der Legionäre“ am 16. März (Jahrestag einer Schlacht gegen die Rote Armee) gar ein staatlicher Feiertag, was auf Drängen der Europäischen Union rückgängig gemacht wurde.

An der Wertschätzung der SS-Leute hat das nichts geändert: Man solle sich vor den Gefallenen verneigen, weil diese für ihr Vaterland gestorben seien, äußerte sich etwa Staatspräsident Andris Bērziņš im Jahr 2012. Und auf der Homepage des lettischen Außenministeriums findet sich ein ausführlicher Text, der die ehrenwerten Motive der Waffen-SS-Kämpfer verteidigt und sie mit den Worten in Schutz nimmt, sie hätten sich zwischen zwei Übeln entscheiden müssen (Sowjets oder Nazis) und sich für die Nazis entschieden, „weil sie den Anschluss an die westliche Zivilisation suchten“. Da sieht man, wo die Totalitarismusthese letztlich die Zivilisation verortet: Dort, wo Auschwitz war.

Zu den Protesten gegen den Marsch kommen nur wenige Dutzend Menschen — daher der Wunsch nach antifaschistischer Unterstützung aus dem Ausland. Voriges Jahr war Joseph Koren von „Lettland ohne Nazismus“ (Latvija bez Nazism, LBN) auf Einladung der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) erstmals in Berlin, um über den SS-Marsch zu berichten. Dabei wurden auch Kontakte zur VVN-BdA geknüpft, die schließlich dazu führten, dass beide Verbände in diesem Jahr einen Bus nach Riga organisierten.

Schon in den letzten Jahren konnten immer wieder einige „VIPs“ für die Proteste gewonnen werden, etwa Gert Weisskirchen, früherer SPD-Bundestagsabgeordneter und OSZE-Beauftragter zur Bekämpfung des Antisemitismus, und Efraim Zuroff vom Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrum. Unter den diesjährigen DemonstrantInnen war  auch Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke.

Eine Busladung deutscher AntifaschistInnen war allerdings ein Novum — und machte die LettInnen hellhörig: Schon auf der Autobahn wurden sie nicht nur von der Polizei, sondern auch von einem nationalistischen Fernsehsender abgefangen, der ihnen danach auf Schritt und Tritt folgte. Deutsche im Bus, Deutsche in der Kellerbar ihres Hotels, auf dem Spaziergang durch die Altstadt und vor einer Polizeiabsperrung  — der Sender konnte gar nicht genug von den ungewöhnlichen Gästen kriegen, die er seinem Publikum als „Kommunisten“ vorstellte.

Auch für die AntifaschistInnen aus Deutschland war der Ausflug keine Routine. Nicht nur weil 28 Stunden Hinfahrt und 20 Stunden Rückfahrt bei knapp 24 Stunden Aufenthalt alles andere als ein gemütlicher Wochenendausflug sind. Noch am Abend des 15. März 2014 war nicht restlos geklärt, welche Proteste an welchem Ort eigentlich genehmigt sind und welche nicht. Auch nach einer mitternächtlichen Tatortbesichtigung mit Joseph Koren blieben noch Fragen offen. Das lag teilweise an den Behörden, aber auch daran, dass „Lettland ohne Nazismus“ es weniger mit transparenten Entscheidungsprozessen hat, sondern eher mit der Ballung von Informationen und Kompetenzen bei wenigen Einzelpersonen. So war Joseph Koren von „Lettland ohne Nazismus“ chronisch überlastet und kaum in der Lage, den Informationshunger der deutschen Gäste zu stillen.

Die setzten dafür beim Protest auf dem Domplatz ihren Kopf durch: Sich hinter die Gitter zu verziehen, die von der Polizei in einer Ecke des Platzes hergerichtet worden waren, kam für sie gar nicht in Frage. „Ich kann die Aufforderung gerne weitergeben, aber ich glaube nicht, dass die auf mich hören“, so der deutsche „Reiseleiter“ zum Ansprechpartner von „Lettland ohne Nazismus“. Die SS-MarschiererInnen, die nur mit wenigen Metern Abstand an der Kundgebung vorbeizogen, wurden mit „Schande“-Rufen (auf russisch) bedacht. Danach hieß es für die Antifas: Beine in die Hand nehmen und Richtung Freiheitsdenkmal eilen, wo ebenfalls ein umgittertes Areal bereitstand, das dann komplett binational ignoriert wurde. Die Polizei nahm’s hin, waren es insgesamt doch kaum mehr als 50 DemonstrantInnen.

Die Gäste aus Deutschland stellten also rund die Hälfte der Gesamtproteste, was durch ihre (englisch- und lettischsprachigen) Transparente und Plakate auch sichtbar wurde. Entsprechend groß war das Interesse von Medien und BürgerInnen. Ob sie nicht in Wirklichkeit doch aus Russland seien, wollten sie wissen. Nein? Aber russische Vorfahren hätten sie doch wohl? Und es sei ihnen schon klar, dass das Geld für ihre Anreise aus dem Kreml käme? Nationalistische LettInnen haben nur drei Erklärungen dafür, warum jemand etwas gegen die Waffen-SS haben könnte: Entweder ist man schwul, russisch oder Jude bzw. Jüdin. Tatsächlich haben fast alle der einheimischen ProtestiererInnen Russisch als Muttersprache. Als ethnische/r Lettin/Lette ist man für die SS oder man schweigt.

Nach dem Wochenende gab eine Abordnung der Dortmunder Neonazi-Partei „Die Rechte“ bekannt, dass sie auch in Riga gewesen sei und freundliche Kontakte zu „nationalbewussten“ Letten habe knüpfen können. Erbost zeigten sie sich über eine „rechtspopulistische Splittergruppe“ im SS-Marsch: „Sie zeigten Schilder, mit denen die deutsche und sowjetische Herrschaftszeit in Lettland gleichgesetzt wurden“. Die lettische Regierung ist sich darüber im Klaren, dass eine offene Unterstützung des Marsches in der EU rufschädigend sein kann. Nur unter internationalem Druck lässt sie sich zu einem Minimum an Distanz bewegen.

Hatte im letzten Jahr Regierungschefin Laimdota Straujuma ihr Kabinett aufgefordert, dem Marsch fernzubleiben, die Teilnahme zweier Minister dann aber doch widerspruchslos hingenommen, zog sie in diesem Jahr die Zügel an. Der Umweltminister wurde wegen angekündigter Marschteilnahme kurzerhand gefeuert. Auch wenn die Beteiligung vier einfacher Abgeordneter des nationalistischen Koalitionspartners „Alles für Lettland“ folgenlos blieb, ist es für lettische Verhältnisse schon ein Signal, dass der Marsch als (außen)politisches Problem erkannt wird. Auch wenn dieses Mal noch ganz spezielle außenpolitische Erwägungen rund um die Ukraine-Krise mitgespielt haben — die Unterstützung der lettischen durch „westliche“ AntifaschistInnen ist ein wirkungsvolles Instrument, um die Freunde der Waffen-SS in Schwierigkeiten zu bringen. 

Pressespiegel:
http://oberndorfgedenken.de/riga%20waffen%20ss.pdf

Der Autor ist Landesgeschäftsführer der DFG-VK Berlin-Brandenburg.