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Incels - Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults

Veronika Kracher

Der Begriff Incel ist die Kurzform für „Involuntary Celibate“ (dt. unfreiwillig im Zölibat Lebende) und wurde Ende der 1980er Jahre von einer queeren Person eingeführt. Die Motivation damals war es, mit anderen im Rahmen eines Online-Forum in den Austausch zu kommen über Bindungsängste oder toxische Partner*innen- und Familienbeziehungen etc. Entgegen dieser ursprünglichen Intention jedoch breitete sich in der Online-Community ab spätestens Anfang der 2010er Jahre immer mehr Misogynie und Frauenhass aus. Eine Kombination aus Frauen- und Selbsthass sowie pathologischem Opferdenken wurde dann auch charakteristisch für die aktuelle Incel-Szene.

Incels selbst sehen sich aufgrund ihrer angenommenen Unattraktivität als Opfer einer oberflächlichen Gesellschaft. Frauen würden demnach nur einen ganz bestimmten Typ Mann (erfolgreich, „schön“, potent) begehren. Somit bliebe ihnen selbst das vermeintlich natürliche Recht des Mannes auf Sex für immer verwehrt. Anhand der Auswertung zahlreicher Online-Beiträge arbeitet Veronika Kracher heraus, dass Incels vielfältigen sexistischen Mythen anhängen, die dazu beigetragen haben die patriarchale Herrschaft über weibliche Körper und Sexualität aufrechtzuerhalten. Incels selbst haben darüber hinaus ein zutiefst widersprüchliches Verhältnis zu Frauen und Sexualität. Die Vorstellung von Sex ist projektiv aufgeladen und wird so stark herbeigesehnt, dass sie große Teile der Existenz bestimmt und gleichzeitig enorm angstbeladen erscheint. Frauen wiederum werden so sehr begehrt wie sie gleichzeitig abgelehnt und ihnen Hass und Verachtung entgegengebracht werden.

Das Weltbild der Incels wird in dem vorliegenden Buch der sogenannten Blackpill-Ideologie zugeordnet. Die am Film Matrix orientierte Verschwörungserzählung macht dessen Vertreter zu Erleuchteten, die „eine von Kulturmarxismus und Political Correctness beherrschte“ dystopische Welt so sehen, wie sie vermeintlich wahrhaft ist. Sie durchschauen demnach die Indoktrination der Mainstream-Medien, begreifen Feminismus als Strategie um Männer zu unterdrücken und sehen Frauen als „triebhaft, oberflächlich, hypersexuell“ und „gleichzeitig dumm und manipulativ“.

Gewalt gegen Frauen, und das verdeutlicht Kracher sehr anschaulich, dient Männern (und eben auch Incels) dazu die patriarchale Herrschaft aufrechtzuerhalten. Feminismus wird als Kriegserklärung gegen eine vermeintlich natürliche Geschlechterordnung interpretiert und gewaltvolles männliches Verhalten als notwendige Verteidigung gegen jene femi­nistischen Attacken umgedeutet.

Die Gefährlichkeit dieser Szene ist nicht zu unterschätzen. „Incels führen einen Krieg gegen Frauen, der von Online-Angriffen über reale Gewalt bis hin zum Terrorakt reicht.“ (S. 177) Allein in den USA und Kanada sind bis 2020 insgesamt über 50 Menschen durch Attentate von Incels getötet worden. Auch in Deutschland erfuhr die Auseinandersetzung mit dieser Szene im Zusammenhang der neonazistischen und rassistischen Attentate von Hanau und Halle eine größere Aufmerksamkeit.

Angesichts anhaltender antifeministischer Mobilisierungen auch über die Incel-Bewegung hinaus, scheint dies mehr als angebracht. „Ob es nun der durchschnittliche Familienvater ist oder der Incel: die Konstitution von Männlichkeit innerhalb patriarchaler Verhältnisse basiert auf einer so irrationalen wie gewalttätigen Ablehnung des Weiblichen.“ (S. 139)

Das sich eine größere Öffentlichkeit nun diesem Themenkomplex zuwenden kann ist auch Verdienst der Autorin. Und so liefert Veronika Kracher mit diesem Buch eine äußerst ­lesenswerte Analyse der historischen und ideologischen Entwicklung der Incel-Bewegung. Dass es ihr darüber hinaus gelungen ist, den dieser Szene immanenten Frauenhass als Zuspitzung kapitalistisch-patriarchaler Gesellschaftsverhältnisse zu kontextualisieren, macht das Buch zu einer unbedingten Empfehlung.

Veronika Kracher
Incels - Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults
ISBN 978-3-95575-130-2
280 Seiten, 16 Euro
Ventil Verlag, Mainz 2020