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Imageboards als Orte rechter Radikalisierung

Veronika Kracher
Einleitung

Wenn wir uns mit dem Attentat von Halle beschäftigen, kommen wir nicht umhin, uns mit dem Online-Umfeld des Täters zu befassen: sogenannte „chan“-Boards. Es handelt sich um Imageboards, in denen keine Registrierung nötig ist, um Inhalte zu posten, und in denen auch keine Form von Moderation herrscht. In den letzten Jahren haben sich Imageboards zunehmend zu einem Ort entwickelt, an dem sich junge Männer nach rechts radikalisieren.

Symbolbild von Anne Roth; flickr.com; CC BY-NC 2.0

Hab‘ dich nicht so, du Normie

Auf 4chan wurde das Video des Hallenser Attentäters über 300 Mal geteilt, auf dem rechten Trollforum Kiwi-Farms 60 Mal. In den Kommentaren war unter anderem zu lesen: „Wieso schmeißt man eine Handgranate auf einen Friedhof? Ich schlage doch auch kein Loch in ein versunkenes Boot.“ Andere Kommentare, untermalt mit dem „Jewish Merchant“-Meme, einer antisemitischen Karikatur, deuten an, dass der Anschlag der jüdischen Gemeinde gar nutzen würde. Wieder andere sprechen offen von einer False Flag-Aktion, etwa um der AfD bei der Thüringenwahl zu schaden. Während den Attentätern von Christchurch, Poway oder El Paso zugejubelt wurde, wird der Attentäter von Halle kritisiert und verlacht. „Nur zwei getötet? Was eine beschissene Punktzahl“, schreibt ein User auf 4chan. Der Täter erhält den Spitznamen „Doorcuck“, eine Referenz auf die in der Alt-Right geläufige Bezeichnung für schwache, impotente Männer, die oft auf den politischen Feind angewandt wird. Während die Terroristen von Christchurch, Poway und El Paso in Memes als sogenannte „Chads“, also Paradebeispiele für eine erstrebenswerte Hypermaskulinität, dargestellt werden, wird der Mörder von Halle als Loser, Versager und Incel (vgl. AIB Nr.124) tituliert. Ein Meme stellt den Täter von Halle als Incel neben Brenton Tarrant, der als Chad dargestellt wird. „Seht her“, sagt das Meme. „Du bist daran gescheitert, ein Held zu werden wie Tarrant, weil es dir nicht gelungen ist, deinen Anschlag auszuführen, du Versager.“ Trauer ob der Toten ist auf diesen Imageboards nicht zu finden.

Was genau zeichnet diese Foren aus, und wieso sind sie so attraktiv für diesen spezifischen Typus Täter; den narzisstisch gekränkten weißen Mann, der auf keinen Fall Einzeltäter ist, aber für den der Begriff des „DIY-Täters“ wohl am besten passt? Das Board 4chan wurde 2003 gegründet und war primär ein Board für Anime-Kultur mit einem besonderen Fokus auf „Free Speech“. „Free Speech“ bedeutete in diesem Fall, das N-Wort verwenden und Bilder vergewaltigter Anime-Mädchen posten zu können, ohne dafür von Eltern, Lehrkräften oder der nervigen feministischen Mitschülerin zur Rechenschaft gezogen zu werden. 4chan bildet den Ursprungsort zahlreicher Memes und war, obwohl von Anfang an das Online-Äquivalent eines nach Sperma und ungewaschenen Socken stinkenden Pennälerzimmers, lange Zeit noch nicht die Brutstätte rechter politischer Kampagnen, zu der es heute geworden ist. Maßgeblich dazu beigetragen haben die misogyne Gamergate-­Kampagne und der Wahlkampf Donald Trumps. Anlässlich dessen radikalisierten sich das Forum, und vor allem das Unterforum „politically incorrect“ und seine User, zunehmend nach rechts. 

Die noch radikalere Variante stellt das Board 8chan dar. Fredrick Brennan hatte das Board 2013 als Reaktion auf eine zunehmende Popularisierung 4chans gegründet, um einen noch anarchischeren Tummelplatz im Internet zu schaffen. Dass sich das Board jedoch zu einem Ort entwickelte, in dem gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit noch offener vertreten wird als auf 4chan, und das bald zu einer der Online-Anlaufstellen für Rechtsterroristen wurde, bereut Brennan inzwischen zutiefst. Mittlerweile ist Brennan nicht mehr am Board beteiligt und geht auch aktiv gegen den aktuellen Betreiber vor, eine Art der Wiedergutmachung1 . Neben dem Attentäter von Christchurch, der auf 8chan sein Manifest und den Livestream seines Massakers an 51 Menschen muslimischen Glaubens veröffentlichte, publizierten auch die Täter der Attentate von Poway (April 2019) und El Paso (August 2019) ihre Texte auf dem Imageboard, das kurz danach abgeschaltet wurde. Inzwischen ist es jedoch unter dem Namen 8kun wieder online – die Frage ist nur, wie lange noch.

Der Habitus und die Diskussionskultur der chan-Boards sind, wie es die Kulturwissenschaftlerin Angela Nagle beschreibt, auf „Moral Transgression“ angelegt, „mora­lische Grenzüberschreitung“. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit jeder Art wird hier zum vermeintlich ironischen Witz, um „Normies zu triggern“, also all jene, die sich nicht in jener eigenwilligen Online-­Sphäre verorten. Permanent wird mit Anti­semitismus, Rassismus, LGBTIQ-Feindlichkeit und Misogynie kokettiert, und jegliche Kritik damit abgewehrt, dass es sich nun einmal um einen nihilistischen Witz handeln würde. Der Ton ist von Zynismus und Abwertung geprägt, man bezeichnet sich gegenseitig  als „Fag“, das Zurschaustellen emotionaler Verwundbarkeit wird mit Hohn sanktioniert. User haben fast schon eine eigene Sprache, die aus zahlreichen Memes und Codes besteht. So gibt es neben einer fiktiven Nation namens Kekistan auch einen auf "Pepe the Frog" basierenden, religionsartigen Kult, aus albernem Witz einerseits, als Ausdruck einer Identifikation mit dem Board andererseits.

Das deutsche Äquivalent der Seite ist das Board Kohlchan. Die Recherche in den Kohlchan-Foren ist noch befremdlicher als in den englischsprachigen Boards. Dies mag auch daran liegen, dass die User, Neonazis die sie sind, ganz bewusst auf Anglizismen verzichten, gleichzeitig aber den Sprachduktus der internationalen Boards beibehalten. Statt „Anon“ nennt man sich „Bernd“. Als Header wird unter anderem ein Reichsadler verwendet, und die Postings könnten aus einem x-beliebigen Neonaziforum stammen. Der eine predigt antisemitische Verschwörungstheorien, der nächste ergießt sich in rassistischen Hassfantasien, der dritte lamen­tiert darüber, eine transgeschlechtliche Tochter zu haben – die Ratschläge der anderen User sind übrigens, das Kind mit aller Gewalt davon abzuhalten, ein glückliches Leben als Mädchen zu leben. Wieder andere sprechen davon, wie sie Prostituierten Gewalt angetan haben. Außerdem kommt der Großteil der Aktionen und Mobbing-­Kampagnen gegen den als „Drachenlord“ bekannten YouTuber Rainer Winkler aus Kohlchan-Kreisen.2

Weil rechtsradikales Denken und Frauen­hass immer Hand in Hand gehen, werden zahlreiche Beiträge mit den Bildern nackter Frauen geschmückt. Es gibt ein eigenes Forum für - oft gewalttätige – Pornographie, und in regelmäßigen Abständen greift man Frauen wie Dunja Hayali, Carola Rackete oder auch die Verfasserin dieses Textes an. Nichts an dem Geschriebenen wirkt empathisch oder genuin, aus jeder einzelnen Silbe tropft eine zwanghafte ironische Distanz zur eigenen Umwelt und zu den anderen Usern. User erniedrigen andere, um sich selbst zu überhöhen, auch innerhalb der Forum-Strukturen. Die User schreiben von sich selbst in der dritten Person („Dieser Bernd hört gerne Videospielmusik“), was auf eine Distanzierung von sich selbst hindeuten könnte. Wie bei allen Chan-Boards ist unklar, was Getrolle ist, und was ernst gemeint. Mit diesem Habitus der Ironie bringt man sich auch selbst in Sicherheit: Man will niemanden wirklich ins Gas stecken, es ist ja alles nur ein Witz. Hab‘ dich nicht so, du Normie.

Die Entwicklungen der letzten Jahre, und spätestens das Attentat von Halle haben gezeigt, dass der antifaschistische Kampf auch dringend online geführt werden muss. Boards wie Kohlchan stellen eine Radikalisierungsplattform für Rechtsradikale dar und müssen dringend bekämpft werden. Ob das jedoch von staatlicher Seite passiert, wo man in der Regel nicht einmal weiß, was ein „Meme“ ist, bleibt fraglich.

  • 1cbsnews.com: "8chan sputters back to life with new name" von Graham Kates, 4. November 2019, abgerufen am 08.12.2019.
  • 2Rainer Winkler ist ein YouTuber, der unter anderem durch Let’s Play-Videos bekannt geworden ist. Er wurde sehr schnell zu einem Hassobjekt unter anderem von Kohlchan-Usern, die sich in Videos über ihn lustig machten, ihm ein SWAT-Team ins Haus schickten, oder eine Demonstration durch Winklers Heimatort veranstalteten.