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Identitäre Zentren

"Recherche Graz" (Gastbeitrag)
Einleitung

Alte Rechte neu aufgelegt …

Die „Identitären“ sind aktuell die aktivste Gruppe der außerparlamentarischen extremen Rechten in Österreich. Durch ein Diskursupdate mitsamt der Verbindung von Aktionismus, Pressearbeit und Merchandise versuchen sie sich seit ihrer Gründung 2012 als „Identitäre Bewegung“ (IB) zu inszenieren sowie ihre extrem rechte Ideologie, ihre Querverbindungen zum Neonazismus1 und ihre z.T. gewalttätigen Aktionen durch ihr popkulturelles Image zu legitimieren.

  • 1Die IB kooperiert immer wieder mit neonazistischen Aktivisten. Neonazis nehmen z.B. an ihren Aktionen teil bzw. integrieren sich in IB-Strukturen. Patrick Lenart nahm 2012 an der geschichtsrevisionistischen Ulrichsbergfeier mit NS-Kameradschaftsverbänden teil. Martin Sellner entstammt der Neonazi-Szene um Gottfried Küssel und der Neonazi-Homepage alpen-donau.info. Edwin Hintersteiner war im dazugehörigen Forum als „Frundsberg“ aktiv. Alle drei sind Gründungsmitglieder und in der organisatorischen Leitung der IB.

Martin Sellner (Mitte) leitet zusammen mit seinem Bruder Thomas Sellner den Wiener „Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“.

Hintergründe zum „identitären“ Zentrum in Graz

Im Frühjahr eröffneten sie in Graz das erste offizielle „Identitäre Zentrum“ Österreichs, von dem aus sie ihre Aktionen planen, die Ortsgruppen ideologisch schulen und Journalist_innen empfangen, deren unkritische Berichterstattung zur Etablierung der IB beigetragen hat. Sieht mensch genauer hin, verdeutlicht das Zentrum die strukturellen und personellen Verbindungen zwischen IB, völkischen Burschenschaften, der FPÖ und alten Kadern des militanten Neonazismus.

Ende Februar 2016 wurde das sogenannte „Hackherzentrum“, benannt nach einem K. und K.1 - Oberst, als erstes offizielles Zentrum der österreichischen IB in der Schönaugasse 102a/Tür 2 in Graz bezogen. Seitdem dient die 69m² große Hinterhofwohnung als Seminar- und Lagerraum, Werkstatt, Bibliothek und Vereinssitz. Denn mit dem Zentrum hat sich der juristische Unterbau der extremen Rechten pluralisiert: Zusätzlich zum 2012 gegründeten Wiener „Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“ (aktuell geleitet von den Brüdern Thomas und Martin Sellner), wurde im April 2016 der „Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit“ ins Leben gerufen. Er dient als Träger des Grazer Zentrums und ist seit neuestem Eigentümer des  Spendenkontos der IB, nachdem mehrere Banken die Konten des Wiener Vereins kündigten.2 Hinter diesem Verein, mit dem so unverdächtig klingenden Namen, stehen Tino Taffanek als Obmann und Jörg Dittus als Kassier – zwei IB-Kader aus der Steiermark mit Bezügen zu deutschnationalen Männerbünden. Dittus löste in dieser Funktion Siegfried Waschnig ab, der bereits 2005 als Kandidat im Vorschlag der "Freiheitlichen Partei Österreichs" (FPÖ) in Steiermark zur Landtagswahl aufgeschienen war und in Zeitschriften und Portalen der extremen Rechten publiziert.

Heinrich Sickl – Vom Neonazi zum Vermieter des „identitären“ Zentrums

Zusätzlich zum Grazer Zentrum entstand 2016 in Linz das „Khevenhüller-Zentrum“3 im Haus der Burschenschaft Arminia Czernowitz, die personell eng mit der FPÖ v -rbunden ist. Die Gründung eines Zentrums in Wien wurde im Oktober angekündigt, bislang dient die Albertgasse 51, in der zwei völkische Verbindungen und ein Studentenwohnheim untergebracht sind, als inoffizieller Ausgangspunkt der IB.

Diese Abhängigkeit von völkischen Verbindungen zeigt sich auch in Graz am Vermieter Heinrich Sickl, der seit 2005 Eigentümer der Schönaugasse 102a/Tür 2 ist. Sickl blickt auf eine bewegte Vergangenheit in der Neonaziszene zurück: Er wurde bereits 1991 in den Unterlagen der deutschen „Nationalistischen Front“ (NF) als einer der wenigen ÖsterreicherInnen geführt. 1992 wurde die NF, die sich mit dem Aufbau „Nationaler Einsatzkommandos“ als bewaffnete Kampftruppen gegen „Ausländerverbrecherbanden”, „Linke” und die „Staats­gewalt” befasste, schließlich verboten.

Die einschlägigen Aktivitäten von Heinrich Sickl führten nicht nur zu Ermittlungen  wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung, sondern im Jahr 2000 auch zu kritischen medialen Nachfragen an seine Mutter Elisabeth Sickl — der damaligen Bundes­ministerin für Soziales. Die FPÖ-Politikerin grenzte sich selbst allerdings selten klar von extrem rechten Aussagen und AkteurIn­nen ab: So veröffentlichte die extrem rechte Zeitschrift „Die Umwelt“ im Jahr 2001 ein Foto von deren Herausgeberin Hemma Tiffner gemeinsam mit Elisabeth Sickl, aufgenommen am Rand der „Kärntner Kulturtage” des „Österreichischen Kulturwerkes”, als dessen Obmann eine Gallionsfigur der extremen Rechten, der Altnazi Otti Scrinzi, fungierte. Veranstaltungsort war das Schloss Albeck in Sirnitz — das Veranstaltungslokal von Elisabeth Sickl.

Auch für den Neonazi-Aktivismus ihres Sohnes Heinrich fand Elisabeth Sickl relativierende Worte: Sie sei damals „sehr unglücklich mit der Entwicklung“ gewesen, „[a]ber Jugendliche machen eben viel Blödsinn, manche nehmen zum Beispiel Haschisch“. Als sie Sozialministerin wurde, habe ihr Sohn Heinrich den Absprung längst geschafft gehabt und sei „nur mehr Mitglied einer schlagenden Verbindung.“ Das sei „etwas komplett anderes.“4  

So wirklich „anders“ waren die beiden Verbindungen von Sickl nun doch wieder nicht: Weder die Feldkirchner pennale "Burschenschaft Tiguria", noch die in der offen biologistisch-rassistischen „Burschenschaft­lichen Gemeinschaft“ organisierte "Burschen­schaft Arminia Graz", die sich auch an IB-Aktionen partizipiert, sich 2015 führend an einer burschenschaftlichen Demonstration gegen „den Wahnsinn der Masseneinwanderung“ beteiligte und der IB im Juli 2016 ihr Ferienhaus am Packer Stausee für ihr Sommerlager zur Verfügung stellte.

Seit November 2015 ist Heinrich Sickl zudem Obmann des „Freiheitlichen Akademikerverbands“ (FAV) Steiermark. Die von den FAV in Graz herausgegebene Zeitschrift „Aula“ gilt als eine der wichtigsten Publikationen der österreichischen extremen Rechten und stellt eine publizistische Brücke zwischen FPÖ, deutschnationalen Burschenschaften und weiteren Formen der außerparlamentarischen extremen Rechten bis hin zum Neonazismus dar. Insbesondere die wiederholte Beschimpfung von KZ-Überlebenden als „Landplage“ sorgte in Österreich für Aufsehen — u.a. nachdem die Grazer Staatsanwaltschaft deswegen ein Verfahren gegen die „Aula“ eingestellt und damit Fragen zu ihrem eigenen Geschichtsbewusstsein aufgeworfen hatte.

In der Funktion als FAV-Obmann organisierte Sickl mehrere Seminare zur Vernetzung der extremen Rechten im deutschsprachigen Raum. So referierten am 14. November 2015 zum angeblichen „Sturm auf Europa“ Erik Lehnert („Sezession”, „Institut für Staatspolitik”), Felix Menzel („Blaue Narzisse”) und Martin Sellner in den Räumlichkeiten von Sickls Verbindung Arminia Graz.

Das zweite Seminar am 30. Juni 2016 fand in Kooperation mit dem „Grazer Korporationsring“ in den Räumen der "Sängerschaft Gothia“ statt, bei der die FPÖ-Nationalrätin Barbara Rosenkranz, der Jurist Bernhard Lehofer und Philipp Stein von der Plattform „Ein Prozent“ das Podium besetzten. Ebenso war Sickl Hauptorganisator der FAV/IfS-Herbstakademie vom 14.–16. Oktober 2016 im „Grazerhaus“, dem Bergheim des deutschnationalen „Akademischen Turnvereins Graz“. Martin Semlitsch (alias Lichtmesz), Erik Lehnert, Günther Scholdt, Thor von Waldstein und Andreas Lichert, der vor der offiziellen Akademie noch das „Hackherzentrum“ besuchte, nutzten den Anlass zur Vernetzung mit „Identitären“ aus der Region. Lediglich Martin Sellner und Götz Kubitschek, die ebenfalls als Referenten angekündigt waren, zogen die PEGIDA-Geburtstagsfeier in Dresden der Alm im steirischen Salzkammergut vor.

Die FPÖ Graz scheint mit den Aktivitäten von Heinrich Sickl keine Probleme zu haben und setzte ihn Mitte Dezember 2016 als Kandidaten auf die FPÖ-Wahl-Liste für die Gemeinderatswahl im Februar 2017.

Zusammengefasst: Die IB, die sich vor allem aus dem neonazistischen Erlebnismilieu, deutsch­nationalen Burschenschaften und der FPÖ rekrutiert, haben mit Heinrich Sickl in Graz einen Vermieter gefunden, der als Bindeglied eben dieser Sphären der österreichischen extremen Rechten fungiert und gleichzeitig den Rahmen für eine solche Zusammenarbeit im deutschsprachigen Raum schafft. Die in Rundschreiben zu den Zentren beworbene „identitäre Gegenkultur“ entlarvt sich damit als Affirmation des rechten Mainstreams und die „patriotischen Freiräume“ erweisen sich als Neuauflage der burschenschaftlichen Buden, ohne deren Schützenhilfe sie nicht bestehen könnten.

  • 1Bezeichnung für "kaiserlich und königlich". Sie wurde 1867 von der Österreichisch-Ungarischen Monarchie für die gemeinsamen Einrichtungen einer Gesamtmonarchie eingeführt.
  • 2Gleichzeitig gibt es Bestrebungen Konten der IB über eine ungarische Bank zu führen.
  • 3Benannt nach Ludwig A. von Khevenhüller, einem Feldmarschall im "Russisch-Österreichischen Türkenkrieg" (1736 bis 1739).
  • 4Vgl. OTS-Aussendung Nr. 0018 vom 6. Februar 2000, 08:01.