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Identitäre Niederlagen in Österreich

Joseph Maria Sedlacek Judith Goetz Alexander Winkler
Einleitung

Seit Ende April 2018 war die „Identitäre Bewegung Österreich“ (IBÖ) in den Schlagzeilen. Diesmal waren es keine aufwendig inszenierten Aktionen, die die rechtsextreme1 Gruppe ansonsten allzu leicht auf die Titel- und Startseiten der Medien spülen, sondern ein Repressionsschlag der auch international für Aufsehen sorgte.

  • 1In der Verwendung des Begriffs ,Rechtsextremismus‘ beziehen wir uns auf den kritischen Arbeitsbegriff von Willibald Holzer (1993), der Rechtsextremismus über die dahinter stehenden Ideologien, allen voran den Antiegalitarismus, definiert, und nicht wie gängige Extremismustheorien die Gesellschaft wie ein Hufeisen mit zwei extremistischen Rändern und einer vermeintlich gesellschaftlich neutralen Mitte denkt. Der Kern rechtsextremen Denkens ergibt sich folglich aus der Ablehnung der Idee der Gleichheit aller Menschen, Berufung auf das Prinzip der Natur/Natürlichkeit sowie undemokratischen und antipluralistischen Einstellungsmustern.

Ein antifaschistisch abgeschirmter Informations-Stand der Identitären in Österreich.

Die österreichischen Ermittlungsbehörden führten Ende April 2018 Durchsuchungen in sechs Privatwohnungen und vier Vereinslokalen in Wien, Graz, Linz und Griffen, sowie Beschlagnahmungen zahlreicher Datenträger und Dokumente durch. Anschließend wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Graz gegen 17 AktivistInnen der "Identitäre Bewegung Österreich" (IBÖ) Anklage wegen Verhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung erhebt. Dieser erste Schlag von Polizei und Staatsanwaltschaft folgt einer Reihe von politischen Misserfolgen und Rückschlägen im Milieu der „Identitären“.

Von „Defend Europe“ bis „#120db“

Vergangenen Sommer landeten die „Identitären“ den letzten großen Coup. Mit einem gecharterten Schiff sollte die zivile Seenot­rettung von Geflüchteten vor der liby­schen Küste behindert werden. In den Monaten zuvor war es bereits ruhiger um die selbsternannten Abendlandretter geworden. Ihre menschenverachtende Aktion im Mittelmeer wurde zu einem organisatorischen und technischen Fiasko, medial hingegen ein voller Erfolg. Über Wochen hinweg waren die „Identitären“ beinahe täglich auf den Startseiten der europäischen Medien vertreten und nicht selten wurden dabei ihre rassistischen Forderungen unkommentiert reproduziert. Mit dem Ende ihrer „Mission“ auf hoher See setzte die Flaute wieder ein. Für die nunmehr seltener gewordenen Aktionen, die eine größere Zahl an Personen voraussetzen, werden eigens AktivistInnen aus allen möglichen Regionen herangekarrt.

Den obligatorischen Stärkebeweis auf der Straße soll ein Groß­event pro Jahr mit internationaler Mobilisierung liefern. Während in den Jahren 2014 bis 2016 Wien als Schauplatz des Hauptevents auserkoren wurde, fand die Demonstration im vergangenen Jahr in Berlin statt. Auch hier zeigte sich, dass jene Aktionen der „Identitären“, die auf Masse setzen, ausnahmslos floppen. Von Burschenschaften, über PEGIDA bis zur NPD wurde monatelang mobilisiert und am Ende fanden sich nur circa 600-700 TeilnehmerInnen in Berlin ein. Der Aufmarsch konnte dank antifaschistischer Proteste nicht wie geplant laufen und musste nach wenigen hundert Metern abgebrochen werden.

Ebenfalls erfolglos blieb die Online-Kampagne #120db, mit der die „Identitären“ versuchten ein rechtes Pendant zu #metoo1 anzustoßen. Bislang ist es ihnen jedoch nicht gelungen, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, da #120db einerseits vor allem im rechten Spektrum selbst rezi­piert wurde und andererseits die — verglichen mit anderen Aktionen der Gruppen — eher geringe mediale Berichterstattung durchweg kritisch ausfiel.

Stagnation

Wie Martin Sellner, einer der wichtigsten österreichischen Köpfe der Gruppe, in der rechten Zeitschrift "Sezession" eingestand, stagniert die Gruppe bzw. deren „metapolitischer Output“ derzeit. Dies ist auch nach außen hin nicht mehr zu verbergen. Als Reaktion darauf setzen die „Identitären“ nun scheinbar auf wenige spektakuläre und große Projekte mit hohem finanziellen Aufwand, die von einem kleinen Kreis getragen werden. Dies entspricht einem stärkeren Besinnen auf das oft beschworene Ideal der „patriotischen NGO“. AktivistInnen sind hierbei eher ein Risikofaktor, wohingegen bei Kadern auf strikte Disziplin und Pro-forma-Distanzierung von Gewalt vertraut werden kann.

Parallel dazu wird die Infrastruktur massiv ausgebaut. Es gibt Firmengründungen in den Bereichen IT, Grafikdesign und Publizistik sowie einen Onlineversand.
Die Inszenierung der „Identitären“ als patriotische jugendliche Massenbewegung wurde bereits wiederholt enttarnt. Allerdings müssen wir konstatieren, dass hinter dieser Fassade „ein ökonomisch potenter und inhaltlich autoritär agierender Propagandaapparat steht, dessen alleiniger Zweck es ist, die rechtsextreme Agenda als Medien­event in der breiten Öffentlichkeit zu verankern2 , wie es unsere Genoss_innen aus Graz in einer ihrer Recherchen treffend formulieren.

„Identitäre“ unter der schwarzblauen Regierung

An der Inszenierung als „patriotischer NGO“ ändert auch der schwarzblaue Regierungswechsel in Österreich nichts. Man ist sich der Arbeitsteilung im rechtsextremen Lager durchaus bewusst und so kündigte Sellner mit großen Worten an, seine Gruppe werde „Wächter der patriotischen Wende“ sein. Gleichzeitig konnte er seine Vorfreude über die von der rechtskonservativen Regie­rung zu erwartende Politik kaum verbergen. Umso ernüchternder muss es gewesen sein, als eines Morgens eine handvoll Beamt_innen aus dem FPÖ-geführten Innenministerium u.a. Sellners Wohnung durchsuchten. Gegen ihn und 16 weitere AktivistInnen hat die Staatsanwaltschaft Graz nun Anklage wegen Verhetzung, Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie Nötigung und Sachbeschädigung erhoben.

Solidarität mit den angeklagten „Identitären“ kam kurz darauf nicht nur von Seiten der inzwischen weit ausgebauten österreichischen rechtsextremen Medienlandschaft, die sich über die Hausdurchsuchungen wie auch die Anklage empörten, sondern vereinzelt auch von (ehemaliger) politischer Prominenz. So echauffierte sich beispielsweise der ehemalige Chef der FPÖ-­Abspaltungspartei BZÖ, Gerald Grosz, in einem an den Justizminister Josef Moser (ÖVP) gerichteten Facebook-Kommentar darüber, ob dieser „politischen Aktivismus und politische Meinungsäußerung in Zukunft unter dem Mafiaparagrafen aburteilen lassen3 wolle. Indem er zudem fragt, ob „Greenpeace“ oder „Global 2000“ als nächstes kommen würden, übernimmt er die verharmlosende (Selbst-)Inszenierung der Gruppe als eine NGO unter vielen. Geteilt wurde der Kommentar auch von Vizekanzler Heinz-Christian Strache — auf seinem „privaten“ Account.

Tatsächlich wurde der Paragraf ,Bildung einer kriminellen Vereinigung‘ in Österreich in der Vergangenheit auf fragwürdige Weise gegen organisierte Tierrechts- und Refugee-Aktivist_innen angewendet. Wenngleich sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage vor allem auf den Verhetzungsparagraf bezieht, der erst nach der Strafrechtsnovelle 2016 — und damit nach beiden erwähnten Prozessen — ergänzt wurde, ermöglicht das behördliche Vorgehen den „Identitären“ sich einerseits in die Tradition unverhältnismäßiger Repression gegen politische Aktivist_innen zu stellen und sich so (erneut) als Opfer einer „Gesinnungsjustiz“ zu inszenieren.

Andererseits ist ihnen dadurch abermals mediale und politische Aufmerksamkeit sicher. So mag es auch nicht verwundern, dass AktivistInnen der „Identitären“ selbst versuchen, an die „anständigen Leute“ zu appellieren, die zwar nichts von der Gruppe halten mögen oder erklärte politische Gegner_innen seien, aber doch zumindest die Anwendung des Organisationsparagrafen gegen sie verurteilen sollten.

Insgesamt ist der anstehende Prozess durchweg ambivalent einzustufen. Einerseits könnte er den „Identitären“ insofern schaden, als dass er vermutlich große zeitliche und finanzielle Ressourcen der Gruppe in Anspruch nehmen wird, die politischen Aktivismus und andere Projekte in der Hintergrund treten lassen. Andererseits ist absehbar, dass die „Identitären" dadurch erneut starke mediale und öffentliche Aufmerksamkeit für ihre politische Propaganda erhalten werden und insbesondere ein möglicher Freispruch zur endgültigen Legitimation ihrer menschenverachtenden Politik führen würde.

Nachtrag

Der Prozess gegen 17 führende Vertreter der "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ) endete in den zentralen Anklagepunkten mit Freisprüchen. Das Landgericht Graz lehnte Ende Juli 2018 eine Verurteilung wegen Verhetzung sowie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ab. Einer der Angeklagten wurde wegen Körperverletzung und Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Ein Weiterer erhielt eine Verurteilung wegen Sachbeschädigung. Näheres dazu in der nächsten Ausgabe des Antifaschistischen Infoblatt (AIB).

(Die AutorInnen Joseph Maria Sedlacek, Judith Goetz und Alexander Winkler haben den Sammelband „Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ,Identitären‘“ herausgegeben.)