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Heidenau im Rückblick

Kristin Pietrzyk
Einleitung

Am 21. August 2015 versammelten sich im sächsischen Heidenau mehrere hundert Menschen, um gegen die Unterbringung von Geflüchteten in einem ehemaligen Praktiker-Markt zu protestieren. Noch im Laufe der Demonstration wurden Zettel verteilt, die dazu aufriefen, im Anschluss die Zufahrtsstraße zum Baumarkt zu blockieren und somit die Unterbringung der Geflüchteten zu verhindern.

Foto: Christian Ditsch

Die „asylkritische“ rechte Demonstration wurde so gering von der Polizei begleitet, dass es im Anschluss über hundert Personen unschwer gelang, sich über verschiedene Wege direkt an das Gelände der Unterkunft zu bewegen. Nach Einbruch der Dunkelheit begaben sich diese Personen auf die Straße, um die Zufahrt zum Baumarkt zu blockieren. Als die wenigen Polizeikräfte vor Ort versuchten, dies zu unterbinden, wurden sie von der vermummten und teilweise stark alkoholisierten Menschenmenge unter Rufen von „frei, sozial und national“ mit Steinen, Pyrotechnik, Warnbarken einer angrenzenden Baustelle, dem Inhalt von Feuerlöschern und Flaschen beworfen. Mindestens drei Polizeibeamte wurden in dieser Nacht verletzt. Auch am nächsten Tag trafen sich wieder über hundert Personen in Heidenau, um die Ausschreitungen zu wiederholen. Neben Akteuren des Vorabends wie Timo Schulz – verurteilter Rädelsführer der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“ – waren nun auch Mitglieder der „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) vor Ort. Nach dem Vorgehen der Polizeibeamten am Vorabend waren die Rechten entschlossen, sich an den Polizeikräften, die nunmehr zusätzlich zu der Geflüchtetenunterkunft auch noch eine Demonstration von AntirassistInnen vor Ort schützen sollten, zu rächen. Noch massiver als am Vorabend ging man gegen die Polizeibeamten vor.

Startschuss Heidenau

Heidenau war nicht der Druck, der aus einem Kessel entweicht, wenn man die Ängste und Sorgen der Bürger und Anwohner nicht ernst nimmt. Nein, Heidenau war nicht eine Situation, die sich aus einem dynamischen Demonstrationsgeschehen einfach so entwickelte. Heidenau war eine gezielte und geplante Inszenierung, das Aufleben alter, militanter Neonazistrukturen, und diente der Vernetzung neuer extrem schnell radi­kalisierter Rechter. Heidenau war für die Akteure vor Ort der Startschuss für den vermeintlichen Abwehrkampf des „Deutschen Volkes“, welches sich von seiner Regierung „im Stich gelassen“ wähnte, zum Schutz vor angeblicher „Überfremdung“ und „Islamisierung“.

Vernetzte Akteure

Die vom damaligen NPD-Stadtrat, Rico Rentzsch, am 21. August 2015 in Heidenau „als Privatmann“ angemeldete Demonstration ist als Ausgangspunkt der Ausschreitungen anzusehen. Für den Samstag wurde über die Facebook-Seite „Widerstand Heidenau“ bereits in den Nachmittagsstunden dazu aufgefordert, sich noch zurückzuhalten und erst wenn es dunkel ist, die Straße zu stürmen. Auch für die darauffolgenden Tage wurde dort dazu aufgerufen mit Beiträgen wie: „Leute versammelt euch ab 20.00 Uhr auf dem Real Parkplatz wie werden dann versuchen an den Praktiker ran zu kommen!“ und „Heidenau macht mobil wir greifen an!!!“.

Die Ausschreitungen an sich wurden jedoch vor allem von anderen Akteuren bestimmt. In einer Vielzahl von Prozessen gegen rechte Gewalttäter – unter ihnen führende Mitglieder der „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) - stand Heidenau entweder auf der Liste der angeklagten Taten oder wurde zumindest thematisiert. Insgesamt wurden die Angeklagten oftmals zu hohen Haftstrafen verurteilt. Jedoch machte Heidenau dabei nur einen Teil der angeklagten Taten aus. Die Vielzahl der Prozesse gegen Mitglieder der rechten Szene, in denen Heidenau eine Rollte spielt, zeigt zum einen, dass Heidenau ein Ort der Vernetzung für die rechte Szene in Sachsen war und den Tätern die Möglichkeit brachte, gemeinsames Agieren auszuprobieren.

Der Umstand, dass mehrere verurteilte Mitglieder der sogenannten „Gruppe Freital“ und der FKD an den Ausschreitungen in Heidenau teilnahmen und danach unter anderem das linke Hausprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden in einer fast militärisch geplanten und ausgeführten Aktion angriffen, zeigt, dass diese Zusammenarbeit erfolgreich fortgeführt wurde. In Heidenau fanden sich damit radikale Rechte zusammen, die bereit waren, in organisierten Strukturen über die eigenen Gruppen hinaus, Geflüchtete, MigrantInnen und Andersdenkende anzugreifen und in Form der „Gruppe Freital“ auch mit versuchten Morden den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen. Diese Vernetzung nicht konsequent unterbunden zu haben, ist ein Fehler der sächsischen Sicherheitsbehörden, dessen Tragweite nicht zu unterschätzen ist, versucht man rassistische Mobilisierungen zu analysieren.

Abwesende Polizei

So hilflos die Polizei am Abend des 21. August 2015 auf Grund der Unterzahl wirkte, so unverständlicher war es, dass auch am Abend des 22. August 2015 nicht viel mehr staatliche Präsenz in Heidenau vorzufinden war. Wasserwerfer oder das SEK – durchaus ein regelmäßiges Bild am Rande linker Demonstrationen in Sachsen – waren nicht nach Heidenau beordert worden, um am 22. August 2015 weitere Ausschreitungen zu unterbinden. Erst am Sonntag, den 23. August 2015, als sich antifaschistische AktivistInnen angekündigt hatten, gab es ein Schaulaufen dessen, was der Freistaat an Personal und schwerem Gerät in der Abteilung Aufstandsbekämpfung so zu bieten hat. Die Hilflosigkeit der vergangenen Tage war verschwunden und die antifaschistische Demonstration wurde in gewohnter Weise gegängelt.

Fest steht: Konnte die sächsische Exekutive am Freitag noch überrascht sein, so war sie am Samstag jedoch mehr als vorgewarnt. Dennoch blieb der Freistaat fast untätig und wurde erst aktiv, als linke AktivistInnen sich dem rechten Mob in den Weg stellten. Auch damit verhalf die sächsische Landesregierung und Polizei den Neonazis dazu, Heidenau für sich als Erfolg zu verbuchen, die dort erprobten Praxen fortzuführen und auf die Vernetzungen, die dort geschlossen wurden, aufzubauen.

Zwischen „Pack“ und „Asylkritiker“

Als der damalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) später Heidenau besuchte, bezeichnete er die Teilnehmer der Ausschreitungen und ihre Unterstützer als „Pack“. Der Shitstorm von rechts und der Standortschutz-­Beißreflex der sächsischen Politik war ihm mit dieser Äußerung sicher. Man kann aus heutiger Sicht zwar sagen, dass es noch ein zu verharmlosender und wenig analytischer Blick auf die handelnden Akteure an diesem Wochenende war, im Kern traf Gabriel aber auch den Nagel auf den Kopf. Seine Äußerung ist Ausdruck der Erkenntnis, dass es einen völlig enthemmten Teil der Gesellschaft gibt, der weder über ein demokratisches noch humanistisches Wertegefüge verfügt noch einer sachlichen Diskussion zugänglich ist. Und Gabriel stellte im Gegensatz zur etablierten sächsischen Politik klar, dass mit diesem Teil der Gesellschaft ein Diskurs nicht zu führen sein wird.

Im Gegensatz dazu stand in der Folgezeit die immense Aufwertung der „Asylkritiker“. Jedes „die Ängste ernst nehmen“ bedeutete eine Verharmlosung eines entfesselten nationalistischen und völkischen Mobs und eine Aufwertung eines nicht existenten Abwehrkampfes gegen Geflüchtete zum diskussionswürdigen Argument. Rassistische Hetze, Entmenschlichung von Geflüchteten, Ausgrenzung, Rassismus und die sich daraus ergebenden Taten wurden somit salonfähig und alltäglich. Stattdessen wäre konsequente Ausgrenzung dieser „asylkritischen“ Gesellschaftsteile, ein Ende des Diskurses mit ihnen und ein Beginn der Debatte darüber, wie ihnen das Handwerk zu legen sei, der richtige Weg gewesen. 

Nun mag eingewendet werden, dass die Täter von Heidenau – sofern man ihrer habhaft wurde – hart bestraft wurden oder werden. Die Mitglieder der „Gruppe Freital“ wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Fast alle Mitglieder der FKD stehen vor Gericht und müssen ebenfalls mit meh­reren Jahren Haft rechnen. Doch Repression wird den Nährboden, der aus Ausschreitungen, wie denen in Heidenau entstanden ist, nicht allein austrocknen. Das Urteil gegen die Mitglieder der „Gruppe Freital“ wird in breiten Teilen der sächsischen Bevölkerung als zu hart angesehen. Einen gesellschaftlichen Diskurs über rechte Strukturen, militanten Fremdenhass, rassistische Hetze und wie dies alles zusammenwirkt, vermisst man im Freistaat weiterhin.

Die mangelnde Konsequenz gegenüber rassistischen Mobilisierungen, die andauernde Manifestation der Feindbestimmung zu Lasten von AntifaschistInnen durch die Landesregierung und die fehlende gesellschaftliche Debatte und Intervention führen dazu, dass sich die Reihe rechter Ausschreitungen in Sachsen fortsetzen wird.