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Handlungsfähigkeit und Frauen*quote

Gruppe ag5 (Marburg) (Gastbeitrag)
Einleitung

Diskussionsbeitrag zu feministischen Aufnahmepolitiken in Antifa-Gruppen von der Gruppe ag5 aus Marburg.

Bild: flickr.com; strassenstriche.net; CC BY-NC 2.0

Als die ag5 gegründet wurde, bestand sie aus einem wilden „männlichen Haufen“, deren einziges Ziel es war, den Neonazis in Marburg das Leben schwer zu machen. An der Mitgliederstruktur hat sich über die Jahre vieles geändert. Nach und nach traten mehr Frauen*1 bei, feministische Themen wurden bearbeitet und das Selbstverständnis der Gruppe wandelte sich. Vor etwa drei Jahren entstand bei uns die Sorge, dass dies nicht immer so bleiben würde. Es kam zu einem mehrjährigen gruppeninternen Diskussionsprozess über die Barrieren, die Frauen* von einer Organisierung abhalten oder ihnen die antifaschistische Arbeit erschweren. Die zentralen Themen und Ergebnisse dieses Diskussionsprozesses sollen hier dargestellt werden. 

Der Männer-Aufnahmestopp

Frauen* aus der linken Szene kritisierten damals, dass unsere Gruppenkultur männlich dominiert sei und die Gruppe durch „Mackerverhalten“ auffalle. Diese Aussagen gaben den Anstoß zu einem Diskussionsprozess über die Gruppenkultur und unsere Außendarstellung. Daher setzten wir uns mit „Mackerverhalten“ in der Gruppe auseinander, übten Selbstkritik und bemühten uns um einen anderen Umgang sowohl in der Gruppe als auch in der Außendarstellung. Im Zuge des Diskussionsprozesses kamen wir zu dem Schluss, dass die männliche Dominanz in der Gruppe nicht nur durch die dauerhafte Reflektion und Kritik von Verhaltensweisen männlicher Mitglieder bekämpft werden kann, sondern auch die Position von Frauen* in der Gruppe gestärkt werden muss. Daher entschieden wir uns dazu, auf unbestimmte Zeit nur noch Frauen* aufzunehmen. Es sollte weniger Energie in die Beobachtung und Förderung männlicher Interessierter gesteckt werden und unser Fokus auf Frauen* ausgerichtet werden. Zudem erhofften wir uns dadurch, gruppeninterne Auseinandersetzungen über das Verhalten der Männer besser führen zu können. 

Wir beobachteten zudem, dass Frauen* oftmals weniger Vorwissen mitbringen, da sie sich erst später in ihrem Leben für eine Organisierung entscheiden als Männer, die häufig bereits in Jugendantifas unterwegs waren. Daher gestalteten wir die Weitergabe von Wissen und die Einarbeitung neuer Mitglieder um.
Gleichzeitig wurden viele Diskussionen über die Frage geführt, unter welchen Vorrausetzungen wieder Männer aufgenommen werden würden. Hier wurde oft argumentiert, dass es eine Notwendigkeit gebe, bestimmte Männer aufzunehmen, da diese besonders geeignet für unsere Gruppe wären und wir nur so handlungsfähig bleiben könnten. Auch bei Nicht-Mitgliedern stieß unsere Entscheidung mit der gleichen Begründung oft auf Unverständnis. 

Die Evaluation

Vor etwa einem halben Jahr haben wir den Männer-Aufnahmestopp und die Entwicklung der Mitgliederstruktur und des öffentlichen Auftretens der Gruppe evaluiert. Wir werten den mehrjährigen Männer-Aufnahmestopp als Erfolg: Er hat es uns erlaubt, die Aufnahme von Frauen* in den Fokus zu nehmen und verschiedene interne Auseinandersetzungen darüber zu führen, wie wir gemeinsam Politik machen wollen. Im Ergebnis haben wir uns dazu entschieden, die Aufnahmepolitik neu zu verhandeln. Dabei standen drei Themen im Mittelpunkt:

Erstens entstand der Wunsch nach einer dauerhaften Aufnahmepolitik aufgrund der Beobachtung, dass der Männer-Aufnahmestopp manchmal nur als eine Phase wahrgenommen wurde, die es auszusitzen galt. Ein langfristiges Konzept musste her. 

Das zweite zentrale Thema lässt sich stark vereinfacht auf einen Konflikt zwischen feministischen Forderungen innerhalb der Gruppe und dem Wunsch nach Handlungsfähigkeit herunterbrechen. Es gab die Befürchtung, sollten Männer von der Aufnahme ausgeschlossen bleiben, hätte die Gruppe nicht genügend wo*menpower, um weiterhin ihrem Anspruch an antifaschistische Politik gerecht zu werden. Die Erklärung der Absicht Frauen* aufzunehmen, führte schließlich nicht augenblicklich dazu, dass Frauen* vor unserem Plenumsraum Schlange stehen. Auch wenn wir den Konflikt zwischen dem Ziel einer paritätischen Mitgliedschaft und fortbestehender Handlungsfähigkeit nicht auflösen konnten, hat die Diskussion darüber, was Handlungsfähigkeit überhaupt ist und wie wir sie aufrechterhalten/ausbauen/verändern, dazu geführt, dass wir unsere Vorstellungen hinterfragen konnten. So haben wir festgestellt, dass Handlungsfähigkeit oft indirekt mit „viele Männer in der Gruppe, die Antifa zu ihrer obersten Priorität machen“ gleichgesetzt wurde und dass mit Handlungsfähigkeit meist die Befähigung zu einem ganz bestimmten Set an Aktionen gemeint ist. 

Das dritte Thema unserer Evaluation war die Suche nach einer Strategie, um mehr Frauen* für antifaschistische Arbeit zu gewinnen. Wir diskutierten verschiedene Möglichkeiten, Selbstreflexion und Außendarstellung als kontinuierliche Arbeits­felder in unseren Gruppenalltag einzubinden. Zudem kamen wir zu der Erkenntnis, dass wir unsere eigene Wahrnehmung potentieller Mitglieder verändern und aufhören müssen bei Männern „Potential“ und bei Frauen* „fehlende Erfahrung“ zu sehen. Wir müssen aufhören Frauen* erst anzuerkennen, wenn sie sich bewiesen haben, keine Angst oder Zweifel zeigen und sich dem dominanten Habitus der Männer anpassen.

Quote und vieles mehr

Es ist unser erklärtes Ziel, dass die Gruppe zu mindestens 50 Prozent aus Frauen* besteht. Wir haben uns dazu entschieden zunächst eine Quote einzuführen, die den aktuellen Status quo nach unten hin absichert, sodass der Frauen*anteil nicht unter den jetzigen sinken darf. Diese Quote wollen wir kontinuierlich steigern, um in absehbarer Zeit eine paritätische Mitgliederstruktur zu erreichen. 

Wir wollen weiterhin an unserer Gruppenkultur arbeiten. Dazu haben wir unter anderem Sondertreffen der Männer der Gruppe eingeführt, um die Reflexion von Privilegien und damit verbundenen Verhaltensweisen zu institutionalisieren. Wir haben Möglichkeiten zur Kritik von männlichem Dominanzverhalten in unsere Plenumsstruktur eingebaut und Fragen zu der Perspektive auf Antifa und Männlichkeit sowie Feminismus in unseren Aufnahmeprozess integriert. Außerdem haben wir den Themenkomplex Antifaschismus und Feminismus zu unserem aktuellen Arbeitsschwerpunkt gemacht.

Unsere Auseinandersetzung mit dem Thema ist noch lange nicht abgeschlossen und wird es auch (bis nach der Revolution) wahrscheinlich nie sein. Wir sind noch weit davon entfernt mit den Geschlechterverhältnissen in unserer Gruppe und der Antifa im Allgemeinen zufrieden zu sein. Das wohl wichtigste Ergebnis unseres Diskussionsprozesses ist die wenig überraschende Einsicht, dass Antifa feministisch sein muss, um sinnvoll zu arbeiten. Neben den vielen anderen hervorragenden Gründen für Feminismus gilt insbesondere für Antifa-Gruppen der folgende: Hierarchische Geschlechterverhältnisse sind ein notwendiger Bestandteil rechter Politik. Daher braucht der Kampf gegen diese feministische Perspektiven. Mit diesen lässt sich auch Problemen und Leerstellen antifaschistischer Politik begegnen. Hierzu zählen z.B. die Imaginierung von rechten AkteurInnen ausschließlich als Männer oder von rechter Gewalt als geschlechtsblind. Da sich das Vorhandensein feministischer Perspektiven in Antifa-Gruppen und die Organisierung von Frauen* in diesen Gruppen wechselseitig bedingen, müssen Antifa-­Gruppen ihre Arbeit vor dem Hintergrund feministischer Analysen und Forderungen gestalten und zugleich die Barrieren, die der Organisierung vieler Frauen* im Weg stehen, beseitigen. Die Gruppen müssen bewusst feministische Kämpfe führen und supporten, damit Frauen* die Doppelbelastung, antifaschistisch und feministisch aktiv zu sein, nicht alleine tragen müssen. Wir hoffen, dass unser Beitrag sowohl Denkanstöße für Antifa-Gruppen, die ähnliches Feedback wie wir erhalten haben, bietet, als auch Frauen* dazu motiviert sich antifaschistisch zu organisieren.

  • 1Mit dem * wird in diesem Text deutlich gemacht, dass es sich bei den Geschlechterkategorien Frau/Mann um gesellschaftliche Konstrukte handelt, mit denen Fähigkeiten und Eigenschaften verbunden werden. Mit dem * wird versucht Identitäten jenseits der Zweigeschlechtlichkeit sichtbar zu machen.