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Griechenland: Tiefe Verstrickungen von extremer Rechter und dem Staat

Maik Fielitz
Einleitung

Fast sieben Jahre lang saß mit „Chrysi Avgi“, der „Goldenen Morgenröte“ eine militante Neonaziorganisation im griechischen Parlament. Die bald vier Jahrzehnte alte Gruppierung erlangte in Zeiten der Krise unverhofften Zuwachs und setzte sich trotz kontinuierlicher Gewalthandlungen und eines laufenden Verbotsverfahrens als zeitweilig drittstärkste Partei im politischen System fest.

Bild: Screenshot von YouTube

17. Januar 2018: Eine Demonstration („Mazedonien ist Griechisch“) von Priestern um Bischof Amvrosios von Kalavryta (Mitte mit Gandalfbart) in Aegio.

Bei den kommenden Europawahlen wird die Partei wieder versuchen, an der 10 Prozent Marke kratzen.1 Als Gründe des Erfolgs werden auch der laxe staatliche Umgang und die starken Überschneidungen mit verschiedenen staatlichen Institutionen angeführt. Über Jahre hinweg zieht sich eine Spur des Wegschauens, des schweigenden Zustimmens und des offenen Kollaborierens. Oft wird in diesem Zusammenhang das Bild eines ‚tiefen Staates‘ gezeichnet, einer Art Parallelwelt, deren Akteure innerhalb des Staates einer extrem rechten Agenda folgen und zentrale Positionen besetzen.

Was zunächst nach Verschwörungstheorie klingen mag, ist ein jahrelang gewachsenes, loses Netzwerk aus Junta-­treuen Militärs, rassistischen Polizist_innen und antisemitischen Kirchenoffiziellen, das eng mit den oligarchischen, ultra-­konservativen Strukturen in Wirtschaft und Politik verwoben ist. Nach der antiautoritären Revolte 2008 und der damit einhergehenden Polarisierung wurden diese Strukturen reaktiviert und fanden mit der „Goldenen Morgenröte“ eine Verbündete im Kampf gegen die radikale Linke und die griechische Demokratie.

Horte des Nationalismus

Nach dem Fall der Militärdiktatur 1974 war die extreme Rechte in Griechenland zerstreut und weitgehend bedeutungslos. Trotz hoher Zustimmungswerte zu rassistischen, antisemitischen und chauvinistischen Einstellungen in der Bevölkerung konnte sie sich lange Zeit weder auf der Straße noch in den Parlamenten etablieren. Das änderte sich mit der ultrarechten Partei „Laikós Orthódoxos Synagermós“ (LAOS), die 2004 erstmalig ins Parlament einzog. LAOS predigte einen aggressiven, christlich-orthodoxen Traditionalismus und hetzte gegen Jüd_innen, Migrant_innen und Homosexuelle. Sie reaktivierte Slogans aus der Junta-Zeit, pries das Militär als letzte Bastion des griechischen Nationalismus und betätigte sich in der Umschreibung der Geschichte - mit Unterstützung orthodoxer Priester. Kirche und Militär, als Horte des griechischen Nationalismus, sind bedeutende Scharniere für die extreme Rechte, über die sie in die Gesellschaft wirken.

Nachdem LAOS 2011 als Teil der Übergangsregierung die Sparmaßnahmen mit legitimierte, sank ihr Stern in rechten Kreisen und ebnete den Weg für die „Goldene Morgenröte“, die bereits versuchte, erste Nachbarschaften in Athen unter ihre Kontrolle zu bringen. Unweit entfernt vom linken Stadtteil Exarchia proklamierte sie den Bezirk Agios Panteleimonas als ihre Hochburg. Sie inszenierte sich als Ordnungsmacht und wurde dabei von der Kirche hofiert.2 Auf dem zentralen Platz vor der Kirche prangte jahrelang der Slogan „Ausländer raus aus Griechenland“, ohne dass es die Geistlichen gestört hätte.

Antifaschistische Demonstrationen wurden gemeinsam von Polizei und „Morgenrötlern“ angegriffen; bei rassistischen Hassverbrechen ermittelte die Polizei wiederholt gegen die Opfer und drückte bei rechten Tätern gern ein Auge zu. Selbst aus der Regierung gab es Rückendeckung. 2013 äußerte der konservative Abgeordnete Michalis Tamilos, dass der Regierung die „Goldene Morgenröte“ mit ihren Aktionen, die Nachbarschaften ‚von den Ausländern‘ zu säubern, gelegen kam und somit keine politischen Kosten für Regierung und Polizei entstanden.3

Kurzer Draht: Polizei und Neonazis

Im Jahr 2012 wählten 50 Prozent der Polizei die „Goldene Morgenröte“. Ilias Kasidiaris, Pressesprecher der Partei, betont in Interviews die guten Beziehungen zur Polizei. Dokumente, die bei Razzien sichergestellt wurden, zeigen, wie die Stoßtrupps der Organisation von Militärs ausgebildet wurden. Es gehört zur Ironie des Schicksals, dass Kasidiaris selbst wegen der Anstiftung zu Gewalt gegen die Polizei bei einer Veranstaltung in Kreta im Jahr 2012 auf der Anklagebank saß.4

Über Jahre hinweg versuchte seine Partei, verschiedene Einheiten zu infiltrieren, etwa die Polizeiwache in Nikaia, der Nachbarschaft, in der der antifaschistische Rapper Pavlos Fyssas ermordet wurde. Nach dem Mord, bei dem anwesende Beamte einer Motorradeinheit nicht einschritten5 , wurde eine gesamte Einheit aufgelöst. Es stellte sich heraus, dass ein permanenter Draht zwischen der „Goldenen Morgenröte“ und der Wache bestand.

Es ist auch kein Zufall, dass sich innerhalb der „Goldenen Morgenröte“ eine Reihe von (Ex-) Militärs finden. So zogen etwa zwei ehemalige Generäle für die Partei ins Europaparlament ein. Die Nähe zu hochrangigen Militärs polierte das Image der Partei auch in moderateren Kreisen auf.

Straflosigkeit

Eine weitere Dimension der Koalition zwischen Staat und extremer Rechten stellt die Inaktivität der Justiz dar, die rassistische Straftaten kaum ahndet und damit einer Kultur der Straffreiheit Vorschub leistet. Diskriminierende Sprache kann so offen wie in kaum einem anderen Land geäußert werden. Für Empörung sorgten jüngst die Aussagen des Metropoliten von Kalavrita Amvrosius. „Abschaum der Gesellschaft! Reden wir Klartext: spuckt auf sie!“ postete er auf seinem Blog.6 Erst in zweiter Instanz wurde der Geistliche für Hassrede und Gewaltaufrufe gegen Homosexuelle verurteilt. Amvrosios selbst war General unter der Militär-Junta und im Polizeidienst der griechischen Demokratie. Er bezeichnete die „Goldene Morgenröte“ als „eine süße Hoffnung für die verzweifelten griechischen Bürger“.7 Dass solche Einstellungen keine isolierten Fälle sind, zeigte sich während der nationalistischen Demonstrationen gegen das Mazedonien-Abkommen, wo Priester gemeinsam mit militanten Neonazis aufmarschierten.

Der linke (Un)Willen

Alles sollte anders werden. So war zumindest der Plan, als die linke Partei Syriza in Aussicht auf die Regierungsübernahme ein denkwürdiges Treffen einberief. Im Novem­ber 2014 versammelte sich eine einmalige Mischung aus Linksradikalen, kritischen Wissenschaftler_innen, Syriza-­Partei­kadern und Mitgliedern der Poli­zei­gewerk­schaft, um über Wege und Möglichkeiten der Demokratisierung des griechischen Polizeiapparats zu diskutieren.8

Die Expertise versandete so schnell wie die markigen Sprüche. Großspurig tönte man, die strukturellen Defizite anzugehen, eine neue Polizeikultur zu etablieren und stärker gegen Amtsmissbrauch vorzugehen. Was bleibt ist Ernüchterung. Der bis September 2015 zuständige Minister war der Ansicht, dass die Polizei in der Lage sei, sich selbst zu säubern. Für seinen Nachfolger erhielt das Thema keine Priorität. Auch das für Rechte prestigeträchtige Verteidigungsministerium hat unter der Leitung des Vorsitzenden der nationalistischen Partei „Anexartiti Ellines“ (ANEL), Panos Kammenos, den Status Quo verteidigt. Georgios Papanicolaou, einer der Autoren einer 2014 verfassten Studie zu den Möglichkeiten der Demokratisierung des Sicherheitsapparats9 , kam auf Nachfrage zu folgendem Schluss: „Ich fürchte, dass Syriza diese Diskussionen selbst unterdrückt, da es weder die politische Fähigkeit noch die politische Entschlossenheit oder den Wunsch hat, politisch in den Polizeiapparat einzugreifen.“ Dies zeigt auch der (diskursive) Umgang mit Fällen von Polizeigewalt unter Syriza. Der Mord am queeren Aktivisten Zak Kostopoulos und der Tod von Ebuka S. in Polizeiarrest – beide mit einer sehr fragwürdigen Rolle der Polizei – wurden von Syriza öffentlich kaum thematisiert.10

Regieren und Herrschen sind bei weitem nicht deckungsgleich. Es war klar, dass Polizei, Kirche und Militär nicht auf einen Schlag von ihren reaktionären Kräften gesäubert werden. Allerdings wurde eine Chance vertan, mit den anti-demokratischen Strukturen zu brechen, die ihren Einfluss auf Wirtschaft, Politik und Medien geltend machen. Mit Blick auf die Zukunft sieht es umso düsterer aus: In der in Umfragen führenden konservativen Partei Nea Dimokratia haben Abgeordnete mit extrem rechter Vita das Sagen. Somit beschränkt sich das Problem bei weitem nicht auf eine Neonazipartei. Ganz im Gegenteil: Ideologen nutzen bestehende Strukturen, um die Gesellschaft umzugestalten. Der Faschismus entsteht somit auch und vor allem „in den bestehenden autoritären Strukturen, in den am stärksten von der Öffentlichkeit abgeschirmten Räumen, wie Polizei und Geheimdiensten, die sich als perfekte Brut­stätten erweisen.“11

  • 1Nachtrag: Bei den griechischen Wahlen am 7. Juli 2019 scheiterten sie an der Drei-Prozent-Hürde und konnten nicht mehr ins Parlament einziehen.
  • 2Dalakoglou, Dimitris; Vradis, Antonis (2011): Spatial Legacies of December and the Right to the City. In Antonis Vradis, Dimitris Dalakoglou (Hg.): Revolt and crisis in Greece. Between a present yet to pass and a future still to come. Oakland, Calif.: AK Press & Occupied London.
  • 3Kauder, Jonas (2013): Spannung ohne Strategie. Jungle World.
  • 4Kasidiaris wurde aus Mangeln an Beweisen freigesprochen. Allerdings gibt es weiteres Videomaterial, das ihn als Teil nationalistischer Ausschreitungen zu erkennen gibt, die sich u.a. auch gegen die Polizei richteten.
  • 5Forensic Architecture (2018): The Murder of Pavlos Fyssas.
  • 6Aswestopoulos, Wassilis (03.02.2019): Was darf die Kirche. Telepolis.
  • 7ebd.
  • 8Papanicolaou, Georgios; Rigakos, George (2015): Golden Dawn and the “Dark Forces”. Jacobin.
  • 9Papanicolaou, Georgios; Rigakos, George S. (2014): Democratizing the Police in Europe with a particular Emphasis on Greece. Hg. v. Transform, Poulantzas Institute und Rosa Luxemburg Foundation.
  • 10Fielitz, Maik (2018): Lynchjustiz in Athen. In: Jungle World 40/2018; The Press Project (18.02.2019): Migrant wurde in Omonoia von der Polizei ermordet.
  • 11Fekete, Liz (2016): Europe‘s Far Right in Flux. In: Maik Fielitz und Laura Lotte Laloire (Hg.): Trouble on the Far Right. Contemporary Right-Wing Strategies and Practices in Europe. Bielefeld: transcript Verlag, S. 30.