Skip to main content

Grenzen einer Bewegung

Dieser Artikel ist ein Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) (Gastbeitrag)
Einleitung

Anmerkungen zur Kampagne »Endlich weg damit! NPD-Zentrale abreißen! Abschiebeknäste abschaffen!«

Am 6. Juni 2004 demonstrierten mehr als 2000 AntifaschistInnen und AntirassistInnen gegen die NPD-Zentrale in Berlin-Köpenick und den Abschiebeknast in Berlin-Grünau. Diese De­mons­tration stellte den Höhepunkt der Kampagne »Endlich weg damit! NPD-Zentrale abreißen! Abschiebeknäste abschaffen!« dar. Mit diesem Beitrag wollen wir, als Antifaschistische Linke Berlin [ALB], Potentiale und Defizite der Kampagne aus unserer Sicht diskutieren und unsere Ergebnisse für zukünftige linksradikale Kampagnen zur Verfügung stellen.

Ursprünge und Ziele der Kampagne

Nach dem 2003 gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD wurde es ruhiger um die Partei. Die im Frühjahr 2004 gestartete Kampagne diente dazu, die Rolle der NPD als strukturelle Plattform und Infrastruktur für Neonazi-Gruppen wieder stärker zu thematisieren. Der Bau eines Schulungszentrums auf dem Gelände der NPD-Geschäftsstelle war dafür ein geeigneter Anlass. Es reichte den be­tei­ligten Gruppen jedoch nicht aus, mit allen gemeinsam eine Kampagne zu starten, die »irgendetwas« gegen die NPD haben.

Die gleichberechtigte Kombination mit dem Abschiebeknast als Angriffspunkt für staatlichen Rassismus ermöglichte es, Antirassismus als festen Teil von Antifaschismus zu begreifen. Entwicklungen wie mehrere Hungerstreiks sowie Massenabschiebungen wurden an dieser Stelle aufgegriffen. Zugleich sollte diese Kombination die geringe Zusammenarbeit vieler Antifa- und Antira-Gruppen aufbrechen und in einem konkreten Kampagnenzusammenhang Politikfelder verknüpfen. Ziel ist es, keine gesellschaftliche »Nischenpolitik« zu betreiben, sondern Gruppen und Positionen zu verbinden, die einen emanzipativen, radikal gesellschaftsverändernden Anspruch haben. Eine Schwäche der Kampagne bestand darin, wenig Bezug zu konkreteren Widerstandsformen wie Gefangenenbefreiungen oder Schutzheiraten hergestellt zu haben. Somit wurde eine kleinere Vielfalt an Widerstandsoptionen aufgezeigt.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Für die Einordnung der Entwicklung der Kampagne ist es hilfreich, die konkrete gesellschaftliche Situation zu betrachten. Neoliberale Angriffe auf soziale Sicherungssysteme und gesellschaftliche Ressourcenverteilung führen dazu, dass sich viele Linke auf Sozialen Widerstand als Schwerpunkt der politischen Auseinandersetzung konzentrieren. Kontinuierliche repressive Vorstöße in der Asylpolitik etablieren zudem eine rassistische Abschiebepraxis als gesellschaftlichen Normalzustand. Antirassismus spielt in der öffentlichen Debatte praktisch kaum mehr eine Rolle. Innerhalb dieser Konstellation ist der Kampagne nicht gelungen, Antirassismus als Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung neu zu etablieren, die rassistische Normalität in größerem Rahmen aufzubrechen oder Soziale Bewegung und Antirassismus zu verknüpfen.

Charakterisierung und Abgrenzung der Kampagne

Die Kampagne sollte rassistische Abschiebepraxis sowie die NPD als politisches Thema wieder besetzen. Trotz des offensiven Mottos war die realistische Einschätzung, dass sich die beiden Gebäude nicht einfach abreißen oder abschaffen lassen. Ein Grund dafür ist, dass für beide Objekte relevante Entscheidungsträger fehlen, die sich durch die Kampagne unter Druck setzen lassen. Die Schwierigkeit einer Thematisierungs-Kampagne besteht auch darin, dass die beteiligten Gruppen »Erfolg« an­ders messen müssen. Da die gewählten Objekte immer noch existieren, kann Erfolg u.a. durch die Zahl der mobilisierten Menschen und die stattgefundenen Aktionen bestimmt werden.

Für linksradikale Politik ist es günstig, wenn sich Menschen aufgrund ihrer spontanen Empörung beteiligen. Durch die Normalität von Abschiebepolitik und neonazistischer Präsenz konnte diese Empörung im Rahmen der Kampagne nicht hergestellt werden. Deshalb musste mittels einer politischen Herleitung dafür geworben werden, sich gerade jetzt mit genau diesen Themen zu beschäftigen. Eine solche Herleitung ist prinzipiell möglich, erreicht aber in der Regel nicht breitere Kreise, die weiter über das linksradikale Spektrum hinausgehen.

Entgegen dem ursprünglichen An­lie­gen, ein breites gesellschaftliches Bündnis zu bilden, bestand dieses maßgeblich aus linksradikalen Antira- und Antifa-Gruppen. Die Berliner PDS beteiligte sich nicht, da sie sich durch ihre lokale Verankerung sowie mit ihrer realen Abschiebepraxis in der Kritik sah. Auch in Gewerkschaftskreisen konnten keine Fürsprecher gefunden werden. Das Fehlen des »bürgerlichen Spektrums« zeigt sich in Grenzen für Mobilisierung und Presseresonanz. Ein linksradikales Bündnis kann dennoch der eigenen Selbstvergewisserung dienen, wenn trotzdem eine gute und große Mobilisierung gelingt.

Eine Berliner Kampagne...

Die Köpenick-Kampagne war keine bundesweite Kampagne: sowohl Vorbereitung als auch Hauptelemente waren auf Berlin beschränkt. Im Rahmen der Kampagne fanden u.a. statt:
· Publikation einer Broschüre
· inhaltliche Veranstaltung zur Situation im Abschiebeknast
· zwei Info-Kundgebungen
· warm-up-Demo »Gegen den rassistischen Konsens in Köpenick« mit ca. 800 Personen;

Für die Zukunft sind noch Aktivitäten für den Tag X, den Tag der Eröffnung des NPD-Schulungszentrums, geplant. Ursprünglicher Ansatz war, die beteiligten Bündnisgruppen zu weiteren eigenständigen Aktionen im Rahmen der Kampagne zu motivieren. Dies wurde jedoch kaum aufgegriffen, so dass die Informations- und Mobilisierungsebene sehr ausgiebig gestaltet war, es jedoch an konkreten Aktionen mit politischer Reibungsfläche aus unserer Sicht mangelte. Das kann verschiedene Gründe haben. Entweder hatten gerade kleinere Gruppen keine Ressourcen, um sich stärker in die Kampagne einzubringen oder die Aktionen wurden als ausreichend eingeschätzt. Jedenfalls sollte frühzeitig überlegt werden, wie Beteiligung für unterschiedliche Gruppen organisiert werden kann.

...mit bundesweiter Mobilisierung.

Für die Demonstration wurde bundesweit mobilisiert. Zum einen haben einige Nicht-Berliner Gruppen frühzeitig Interesse angemeldet und zum anderen erhofften wir uns Impulse für andere Gruppen, sich wieder stärker mit Antifa-Arbeit zu beschäftigen und dabei antirassistische Aspekte gezielt einzubinden. In der Hinsicht kann die bundesweite Mobilisierung auch als Versuch gewertet werden, dem zunehmenden Zerfall der bundesweiten Antifa-Szene etwas entgegenzusetzen, indem existente Strukturen eingebunden und genutzt werden.

Die Mobilisierung erfolgte dabei nicht nur über die bundesweite Verschickung von Materialien, sondern auch durch eine bundesweite Veranstaltungs-Rundreise, die Erstellung von Radio-Jingles, Pressearbeit etc. Kritisch muss angemerkt werden, dass die Erstellung von zielgruppenspezifischen Mobilisierungsmaterialien, wie z.B. einem SchülerInnen-Aufruf, versäumt wurde.

Das Resultat dieser Mobilisierung ist mit mehr als 2000 Personen ein Erfolg. Jedoch ist unsere Einschätzung, dass derselbe Aufwand vor mehreren Jahren noch ein besseres Ergebnis gebracht hätte. Das führen wir neben den bereits benannten Rahmenbedingungen auch auf Defizite der bundesweiten Organisierung zu­rück. So gibt es Städte, in denen durch die Entwicklungen innerhalb der radikalen Linken der letzten Jahre antifaschistische Grundstrukturen feh­len oder für uns nicht nutzbar sind, um Positionen zu transportieren. Weiterhin fehlen vielerorts verlässliche Netzwerke, die sowohl einen Multiplikatoreffekt für die nähere Region haben, als auch Infrastrukturen für das anpolitisierte aber unorganisierte Umfeld zur Verfügung stellen. Diese Funktionen wurden früher durch Info­läden oder größere Gruppen erfüllt. Momentan kann ein Appell deshalb darin bestehen, regionale und bundesweite Netzwerke auszubauen, die nach außen transparent und ansprech­bar für andere Gruppen sind.

Mit dem Ziel eines großen, lautstarken Höhepunktes hat die Kampagne implizit auf eine Antifa-Bewegung gesetzt, die es in der Größe und Aktivität nicht mehr gibt. Durch innere Differenzen sowie Auflösungen und Spaltungen von Gruppen hat sich die bundesweite Antifa-Szene verändert. Für die Zukunft wird dies vor allem bedeuten, Antifa-Kampagnen so zu gestalten, dass auch ohne Massendemonstrationen politische Impulse auch über das eigene Spektrum hinaus gegeben werden können.

Fazit und Konsequenzen

Trotz des Umstandes, dass NPD-Zentrale und Abschiebeknast immer noch stehen, konnten sie im Kontext der Berliner Linken thematisiert werden, so dass sich auch jüngere Antifa-Gruppen stärker mit Asyl und Antirassismus befasst haben. Es darf nicht vernachlässigt werden, dass sich gera­de Jugendliche über Antifa- und Antira-Themen politisieren. Die Zusammenarbeit von Antifa- und Antira-Gruppen hat unerwartet gut funktioniert. Die Unterschiedlichkeit der Poli­tik- und Praxisfelder kann damit jedoch nicht überwunden werden. Wir werden weiterhin dafür werben, beide Themenbereiche auch in Zukunft stärker zu verknüpfen, um Kontinui­tät und Synergieeffekte zu erzeugen sowie einen breiteren gesellschaftlichen Rahmen im Blick zu behalten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Antifa-Kampagne gute Chancen hat, wenn sie empörende Momente ausnutzt und in lokal-integrierten Strukturen konkrete Angriffspunkte ausnutzt.