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Geschichte & Organisierung der Antifa

Einleitung

Buchprojekt bei theorie.org erschienen

AIB: Stellt doch euch und euer Buch sowie die damit verbundene Intention, die Geschichte »der Antifa« zu schreiben, vor.

Moritz: Wir vier sind seit Jahren in der antifaschistischen Linken in Frankfurt a. M. aktiv und haben für die Reihe theorie.org ein Buch über die Geschichte der Antifa geschrieben. Klar ist, dass es natürlich nicht »die Antifa« gibt, sondern das Label Antifa heute eine sehr ausdifferenzierte Bewegung mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten in Theorie und Praxis bezeichnet.
Mirja: Trotzdem denken wir, dass es einige grundlegende Gemeinsamkeiten in der Symbolik, der Organisierung und den historischen Bezügen gibt, die es in einem gewissen Sinne möglich machen, von »der Antifa« zu sprechen. Aber selbst diese Annahme erlaubt noch lange nicht, eine Geschichte der Antifa zu vermuten: Die subjektiven Perspektiven der jeweiligen Autor_innen spiegeln sich durch Fokussierungen und die Wahl eines bestimmten roten Fadens wieder – gerade dann, wenn es um eine so bewegte Geschichte wie die der Antifa geht.
Jan: Ziel war es, im Format einer Einführung die Geschichte des radikalen Antifaschismus in Deutschland zu schreiben, also desjenigen, der nicht nur antifaschistisch, sondern auch revolutionär war oder zumindest sein wollte. Damit wollen wir jüngeren als auch älteren Antifas einen Überblick bieten. Wir versuchen, trotz aller Widersprüche und unterschiedlicher sozialer Bedingungen, eine Brücke zu schlagen von der Antifaschistischen Aktion des Jahres 1932 über die verschiedenen Ausprägungen, die radikaler Antifaschismus in den folgenden Jahrzehnten genommen hat, bis in die Gegenwart.
Lena: Überall sind innerhalb der Antifabewegung historische Bezüge präsent. Das reicht vom Antifa-Logo bis zur LL-Mobilisierung, vom »Stalingrad ‘43«-Shirt und Parolen à la »Bomber Harris, do it again!« bis zur Orientierung an der Organisationsform der AA/BO. Bei dem Buch geht es ein Stück weit auch um die Klärung der Frage: Worauf bezieht man sich da? Es geht darum, die eigene Geschichte zu vergegenwärtigen und die kritische Frage zu stellen, was daraus an Erfahrungen und politischen Konzepten übernommen werden kann – und was in die Kategorie »Folklore und Heroisierung« gehört.

AIB: Ihr beschreibt »die Antifa« als die linksradikale Soziale Bewegung der 1990er. Kann bei aller Unterschiedlichkeit der verschiedenen Akteur_innen und ihrer Motive, sich antifaschistisch zu engagieren von der »Antifa« als Bewegung gesprochen werden?

Mirja: Wie gesagt, Antifa bezeichnet eine sehr heterogene Bewegung mit ganz unterschiedlichen lokalen Voraussetzungen: Z.B. Dorf, Klein- oder Großstadt? Bedeutung der Neonaziszene? Linke Infrastruktur? Ebenso unterschiedlich wie die Bedingungen sind die Antworten der jeweiligen Antifas. Auch wenn viele Einschätzungen und Theorien der Gruppen sich widersprechen, hat sich insbesondere seit den 1990ern aus dieser Unterschiedlichkeit dennoch eine Bewegung entwickelt, die mehr als zwei wehende Fahnen verbindet. U.a. die Form der Organisierung, das positive Verhältnis zu Militanz oder die kritische Haltung gegenüber Staat und Kapitalismus deuten auf Gemeinsamkeiten hin, die von einer Bewegung sprechen lassen.

AIB: Beim Durchlesen eures Buches sticht eine Fokussierung auf die in der Antifaschistischen Aktion / Bundesweite Organisation (AA/BO) organisierten Gruppen und ihre Politik hervor. In der Regel waren dort bundesweit 10–15 Gruppen organisiert. Gleichzeitig gab es in Deutschland immer weit über 100 Antifa-Gruppen und Initiativen. Warum so ein Fokus auf diese zehn Prozent? Ist das nicht Geschichtsklitterung?

Lena: Das ist eine berechtigte Frage und die Vielfalt der Antifa darf tatsächlich nicht vergessen werden. Der Schwerpunkt des Buches liegt aber neben der Geschichte auf der Organisierung. In Bezug darauf lässt sich sagen, dass die AA/BO und insbesondere die Antifa [M] bis heute stilbildend für eine bestimmte Form der Organisierung, der Öffentlichkeits-, Bündnis- und Jugendarbeit war.
Jan: Außerdem ist Geschichtsschreibung in gewissem Maße immer eine nachträgliche Konstruktion. Es gibt viele Geschichten der Antifa, wir haben eine davon geschrieben. Dabei konnten und wollten wir nicht alles abbilden, was radikale Antifaschist_innen in den letzten achtzig Jahren gemacht haben, sondern wollten Entwicklungen und Konzepte vorstellen. Und dabei nimmt die AA/BO als Versuch einer bundesweiten Antifa-Organisierung und mit ihrem Anspruch auf gesamtgesellschaftliche Wirkungsmacht von heute aus betrachtet eine besondere Stellung ein. Darüber hinaus haben wir aber, denke ich, schon die Vielfalt der Antifa berücksichtigt.

AIB: Die Entwicklung der extremen Rechten in Deutschland, auf die aktiver Antifaschismus jeweils reagierte bzw. reagieren musste, kommt recht wenig vor. Warum spielen die verschiedenen Spielarten und Entwicklungsschübe des deutschen Neonazismus in eurem Buch eine so untergeordnete Rolle?

Moritz: Den Begriff des »Rechtsextremismus« bzw. der »extremen Rechten« vermeiden wir im Buch. Die Extremismustheorie setzt Links und Rechts gleich und erklärt menschenfeindliche Ideologien zum Randproblem der kapitalistischen Gesellschaft. Der Begriff wird für radikale Linke schnell zum Eigentor. Aber klar, Nazis sind und bleiben zentrales Thema antifaschistischer Arbeit und tauchen insofern auch auf. Unser Buch ist insgesamt aber keine Geschichte des Neofaschismus, sondern des linksradikalen Antifaschismus, der immer schon mehr sein wollte als »nur« gegen Nazis.
Lena: Über Nazis und ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen gibt es schon eine Reihe Bücher, über die Antifa eher nicht. Außerdem sagt der jeweilige Zustand der Neonaziszene nicht unbedingt etwas über die Ausgestaltung der Organisierung antifaschistischer Politik aus.

AIB: Wo seht ihr die großen Unterschiede zwischen den 1990er Jahren und heute? Was für eine Perspektive sprecht ihr der Antifa zu?

Lena: Ins Auge fällt natürlich die krasse Ausdifferenzierung der Antifa im neuen Jahrtausend. Unter dem Label Antifa verorten sich sowohl antideutsche, antinationale, internationalistische und klassische (also quer zu diesen Spektren verortete und sich vor allem mit Neonazis beschäftigende) Antifas. Dann ist da die theoretische Weiterentwicklung: Während z.B. die AA/BO theoretische Arbeit eher auf die lange Bank geschoben hat, ist heute doch die Einsicht weit verbreitet, dass Theorie und Praxis in einem engen Verhältnis zueinander stehen müssen.
Mirja: Seit Ende der 1990er hat sich außerdem der gesellschaftliche Kontext stark verändert. Ohne die Entwicklung, die mit dem »Aufstand der Anständigen« im Sommer 2000 begann, wären vermutlich so breite und offensive Blockadeaktionen gegen Neonaziaufmärsche wie in Dresden kaum möglich. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass die kapitalistische Zurichtung der Gesellschaft – Stichworte Hartz IV und Militarisierung nach innen und außen – gerade von der liberalen Mitte der Gesellschaft vorangetrieben werden können. Die Geschichte hat darüber hinaus gezeigt, dass linke Organisierung extrem wichtig ist. Inzwischen gibt es wieder Tendenzen zu verbindlicherer bundesweiter Organisierung und Zusammenarbeit, wo sie vor einigen Jahren noch undenkbar war. Gleichzeitig bleibt die direkte Arbeit gegen Neonazis sehr wichtig.
Jan: Nazis natürlich, ja. Vermutlich wird aber allgemein die Beschäftigung mit reaktionären Ideologien, die ja kein Monopol der Nazis, sondern auch bei religiösen FundamentalistInnen, RechtspopulistInnen usw. zu finden sind, wichtiger werden. Entscheidend wird meiner Meinung nach sein, was für eigenständige Antworten die antifaschistische Linke gerade im Spannungsfeld von kulturellem Rassismus und religiösem Fundamentalismus entwickeln kann.
Moritz: Antifa ist heute häufig eine Art Markenzeichen, das – besonders für junge Leute – attraktiv ist und daher zur Politisierung gut zu funktionieren scheint. Linke Politik wird aber genauso in vielen anderen Gruppen gemacht, die nicht das Prädikat »Antifa« in ihrem Namen tragen. Was ihre Organisationsform angeht, sind aber auch diese Gruppen geprägt durch die Entwicklungen, die antifaschistische Organisierung besonders seit den 1980er Jahren durchlaufen hat.
Strukturell muss es insofern in Zukunft auch darum gehen, bestimmte Konzepte wieder stärker aufzugreifen: Jugendarbeit, lokale Verankerung  über Events hinaus und Bündnisarbeit sind nur drei Schlagworte dafür. Die Geschichte der Autonomen, der Antifa und anderer Spektren linksradikaler Politik ist voll von Konzepten, die reformuliert und überarbeitet werden können. Unsere Hoffnung ist, dass das Buch neben der historischen Orientierung auch für inhaltliche Neubestimmungen eine Folie bietet.

Mirja Keller, Lena Kögler, Moritz Krawinkel, Jan Schlemermeyer:
Antifa: Geschichte und Organisierung
1. Auflage 2011
200 Seiten, kartoniert
ISBN 3-89657-665-8
ca. 10,– Euro